Bekommt nun Ungarn das Geld – oder nicht?

Westeuropäische Politiker, EU-Offizielle und Medien sind zuversichtlich: Ungarn wird Milliarden an EU-Geldern endgültig verlieren. Ungarische Politiker sind optimistisch: Das Geld wird kommen. Wie kann das sein, was ist wahr?

IMAGO / NurPhoto

Politische Schlachten sind voller Schall und Rauch. Mit anderen Worten, voller Medienberichte. Was wirklich passiert, ist daraus nur begrenzt zu erkennen. Das gilt auch für das epische Kräftemessen rund um die derzeit suspendierten EU-Gelder für Ungarn.

Wochenlang waren die Medien voll von Berichten aus „gut informierten Kreisen”, dass die EU-Kommission zufrieden sei mit Ungarns Reformschritten. Es wurde daher spekuliert, dass demnach wohl zumindest ein Teil der Gelder freigegeben würde.

Im September hatten sich Ungarn und die Kommission auf 17 Maßnahmen geeignet, deren Implementierung die Blockade lösen würde. Später wurde klar, dass die EU gerne noch einen 18. Schritt hätte, zusätzliche Reformen im Justizapparat. Auch das sagte Ungarn zu. Es wurden – gemeinsam – genaue Zeitpläne und Benchmarks ausgearbeitet. OK, wurde den Ungarn in Brüssel gesagt, wenn ihr all das zufriedenstellend macht, bekommt ihr das Geld. Die ungarische Regierung setzte daraufhin die vereinbarten Maßnahmen diszipliniert und mit geradezu preußischer Genauigkeit um.

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Dann verlautete aus der Kommission am vergangenen Mittwoch, dass sie doch lieber 27 Reformmaßnahmen hätte, nicht nur 17. Mit dieser rückwirkenden Verschiebung der Torpfosten gewann die Partie eine neue Qualität. Denn wenn Ungarn die Reformen nicht „zufriedenstellend” bis zum Ende des Jahres umsetzt, und die EU dies nicht schriftlich quittiert, verfällt ein Großteil der Covid-Gelder – 4,1 Milliarden Euro. Das Geld wäre dann endgültig weg. Geld, dass die EU entgegen ihrer grundlegenden Prinzipien als „einmalige Ausnahme” durch eine gemeinsame Kreditaufnahme mobilisierte, für die auch Ungarn bürgt. Am Ende würde das bedeuten, dass ungarische Steuerzahler beispielsweise dem reichen Deutschland Geld geben, während sie selbst nichts bekommen.

Von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán wird gerne behauptet, er sei ein schlauer Fuchs, gar „machiavellistisch”. Aber möglicherweise ist die EU viel machiavellistischer. Reformen mit Geldversprechen erzwingen, dann doch kein Geld geben und weitere Reformen verlangen: Das ist schlau.

Es gibt einen serbischen Witz über die EU. Ein reicher Mann (die EU) fordert eine junge Frau (Polen/Ungarn/Serbien/Türkei/jeder Mitgliedskandidat) auf, mit ihm ins Bett zugehen. Er würde ihr dafür sein Telefon geben. Es ist ein schönes, teures. Sie fügt sich und tut was er will. Darauf sagt er: „OK, schreib’ es auf: 00 32 2 299 96 96 (die Telefonzentrale der EU-Kommission). Sie bekommt also nicht das Telefon, nur die Telefonnummer. Falls die Pointe erklärt werden muss: Die EU fordert viele demütigende Dinge und verspricht im Gegenzug viel, gibt am Ende dann aber doch nichts.

Der polnische Europaparlamentarier Radoslav Sikorski wurde von ukrainischen Politikern gefragt, wie sie sich verhalten sollen in Verhandlungen zum EU-Beitritt. „Ich habe ihnen gesagt, tut einfach alles, was die EU fordert. Es würd demütigend sein, aber lohnt sich am Ende.” (Podiumsgespräch im ungarischen Esztergom im vergangenen Juli, auf dem „MCC Fest”, moderiert vom Verfasser dieser Zeilen).
Nun gut. Aber wie kam es dazu, dass die Medien erstaunt waren über die „Härte” der EU, nachdem alle über einen nahenden Kompromiss geschrieben hatten? Ganz einfach. Wenn „gut informierte Kreise” Informationen durchsickern lassen, geschieht das oft mit der Absicht, eine bestimmte Berichterstattung zu erzeugen. So kann man die Medien spielen wie eine gut gestimmte Geige. Wenn dann die „überraschende” Entscheidung fällt, ist maximale mediale Aufregung garantiert. Hoppla, die Kommission ist doch super relevant!

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Es gab auch Informationen, die man durchstechen konnte, ohne zu lügen. So befand die Kommission, Ungarns Plan für die Verwendung der Covid-Gelder sei akzeptabel. Und man gab auch zu verstehen, dass Ungarn mit seinen bisherigen Maßnahmen „großen Fortschritt” gemacht habe. Dass es trotzdem nicht helfen würde, weil man weitere Forderungen stellen würde, musste man ja nicht dazu sagen.

Eine formale Entscheidung der Kommission steht für kommende Woche an. Danach müssen die EU-Finanzminister entscheiden, mit qualifizierter Mehrheit (15 Länder, 65% der EU-Bevölkerung). Die Abstimmung ist für den 6. Dezember angesetzt, aber es kann sein, dass sie verschoben wird.

Und nun zur ungarischen Seite: Da ist man zuversichtlich, dass alles rechtzeitig bis Ende es Jahres klappen wird, und dass die Gelder dann im ersten Halbjahr 2023 fließen.

Es geht um 5,8 Milliarden Euro aus dem sogenannten Covid-Recovery Fonds, und um ein Drittel der zugesagten Mittel für Ungarn aus dem aktuellen Kohäsions-Haushalt, 7,5 Millarden Euro. Ungarn erhält seit mehr als einem Jahr kein Geld mehr von der EU, wegen angeblicher Rechtstaatlichkeits- und Korruptionsbedenken.

Was stimmt nun? Kein Geld, oder doch Geld? Welche Gründe könnte es geben für Ungarns Zuversicht?

Die Regierung in Budapest hält sich zum einen genau an alle Reform-Abmachungen mit Brüssel. Mann hofft, dass das honoriert wird. (An dieser Stelle würden Serben wohl ihren oben erwähnten schmutzigen Witz erzählen). Zum anderen wollen die EU, die USA und die Nato eine Reihe von Dingen, die Ungarn bislang nicht gewährt. (Zwischen den Zeilen gelesen: Solange die EU-Gelder nicht kommen).

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Ungarn lehnt eine globale Mindeststeuer für Unternehmen ab. Ungarn lehnt auch eine gemeinsame Kreditaufnahme der EU ab, um der Ukraine mit 18 Milliarden Euro zu helfen. Statt dessen will Budapest seinen Anteil an dieser geplanten Hilfe, 187 Millionen Euro, bilateral geben. Der EU ist aber die gemeinsame Kreditaufnahme wichtiger als das Geld selbst. Denn gemeinsame Schulden binden die Mitgliedsstaaten enger an Brüssel.

Und die Regierung signalisiert, dass man die Aufnahme Finnlands und Schwedens in die Nato zwar gerne sieht. Aber die Ratifizierung wird dauernd verschoben. Sie war zuletzt für den 7. Dezember geplant, also für den Tag nach der Entscheidung der EU-Finanzminister über die EU-Gelder für Ungarn. Nun wurde das auf die erste Parlamentssitzung 2023 vertagt.

Welches Szenario ist jetzt zu erwarten? Es kann durchaus passieren, dass die Entscheidung im Ministerrat verschoben wird, etwa auf den 19. Dezember. Und dass man die bis dahin erfolgten weiteren Reformschritte Ungarns als ausreichend würdigt, die nötigen Papiere nach rasch unterschrieben werden, und bis 31. Dezember alles unter Dach und Fach ist. Dann ratifiziert Ungarn den Nato-Beitritt Schwedens und Finnlands, und akzeptiert eventuell andere Dinge, die es bisher ablehnt.

Denkbar ist aber auch, dass serbische politische Witze prophetischer Natur sind. Dass also die EU nichts gibt, egal was Ungarn tut.

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Es lohnt sich, Ungarns Strategie in dieser Frage mit jener Polens zu vergleichen. Auch da hat die EU den Plan für die Verwendung der Covid-Mittel gutgeheißen, gibt aber kein Geld, solange Polen seinen Justizapparat nicht umkrempelt. Das will die Regierung nicht. Ihre Strategie: Polen setzt sich an sie Spitze der Bewegung, um der Ukraine zu einem Sieg gegen Russland zu helfen, und wird dafür politisch belohnt. Aber diese Rechnung geht bislang nicht auf.

Ungarn hingegen will alle Forderungen der EU hinsichtlich Rechtstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung erfüllen, rückt aber nicht ab von seiner emanzipatorischen Außenpolitik – nationale Interessenvertretung statt transnationale Lagerbildung.
Auch diese Rechnung geht bisher nicht auf. Die EU will alles.

Genauer gesagt, die EU ist so verstrickt in ihre politischen Zwänge, dass sie gar keinen eigenen Willen entwickeln kann. Die Betrebungen des EU-Parlaments, seine Relevanz zu steigern, indem es Orbán zum Feind erklärt und die EU-Kommission diesbezüglich unter Druck setzt; die willigen Medien, die dieses Narrativ gerne übernehmen, und so ebenfalls politischen Druck erzeugen; und die Kräfte innerhalb der EU, die einen europäischen Föderalstaat wollen und deswegen den Widerstand der freiheitsliebenden „Osteuropäer” brechen wollen (also Deutschland laut seinem Regierungprogramm, Frankreich, und deren Verbündete) – all das engt den Spielraum der Kommission ein. Dort will man immer auf der „richtigen” Seite stehen, und das geht nur, wenn man immer dem Stärkeren Recht gibt.

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Kommentare ( 11 )

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T. Ruebsal
1 Jahr her

Ich hoffe immer noch, dass Ungarn aus dieser totalitären EU austritt und von vorn anfängt. Sicherlich wird es hart werden, aber für dieses Land gesichtswahrend.

humerd
1 Jahr her

so sehr ich Orbans Haltung für seine Familien und Kinder im Lande schätze und auch, dass er sich gegen eine weitere Schuldenunion stemmt, denke ich , dass er aufpassen muss. Die Visegrad Staaten Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn sind sich gar nicht mehr einig und stehen nicht mehr so hinter Orban, wie es mal war. Aber auch im eigenen Land sind die Probleme groß, trotz Spritpreisdeckel für Ungarn, Energiepreisdeckel je Haushalt, Preisdeckel für Grundnahrungsmittel wie Mehl, Kartoffeln etc. hat Ungarn eine sehr hohe Inflation. Hinzu kommt die Forint Schwäche. Das spüren die Ungarn, während Ausländer vom Wechselkurs profitieren. So… Mehr

bani
1 Jahr her

In Kürze ist das Geld alle. Die sind in der EU einfach zu blöd, bürokratisch und anmaßend. Dann gibt es nichts mehr zu verteilen und diesr fürchterliche Apparat bricht auseinandern.

November Man
1 Jahr her

Die stolzen Ungarn und Orban sind nicht dumm. Die verar die EU so lange bis sie die Milliarden haben. Sonst werden die Ungarn weiter nichts tun. Gut so, diese marode EU hat nichts anderes verdient.

elly
1 Jahr her
Antworten an  November Man

Orban ist nicht dumm – stimmt. Sein geschicktester Schachzug war die NGOs an die Kandare zu nehmen. Die Ungarn sind stolz – stimmt auch. Nur Stolz alleine genügt halt nicht.

Gernoht
1 Jahr her

Das mir gegen meinen Willen abgepreßte Steuergeld ist in Ungarn noch am besten aufgehoben, also drücke ich ihnen die Daumen.

Wolfgang Schuckmann
1 Jahr her

Wenn Ungarn klug ist, bzw. Orban der Versuchung widersteht, und er diesen Ablasshandel canceltbekommt er vielleicht kein Geld mehr aus Brüssel. Doch er behält für sein Land die Optionen, die seiner Nation über längere Zeit wichtiger sind. Ein kleines Land, das im Zuge der großen UMWÄLZUNGEN dieser Zeit sehen muss wo es bleibt. Sollte Orban jetzt gut beraten sein, werden wir sehen,wie ein weiteres Land diesen seltsamen Staatenhaufen EU verlässt und zwar mit vollem Recht des Übervorteilten, Getäuschten und auch Enttäuschten. Es wird immer offensichtlicher daß man stabile Staaten und seine auf Sicherheit bedachten Bürger fürs eigene falsche Spiel nicht… Mehr

FranzJosef
1 Jahr her

Der Störenfried ist weniger die EU-Kommission sondern das rot-grün dominierte EU-Parlament, das keinen Frieden mit Orban will. Man muss nur täglich DLF hören, dann weiß man, was da läuft.

Wilhelm Roepke
1 Jahr her

Der Fehler beginnt viel früher. Die EU sollte kein Geld bekommen oder verteilen oder horten oder sich verschulden dürfen. Nur koordinieren. Schluss. Dann hören diese Spielchen auf.

eisenherz
1 Jahr her

Die gleiche Behauptung wurde vor Monaten auch gegen Polen aus Brüssel aufgestellt. Haben die Polen nun das Geld bekommen? Müssen die Polen, weil sie ungehorsam waren, mit der angedrohten Millionenstrafe leben? Wohl kaum. Reine und leere Drohgebärden aus Brüssel, um andere Länder abzuschrecken, die von denen keiner mehr ernst nimmt. Wenige Wochen und dann redet keiner mehr darüber und die Ungarn bekommen ihr Geld. Schon aus dem Grund, weil sie wirksam ihre Grenzen gegen die illegalen Flüchtlinge bewachen. ++ Zuweisungen wegen Justizreform gestrichen: EU-Strafen gegen Polen belaufen sich bereits auf 160 Millionen Euro. Der umstrittene Umbau des Justizsystems kommt Polen… Mehr

Flavius Rex
1 Jahr her

Ungarn muss nur dem „neunten Sanktionspaket“ der Leier zustimmen, dann gibt es das Geld. Es geht hier nur um Erpressung.