Die Aussage „All das hat mit dem Islam nichts zu tun“ verhindert in der islamischen Community die dringend notwendige Auseinandersetzung mit einer radikalisierenden Theologie, verleiht den radikalisierten Gruppen Legitimation und stärkt deren Positionen.
Gehört der Islam zu Deutschland? Und gehört der Terror von Islamisten zum Islam? Welche Frage ist schwieriger zu beantworten? Zu letzterer könnte man es sich einfach machen und sagen: Nach salzig kommt nun mal versalzen. Denn zu behaupten, Versalzenes sei gänzlich frei von Salz und sei im Grunde genommen etwas ganz anderes, darf zu Recht Alchemie genannt werden.
Zwar sagte Bundeskanzlerin Merkel noch in ihrer Regierungserklärung zu den Terroranschlägen von Paris: „Die Menschen fragen, wie man dem wieder und wieder gehörten Satz noch folgen kann, dass Mörder, die sich für ihre Taten auf den Islam berufen, nichts mit dem Islam zu tun haben sollen.“ Das seien berechtigte Fragen: „Ich halte eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islam für wichtig, und ich halte sie für dringlich. Ihr kann nicht länger ausgewichen werden.“
Idealerweise unterfüttert man nun so ein Mantra noch mit Argumentationshilfen für die letzten Zweifler im Reichstag und in den Redaktionen. Also folgten eine Reihe von subventionierten Studien, zuletzt noch vor wenigen Wochen aus der Universität von Osnabrück, wo man knapp sechstausend Salafisten-Postings aus den sozialen Medien gelesen hatte und zu dem Schluss kam: „Die Studie des Forschungsnetzwerks Radikalisierung und Prävention (FNPR) der Universitäten Osnabrück und Bielefeld zeigt, dass die Gruppenmitglieder offenkundig nur über rudimentäre oder gar keine Islamkenntnisse verfügen.“
Grundlage waren hier Chat-Verläufe von bis zu zwölf mutmaßlich der Salafistenszene nahestehenden jungen Männern. Die Mitglieder der Gruppe hätten kaum Bindungen an Moscheegemeinden oder traditionelle Formen des Glaubens, so die Forscher.
Zu einem ganz anderen Ergebnis als es die Bielefelder es gerne aus ihren Chat-Protokollen herausgelesen haben wollten, kam nun allerdings der an der Universität Wien wirkende islamische Theologe Ednan Aslan vom Institut für Islamisch-theologische Studien. Er hatte 29 biografische Interviews mit straffälligen Muslimen (26 von ihnen in Gefängnissen, drei in Jugendeinrichtungen) geführt. Zwar waren zwei Drittel der Gesprächspartner von Ednan Aslan ethnische Tschetschenen, entscheidender aber ist wohl das Ergebnis der Studie, welches besagt, dass die aktive Auseinandersetzung „mit Inhalten, Normen und Wertvorstellungen der islamischen Lehre“ bei der islamistischen Radikalisierung eine maßgebliche Rolle spielt.
Zitat: „Diese intensive Auseinandersetzung mit theologischen Themen stellt bei vielen Befragten einen Wendepunkt in ihrem Leben dar, der mehrheitlich positiv bewertet wird.“
In der anhängenden Diskussion der Ergebnisse (S. 267 ff.) stellt man fest, dass es sich bei dieser „Form der Radikalisierung um einen aktiven Prozess der Auseinandersetzung des Individuums mit bestimmten religiösen Lehren, Normen und Wertvorstellungen handelt. Dabei radikalisieren sich Individuen nicht isoliert, sondern in direkter Auseinandersetzung mit einem sozialen Umfeld, das in dieser Studie als radikales Milieu bezeichnet wird. (…) Innerhalb dieses Milieus zirkuliert ein Diskurs, der die Welt als einen Ort der Entfremdung konstruiert. Die Umwelt wird als „verkommen“ wahrgenommen.“
Und wenn der Autor der Studie einräumt, dass international jene Studien, die Religion als hauptursächlich für islamistische Radikalisierung sehen, in der Minderheit sind, dann darf man hier gerne annehmen, dass das keineswegs automatisch gegen seine Ergebnisse spricht. Ednan Aslan hält es für wichtig, festzustellen, dass bei der Radikalisierung bestimmte Moscheen und religiöse Autoritäten eine zentrale Rolle spielen: „Personen, die über ein höheres theologisches Wissen verfügen, fungieren als Autoritäten und spielen bei der Verbreitung der Ideologie eine zentrale Rolle.“
Für Aslan sind inszenierte Akte terroristischer Gewalt „oft nur die Spitze des Eisbergs“ und „Kulminationspunkt eines langwierigen Entwicklungsprozesses“. Oder noch besorgniserregender: „Es gibt ein theologisches Naheverhältnis zwischen salafistischen Organisationen und dschihadistischen Gruppen.“ Es genüge jedenfalls nicht, die Gewalttaten mit der Frustration perspektivloser und ungebildeter Jugendlicher zu erklären, schlussfolgert wieder der Tagesspiegel.
Ja, vielleicht sind auch nur unglückliche Jugendlieben, Pubertätsprobleme oder einfach zu wenig Taschengeld die Ursachen für islamistischen Terror, möchte man noch hinzufügen.
Im letzten Teil seiner Studie (S. 274) gibt Adnan Aslan den politischen Entscheidern noch einen Ratschlag mit auf den Weg:
„Der Versuch, Radikalisierung allein durch die Schaffung von Beschäftigungsperspektiven zu begegnen – ein Ansatz, der von vielen PolitikerInnen unterschiedlicher Couleur geteilt wird – , verkennt die Ideologie und die Überzeugungspraktiken dieser Bewegung und suggeriert, dass Individuen, die von Radikalisierung betroffen oder radikalisierungsgefährdet sind, durch Maßnahmen wie eine geregelte Beschäftigung zu bändigen seien.“
Aber wie sind sie dann zu bändigen? Jedenfalls nicht, indem man den Zusammenhang verleugnet, meint Aslan: Die alleinige Aussage „All das hat mit dem Islam nichts zu tun“ verhindert leider in der islamischen Community die dringend notwendige Auseinandersetzung mit einer radikalisierenden Theologie und verleiht den radikalisierten Gruppen nicht nur Legitimation, sondern stärkt sogar deren theologische Positionen.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
Hat etwa Frieden, Liebe und Gastfreundschaft nichts mit dem Islam zu tun? Denn genau das ist das Problem: Die Betonung, ob Terror etwas mit Islam zu tun habe oder nicht, bestärkt die Fehlwahrnehmung, das der Terror den Islam ausmache, obwohl das überhaupt nicht repräsentativ ist für die tatsächliche Lebensweise von 1,5 Milliarden Menschen, die sich mit dem Islam identifizieren. Wann immer es um positive Aspekte geht, dann liegt es ja stets die Menschen selbst und nicht dem Islam, aber Terror… nein damit hat der Mensch nichts zu tun, dann ist es natürlich wieder der Islam. Hat Gastfreundschaft etwas mit dem… Mehr
Der Autor hat eine vermeintliche Beziehung zwischen den radikalen Islam und den Lehren des Islam aufgezeigt. Der radikale Islam leite ihre Weltsicht, samt all die Gewalt und den Terror, aus den Quellen der islamischen Lehren ab. Es wurde auch verdeutlicht, dass die Terroristen sich bereits mit dem Islam auseinandergesetzt haben und nicht nur perspektivlose Menschen sind, die sich in Extremismus so zu sagen flüchten. Zwischen Salafismus und Terrorismus gebe es ziemlich starke Verbindungen. Diesen Darstellungen widerspreche in vehement. Ich möchte hier aber zwei Aspekte erwähnen, die mich bei diesem Artikel grundlegend stören. Zum einen die Schwarz-Weiße-Darstellung. Klar gibt es Terroristen… Mehr
Absolute Zustimmung! Wußten Sie, dass Deutschland im „Travel and Tourism Competitive Report“, der Liste der sichersten Reiseländer, seit letztem Jahr um 31 Plätze abgestürzt ist und nunmehr auf Platz 52 zwischen der Mongolei und Gambia liegt? Sogar Marokko rangiert bezüglich der Sicherheit VOR Deutschland, nämlich auf Platz 20. Ob wir Deutschen aufgrund dieser Tatsache dort Asyl bekämen?
http://reports.weforum.org/travel-and-tourism-competitiveness-report-2017/ranking/#series=TTCI.A.02
Es ist in Broders Metapher überhaupt nicht entscheidend, ob die Reaktion der gestörten Menschen auf Sucht oder auf Gehirnwäsche beruhen.
Für Broders Metaper ist schon entscheidend, was Broder sagt. Auch Gehirnwäsche setzt übrigens Empfänglickeit voraus.
Für Gehirnwäsche muss man schon so schwach sein wie die Deutschen beim Thema Ökoenergie und Genderismus. Davon ist hier ein weit größerer Prozentsatz befallen als vom Islamismus dort. Letzteres ist nämlich minimal im Verhälnis zur Zahl der Moslems (lediglich die Aggression der Wenigen ist groß). Also bitte nicht von der eigenen weichgekneteten Kultur auf andere schließen.
Komisch nur, dass die nach Ihren Angaben zahlenmäßig doch so vielen friedfertigen Muslime nach mehreren internationalen Studien über Muslime sich ganz anders darstellen.
Mehr als die Hälfte finden Gewalt als adäquates Mittel, sich durchzusetzen, mehr als ein Drittel würden ihre Religion mit Gewalt verteidigen, mehr als 50% stellen die Scharia und die Gebote des Koran über unsere Gesetze!
Nach Ihren eigenen Aussagen ist es dann ja auch so, dass der Koran nicht gewalttätig ist, sondern die Muslime, die dafür empfänglich sind! Das soll dann beruhigender sein?
Das weiß ich. Da ich mich aber (meistens und so gut als möglich) bemühe, mich nicht darauf zu berufen „was jeder Muslim bestätigt“, ziehe ich die Aussage einer immerhin bekannten ‚Person des öffentlichen Lebens‘ vor.
Nunja, ich finde es weit wichtiger, was der normale Feld-, Wald- und Wiesenmuslim von der Strasse denkt und sagt, als der tuerkische Kalif, von dem eh jeder weiss, dass er Hardliner ist.
Zum Glück bleibt es ja jedem selber überlassen, worauf er/sie sich berufen möchte ?
Das Video hab ich auch gesucht, gibts sogar mit Untertitel in Deutsch. Leider nicht gefunden.
Merkel : „Ich halte eine Klärung dieser Fragen durch die Geistlichkeit des Islams für wichtig und ich halte sie für dringlich. Ihr kann nicht ausgewichen werden.“ Diese Frage ist nicht von der Geistlichkeit des Islam zu klären, sondern von der Bundesregierung, und zwar bevor man sich hinstellt und sagt, der Islam gehöre zu Deutschland. Bevor man etwas zu DE zugehörig definiert, muss es von Seiten der Regierung auf Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte überprüft werden. Davor drückt man sich aber, weil man genau weiß wie das Ergebnis aussieht. Hier weicht nicht nur die islamische Bevölkerung aus sondern in allererster Linie Merkel,… Mehr
Sehr geehrter Herr Wolkenspalter, der Alkoholismus begründet sich natürlich schon auf dem Alkohol, wäre es anders und läge es nur an der Disposition des Körpers ggü. Drogen im Allgemeinen, so müsste es ja eigentlich Drogismus heißen. Nun sind die Mechanismen, die zur Sucht führen, von Droge zu Droge (der Einfachheit halber nenne ich den Alkohol auch Droge) durchaus unterschiedlich. So bedient z.B. Cannabis (Marihuana) andere Hirnrezeptoren als LSD. Die Alkoholwirkung auf das Zentralnervensystem ist insbesondere durch seine membranschädigende Wirkung bedingt, die auf seiner Fettlöslichkeit beruht. Hierdurch kommt es zu Veränderungen der Membranfluidität und damit einer Störung nahezu aller Membran-abhängigen Prozesse.… Mehr
Eine andere Frage, konnte damals überhaupt jemand*in den Koran lesen.
Und heute? Die anatolischen Bergbauern?
Vor Luther konnten wohl auch die Bibel nur wenige lesen. Und selbst danach dauerte es noch sehr lange, bis als lesen und schreiben könnten.
Korrekt formuliert: Christianist*innen.