Neue Fraktion „Europa der souveränen Nationen“: Ist die AfD ihre eigene Opposition?

Die AfD hat im EU-Parlament mit einigen Kleinstparteien ihre neue Fraktion gebildet: „Europa der souveränen Nationen“ – nicht auf Augenhöhe mit den großen Rechtsparteien, sondern im Bund mit deren jeweiliger Rechtsopposition. Was bedeuten die neuen Bündnispartner der AfD für deren politische Zukunft?

picture alliance/dpa | Kay Nietfeld
René Aust, Leiter der AfD-Delegation im Europaparlament, gibt eine Pressekonferenz nach der Europawahl.

„Ist die AfD ihre eigene Opposition?“ klingt als Frage zunächst einmal kryptisch, ist aber in der Tat ein interessanter Leseschlüssel nicht nur für die künftige EU-Politik der Partei, sondern auch für die gegenwärtigen innenpolitischen Probleme Deutschlands. Wieso?

Man erinnert sich: Schon seit mehreren Monaten, ja eigentlich Jahren herrschte zunehmende Verstimmung innerhalb der ID-Fraktion gegenüber der AfD. Der Grund lag nicht nur im wirtschafts- und außenpolitischen Bereich (Stichwort Schuldenpolitik und Ukrainekrieg), sondern auch und vor allem im strategischen: Viele der in der ID (und auch der EKR) zusammengefaßten Parteien, allen voran Marine Le Pens „Rassemblement National“, bemühten sich um eine sogenannte „Entdämonisierung“ des eigenen Images und der eigenen Positionen, um endlich die überall in Europa vorhandenen „Brandmauern“ zu durchbrechen und in die bürgerliche Kernwählerschaft einzudringen; und zwar nicht nur aus rein wahltaktischen Gründen, sondern auch kultur-, institutions- und identitätspolitischen Motiven. Denn nur durch Sicherung einer starken Präsenz im Bereich von Bildung, Medien, Verwaltung und Kunst kann erst jene Breitenwirkung erzielt werden, die die Voraussetzung einer echten und dauerhaften Beeinflussung von Politik ist. „It’s the culture, stupid!“, sollte es heißen, und nicht: „It’s the economy“.

Da kamen die teils realen, teils imaginierten Ausrutscher einzelner AfD-Politiker eher ungelegen, vor allem, wenn es um Anspielungen auf das Dritte Reich ging, das sich auch außerhalb Deutschlands nicht eben einer großen Popularität erfreut. Und auch, wenn man sich seitens der europäischen Partner völlig bewußt war, daß viele dieser Aussagen nicht unbedingt repräsentativ für die Gesamtpartei standen und von den deutschen und internationalen Medien oft genug verzerrt und aufgeplustert worden waren, ließ sich doch eine privilegierte Partnerschaft mit dem „gärigen Haufen“ gegenüber der französischen oder italienischen Wählerschaft nicht wirklich gut verkaufen.

Jetzt wurde die AfD also ausgeschlossen und hat sich entschieden, lieber eine zahlenmäßig überaus überschaubare Fraktion mit einigen Kleinstparteien zu bilden, als ganz alleine dazustehen; eine Entscheidung, die gar nicht so selbstverständlich ist, wie sie scheint. Denn wenn die Fraktionsbildung auch offensichtliche finanzielle und institutionspolitische Vorteile besitzt, gerade was die Anwesenheit in den verschiedenen Arbeitsgruppen und Kommissionen der EU sowie den Zugang zum allgemeinen Informationsfluß betrifft, stellt jenes neue Bündnis doch auch ein gewisses dauerhafteres „Commitment“ gegenüber den neuen Partnern dar und kommt natürlich auch einer politisch-ideologischen Solidaritätserklärung gleich, die durchaus längerfristige Konsequenzen hat, während eine „splendid isolation“ weniger Zukunftsoptionen verschließen und dafür eine gewisse ideologische Selbstfindung ermöglichen würde.

Wer sind also die neuen Partner der AfD-Delegation, und was sagt dies über das Selbstverständnis der Partei aus?

Da wäre zunächst die polnische „Konfederacja“; wie die „AfD“ ein gäriger Haufen, der so ziemlich alles umfaßt, was rechts von der ehemaligen Regierungspartei PiS steht und von monarchistischen und ultrakatholischen bis hin zu neopaganen, antisemitischen und ultraliberalen Positionen eine verwirrende politische Vielfalt umfaßt und sich im inneren Dauerstreit befindet – kein Wunder, daß von sechs Abgeordneten wohl nur drei sich der neuen Fraktion angeschlossen haben.

Ferner wird Éric Zemmours „Reconquête“ in der neuen Fraktion vertreten sein; allerdings nur mit einer einzigen Abgeordneten, nämlich der Lebensgefährtin Zemmours, da die vier anderen sich während des jüngsten französischen Wahlkampfs von ihrem Parteichef distanziert haben. Dieser hatte sich gegen eine engere Allianz mit Le Pens „Rassemblement National“ ausgesprochen, den er als zu zentristisch empfindet.

Wie die beiden vorangegangenen Gruppen läßt sich auch die ungarische Partei „Mi Hazank Mozgalom“ als rechte Opposition gegenüber einer rechtskonservativen Mehrheitspartei verstehen, nämlich der Fidesz Viktor Orbáns. Sie wird mit nur einem Vorsitzenden anwesend sein; ebenso wie die tschechische „Svoboda a přímá demokracie“, die gleichfalls in „rechter“ Opposition zur „ANO“ des ehemaligen Ministerpräsidenten Andrej Babiš steht. Nur die bulgarische „Wasraschdane“ und die litauische „Volks- und Gerechtigkeitsunion“, beide auch mit nur einem Abgeordneten im EU-Parlament vertreten, stellen in ihrem jeweiligen Umfeld die stärkste bzw. einzige relevante Rechtspartei dar. Diskussionen werden wohl auch noch mit der slowakischen Partei „Republika“ geführt, die zwei Abgeordnete besitzt (von denen aber wohl nur einer in die neue Gruppe aufgenommen werden soll), sowie mit der spanischen „Se Acabó la Fiesta“ (drei Abgeordnete) – auch hier handelt es sich um eine Art Rechtsopposition gegen die „gemäßigteren“ rechtskonservativen Parteien SR bzw. VOX.

Nun soll gar nicht geleugnet werden, daß jede dieser Parteien aus ihrem eigenen Kontext verstanden werden muß und auch höchst individuelle Positionen vertritt, doch bereits dieser oberflächliche Überblick zeigt, worauf es in diesem kleinen Artikel ankommen soll: Im „Europa der souveränen Nationen“ sitzen fast ausnahmslos Kleinstparteien, deren Existenz in ihrer jeweiligen Nation nur durch ihre rechte Opposition gegenüber einer größeren, ebenfalls rechtskonservativen Partei legitimiert wird.

Nun ist klar, daß die AfD sich diese Kombination nicht aus freien Stücken aussuchen konnte, sondern überhaupt nur mit solchen Parteien in Kontakt treten konnte, die in den beiden größeren Rechtsfraktionen ID und EKR keinen Platz hatten. Trotzdem ist die neue Bündnissituation nicht uninteressant für das Selbstverständnis wenigstens gewisser Kreise der AfD, die seit Jahren eher gegen die echte oder imaginierte „Entdämonisierung“ der eigenen Partei zu kämpfen scheinen als gegen den äußeren Gegner. Daß die AfD nicht „eine“, sondern eigentlich „zwei“ Parteien ausmacht, und zumindest im europäischen Kontext nun in einen Verband mit jenen getreten ist, die sich als Gralshüter „echten“ Rechtskonservatismus empfinden und gegen die Liberalisierungsbestrebungen ihrer jeweils „salonfähigeren“ größeren rechtskonservativen Gegner stemmen, ist also durchaus aussagekräftig, auch für den inneren Machtkampf der AfD.

Handelt es sich bei der Zusammenarbeit der AfD mit den sogenannten „Hooligans“ nun nur um eine kurzfristige Notlösung, oder aber um eine dauerhaftere, wenn auch unfreiwillig getroffene Entscheidung? Die nächsten Jahre werden es zeigen. Deutlich ist aber, daß weder Viktor Orban, noch Marine Le Pen, Jarosław Kaczyński, Santiago Abascal Conde, Andrej Babiš oder viele andere besonders „amused“ sein werden, daß die größte rechtskonservative Partei des größten EU-Staats nunmehr nicht die gleichberechtigte Partnerschaft mit den anderen „Großen“ sucht, von denen viele bereits Regierungsverantwortung ausübten, sondern die Augenhöhe zugunsten einer Solidarisierung mit den Kleinstparteien der jeweiligen nationalen Rechtsoppositionen aufgibt.

Freilich: Politiker haben ein langes Gedächtnis, Bündnisse aber können von einer Minute auf die nächste umstürzen. Aber trotzdem: Der Weg hinein in die Mitte von Gesellschaft und Wählermasse, der Kampf um Koalitions- und Regierungsfähigkeit, die Suche nach starken europäischen Partnern, der Gang durch die Institutionen und die allgemeine Vernetzung mit den konservativen Milieus Europas wird durch die neue Konstellation weder kurz- noch mittelfristig wirklich gefördert werden, was fraglos auch Auswirkungen auf die innerdeutsche Positionierung einer AfD haben wird, die zumindest in wesentlichen Teilen paradoxerweise Rechtsopposition gegen einen in Deutschland weitgehend inexistenten moderateren Rechtskonservatismus zu spielen scheint …

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Kommentare ( 16 )

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Paprikakartoffel
1 Monat her

Das liegt doch nicht an Kandidaten bzw den erstunkenen und erlogenen Kampagnen gegen sie oder objektiv richtigen Aussagen, die Le Pen wider besseres Wissen nicht passen. Vielmehr: Soll die AfD mit Parteien in einer Fraktion zusammenarbeiten, die wollen, daß weiter deutsches Geld überallhin fließt (außer nach D)? Das wollen Meloni, Le Pen ect. – Nein, natürlich nicht. Also bleiben „nur“ diejenigen Rechtsparteien, denen es um Souveränität und kulturelle Eigenständigkeit geht und die eben nicht verlogenerweise wollen, daß ihnen der deutsche Steuerzahler das bezahlt. Die gerümpfte Nase ob der „Monarchisten“ ist übrigens jedenfalls verlogen. Mir ist ein Monarchist aus Ostmitteleuropa tausendmal… Mehr

Axel Fachtan
1 Monat her

Der AfD wird es nicht gelingen, Deutschland aus der international gewollten und organisierten unsouveränen Knechtschaft zu befreien. Die Knechte der wirklich Herrschenden sind längst übermächtig. Faeser verbietet Compact. Flintenuschi verbietet Orban. Die USA stationiert neue Atomraketen auf deutschem Boden. Nordstream wird weggesprengt. Keiner wehrt sich, keiner klärt das auf. Danach dann der aufgezwungen Russlandboykott und der Inflation Reduction Act. Haben die Blauen derzeit die Macht dazu, dem entgegenzuwirken ? Nein ! Gibt es Wege, derartige Macht zu erlangen ? Nein ! Jedenfalls nicht ohne internationalen Massenmord. Haben sich also Machtverhältnisse verfestigt, die in Deutschland ungestraft grenzenlosen Schaden stiften können ?… Mehr

Melly
1 Monat her

Warten wir ab, der Trend ist gesetzt und bei Abstimmungen ist eh klar wer für wen die Hand hebt. Also sparen wir uns erstmal die ganzen Glaskugel-Orgien. Die Welt verändert sich und wer denkt man könnte Europa weiter mit Uschis lenken, täuscht sich gewaltig.

Retlapsneklow
1 Monat her

Der Titel „Europa der souveränen Nationen“ sagt eigentlich schon alles. Es ist dasselbe wie ein Europa ohne EU. Klar damit, dass solche Parteien in der EU nur Zweckbündnisse ohne inhaltliche Gemeinsamkeit eingehen können und werden außer der „gemeinsamen“ Position, dass jeder für das eigene Land steht. Das wird dieses „Bündnis“ als Faktor in der EU, die nur als gewollte EU eine ist, so uninteressant wie wirkungslos machen. Allerdings sind die jeweils innerlich zerrissenen Zustände der beteiligten Parteien durch die fürs junge Bündnis handverlesene Auswahl der Abgeordneten bestens dokumentiert. Das sieht ein Wenig aus wie das Wartezimmer vor den größeren Rechtskoalitionen im… Mehr

Sonny
1 Monat her

Es ist alles im Fluss. Eine endgültige Position ist noch in weiter Ferne. Aber eines ist klar:
Je mehr rechte Bündnisse es gibt, um so größer die Schlagkraft insgesamt gegen das linksgrüne Joch.

Or
1 Monat her

„Deutlich ist aber, daß weder Viktor Orban, noch Marine Le Pen, Jarosław Kaczyński, Santiago Abascal Conde, Andrej Babiš oder viele andere besonders „amused“ sein werden, daß die größte rechtskonservative Partei des größten EU-Staats nunmehr nicht die gleichberechtigte Partnerschaft mit den anderen „Großen“ sucht,“

Ich bitte um Erklärung. Einerseits, schließen o. g. Parteien eine Zusammenarbeit mit der Alternative aus, andererseits sind sie „not amused“ wenn die sich deswegen andere Parteien zu Kooperationen sucht.

Ja was‘n nu ?

Don Didi
1 Monat her
Antworten an  Or

Die Diskrepanz bei den sogenannten rechten Parteien Frankreichs und Italiens ist, daß sie zwar nationalistisch sind, die EU angeblich reformieren wollen, aber nicht konsequent zurück zur EWG und zu den eigentlichen EU-Verträgen können, weil sie das urlinke Projekt der Schuldenunion nicht aufgeben wollen oder können. Da die Schuldenunion ganz klar zulasten Deutschlands geht (was ich auch für die ursprüngliche Motivation zur Gründung der EU halte), steht die AfD ganz klar dagegen und somit im Weg. Kickl ist da nicht betroffen, der könnte anders agieren, bei Orban bin ich unsicher, auch Ungarn profitiert finanziell von EU-Geldern (die ja größtenteils deutsche Steuergelder… Mehr

Teide
1 Monat her

Die anderen großen „rechten“ Parteien wollen alle das Beste für ihr Land. Das beste für die jeweiligen Länder ist es wenn Deutschland der Zahldepp der EU bleibt. Die AfD will auch das beste für Deutschland. Nicht mehr der Zahldepp sein. Da ist es doch logisch das die AfD da nicht rein passt.

Or
1 Monat her
Antworten an  Teide

Erst recht bei einer Le Pen die mit deutlichen Deutschland Resentment in Frankreich ihren Wahlkampf betrieben hat.

Talleyrand
1 Monat her

Was soll das denn heißen, die AFD habe nicht die Partnerschaft der anderen großen Konservativen gesucht? Ist es nicht vielmehr so, dass Le Pen der AFD die Tür vor der Nase zugeknallt hat, weil sie ihre Abneigung gegen alles Deutsche fast schon zickenhaft nicht überwinden konnte. Wohl auch ihre Abneigung gegen Alice Weidel? Gelohnt hat sich das für sie nicht. Abgesehen davon wird die Zeit zeigen, ob nicht aus rein praktischen Erwägungen Orban und Kickl die Sache klären werden. In deren Interesse kann es nicht sein, die deutschen Kollegen auf der Strafbank zu belassen.

Michael Palusch
1 Monat her

Für diese, zugegeben widerlichen, zwei Minuten sollte man sich wirklich Zeit nehmen.
https://odysee.com/$/embed/@RTDE:e/-Vertu-dich-nicht,-sie-hassen-dich–%E2%80%93-Ex-Ethikratsvorsitzende-Buyx-wirbt-f%C3%BCr-AfD-Verbot:1
Nur damit keine Mißverständnisse aufkommen: Hier spricht eine waschechte „Demokratin“, und zwar diejenige, welche jede noch so autoritäre (totalitäre) Corona-Maßnahme der Regierung Merkel absegnete.

Hans E.
1 Monat her

Der von mir geschätzte David Engels misst bei der Bewertung der Mitte-Rechts Parteien in der EU gerne mit unterschiedlichem Maß. Hier die transatlantisch geläuterte Post-Faschistin Meloni und frühere Antisemitin Le Pen, dort die böse Schwefelpartei, die erst nach der Trennung von Krah, Bystron und Höcke aus der Hölle wenigstens ins Fegefeuer aufgenommen werden kann. Dabei ist der Befund doch einfach: Dr. Weidel und Chrupalla haben es versemmelt. Keine Strategie und die Distanzierung von den Mitte-Rechts Politikern Krah und Bystron. Dümmer geht immer. Und auch jetzt zeigt das Gespann Weidel/Chrupalla zusammen mit den Überpolitikern Aust und Frau Anderson, wie man es… Mehr

Or
1 Monat her
Antworten an  Hans E.

Die Frage ist warum.
Höcke ist in Thüringen überaus erfolgreich, trotz der elenden Schmutzkampanie die ihm nun schon zum 9ten Mal die Immunität entzieht. Und ein Krah und ein Bystron haben einen sehr guten Wahlkampf geliefert, ein Krah sogar und insbesondere bei den Jungwählern.
Die Kampagnen gegen beide waren so inszeniert wie‘n Miss Marple Roman. Völlig unglaubwürdig. Den einzigen Fehler den eine Weidel, ein Chrupalla gemacht haben, daß sie sich von ihren Spitzenkandidaten auseinanderdividieren haben lassen.