Argentinisches Parlament gibt grünes Licht für Mileis Reformen

Es ist ein langersehnter Erfolg für den argentinischen Präsidenten: Der Nationalkongress in Buenos Aires stimmte am Wochenende seinem Reformpaket zu. Außerdem erhält Milei diverse Sonderrechte. Trotz der von ihm vorangetriebenen finanzpolitischen Schocktherapie konnte er zuletzt viele abgewanderte Anhänger zurückgewinnen.

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Vorab darf man feststellen, dass das zuletzt in Verruf geratene argentinische Parlament nicht der Effektivität entbehrt: Mit deutlicher Mehrheit hat es den Reformen von Staatschef Javier Milei zugestimmt. Sie sehen unter anderem die Privatisierung mehrerer staatlicher Unternehmen sowie Steuererleichterungen für Großinvestoren vor. Zudem erhält der Präsident weitreichende gesetzgeberische Kompetenzen und kann ein Jahr lang per Dekret regieren. Als zuvor die Gesetzesinitiative verabschiedet wurde, haben sich einige linksgerichtete Akteure in Buenos Aires für pure Gewalt entschieden.

Im Regierungsviertel kam ein Hagel mit zentnerschweren Steinen aus dem Himmel herab. Es wurden Autos von Beamten angezündet, die Polizei musste eingreifen. Milei darf sich dennoch freuen, denn trotz der für ihn unangenehmen Tatsache, dass seine liberal-konservative Regierungspartei La Libertad Avanza (LLA) lediglich über zehn Prozent der Sitze im Kongress verfügt, haben sowohl Parlamentarier der bürgerlichen Mitteparteien als auch Abweichler aus der peronistischen Opposition die Vorlage gebilligt. „Der erste Teil meiner Wahlversprechen ist nun erfüllt“, sagte Milei der Tageszeitung „La Nación“.

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In einem ersten Anlauf kurz nach seinem Amtsantritt im Dezember 2023 war das Gesetz noch an der Opposition gescheitert. Anschließend musste die Regierung ihr Reformpaket erheblich kürzen und in einzelnen Punkten den Kompromiss suchen, was nun die Mehrheit im Congreso möglich gemacht hat. Von den ursprünglich über 600 Artikeln wurden jetzt 210 verabschiedet. Nichtsdestoweniger ging die Strategie des LLA-Lagers auf: Milei wollte mit möglichst hohen Forderungen den Schulterschluss mit anderen Parteien suchen, um trotz einer Reihe von Zugeständnissen weitreichende Gesetzesänderungen durchzubringen.

In der Tat ist es erstaunlich, wie weit der überwiegend oppositionelle Kongress dem Präsidenten entgegengekommen ist. Die ihm nun zustehenden Sonderbefugnisse gelten unter anderem für die Schlüsselbereiche Wirtschaft, Finanzen und Energie. Das Zweikammerparlament lässt Milei freie Hand für die Realisierung seiner wichtigsten Projekte. So plant seine Regierung die Einführung eines hybriden Systems mit den zwei Parallelwährungen Peso und Dollar. Bereits vor einem Monat machte Milei Ernst und holte den Wirtschaftswissenschaftler Federico Adolfo Sturzenegger in die Regierung, der vorher maßgeblich an den angestrebten Deregulierungsplänen mitgewirkt hatte.

Die politischen Fronten in Argentinien bleiben dennoch weiterhin verhärtet. Javier Mileis linkspopulistische Widersacherin Cristina Kirchner bezeichnet sein Reformpaket als „unsozial“. Allerdings unterscheidet sich die aktuelle Situation in dem südamerikanischen Land erheblich von den zuvor von Sozialisten skizzierten Schreckensszenarien. Die Armutslage der Argentinier beeinträchtige ihre Entwicklungsmöglichkeiten und Mileis Sparpolitik werde das Problem verschärfen. Seine Popularität werde daher in wenigen Wochen unaufhaltsam sinken, hieß es noch vor einem halben Jahr.

Die derzeitigen Armutsindikatoren verheißen zwar keine Entspannung, manche Zahlen sprechen jedoch inzwischen eine andere Sprache: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts „CB Consultora“ befürworten fast 60 Prozent der Argentinier den Kurs ihres Staatsoberhaupts. Dieser auf den ersten Blick überschaubare Zustimmungswert reicht in dem krisenerfahrenen Lateinamerika für die höchste Stufe des Podiums. Zweifelsfrei positiv fällt Mileis Bilanz bei der Reduzierung des Haushaltsdefizits und der Inflation aus. Seit einigen Monaten ist der argentinische Staatshaushalt zum ersten Mal seit vielen Jahren ausgeglichen. Experten sind sich sicher, dass dies durch den radikalen Sparkurs der neuen Regierung erreicht wurde.

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Für steigende Popularitätswerte des neuen Amtsinhabers in der Casa Rosada sorgten überdies der von ihm vorangetriebene Bürokratieabbau sowie die Kürzung der allzu langen Liste der Ministerien. Genau diese Probleme haben ihrerseits (neben der anhaltenden Wirtschaftskrise) jene Empörung hervorgebracht, die vor einem halben Jahr die breite Wählerschaft in Argentinien zum Kreuz bei Milei geneigt machte. Auch an den Finanzmärkten sind die Investoren immer noch von ihm überzeugt. Der Index argentinischer Unternehmen, die an der Wall Street in Dollar gehandelt werden, ist seit Januar 2024 um 34 Prozent gestiegen. Offenkundig hat Milei gleichfalls einige Faustregeln zur Verbesserung der Kreditwürdigkeit seines Landes beachtet.

Allerdings haben sich in Argentinien gleichzeitig andere Probleme verschärft, die von der Linken mitunter als politische Munition gegen den Präsidenten genutzt werden. Die Armutsrate, die schon bei seinem Amtsantritt Ende 2023 in die Höhe geschossen war, ist aufgrund seiner Sparmaßnahmen im Bereich der Sozialausgaben noch einmal angestiegen. Überdies sind zahlreiche argentinische Unternehmer von den steigenden Energiepreisen betroffen. Trotzdem steht die Mehrheit der Bevölkerung hinter Mileis Sparprogramm, weil es im Gegensatz zu den Maßnahmen der vorherigen Regierungen offenbar zaghafte Erfolge bringt. „Eine erneute Forderung nach einem Regierungswechsel würde eine diskursive Brunnenvergiftung bewirken. Die gewaltigsten Reformaufgaben liegen ja noch vor uns“, schreibt „La Nación“.

Javier Milei hofft, dass US-amerikanische, chinesische und europäische Firmen mit ihren Investitionen einen Wachstumsschub herbeiführen werden. Argentinien verfügt über beachtliche Rohstoffvorkommen wie Lithium und Kupfer, die bekanntlich auch für die „klimafreundliche“ Ampelregierung in Berlin von Bedeutung sind. Das südamerikanische Land besitzt darüber hinaus eines der größten Erdgasvorkommen der Welt. Einige ausländische Unternehmen investieren bereits, aber nach der Ansicht Mileis müssten es ungleich mehr sein, wenn die anhaltende Krise entschärft werden soll. Deswegen müsste auch ein Fünftel der Gesamtinvestitionen an lokale Anbieter fließen.

Die argentinische Regierung hat zudem eine Änderung des Arbeitsrechts angekündigt, weil das bisherige kaum zur Schaffung von neuen Jobs beigetragen hätte. Dabei plant der Präsident ein neues Anreizsystem für Investoren. Große Unternehmen sollen von lukrativen Steuersparmöglichkeiten profitieren, sofern sie mehr als 200 Millionen Dollar investieren.

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Allerdings müssten zuallererst ohnehin die Kapitalverkehrskontrollen und das staatlich regulierte Wechselkurssystem beendet werden, damit Großinvestoren ihre Kapitalerträge uneingeschränkt abziehen können. Die Einkommenssteuern für argentinische Arbeitnehmer dürften hingegen künftig wieder angehoben werden. Mileis linker Amtsvorgänger Alberto Ángel Fernández hatte sie zunächst gesenkt. Es ist jedoch kein Geheimnis, dass wachsende Steuereinnahmen notwendig sein werden, um die Reformpläne der LLA zu finanzieren.

Die meisten Zugeständnisse im Parlament musste Mileis Lager bei den geplanten Privatisierungen der 60 Staatskonzerne machen. Nun wurde der Regierung die Entstaatlichung von „nur“ acht Unternehmen in Aussicht gestellt, vor allem im Energie- und Transportsektor. Die staatliche Post Correo Argentino, die nationale Fluggesellschaft Aerolíneas Argentinas sowie die öffentlich-rechtlichen Medien (Radio y Télevision Argentina Sociedad del Estado), die allesamt als politisch hochsensibel gelten, bleiben erst einmal im Staatsbesitz.

Interessant: Als Anfang Juni der neue argentinische Kabinettschef Guillermo Francos die Amtsgeschäfte übernommen hatte, trat er zunächst auf die Euphoriebremse. Einige Minister seien bei den ersten Reformversuchen „über das Ziel hinausgeschossen“, meinte Francos. Weitaus interessanter wird die Frage sein, ob auch sein Präsident die nötige Demut aufbringen wird, wenn dessen Reformen scheitern, eine spürbare Genesung Argentiniens ausbleibt und er selbst schmerzhafte Einbußen an Unterstützung erleidet. Dass Milei bisher ernsthafte Anstrengungen unternommen und wichtige Etappensiege errungen hat, um sein Land aus der Krise zu führen, steht aber außer Zweifel.

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Kommentare ( 29 )

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Ralf Poehling
23 Stunden her

Ich bin echt gespannt, was dabei herauskommt. Ich hoffe Milei macht nicht die alten Fehler. Keine Gesellschaft kommt ohne funktionierende Keimzellen aus.
Auch libertäre Gesellschaften nicht.

GR
1 Tag her

Staatskonzerne abzuschaffen ist sehr vernünftig. Ich erinnere mich noch, daß es bei der jetzt Telekom 2 Arten von Telefonen gab, eines mit Wählscheibe (im Grundpreis enthalten) und eines mit Tasten, Monatsmiete zusätzlich 5 Mark. Nach Liberalisierung habe ich ein Tastentelefon für 8,95 DM gekauft. Staatskonzerne sind träge, aufgebläht und die Politik mischt sich zu viel ein.

Deutscher
1 Tag her
Antworten an  GR

Heute ist die Technik viel weiter, aber wenn ich irgendwo anrufe, hänge ich in der Warteschleife, bis ich mangels Zeit irgendwann auflegen muß. Außerdem hat ein Wählscheibentelefon mindestens 2 Generationen lang anstandsfrei funktioniert. Es wurde höchstens mal ersetzt, weil man ne andere Farbe wollte. Heute gibts nach fünf Jahren keine Updates mehr, dann kauf mal schön das nächste für ein paar Hundert Euro. Dass das analoge Telefonnetz in den Jahrzehnten der Post mal ausgefallen wäre, ist mir nicht erinnerlich.

Last edited 1 Tag her by Deutscher
WildBoarHunter
1 Tag her

Ganz prächtig. Man kann diesem mutigen Mann nur die Daumen drücken, auf dass er das Paradigma der sozialistisch gelenkten Staatswirtschaft und dafür parasitär ausgesaugten Privatwirtschaft dauerhaft zu brechen vermag. Das Ergebnis seines Handelns wird als ein weiterer Beweis unter vielen dafür dienen, dass nur eine Rückkehr zu marktwirtschaftlichen Prinzipien es schlussendlich richten kann, wenn es die Sozialisten wiedermal versaut haben.
Deutschland benötigt auch so einen, aber sowas bringen deutsche Wirtschaftsfakultäten seit vier Dekaden nicht mehr hervor. Dort bildet man lieber stramme systemtreue Keynesianer aus, also reine Bürokraten.

Last edited 1 Tag her by WildBoarHunter
Sonny
1 Tag her

Es braucht eben seine Zeit, den Karren, der über die Laderampe hinaus im Morast versunken ist, aus dem Dreck zu ziehen.
Das werden wir in Deutschland auch noch ganz bitter erfahren müssen.

Auswanderer
1 Tag her

Wenn ich sehe was da so in unserem Parlament in Berlin rumturnt, dann brauchen wir auch einen Milei. Da werden Themen aus Wirtschaft und Technik von Leuten diskutiert, die so sagt man bei uns: „zu blöd sind einen Nagel in die Wand zu kloppen“! Jeder Bundestagsabgeordnete sollte bevor er seinen Posten antritt einen Kurz „Finance and Accounting“ besuchen! Obwohl die Linken und Grünen würden damit bestimmt geistig stark überlastet! Jedoch ist dieser Kurs einer der beste Kurse, die ich während meiner Arbeitszeit gemacht hatte!

Nibelung
1 Tag her

Der Wirtschaftsliberale Milei und gleichzeitig Radikale zur Gesundung seine Landes ist mit der Bemerkung angetreten, es ist kein Geld da und das war die erste Lektion an die Bürger Argentiniens, mit was sie in der nahen Zukunft rechnen müssen und das gleiche müßte bei uns stattfinden, wenn wir es ernst meinen, mit dem eigenen Überlebenswillen. Die Argentinier hatten 2023 noch ein lnflation von 290% und die wird 2024 auf 150% sinken und für 2025 rechnet man nur noch mit vergleichsweise bescheidenen 45% und das ist schon eine Hausnummer, wenn man von der Ausgangslage ausgeht, die das Land zerstört hätte und… Mehr

Autour
1 Tag her

Erst einmal vielen Dank für diesen Artikel von einem Kontinent, der in den übrigen Medien überhaupt keine Rolle spielt.
Herr Milei sollte ein paar Werberunden in Deutschland drehen, hier gibt es zahlreiche Unternehmen die einen Standortwechsel in Erwägung ziehen.
Dann sollte er sich ein paar Kernkraftwerke der Neusten Generation hinstellen lassen, die, die mit Thorium arbeiten können…
Und Argentinen wird der neue Stern am Auswanderungshimmel…
Ach so in die innere Sicherheit sollte er dann auch noch ein wenig Investieren…

Last edited 1 Tag her by Autour
Rosalinde
1 Tag her

Die meisten Leute die hier schreiben wären entsetzt über die neuen Regeln in Argentinien würden diese dort leben.
In Argentinien wird man Milei für die gewollte temporäre Verarmung steinigen wollen. Dabei ist Milei dafür nicht verantwortlich. Denn er reagiert darauf nur auf die Schuldenmacherei und sonstigen Fehler der vielen linken Regierungen vorher.

Hannibal ante portas
2 Tage her

Der Weg ist das Ziel! Es kommt immer auf den Weg, dem Jetzt an, denn weder das kommunistische Paradies noch der kapitalistische libertäre Himmel für alle auf Erden werden jemals Realität. Keine Ideologie ist imstande die Wirklichkeit auch nur ansatzweise zu beschreiben. Erfolg kann derjenige Politiker aufweisen, der aus den Ist-Zustand heraus eine positive Entwicklung anstoßen kann, ohne vorher das Land zum Einsturz gebracht zu haben.

siebenlauter
1 Tag her
Antworten an  Hannibal ante portas

Der Weg ist der Weg.
Und das Ziel ist das Ziel.
Das sind deshalb zwei verschiedene Worte, weil es zwei verschiedene Dinge sind. Begriffsverwirrung ist das letzte, was es braucht.

Hannibal ante portas
1 Tag her
Antworten an  siebenlauter

Ein politisches Ziel wurde wohl nur selten durch politische Maßnahmen erreicht: „Wohlstand für alle“, das kommunistische Arbeiterparadies und auch der libertäre Himmel für alle wird niemals erreicht werden. Politische Problemstellungen von heute sind Morgen vergessen (Waldsterben, Ozonloch, Fließbandarbeit et. pp.), weil sich vermeintlich neue noch wichtigere Probleme auftun oder einfach eine neue Sau durchs mediale Dorf getrieben wird, um von den tatsächlichen Problemen abzulenken. Es geht darum einen pragmatischen Weg aus einem elenden Zustand in eine bessere Zukunft zu weisen, ohne über die nächste Klippe zu fallen.

Michaelis
2 Tage her

Wenn der Herr Milei seine Wirtschaftspolitik der Deregulierung und Privatisierung auf extremistische Weise fortführen würde, dann hätte er – VON DER METHODE HER – allergrößte Ähnlichkeit mit den Ampelfuzzies in Great Germany, nur eben mit umgekehrtem Vorzeichen!!!