In der Pandemie haben sich wie einst im pestgeplagten Mittelalter neue Propheten erhoben: ein SPD-Politiker und eine frühere Bischöfin haben der Völlerei den Kampf angesagt.
Es heißt gemeinhin, außergewöhnliche Zeiten würden außergewöhnliche Maßnahmen erfordern. Als Legitimationshilfe ist das für vieles zu missbrauchen. Interessanter dürfte es sein, zu fragen, ob außergewöhnliche Zeiten auch außergewöhnliche Menschen formen. Jedenfalls fühlen sich viele berufen, jetzt und mitten in die Verwerferungen rund um die Covid-19-Pandemie hinein, die Welt mit ihren Weisheiten zu beehren.
Als der Schwarze Tod im 14. Jahrhundert nach Venedig kam und von hier aus ein Drittel der Bevölkerung des europäischen Kontinents dahinraffte, war das die Zeit der Priester und Scharlatane. Die einen sahen den Zorn Gottes über die Menschen gekommen, die anderen boten die passenden und sündhaft teuren Arzneien und Beschwörungsformeln an, die helfen sollten, die Pest schadlos an sich vorbeiziehen zu lassen. Die Venezianer boten Gott gar einen Handel an: Verminderung der Sünden gegen Befreiung von der Seuche. Sittenwächter schwärmten aus, den lebensfrohen und hedonistischen Venezianern die Pest als „göttlichen Aufruf zur moralischen Umkehr“ zu verkaufen.
Einige Jahrhunderte später hat ein Coronavirus die Menschheit fest im Griff, Präsidenten verlieren Wahlen, aufgeklärte Gesellschaften werden auf einmal hysterisch, die Wirtschaft gerät aus den Fugen – und auch mit dieser modernen Geißel beginnt ein Zeitalter der Heilsversprechen. Von einer großen Chance ist die Rede, die Bundesregierung nutzt gar die Pandemie, die Fundamente der Bundesrepublik zu bemühen, von einem „Wiederaufbau“ nach der Krise zu sprechen, von der günstigen Gelegenheit, Deutschland und die Welt grüner und nachhaltiger zu gestalten.
Die internationale Bestsellerautorin und Ikone der Linken, Naomi Klein, hatte solche Strategien der Übergriffigkeit des Staates in der Krise bereits vor vielen Jahren in „Die Schockstrategie“ ausführlich beschrieben. Heute sind ihr diese Thesen selbst peinlich, werden sie doch zunehmend auch von konservativen Kreisen als Erklärung für die Übergriffigkeit der Staaten jetzt während der weltweiten Corona-Maßnahmen herangezogen.
Aber zurück nach Deutschland. Auch hier haben sich neue Propheten aus der eigenen Bedeutungslosigkeit erhoben, um sich zu Welterklärern aufzuschwingen. Zwei Typen stechen gerade besonders hervor: Einerseits diejenigen, die im Gefolge der Pandemie die Welt besser machen wollen, und andererseits die Apokalyptiker, die es etwas einfacher haben, denn sie müssen ihre düsteren Bilder später nicht im gleichen Maße rechtfertigen, falls die Düsternis wider Erwarten doch nicht über die böse Welt kommen wollte wie vorausgesagt.
Nehmen wir konkret zwei Personen aus dem Kreis der Apokalyptiker heraus. Da wäre zum einen Karl Lauterbach, der Gesundheitsexperte der deutschen Sozialdemokratie, und da wäre die kirchenpopulistische Pfarrerin und Bestsellerautorin Margot Käßmann. Lauterbachs x-te Ankündigung einer zweiten Corona-Welle verschob sich mit jedem neuen Aufschrei Lauterbachs wieder um Wochen, heute ist die Chance allerdings besser denn je, dass sie doch noch über das Land schwappt. Der düstere Prophet erlebt daher gerade seine persönliche Sternstunde.
Seine Mahnungen werden energischer, seine Forderungen lauter. Sein Meisterstück, das große Lauterbachfinale wähnt der 57-Jährige jetzt zur Jahreswende herannahen: Deutschland an Silvester in vollkommener Stille, in Andacht und Ehrfurcht vor dem Virus, in Sorge um das Morgen an den Lippen derer klebend, die das Land wieder an die leuchtenden grünen Gestade führen sollen, das Paradies ist nahe, aber die Deutschen sollen es nicht zum Nulltarif bekommen, nicht ohne Abbitte, nicht ohne die große Geste, nicht ohne die längste Schweigeminute der Gegenwart: Silvester ohne Böller.
So beschreibt Karl Lauterbach Szenen von wahrhaft dionysischen Ausschweifungen unter lautem Geknalle von Sprengstoffminiaturen made in China. Und man schaut dann in dieses vollkommen freudlose Gesicht und weiß es sofort: Das alles hat mit Corona so wenig zu tun wie das Knallen an Silvester mit dem Hunger in der dritten Welt. Aber womöglich hätte einer wie Lauterbach gerne auch ohne Covid-19 diese Völlerei, diesen Lärm und diese elendige blöde Sauferei schon viel früher verboten. Nur fehlte ihm noch die passende Schockstrategie (Naomi Klein), es fehlte der finale Anlass, die Forderung aufzustellen zu können für diesen dramatischen Moment der Stille, für diesen lauterbachschen Rebirth, für die Befreiung der Sünde durch Ablass. Halleluja.
Das ist so evangelisch, so sehr „Das Weiße Band“ nach Michael Hanecke, dass wir hier gleich zu Margot Käßmann herüberwechseln müssen, um die Stimmung nicht abflauen zu lassen: Die nämlich ist in der Sache die beste Gefährtin des verbitterten Sozialdemokraten und ebenso wie Lauterbach eingebildete Schneiderin dieser weißen Bänder, die in Haneckes Film als Symbol der Unschuld ständige Mahnung sind – Synonym von morgen für den Impfpass mit der eingetragenen erfolgreichen Impfung gegen Covid-19?
Wie auch immer, Pfarrerin Margot Käßmann jedenfalls setzt noch früher an als Lauterbach. Nicht das versoffen lautstarke Silvester ist Ziel ihrer Strafexpedition einmal quer durch die deutsche Seele, sie fühlt sich als predigende Christin berufen, über den Ablauf des Weihnachtsfestes Gericht zu halten. Ihre Idee, ihre Strafe für die Sünder auf Erden von Flensburg bis Berchtesgaden: „Es gibt kein Recht auf das Weihnachtsfest.“ Wir dürften uns nicht vormachen, so Käßmann, „dass die Welt am 23. Dezember auf einmal eine andere sei – eine ohne Corona.“ Ein Satz, wie eine Bestrafung, wie eine Ohrfeige gleichzeitig auf beide Wangen der Ungläubigen, die doch den wahren, den asketischen Christen mit dem Coca-Cola-Weihnachtsmann ihr karges Weihnachtsfest geklaut haben.
Käßmann wittert die Chance: Der Tritt in die Kniekehlen jener Deutschen, die nur einmal im Jahr in die Kirche gehen, um nach Belieben etwas Weihnachtsstimmung abzusaugen, wie sie es gerade brauchen. Wo die Weihnachtsgottesdienstler nur die Strafpredigt lächelnd über sich ergehen und schnell zwei Euro in den Klingelbeutel fallen lassen, um dann daheim in der guten Stube die oberen Knöpfe der Hose zu öffnen und die Weihnachtsgans zu zerteilen. Über diese soll nun endlich das göttliche Gewitter hereinbrechen, wo die Worte der Predigerin sonst schon beim Verlassen der Kirchen verhallt sind. Corona als Scharfrichter.
Margot Käßmann will im Gefolge von Corona das Weihnachtsfest, so wie es bisher war, ausradieren, endlich der so vielfach belächelten Strafpredigt Taten folgen lassen: „Weihnachten war im Ursprung überhaupt kein ‚Glanz und Gloria‘-Fest“, mahnt deshalb Frau Pfarrerin. Wobei sie erneut zeigt, dass sie die Bibel vergessen hat. Denn die Hirten auf dem Feld kamen hinzu und sollen ziemlich begeistert gewesen sein, der Engel des Herrn überstrahlte die Landschaft und Bethlehem und die Drei Heiligen Könige aus dem Morgenland brachten bald reiche Gabe. Es war ein Fest der Freude, mit Glanz und Gloria, erzählt uns die überlieferte Weihnachtsgeschichte, anders als die vergessliche Bischöfin.
Natürlich später nicht mehr so uneingeschränkt. Denn über viele Jahrhunderte hinweg litten die Ärmsten der Armen unter der Knute der Kirche, trugen noch das letzte Ei und den letzten Laib Brot zur Kirche hin, so brutal und unerbittlich, dass an ein besinnliches Weihnachten über den knurrenden Magen hinaus lange nicht zu denken war.
Der aufgeklärte Mensch in mehr oder weniger bescheidenem Wohlstand verdankt denselben eben nicht der Kirche oder gar der unbescheidenen Margot Käßmann. Die Anmassung der Pfarrerin darf also getrost eingereiht werden dorthin, wo der weltliche Karl Lauterbach viele Deutsche für so etwas wie fahrlässige versoffene Knallbonbons hält.
Käßmann und Lauterbach stellen sich während der Covid-19-Pandemie eine Art Reinemachen light vor. Gott sei Dank (oder wem immer), reicht es 2020 aus, die beseelte Dame und den düsteren Herren kräftig und laut auszulachen, um dann fröhliche Weihnachten zu feiern und es Silvester ordentlich knallen zu lassen, wenn einem danach ist. Dann aber mit Bedacht, so aufmerksam, aber so ausgelassen wie eben möglich. Käßmann und Lauterbach braucht es dazu weiß Gott nicht. Höchstens aus Neugierde werden wir an Weihnachten und Silvester mal kritisch schauen, was die beiden da jeder für sich so treiben und ob sie sich an ihre eigenen Vorgaben halten. Spaß muss ja auch sein in diesen ernsten Zeiten.
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Grandios geschrieben, großartiger Artikel!
Journalismus, wie er heute Seltenheitswert hat.
Grandios geschrieben, großartiger Artikel!
Journalismus, wie er heute Seltenheitswert hat.
Soso….Menschen ohne Freunde und ohne Familie wollen uns hartnäckig seit Monaten vorschreiben wie und ob überhaupt irgendwas irgendwo gefeiert werden „darf“. Mag Panikhysteriker Lauterbach gern Weihnachten allein und natürlich mit Maske vor dem Spiegel sitzen oder Frau Moralinsauer Käsmann uns das Recht auf Weihnachten absprechen. Wer so etwas von sich gibt, hat den Sinn von Weihnachten nicht verstanden! Egal woran man glaubt oder nicht glaubt: An Weihnachten wird das Miteinander und die Liebe gefeiert mit all jenen, die einem wichtig sind. Und das sollte sich niemand „verbieten“ lassen!
Unlogisch, liebe Käs- Frau. Kein Weihnachten = keinen Jesus. Keinen Jesus = keine Kirche. Keine Kirche = keine Spenden. Keine Spenden = für Ihresgleichen Arbeitslosigkeit. ergo wenig Kohle für Alk, also geringere Gefahr des Führerscheinsverlustierens. So gesehen macht Ihre Aussage Sinn.
Lauterbach? Den lacht sogar seine Ex- Frau aus. Da erübrigt sich jeder weitere Kommentar. Recht hat sie!
Schööööön … ! Aber Lauterbach ist auch noch gefährlich, den muß man angehen.
Gerade, weil sie durchaus um die „frohe Botschaft“ weiß und diese in anderen Zeiten auch gepredigt hat, ist Frau Käßmann keine „vergessliche Bischöfin“!
Sie ist ein zutiefst gefühlskalter und somit also völlig empathiefreier Apparatschik.
Mal ehrlich, was hat die abgehalfterte Person noch zu vermelden. Ein klägliches Unterfangen, mal wiedr in der Öffentlichkeit zu erscheinen – sonst nichts!
Vorsicht, solche Typen können nicht damit leben, daß sie „abgehalftert“ worden sind. Und nun hat Sie genügend freie Valenzen für den Intrigantenstadel.
Eine selbsternannte Islamirgendwas soll gestern bei Maischberger oder so unter Zitierung nicht von Lukas, sondern von Özoguz (oder irre ich mich, und die zitiert sich selber?) ihre Zustimmung zu Frau Vulvenmalerin (oder war das die Göring-Eckart?) bekundet haben. Und die arme SPD! Ein Experte armseliger als der andere! Von Gesundheit über Finanzen und Bildung zu Rechtsextremismus und Quote. Wir in Bayern brauchen für so was bloß 1 Person; und die teilt mit Käsmann die Konfession (in beiderlei Bedeutung), und dazu noch einen Hosenanzug aus Pfarrerbrut. Armes Deitschland!
Danke, ein sehr treffender Artikel. Siebenhundert Jahre wären für eine signifikante Evolution des zentralen Nervensystems auch viel, viel zu kurz.
Die neueren ZNS-Komponenten sind heute genauso fragil und im Konfliktfall den älteren „unterlegen“ wie im 14. Jahrhundert. Die Zunahme von Kenntnis ändert prinzipiell nichts, wenn „es“ in uns die Erkenntnis verweigert.
Die Kenntnis rationalisiert dann nur das instinktive Wollen.
Mit solchen Geistesgrößen möchte ich mich gar nicht weiter belasten. Ludger K. hat dazu bereits alles gesagt: https://www.youtube.com/watch?v=y3pnNcBepoU
Tja, ich hoffe sehr, dass ich noch einen Karl Lauterbach Adventskalender bekomme. Hinter jedem Türchen eine neue des Karl Hiob.
Zu Frau Käßman kann man nur sagen: Wasser predigen und selbst Wein trinken. Das soll keine Anspielung auf Ihre unchristliche Alkoholfahrt sein!
Arbeitsteilung. Einige predigen, die anderen glauben und zahlen. Ist das Gottgefällig? Ich maße mir kein Urteil oder auch nur Wissen hierüber an- andere schon. Die leben ja auch davon und das opulent.
Aber erst wenn die beiden großen Kirchen öffentlich machen was sie eigentlich selber von ihren Kirchensteuern spenden und dies ohne sich noch zusätzlich die vollbrachten Wohltaten von anderen bezahlen zu lassen, kann man ihnen keine Geschäftsmäßigkeit mehr vorwerfen.
Wahrhaftigkeit ist ein Eckpfeiler des christlichen Glaubens, von dem leider in den Kirchen nicht mehr viel übrig ist.
Übrigens, dass Gläubige mit Schafen verglichen werden, ist ziemlich zutreffend.
schön ausgedrückt. Glaube kaum dass dies die Kirchenoberen beeindruckt. In diesen Kreisen galt schon immer „Nehmen ist seliger den Geben“… Dadurch wurde die katholische Kirche der größte Immobilienbesitzer weltweit und die Gläubigen stören sich nicht daran und spenden fleissig weiter. Mit dem Glauben ist dies halt so eine Sache und das wird halt ausgenützt. Von Drüben ist noch keiner zurück gekommen und hat erzählt wie es ist und ob die kirchlichen Versprechen richtig waren. Die Schecks des Versprechens wurden noch nie eingelöst. Davon leben die Pfaffen und dies nicht zu schlecht.