Wohltätige Stiftung lässt Wohnung einer Mutter und ihrer neunjährigen Tochter zwangsräumen

Durch den Lockdown verliert eine Frau ihre Verdienstmöglichkeit. Wegen Mietschulden aus dem ersten Lockdown im Vorjahr kann ihr Vermieter jetzt die Räumung ihrer Wohnung durchsetzen. Der Vermieter ist ausgerechnet eine wohltätige Stiftung.

IMAGO / Panthermedia
Symbolbild

Die neunjährige Tochter weint durchgehend fünfzehn Minuten lang, ihre Mutter ist zunächst sprachlos, ein Nachbar – davon alarmiert – derart aufgebracht, dass es zu einer Rangelei gekommen sein soll. Willkommen an einem Freitagvormittag irgendwo mitten in Braunschweig; Deutschland lebt im Lockdown und in der Stadt Heinrichs des Löwen wird eine von den Lockdown-Maßnahmen betroffene alleinerziehende Mutter samt kleiner Tochter wegen Mietschulden vom Vorjahr zwangsgeräumt.

Die beiden kommen gerade vom Einkaufen, da ist das Wohnungsschloss schon ausgestauscht, ihre Katzen sind in der für die Familie nicht mehr erreichbaren Wohnung verschlossen. Der Vertreter einer Stiftung, der das Haus gehört, sagt später entschuldigend, er hätte zu dem Zeitpunkt aber bereits den Tierschutz angerufen und informiert, um die eingeschlossenen Katzen abzuholen. Die Mutter und die Tochter waren keine Dreiviertelstunde außer Haus, und als sie zurückkamen, waren sie schon obdachlos. Im Hausflur ist noch der Gerichtsvollzieher anwesend und der Stiftungsvorsitzende als Vermieter.

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Die Frau berichtet, es sei ihr noch im Hausfur empfohlen worden, doch ins Frauenhaus zu gehen. Das allerdings ist im Falle von Obdachlosigkeit gar nicht die richtige Adresse. Aber zunächst ein paar Informationen, wie sie sich von den beteiligten Parteien erzählt darstellen: Die Frau ist Künstlerin und Tätowiererin mit eigenem Ladengeschäft. Unter den Corona-Maßnahmen kann sie ihr Geschäft allerdings nicht fortführen, im Lockdown darf nicht tätowiert werden – Friseure ja, Tätowierer nein.

Die Mutter sieht keinen anderen Ausweg, als für sich und ihre Tochter Hilfe zu beantragen, die ihr auch gewährt wird. Kindergeld und Zahlungen für die Tochter werden vom Job-Center üblicherweise angerechnet. Die Miete für die Wohnung wird jetzt von Mitte 2020 an regelmäßig an den Vermieter direkt vom Job-Center überwiesen. Zwei Mieten – der Stiftungsvorsitzende spricht von drei Mieten – aus dem ersten Lockdown sollen allerdings offen geblieben sein, ebenso, wie eine – laut eines weiteren Mitbewohners strittige – Nebenkostenabrechnung.

Diese säumigen Zahlungen türmen sich über mehrere Klagen der Stiftung hinweg für die Frau auf und führen letztendlich dazu, dass die Stiftung als Vermieter per Gericht eine Zwangsräumung durchsetzen kann. Und das mitten im Lockdown bei einer Frau, die beruflich vom Lockdown betroffen ist und die samt weinender Neunjähriger vor der verschlossenen Tür ihres Zuhauses steht, in dem die Familie seit schon zehn Jahren lebt. Eine Wohnung, deren Miete regelmäßig seit Mitte 2020 vom Amt direkt aufs Konto der Stiftung als Vermieter überwiesen wird.

Aber um was für eine Stiftung handelt es sich? Das ist hier von besonderem Interesse, denn besagte Stiftung als Hauseigentümer nennt sich „Stiftung Kleiderversorgung Braunschweig“ – eigentlich eine alteingesessene Stiftung, die im letzten Jahr ihr Hundertjähriges feierte. Auf der Website heißt es unter der Rubrik: „Die Leistungskraft der Stiftung stärken“: „So können z.B. alte oder gesundheitlich beeinträchtigte Menschen ohne Erben und Nachfolger, die nicht mehr in der Lage sind, ihr Hauseigentum oder ihr Geschäft selbst zu verwalten, dieses der „Stiftung Kleiderversorgung“ zur weiteren Nutzung und zur Förderung wohltätiger Zwecke übereignen.“

Tatsächlich haben das wohl schon Braunschweiger getan – die Stiftung verwaltet Häuser in guter Lage und generiert die entsprechenden Mieteinnahmen. Laut Website besteht das Stiftungsvermögen aus vier Wohnhäusern in der Braunschweiger Innenstadt – also beste Lage – und Wertpapieren. Im Jahr 2006 beispielsweise wurde so ein Gebäude – in bester Braunschweiger Lage mit Blick auf das Schloss – der Stiftung übertragen.

Die Stiftung fördert einen Ruderverein, der beim Kauf eines Zweiers unterstützt wird, eine Reha GmbH bekommt Gartenmöbel und eine Maschine für die Cafeteria, ein Sportverein wird eingekleidet, ein Nachtlauf ebenso wie ein weiterer Sportverein. Die Fördersummen liegen überschaubar bei beispielsweise 500 Euro für den Nachtlauf. Auf der Website kann ein Föderantrag heruntergeladen werden.

Laut Satzung sitzen sieben Personen im Stiftungsvorstand. Der Stiftungsvorsitzende ist gleichzeitig Geschäftsführer, eine weitere Person sein Stellvertreter. Die Herren und eine Dame sind überwiegend noch Nachkommen oder Betreibende von Unternehmungen, die traditionell mit Bekleidung und Wäsche zu tun haben, der Zusammenhang also durchaus gegeben. Der Stiftungsvorsitzende selbst war Unternehmer eines Bekleidungsgeschäftes, das schon Generationen vor ihm betrieben haben.

Seine Aufwandsentschädigung liegt nach eigenen Angaben über dem, was die von der Zwangsräumung betroffene Frau von der Arbeitsagentur erhält.

Zufälligerweise wohnt nun der Sohn des langjährigen Braunschweiger Oberbürgermeisters und ehemaligem niedersächsischen Ministerpräsidenten Gerhard Glogowski im Haus der Stiftung, wo es zur Zwangsräumung kam. Und Robert Glogowski wurde von seiner Mitbewohnerin als Zeuge rausgeklingelt, die er dann im Hausflur mit der weinenden Tochter vorfand, dem Gerichtsvollzieher und dem Stiftungsvorsitzenden einer Stiftung, die sich ansonsten um Bedürftige kümmert, hier aber in der Rolle des zwangsvollstreckenden Vermieters auftritt.

Die Mutter erinnert sich an eine Rangelei und Schubserei mit Glogowski, der Stiftungsvorsitzende will davon nichts wissen, es wäre nur der Arm ausgestreckt worden im Hausflur, weil Robert Glogowski ohne Maske zu nahe herangekommen sei. Der allerdings hat eher die Vermutung, dass er vielleicht als Zeuge weggedrängt werden sollte.

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Unter „Vermögen“ heißt es auf der Website der Stiftung: „Alle Häuser werden mit der Sorgfalt ordentlicher Kaufleute verwaltet, in Ordnung gehalten und nach Möglichkeit in ihrem Wert verbessert.“ War die Zwangsräumung der Mutter und ihrer Tochter jetzt so einen „Möglichkeit“? Der Stiftungsvorsitzende erzählt am Telefon, dass aktuell schon zwei Parteien aus besagtem Haus „freiwillig“ ausgezogen seien. Diese Wohnungen würden renoviert werden. Und er erzählt weiter, dass er die Wohnung der Frau, die zwangsgeräumt wurde, als sehr „unordentlich“ empfunden hat. Robert Glogowski allerdings erzählt von einer eher kleinen Wohnung unterm Dach mit Schrägen in gutem kindgerechten Zustand.

Nach dem Gespräch mit dem Stiftungsvorsitzenden lässt sich zusammenfassen: Die Miete der Frau seit geraumer Zeit regelmässig vom Amt bezahlt, aber dennoch wurde die Zwangsvollstreckung durchgeführt. Der Stiftungsvorsitzende bittet noch darum, mit seinem Anwalt zu sprechen, der verweist auf die vielen Aufforderungen – auch vom Gericht – an die Frau, ihre Dinge doch zu klären, was diese allerdings versäumt hätte.

Die Tochter wurde von der Mutter vorübergehend bei einer guten Bekannten untergebracht, währenddessen möchte die Mutter sich um die alte Wohnung kümmern. Denn diese wurde ihr dann doch noch in einer Art Gnadenfrist bis Freitag wieder übergeben, nachdem – so die Frau – der Gerichtsvollzieher den Stiftungsvorsitzenden noch einmal im Hausflur zur Seite genommen hatte.

Robert Glogowski sagt im Gespräch noch abschließend: „Ganz gleich, was ist, so etwas darf man nicht machen, jedenfalls nicht in Gegenwart eines weinenden Kindes. Das ist furchtbar. Das ist prägend und eine Form von Missbrauch. Die Corona-Maßnahmen sind ja schlimm für uns alle, aber Menschen die versuchen, auf dem Rücken der Schwächsten in dieser Pandemiezeit Nutzen zu ziehen, das ist verwerflich.“

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Kommentare ( 92 )

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epigone
3 Jahre her

Lieber Herr Wallasch, da muss ich entschiedenen Widerspruch anmelden! Bis jemand per Räumungsbeschluss aus einer Wohnung „geworfen“ werden kann, ist ein weiter Weg zurückzulegen! Die Hilfsangebote von Ämtern und div. Beratungsstellen sind umfangreich, auch finanziell ist so einiges möglich. Und bis die Räumung durch einen Gerichtsvollzieher – die eigentlich nur bei aggressiven bzw. gefährlichen Mietern unter Hinzuziehung der Polizei erfolgt – stattfindet, vergeht sehr viel Zeit, in der der Mieter noch immer handeln kann. Zeigt der Mieter beizeiten nur die grundsätzliche Bereitschaft zu zahlen, so kann eine Räumung leicht abgewendet werden. Dafür reicht bereits das Angebot von Ratenzahlungen, die dann… Mehr

Albert Pflueger
3 Jahre her

Wie kommen Sie auf solche Ferndiagnose?

josefine
3 Jahre her

Die Politik macht den Menschen doch vor, dass er, der Bürger Deutschlands, nicht zählt, nichts wert ist.
Eine Mutter aus Afrika mit minderjähriger Tochter wäre das mit Sicherheit nicht passiert.
Da hätten sich verschiedene Wohlfahrtsverbände darum „gerissen“,der Frau zu helfen.
Aber es handelt sich ja nur um eine Deutsche.

Schwabenwilli
3 Jahre her

Man sollte dann auch noch im Auge behalten wer als Nachmieter in die Wohnung einzieht. Ein Blick auf das Klingelschild dürfte genügen.

Albert Pflueger
3 Jahre her

Als ehemaliger Hausverwalter kann ich sagen, daß eine solche Aktion nur dann vorstellbar ist, wenn die Akte der Mieterin deutlich dicker ist, als alle anderen, wenn Sie wissen, was ich meine. Das ist wie der Pfandbon, den eine Kassiererin unterschlägt. Eine Gelegenheit, die genutzt wird, weil eine Kündigung anders nicht möglich ist. Und dann ist es ja so: Bevor ein gerichtliches Räumungsurteil ergeht, müssen Fristen gewahrt werden, der Richter überprüft die Berechtigung. Man wird nicht grundlos zur Räumung verurteilt, und schon gar nicht kommt die Räumung überraschend. Sie wird angekündigt. Wer da so tut, als sei er nur mal eine… Mehr

KorneliaJuliaKoehler
3 Jahre her
Antworten an  Albert Pflueger

Wer sich im Mietrecht auskennt, wundert sich tatsächlich über diese plötzliche Räumung. Bis es zu einer Zwangsräumung kommt, dauert es normalerweise viele Monate, manchmal sogar Jahre, gerade wenn auch Kinder davon betroffen sind. Die Frau sollte sich, unbedingt an den Mieterschutzbund wenden, der ihr sicherlich weiterhelfen kann. Die Gemeinde oder Stadt ist außerdem verpflichtet, dieser Frau eine Notunterkunft zur Verfügung zu stellen. Manchmal stecken Schuldner einfach den Kopf in den Sand, weil sie hoffen, die finanziellen Angelegenheiten regeln sich von selbst und schon stecken sie in der Schuldenfalle. Manche sind schlicht überfordert, weil sie auch noch viele andere Probleme haben.… Mehr

reiner
3 Jahre her

als hochproblematisch sehe ihr statement an..denken sie tichy schreibt mal eben was daher?

epigone
3 Jahre her
Antworten an  reiner

Machen sie sich doch erst einmal sachkundig in Sachen Mietrecht, offenbar sind sie vollkommen kenntnislos. Keine gute Grundlage, um mitzudiskutieren.

Peter Mueller
3 Jahre her

Ihnen scheint nicht klar zu sein, wie sehr sich Existenzangst auf die Psyche auswirken und einen lähmen kann. Wenn Sie vergleichbare Schicksalsschläge selbst schon mal erlebt hätten, wüßten Sie, wovon Sie reden. Eine Gesellschaft beurteilt sich danach, wie sie mit ihren Schwächsten umgeht. Und wer derlei Vorgehen auch noch rechtfertigt, sagt damit vor allem etwas über sich selbst aus. Ich habe übrigens auch schon einen Mieter gekündigt, weil er seine Miete nicht mehr zahlen konnte. Aber ich habe ihn nicht einfach auf die Straße gesetzt und sich selbst überlassen sondern ihm dabei geholfen, eine kleinere und damit bezahlbare Wohnung zu… Mehr

Last edited 3 Jahre her by Peter Mueller
Pauline G.
3 Jahre her
Antworten an  Peter Mueller

Richtig! Und die Behörden in diesem Land u. – wie wir hier lesen können, – sogar „wohltätige“ Stiftungen sind i n d e r R e g e l nicht menschlich bei Einheimischen!! Anders sähe es bei „Geflüchteten“ aus, wo es Helferkreise u. jede Menge weitere Unterstützung gibt – z.B. die Medien u. sonstige Empörung in den entsprechenden Netzwerken bei derlei Vorkommnissen!

Albert Pflueger
3 Jahre her
Antworten an  Peter Mueller

Wer von einem Gericht zur Räumung der Wohnung verurteilt wird, hat sich das meist selbst zuzuschreiben. Wenn psychische Probleme vorliegen, bekommt er einen Betreuer. Wenn das Geld fehlt, ein Darlehen. Es gibt auch durchaus Leute, die man loswerden will, weil sie „pain in the ass“ sind. Kommt selten vor, aber ich habe in meiner Hausverwalterzeit in 30 Jahren eine Handvoll davon erlebt, vom Messie bis zum intelligenten Psychopathen. Es gibt auch die, die das Geld vom Amt mehrfach für andere Zwecke als für die Miete ausgeben, bis dort die Reißleine gezogen wird. Daß es auch etliche gibt, die coronamaßnahmenbedingt in… Mehr

Peter Mueller
3 Jahre her
Antworten an  Albert Pflueger

Manchen Leuten muß man nur die Gelegenheit geben, sich zu äußern – und kann dann in Ruhe beobachten, wie sich sich selbst demontieren.

KorneliaJuliaKoehler
3 Jahre her
Antworten an  Albert Pflueger

Vielleicht würden Sie anders denken, wenn diese Frau Ihre Tochter oder das Mädchen Ihre Enkelin wäre.
Ihre Erfahrungen mit Mietern waren, aufgrund Ihrer Tätigkeit, nicht immer die besten. Das kenne ich auch zur Genüge.
Ab und zu muss man konsequent sein und auch Härte zeigen. Stimmt auch.
Aber, ab und zu muss man auch Gnade vor Recht ergehen lassen.

Physis
3 Jahre her

Die ALLERERSTEN Stiftungen waren evtl. noch ganz ok!
Alles was danach kam, sind und waren Steuervermeidungsinstitutionen, deren Mitglieder nicht schlecht von den „Spenden“ leben…!

Magnum06
3 Jahre her
Antworten an  Physis

Physis, lassen sie doch das Kommentieren wenn sie keine Sachkenntnis haben. Das deutsche Stiftungsrecht ist durchdacht, komplizert und seit mindestens 400 Jahren erprobt. Es sind keine Steuervermeidungsinstitutionen…..

Physis
3 Jahre her

Haben Sie eine Ahnung, wie es mir in Zeiten von Corona geht?
Ich hätte administrativ eigentlich jede Menge zu tun, aber z.Zt. sitze ich manchmal tagelang an meinem Schreibtisch und bin wie gelähmt.
Ich kann einfach mit nichts anfangen. Nichts kann mich noch begeistern, was ich vor ÜBER EINEM JAHR Lockdown und Coronahysterie noch mit Fleiss erledigte.
Dass Sie also noch den „Durchblick“ haben ehrt Sie, aber wahrscheinlich sind Sie lediglich einer der Wenigen, die N O C H nicht unter diesem ganzen Wahnsinn zu leiden haben! ?

Lotus
3 Jahre her

Kann es kurz machen: Wäre die Frau eine „Geflüchtete“, hätte es ein derartiges Vorgehen der Stiftung nicht gegeben. Allein schon aus Angst vor einem Ruf-zerstörenden Shitstorm. Die Empörung hätte die Verantwortlichen im Nu aus dem Amt gefegt.

Schwabenwilli
3 Jahre her
Antworten an  Lotus

Davon kann man zu 100% ausgehen. Während diese sogenannten geflüchteten von verschiedensten Organisationen umsorgt und umhegt werden steht diese alleinerziehende Mutter voll im Regen. Schöne neue Deutschland Welt.

monsalvat
3 Jahre her
Antworten an  Lotus

Genau meine Meinung. Das war das Erste, was mir sofort einfiel! Die zwei schon länger zurückliegenden Mieten, die noch ausstehen, sind doch nur ein Vorwand, die Frau mit ihrem Kind loszuwerden.