Tichys Einblick
Chronik des Corona-Ausbruchs

Wie China Corona-Informationen zurückhielt – und die Welt es nicht wissen wollte

Lange galt die Laborhypothese als Verschwörungstheorie. Wer wie TE sachlich über das Thesenpapier von Wiesendanger berichtete, wurde diffamiert. Doch nachdem nicht mehr nur Donald Trump der Sache nachgehen will, sondern auch der neue US-Präsident Joe Biden, kippt die Stimmung.

IMAGO / Kyodo News

Am 4. April 2004 musste eine Forscherin des Chinesischen Instituts für Virologie in Peking ins Krankenhaus eingeliefert werden. Sie hatte sich in ihrem Labor mit dem SARS-Virus infiziert. An den Folgeinfektionen verstarb u.a. die Mutter der Forscherin. Der Vorfall war ein Wiederaufflammen der SARS-Coronavirus-Pandemie 2002-2003 in Asien, bei der weltweit etwa 8.000 Menschen infiziert wurden und mehr als 700 starben. Beim ursprünglichen Ausbruch in Südchina hatte die Regierung damals der WHO Krankenhauszahlen vorenthalten. Unabhängig vom ersten Fall infizierte sich 2004 noch ein zweiter Forscher ebenfalls im Labor.

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Im November 2019 erkrankten drei Forscher des Wuhan Instituts für Virologie (WIV) so stark mit Grippe-ähnlichen Symptomen, dass sie ins Krankenhaus eingeliefert werden mussten. Das WIV ist das einzige Labor in China mit der höchsten Biosicherheitsstufe 4 und besitzt mit ca. 1.500 Erregerstämmen die größte Virusdatenbank in ganz Asien. Bereits ein Jahr zuvor hatten US-Diplomaten in Wuhan vor gefährlichen Coronaviren-Experimenten des WIV gewarnt. Wochen nach dem Fall der mysteriös erkrankten Forscher berichten Medien weltweit erstmals über eine „mysteriöse Lungenkrankheit in Zentralchina“. Es war der Beginn der COVID-19 Pandemie – und offenbar einer Vertuschungsaktion unfassbaren Ausmaßes.

Kürzlich kam außerdem ans Licht, dass sich eine Frau womöglich schon Ende September 2019 mit dem Virus infizierte. Ihr Wohnort: gerade mal ein Kilometer entfernt vom WIV, und bemerkenswerter Weise direkt an der Bahnstrecke, über die eine Million Menschen täglich fahren und die das WIV, Wuhans Flughafen und den Nassmarkt in Wuhan verbindet, der zunächst von China als Ausbruchsort angegeben wurde. Das Militärkrankenhaus, das einige der ersten COVID-19-Fälle behandelte, ist ebenfalls in direkter Nähe.

„Für die Menschen in Wuhan besteht kein Grund zur Panik.“ 

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Ein chinesischer Arzt, Li Wenliang, machte am 30. Dezember 2019 erstmals in einer Chatgruppe darauf aufmerksam, dass es sich bei der neuen Krankheit um eine SARS-Variante handelt. Er schrieb: „7 bestätigte SARS-Fälle auf dem Feinkost-Nassmarkt in Wuhan. Die neuesten Nachrichten sind, dass bestätigt wurde, dass es sich um Coronavirus-Infektionen handelt, aber der genaue Virusstamm wird subtypisiert.“ Screenshots des Chats landen in chinesischen Sozialen Netzwerken, bald meldet sich die Polizei bei ihm. Der „Gerüchteverbreiter“ wird auf dem Revier dazu gezwungen, eine Erklärung zu unterschreiben, in der er verspricht, seine Aussagen nicht zu wiederholen. In dem Dokument heißt es außerdem an ihn gerichtet: „Ihr Verhalten stört die soziale Ordnung erheblich und überschreitet den gesetzlich zulässigen Geltungsbereich.“ Gut zwei Monate später starb er im Krankenhaus an der Krankheit, die, wie er richtig feststellte, ein neuartige Coronavirus-Art ist.

Die chinesische Regierung vertuschte, zensierte so wie schon beim SARS-Ausbruch 2002, um keine Infektionen zu vermelden, während ein lokaler Parteikongress der KP Chinas stattfand. Das Parteiorgan People’s Daily vermeldet, die Krankheit sei ungefährlich und kaum ansteckend: „Für die Menschen in Wuhan besteht kein Grund zur Panik.“

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Die nicht gerade abwegige Theorie, dass das neue Coronavirus aus Wuhan aus dem Hochsicherheitslabor (das nachweislich mit Coronaviren experimentierte) stammen könnte, wurde aber von Anfang an von Medien nur zu gerne als Verschwörungstheorie abgetan. In vielen deutschen Medien wurde daher auch eine Studie des Hamburger Wissenschaftlers Roland Wiesendanger scharf attackiert. TE setzte sich damals als eines der wenigen Medien auch inhaltlich mit den Erkenntnissen Wiesendangers auseinander und wurde dafür scharf attackiert.

Corona aus dem Labor? Nein, das könne nichts weiteres als eine Verschwörungstheorie sein, hieß es von vielen. Auf der einen Seite, weil so ein Verdacht von damaligen US-Präsident Donald Trump aufgebracht wurde – und was Trump sagt, muss offenbar automatisch Blödsinn sein. Ohnehin sei die Pandemie am Ende ein Ergebnis des Klimawandels.

Auf der anderen Seite ist das China von 2020 viel einflussreicher und aggressiver als das von 2004. Jeder, der mit dem Regime in Peking gute Beziehungen haben will, weiß, dass selbst ein „falsches“ Telefonat Peking zum Toben bringen kann. Mit China will man sich es nicht verscherzen. Wieso also noch genauer nachforschen, was in Wuhan vor sich ging?

Genauso wenig passt das ins Bild einiger China-Bewunderer, die über den vermeintlichen Triumph des „chinesischen Systems“ gegenüber den westlichen Demokratien philosophieren. Und nicht zuletzt ist da wohl auch die Angst nicht zuletzt der deutschen Regierung vor einer Konfrontation mit Peking. Alle diese Faktoren führten dazu, dass man sich stillschweigend darauf verständigte, die Sache mit dem Labor in Wuhan nicht näher wissen zu wollen.

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Man verwies immer wieder auf die WHO-Untersuchung, die in ihrem Bericht einen Laborunfall als Ursache praktisch ausschließt. In einem Interview mit der amerikanischen Nachrichtensendung 60 Minutes gab Peter Daszak, Mitglied des WHO-Untersuchungsteams aber offen zu, bei ihrer Untersuchung der „Labortheorie“ lediglich blind auf das Wort der chinesischen Forscher, alles im Labor sei bestens gewesen, vertraut zu haben: “Was können wir noch tun? Es gibt eine Grenze für das, was Sie tun können, und wir sind bis an diese Grenze gegangen.“

Die amerikanische Regierung hingegen hält schon lange einen versehentlichen Laboraustritt des Viruses für möglich. Über die Fälle der mit Grippe-Symptomen erkrankten chinesischen Forscher von 2019 sagt David Asher, der Leiter der Untersuchung des US-Außenministeriums zum COVID-19 Ursprung: „Ich bezweifle sehr, dass drei Personen in einem Labor der Stufe 3, die an Coronaviren arbeiten, unter streng geschützten Umständen alle in derselben Woche an Influenza erkranken würden, die sie ins Krankenhaus oder unter schwere Bedingungen brachten, und es hatte nichts zu tun mit dem Coronavirus.“

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Der damalige stellvertretende Nationale Sicherheitsberater Matt Pottinger formulierte es dieses Jahr so: „Wenn Sie die Indizien abwägen, überwiegt die Seite, die besagt, dass dies auf eine Art menschlichen Fehlers zurückzuführen ist, bei weitem die Seite, die besagt, dass es sich um einen natürlichen Ausbruch handelt.“ Außerdem deutet er an, das Institut habe zuvor mit geheimen Experimenten zu tun gehabt: „Wir haben guten Grund zu der Annahme, dass das chinesische Militär in demselben Labor geheime Tierversuche durchführte, die bis mindestens 2017 zurückreichten. Wir haben guten Grund zu der Annahme, dass unter Forschern grippeähnliche Erkrankungen ausgebrochen sind, die im Herbst 2019 im Wuhan Institut für Virologie tätig waren, aber unmittelbar bevor die ersten dokumentierten Fälle ans Licht kamen.“

Die Labor-Theorie wurde in der Öffentlichkeit unter anderem dadurch rehabilitiert, dass inzwischen auch Trumps Konkurrent und jetziger US-Präsident Biden die Theorie nicht ausschließt und eine Untersuchung angeordnet hat. Binnen 90 Tagen sollen die US-Nachrichtendienste nun herausfinden, ob COVID-19 durch einen Laborunfall oder durch menschlichen Kontakt mit einem infizierten Tier entstanden ist. Das ist nicht viel Zeit und deutet vor allem keineswegs auf eine eindeutige Antwort hin, denn beide Optionen schließen sich nicht aus. Es ist bekannt, dass das WIV mit Tieren, etwa Fledermäusen experimentierte. Es ist z.B. auch bekannt, dass es in China mehrfach Fälle gab, in denen Forscher Versuchstiere illegal verkauften.

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Wir wissen noch nicht, was der Ursprung von COVID-19 ist. Wir wissen, dass in Wuhan das chinesische Labor mit der höchsten Biosicherheitsstufe liegt, in dem Forscher Wochen vor dem Beginn der Pandemie mit ähnlichen Symptomen erkrankten. Wir wissen, dass die chinesische Regierung den Ausbruch zunächst massiv vertuscht hat – entweder um den Laborunfall zu kaschieren oder um die Parteiveranstaltung zu der Zeit in Wuhan nicht unterbrechen zu müssen.

Die Indizien für die Laborhypothese häufen sich allerdings und sind plausibel – nach allem was nun bekannt ist, sollte man diese Möglichkeit genauso ernst nehmen wie einen natürlichen Ursprung. Und nein, der Ursprung von COVID-19 ist nicht egal. Jetzt schon wissen wir, dass das chinesische Regime eine Mitschuld daran trägt, dass sich das Virus zu Beginn so schnell verbreiten konnte, da es Informationen dazu wochenlang der Öffentlichkeit und der WHO vorenthielt und Ärzte wie Li Wenliang zum Schweigen brachte.

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