In deutschen Medien gibt es kaum eine inhaltliche Auseinandersetzung mit Mileis Programm. Differenzierter betrachtet wird er in der spanischsprachigen Welt. Dort schaut man sich genau an, welche Erfolge Mileis Politik in einem Jahr erzielt hat. Eine Zusammenschau. Von Thomas Punzmann
Javier Milei hat bei seinem Amtsantritt im Dezember 2023 als Präsident Argentiniens ein beispiellos heruntergewirtschaftetes, von Korruption und Misswirtschaft zerfressenes, eigentlich schon bankrottes Land übernommen. Durch seine radikalen Reformen hat er in seinem ersten Jahr im Amt die horrende Inflation eingedämmt und den Staatshaushalt saniert. Vor allem aber hat er den Argentiniern Hoffnung auf eine bessere Zukunft gegeben. Grund genug, nachzusehen, wie zwei argentinische Zeitungen (hier und hier) und ein spanischer Volkswirt das erste Jahr Mileis bewerten.
2024 war für Argentinien ein Jahr tiefgreifender Veränderungen. 2025 könnte, nach der Einschätzung der Zeitungen, das Jahr der Normalisierung werden. Das Jahr, in dem Grundlagen für eine stabilere und berechenbarere Zukunft gelegt werden könnten.
Javier Milei hat nach Ansicht der liberal-konservativen La Nación allen Grund auf das bisher Erreichte stolz zu sein. Er habe eine notorisch turbulente Wirtschaft stabilisiert und die Inflation, die am Beginn seiner Amtszeit wegen der Abwertung des Pesos kurzfristig gestiegen war, auf rekordverdächtige Werte abgesenkt. Auch das Defizit wandelte er in einen Haushaltsüberschuss. Die vorherige Regierung unter Alberto Fernández hatte den Haushalt, wie alle Regierungen vor ihm, hauptsächlich durch die Druckerpresse finanziert.
Aber der Zustand der Wirtschaft wäre, so La Nación, immer noch kritisch. Das BIP ist dieses Jahr um 3 Prozent zurückgegangen. Für das kommende Jahr rechnet JP Morgan aber mit einem Wachstum von etwa 5 Prozent. Das gesunkene BIP wird von anderen Journalisten mit dem Wegfall eines großen Teiles der, wie sie es nennen, Scheinwirtschaft begründet. Das sind beispielsweise Firmen, zum Teil in Regierungsbesitz, die hauptsächlich Aufträge der Regierung oder von Behörden erhielten, also keine Wertschöpfung schaffen. Das Prinzip rechte Tasche, linke Tasche. Regierungsfinanzierte Nichtregierungsorganisationen fielen ebenso darunter. Auch durch die geschrumpfte öffentliche Verwaltung würde das BIP geringer ausfallen. Der konservative spanische Sender Antena3 geht vom ungefähr 40.000 Beamten und öffentliche Angestellten weniger aus.
Als Milei im Dezember 2023 vereidigt wurde, hatte er, mit weniger als 15 Prozent Gefolgsleuten in beiden Kammern, die kleinste parlamentarische Mehrheit in der neueren argentinischen Geschichte. Trotzdem konnte Milei seine Vorstellungen meistens durchsetzen. Erreicht hat er das mit präsidialen Dekreten und Vetos, aber auch mit Kampagnen in sozialen Medien und, indem er den Präsidenten der Provinzen schlicht die Kürzung ihrer Mittel glaubhaft androhte.
Die Zeitungen loben den Pragmatismus, den Milei im vergangenen Jahr an den Tag legte. Er rückte von seinen nicht durchsetzbaren Wahlversprechen der “Dolarización” der Wirtschaft und der Abschaffung der Zentralbank ab. Er schuf eine Allianz mit dem früheren konservativen Präsidenten Mauricio Macri und ernannte Mitglieder dessen Partei Cambiemos zu Ministern. Außerdem beendete er seine scharfen Angriffe gegen die Regierung Chinas, den zweitgrößten Wirtschaftspartner Argentiniens. Bei dem Treffen der G20 im November gratulierte ihm der chinesische Ministerpräsident Xi Jinpeng daraufhin zu dessen wirtschaftlichen Erfolgen.
Die dem liberalen Spektrum zugeordnete Wirtschaftszeitung El Economista verweist auf einen weiteren Erfolg eines Programms der Regierung Mileis: Hier können nicht deklarierte Devisenbarguthaben gegen eine geringe Steuer bei Banken eingezahlt werden. Die Dollareinlagen erreichten so mit 35 Milliarden USD, gegenüber 17 Milliarden USD im Dezember 2023, ein Rekordhoch. Die Bruttoreserven der argentinischen Zentralbank bleiben jedoch, so El Economista, auch nach einer Aufstockung um 8,4 Milliarden USD auf einem niedrigen Stand von knapp 30 Milliarden USD. Der spanische Volkswirt Daniel Lacalle wies in einem Interview in Antena3 aber darauf hin, dass die argentinische Zentralbank bei Mileis Amtsantritt mit 13 Milliarden USD im Minus gewesen sei.
Positiv vermerkt auch La Nación die dramatisch gestiegenen Exporte des Agrarbereichs, des Bergbaus und des Energiesektors. Vor allem das Ende der dem Klimawahn geschuldeten Einschränkung der Ausbeutung der Öl- und Gasfelder von Vaca Muerta haben dazu beigetragen. 2025 rechnet man mit noch größeren Exporterlösen.
El Economista verweist weiter darauf, dass die Verhandlungen mit dem IWF und anderen internationalen Kreditgebern positiv verlaufen wären. Die Regierung arbeite an der Fertigstellung eines neuen Programms zur zusätzlichen Finanzierung. Beantragt wurden 26 Milliarden USD. Die erste Auszahlung von 11 Milliarden USD sei für das erste Quartal 2025 vorgesehen.
Der Aktienmarkt lieferte ebenso gute Nachrichten. Der Merval stieg im Jahresverlauf um 170 Prozent. Hinzu kam der Rückgang des Länderrisikos von 1.900 bp auf 658 bp. Die Aussicht auf Beendigung des CEPO ist ein weiterer Grund für den Anstieg der Kurse. Der CEPO beschränkt den Kauf von Devisen. 200 USD im Monat, zum offiziellen Wechselkurs, sind für natürliche Personen die obere Grenze. Besteuert wird der Kauf mit 60 Prozent. Subventionsempfänger sind vom Devisenkauf grundsätzlich ausgeschlossen.
Der spanische Volkswirt Daniel Lacalle verweist in dem Interview mit Antena3 darauf hin, dass die argentinischen Banken, nach langer Zeit, wieder Darlehen vergeben würden. Wegen der hohen Inflation konnten Banken das Risiko nicht mehr einschätzen und hatten deswegen praktisch keine Kredite mehr vergeben. Außerdem, so Lacalle, wären die Hauspreise nach dem Wegfall des Mietpreisdeckels um etwa 30 Prozent gefallen. Die Mieten seien ebenso gesunken. Laut Lacalle wird die Wiederaufnahme der Kreditvergabe der Banken wesentlich für die wirtschaftliche Erholung sein.
Lacalle geht auch auf die häufig geäußerte Kritik an Mileis Wirtschaftsprogramm ein. Der Staat hätte sich durch die Reduzierung der Sozialausgaben um etwa 30 Prozent zwar saniert, als Folge wäre die Armut aber von 32 Prozent auf 53 Prozent gestiegen.
Die Armut sei aber, so sagt Lacalle, bereits unter den Vorgängerregierungen auf diese Werte angestiegen, vor allem unter der jetzt wegen Korruption verurteilten früheren Präsidentin Christina Fernández de Kirchner. Außerdem sei die dramatisch gesunkene Inflation die beste Methode, um die Armut zu bekämpfen. Allein im letzten Jahr sank die Inflation von etwa 10 Prozent pro Monat auf jetzt 2,4 Prozent.
Für La Nación, El Economista und Daniel Lacalle sollte die Steigerung der Löhne nun die größte Priorität der Regierung Mileis für 2025 sein. Das Gefühl, dass die Steuern weiter gesenkt würden und sich die wirtschaftliche Lage verbessern würde, müsse bei allen Argentiniern ankommen. Und in einem Interview sagte Milei, dass seine Regierung genau das vorhat.
Aber wir dürfen nie vergessen, so schließt Lacalle sein Interview, dass Milei ein über fast 100 Jahre durch Misswirtschaft und Korruption zugrunde gewirtschaftetes Land übernommen hat. Umso höher müsse man deshalb das bisher von ihm Erreichte einschätzen.
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Im Grunde ist das alles total logisch. Gib den Menschen die Freiheit zurück und begrenze die Staatsabgaben auf das Wesentliche, bleibt den Menschen mehr Luft zum Atmen, zum Konsumieren und zum Investieren. Schon allein die positive Aufbruchstimmung sorgt für eine Erholung – nicht zuletzt für die geschundene Seele der Ausgebeuteten und Bevormundeten. Ich war (auch) der festen Überzeugung, dass sich Milei´s Weg auszahlen wird. Das dies allerdings nach 40 Jahren Mißwirtschaft so schnell gehen würde, hätte selbst ich nicht erwartet. Und natürlich kommt die bisherige Erfolgsgeschichte Milei´s in der grünlinken Presse kaum vor – denn die Blaupause auch für das… Mehr
„Der Aktienmarkt lieferte ebenso gute Nachrichten. Der Merval stieg im Jahresverlauf um 170 Prozent.“
Der Anstieg ist einzig der Abwertung des Peso geschuldet. Vom 12.12.2023-12.12.2024 fiel der Kurs zum Dollar um ~2/3. Oder umgekeht, man bekam Ende 2024 für einen Dollar ~180% mehr Peso als Ende 2023.