Ohne Fladen keine Fliegen: Zur Ursache des Insektensterbens

Ein Krefelder Agraringenieur und Insektenfreund wagt den Ausfallschritt: eine fundierte Kritik an Naturschutzorganisationen, welche die Krefelder Studie zum Insektensterben als Kampfansage beispielsweise gegen die Produzenten von Pflanzenschutzmitteln missinterpretieren.

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Wer Bauer Willi kennt, ist klar im Vorteil, dann jedenfalls, wenn er Land beackert oder Viehwirtschaft betreibt, wenn er sich mit Gleichgesinnten austauschen mag. Bauer Willi ist eine erdige viel gelesene Internetfachseite, die nicht selten pro Artikel hunderte von Kommentaren von interessierten Landwirten versammelt. Wer also etwas über den Zustand der Landwirtschaft erfahren möchte, der ist hier bestens aufgehoben.

Ein aktuellerer Artikel auf Willis Seite befasst sich mit dem Thema Insektensterben. Gastautor Herwig Scholz arbeitet bei der Landwirtschaftskammer in Nordrhein-Westfalen, er ist für den Naturschutz zuständig und Mitglied des NABU. Der Agraringenieur lebt bei Krefeld.

Naturzerstörend
Insektentod und Windradanlagen
Ein Wohnortvorteil in sofern, da eine Insektenstudie aus Krefeld die Diskussion um ein weltweites Insektensterben erst aufgebracht hat, als Krefelder im Umland immer wieder Insektenfallen aufstellten und nach Jahrzehnte einen massiven Rückgang festgestellt haben wollten. Der Krefelder Herwig Scholz bietet nun Erkenntnisse und Erläuterungen, die so ganz anders klingen, als das, was eine Reihe von Naturschutzorganisationen in diese Studie hineininterpretieren, wenn sie Pestizide und die konventionelle Landwirtschaft für den Rückgang der Insekten verantwortlich machen.

Die Naturschutzorganisation NABU befand schon früh, dass es besagte Studie leider kaum hergibt, der konventionellen Landwirtschaft eine Verantwortung für Insektensterben zuzuschieben: „Weitere potentielle Einflussfaktoren, wie zum Beispiel die Belastung durch Pestizide aus direkt umliegender Agrarnutzung konnten mangels verfügbarer Daten leider nicht berücksichtigt werden.“

Das hinderte freilich Mitspieler wie den Naturschutzbund Oberrhein nicht, weiterhin zu behaupten, das Insektensterben sei ursächlich auf chemische Düngemittel zurückzuführen. Eine Behauptung, die maßgeblich basiert, auf einer lokalen Studie, die selbst vom NABU mittlerweile als nicht beweisfähig als Speerspitze gegen die konventionelle Landwirtschaft und ihre Pflanzenschutzmittel benannt wird.

Nein, Herwig Scholz hat bei Bauer Willi eine viel plausiblere Erklärung für das Insektensterben. Und etliche Landwirte pflichten ihm aus Erfahrung bei, wenn Scholz die Gründe für den Rückgang der Fluginsekten-Biomasse beispielsweise in der Abwesenheit des Kuhfladens sieht, aber dazu gleich mehr.

„Umweltschutz als Narretei“
Zunächst einmal zieht Scholz dem einen oder anderen Naturfreund einen ziemlich fest sitzenden Zahn, wenn er es wagt, daran zu erinnern, dass Insekten über Jahrtausende der Feind der Landwirtschaft waren. Insekten seien oft auch Nahrungskonkurrenten der Menschheit oder sind „Überträger von Krankheiten nicht nur für Menschen, sondern auch für wichtige Kulturpflanzen, die nicht selten Hunger-Katastrophen nach sich ziehen können. Schon die Bibel wusste über die Heuschrecken- und Stechmückenplagen zu berichten.“

Der Autor unterscheidet hier Schad-Insekten, Nutz-Insekten und solche, die zumindest nicht erkennbar schaden oder nutzen.

Als ausgewiesener Fachmann möchte Scholz das Wort ergreifen, weil ihm der mediale Hype über das angeblich festgestellte oder prognostizierte Insektensterben/Schwund aufregt und er gerne „etwas neutraler und sachlicher“ berichten will. Seine Eingangsthese geht so: „Tatsächlich gibt es gravierende Veränderungen in der Insektenwelt. Jedoch liegt die Verantwortung weniger bei den heute noch wirtschaftenden Landwirten.“

Scholz sieht den Hauptfeind der Insekten nicht beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln, wie das die meisten Naturschutzorganisationen sogar bis hinauf in die Vorzimmer der Landwirtschaftsministerien machen, sondern für ihn viel gravierender sind die Auswirkungen der Aufgabe der kleinbäuerlichen Strukturen in der Bundesrepublik verbunden mit dem Ende von hunderttausenden Betrieben.

Scholz hat sich die Krefelder Studie zum Insektensterben auch deshalb genauer angeschaut, weil diese Studie so einen immensen Einfluss auf diese überlaute Debatte um Pflanzenschutzmittel hatte. Sein Vorteil: Er kennt die Krefelder Umgebung genau. Er ist dort zu Hause, wo der Insektenschwund gezählt wurde.

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Und Scholz hat eine erste Erklärung, die geeignet ist, die Erhitzungen rund um diese Studie gleich merklich runterzukühlen, wenn vor dreißig Jahren im Umkreis von gut einem Kilometer um die Fallenstandorte noch rund 12-15 landwirtschaftliche Betriebe mit Viehhaltung und Weidegang existiert haben, wenn gut 50 Prozent der Grünlandflächen dort beweidet wurden. Wenn aber demgegenüber heute nur noch zwei Milchviehbetriebe existieren. Von 66 ha Grünland sind heute nur noch rund 1 ha beweidet. „Rund 85% der Landwirtschaftlichen Betriebe rund um das Naturschutzgebiet haben zwischen 1989 und 2013 ganz mit der Bewirtschaftung oder zumindest mit der Viehhaltung aufgegeben.“

Aber wo keine Kühe mehr sind, bleiben auch die Kuhfladen aus, so Scholz. Diese Fladen seien nun aber elementar wichtig für viele Insekten, wenn sich auf jedem Kuhfladen durchschnittlich 200g-300g Insektenmasse entwickeln.

Und Scholz rechnet es vor:

„Bei einem durchschnittlichen Viehbesatz von 3 Vieheinheiten je ha, 10 Kuhfladen je Vieheinheit und Tag und einer Weidesaison von 200 Tagen ergibt das 1,2 bis 1,8 Tonnen Insektenmasse je ha. 1989 wurden geschätzt noch rund 25-30 ha Grünland im Orbroicher Bruch regelmäßig beweidet. 2013 fehlten daher gegenüber 1989 im Naturschutzgebiet 30-54 Tonnen Insektenbiomasse im Jahr.“

Der Landwirt klärt auf
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Hinzu kommt, dass auch die Misthaufen auf den wenigen verbleibenden Höfen neuen Hygienekonzepten Platz gemacht haben, dass beispielsweise die Güllebehälter abgedeckt werden, dass es also mit der Insektenbiomasse hier nicht viel besser aussieht als rund um die Fallen der Studienmacher. Des Weiteren konnte Scholz beobachten, dass dort, wo es Grünland gibt, heute viel intensiver und in kürzeren Intervallen geschnitten wird, als noch früher, was ebenfalls den Insektenbestand reduziert. Weitere das Insektenaufkommen dezimierende Faktoren kommen hinzu: So wurden Kleingewässer trocken gelegt und die Niederwaldnutzung ging zurück ebenso, wie der Gemüseanbau in der direkten Nachbarschaft der Insektenfallen der Krefelder Studie schon vor Jahren eingestellt wurde und das dafür typischen Insektenaufkommen auch hier keine Lebensgrundlage mehr hatte.

Das Fazit des Krefelders hierzu lautet:

„Mit Insektizid- oder Herbizidverboten kommen die Schwalben und andere von Insekten lebende Vögel mit Sicherheit nicht wieder zurück. Der strukturelle Wandel alleine schon durch die zahlreichen Betriebsaufgaben mit ihren früher breit verteilten Nutztierhaltungen ist da viel gravierender.“

Herwig Scholz spricht eine Warnung aus in Richtung zu aggressiv agierender Naturschutzgruppen:

„Die sich ständig überbietenden Forderungen nach zusätzlichen Geboten und Verboten ob für den Naturschutz, den Wasserschutz, Hygiene für den Verbraucherschutz oder das Tierwohl befeuern den Strukturwandel nur noch mehr zu immer größeren Betriebseinheiten. (…) Die ständigen Forderungen „die Landwirtschaft müsse sich ändern“ führt tatsächlich zur Veränderung, aber um 180 Grad gedreht anstatt in die beabsichtigte Richtung.“

Landwirtschaft ohne Land
Vom Landwirt zum Landschaftsarchitekten?
Der Agraringenieur ist davon überzeugt, dass nicht die Insektizide das Problem der heute wahrgenommenen gravierenden Veränderungen in der Insektenwelt sind. Die von unserer Gesellschaft schleichend hingenommene Aufgabe der kleinbäuerlichen Strukturen und die ständige Steigerung der Forderungen, Gebote und Verbote seien das tatsächliche Problem.

„Auf die Auswirkungen der Lichtverschmutzung oder versteinerter Vorgärten will ich hier erst gar nicht weiter eingehen.“, sagt Scholz. Und annährend 400 Landwirte, landwirtschaftlich Interessierte und Naturfreunde kommentieren den Artikel bei Bauer Willi. Eine wahre Fundgrube des Wissens aus erster Hand, dort, wo der Bauer sich noch die vom Fladen aufsteigenden Fliegen von der Brotzeitstulle wedeln muss. Wo er vielleicht weniger bauernschlau ist, als mancher Naturschützer, aber wesentlich fundierter.

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Kommentare ( 37 )

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Johann Thiel
5 Jahre her

Meine vielen Jahre Tätigkeit in der Meß- und Verfahrenstechnik, haben mir immer wieder bestätigt, daß der Spruch „Wer mißt, mißt Mist“ überaus gerechtfertigt ist. Das gilt auch für viele Studien, die letztendlich auch als Meßvorgang einzuordnen sind, da es jeweils um das Vergleichen von Größen geht. Das Grundproblem einer untersuchenden Messung besteht schon in der Motivation zur Selben. Viele Messungen erfolgen, um eine Annahme oder Behauptung zu untermauern, und sind daher nicht ergebnisoffen. Daher haben die meisten Messanordnungen die Tendenz das zu erwartende Ergebnis selbst zu erzeugen. In manchen Anordnungen ist dies sogar geboten, um alle potentiellen Störgrößen auszuschalten. Es… Mehr

Albert Pflueger
5 Jahre her

Ich finde es absolut schrecklich, daß die freie Rede, egal wie gut fundiert, erst nach der Pensionierung möglich zu sein scheint. Offensichtlich wird sie vorher als karierreschädlich betrachtet.

Werner Ocker
5 Jahre her

Udo Pollmer gucken: „Brotzeit: Bayern – das Volksbegehren und seine Begehrlichkeiten“
„Den Bienen geht es gut. Es gibt immer mehr.“
„Die Natur lebt von Scheiße, vom Dünger, vom Nitrat, vom Phosphat. Insekten brauchen Scheiße!“
„Wer die Natur schützen will, muss sie vor den Naturschützern schützen.“
https://www.youtube.com/watch?v=O1Uekn3ZaZ8

Gabriele Kremmel
5 Jahre her

Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen durch den Vergleich meiner Wohnortsituation aus den letzten 3 Jahrzehnten: Grüne Kleinstadtlage ohne jede Landwirtschaft und Gewässer: Kaum lästige Insekten, keine Fliegen, aber jede Menge Wildbienen im eigenen Garten mit Obstbäumen, wo noch eine alte Hütte mit Hohlkammerdachziegeln stand, die den Bienen Unterschlupf bieten. Innerörtliche Dorflage mit 2 landwirtschaflichen Anwesen in ca. 50 bis 100 m Entfernung: Fliegen, Fliegen, Fliegen ohne Ende. Die Fensterscheiben geben Zeugnis davon. Bienen und das übliche Gesumse im eigenen Blumen- und Gemüsegarten. Kleinstädtische Stadtlage an verkehrsreichem, eng bebautem Bereich mit einigen Lokalen in unmittelbarer Nähe: Fliegen aus den… Mehr

Nibelung
5 Jahre her

Da paßt doch vieles nicht zusammen. Ende der vierziger Jahre, kurz nach dem 2. Weltkrieg, mit allen Schäden und Zerstörungen und gleichzeitigem Wiederaufbau, ohne jegliche Rücksicht auf die Natur bin ich als Landkind aufgewachsen, kein Geld, kein Komfort aber trotzdem frei und glücklich in der Kinderseele und der kindliche Erfindergeist war überall vorhanden und so war das gesamte Dorf und die Umgebung ein riesiger Abenteuer-Spielplatz und der hat sich fundamental von der heutigen Zeit abgesetzt und es muß doch irgendeinen Grund haben, warum z. Bsp. die Tier -und Pflanzenwelt sich heute längst nicht mehr so darstellt, als dies zu dieser… Mehr

Klaus Reichert
5 Jahre her

Es ist, wie es immer ist. Grüne und Umweltschützer führen einen Kampf gegen Konzerne. Es geht im Kern nie um den Umweltschutz an sich, sondern immer gegen große Unternehmen in privater Hand. Bayer/Monsanto ist der Feind. Ebenso wie Nestlé oder Ferrero bei den Lebensmitteln.

teufelsknecht
5 Jahre her

es war einmal, daß landwirtschaftsminister zuhause einen bauernhof hatten und deshalb sachverstand aus eigener erkenntnis schöpfen konnten. mittlerweile ist der bezug zur lebensrealität, zu unseren biologischen grundlagen weitgehend verloren gegangen und durch politische traumvorstellungen abgelöst worden. das fängt an mit biospritzumischung bei kraftstoffen, maismonokulturen zur energiegewinnung und hört nicht auf bei vollkommen unwirtschaftlichen heileweltvorstellungen der kleinteiligen landwirtschaft mit 7 kühen , 10 hasen, 20 hühnern und drei sauen, das gibts nur noch im bilderbuch und hat mit lebeswirklichkeit der landwirtschaft´nichts mehr zu tun. der bauer willi und alexander wallasch sind dem problem dicht auf der spur, was man vom b… Mehr

Klaus Metzger
5 Jahre her

Alle reden ÜBER die “Krefelder Studie“, aber ganz offensichtlich liest sie keiner. Die Studie geht über 27 Jahre. Es wurde ein Rückgang der fliegenden Insekten (Gewicht) um 74% berichtet.
ACHTUNG: Zweidrittel des Rückgangs fand in den ersten zwei Jahren statt. Die Studie fängt einfach in einem Ausnahmejahr an. Das hat schon ein sehr starkes Gschmäckle.
UND: In den letzten rund 10 Jahren nimmt die Insektenmasse wieder zu!
Das deckt sich auch mit dem Fakt, dass es immer mehr Honigbienen gibt.
BEI ÖKO-THEMEN IST DEUTSCHLAND EIN IRRENHAUS!

Albert Pflueger
5 Jahre her
Antworten an  Klaus Metzger

Diese Methode wird ja auch beim Klimaschutz angewendet. Man nimmt einen niedrigen Ausgangswert zum Ende einer Kaltzeit und erklärt die folgende Erwärmung zur Katastrophe.

Til
5 Jahre her

Damit die Bauern genügend Mais für die aus ideologischen Gründen subventionierten Biogasanlagen anbauen können, müssen sie seit 2008 nicht mehr 10 % der Anbauflächen stilllegen. Die Brachflächen waren aber wichtige Rückzugsgebiete für Insekten und Vögel. Somit dürfte auch die Energiewende zum Insektensterben beitragen.

nachgefragt
5 Jahre her

Die Lichtverschmutzung und Bodenversiegelung wurde ja bereits im Artikel am Ende noch erwähnt. Ich möchte noch weitere Faktoren erwähnen: Seit der Wende hat sich das Verkehrsaufkommen fast verdoppelt. Wenn immer wieder an die 70er und 80er erinnert wird: Wie viele Familien hatten in den 70ern zwei Autos, in wie vielen Familien waren beide voll berufstätig, wie viele mussten täglich vom Land in die Stadt pendeln und hatten Arbeit auf dem Land, wie viele Schulen, Vereine und Sportstätten (Schwimmbäder) wurden seitdem geschlossen, weshalb auf dem Land auch Kinder gefahren werden müssen, wie sehr sind auch die Dörfer gewachsen. Man greife sich… Mehr