Berlin – Alles total egal

Weltmetropole. Vom Rosinenbomber zum Willy-Brandt-Flughafen. 24/7-Partys, schnoddrige Mundart, explodierende Subkulturen. Jeder kann, darf, jeder soll. Die Wahrheit: Die Hauptstadt versinkt in Verwahrlosung – Vorbild und Modell für Deutschland?

Es läuft trotzdem in Berlin. Millionen über Millionen fließen aus Russland und den Golfstaaten in Berliner Immo­bilien. Das Sanierungsgewerbe floriert. Die Preise explodieren, es wohnt nur keiner. Die Wohnungen sind Geldanla­gen und stehen leer, ein Phänomen, das London und New York vorgemacht ha­ben: die Umsiedlung der Einheimischen in Billigvorstädte, politisch korrekt „Gentrifizierung“ benannt.

Der Senat spricht viel vom städtischen Wohnungsbau, allerdings werden rund 80 Prozent der neuen Wohnungen trotz Behinderung durch die Ämter weiter­ hin privat gebaut; echte Berliner Unter­nehmer sind zäh im Kampf mit Ämtern, die sie bekämpfen.

Hauptstadt der Verwahrlosung - Teil 2
Berlin – Zunehmend rechtsfreier Raum
Der Tourismus schwemmt derweil die Gastronomie auf; der echte Ber­liner wird zum Häppchen­-Schmierer. Dazwischen die Hipster der florieren­den Start­up­-Szene, die für ihre Apps Millionen beim Exit kassieren und ih­ren neuen Reichtum obszön zur Schau stellen. Neues Geld und alte Armut aus der Wendezeit prallen aufeinander, und weil diese Spaltung zwischen oben und unten nicht reicht, kommt die ethni­sche Differenzierung noch dazu. Aber bunt ist nicht lustig.

Berlin­-Alexanderplatz, Wilmersdorf, Charlottenburg, Friedrichshain­-Kreuz­berg, Kottbusser Tor, Neukölln, Rigaer Straße, Schönleinstraße, Wedding – Touristenführer warnen ihre Kun­den vor No­-go-­Areas in Deutschlands Hauptstadt. Erst waren es die Kuriere der Paketdienste, die Pakete aus Sorge vor Übergriffen und Betrug in Problem­vierteln nicht mehr persönlich zustel­len wollten. Die „BZ“ berichtet täglich von der Gewalt auf den Straßen Berlins. Kuzmanys Lässigkeit ist eine Verro­hung. Wegschauen, nicht hinsehen – die Politik macht es vor und engagiert sich lieber für Gender­-Toiletten, für das für 500 Euro Machbare.

Der Berliner Bürger Johannes Diehl ist stellvertretend geschockt von der Gleichgültigkeit der Passanten. Der „BZ“ erzählt er, wie an der Charlottenburger Schillerstraße zwei Männer auf einen am Boden liegenden Mann eintraten. „Ich ging dazwischen, rief die Polizei“, sagt Diehl. „Während des Vorfalls sind drei Pärchen vorbei­ gelaufen, ohne dem Ganzen auch nur einen Blick zu schenken.“ Eine neue To­leranz in einer Stadt ohne jeden Sinn für die notwendige Nulltoleranz­strategie.

Vor knapp 75 Jahren wurde Berlin offziell für „judenfrei“ erklärt. Heute zeigt man wieder Toleranz gegenüber offenem Antisemitismus: Im August boykottierten ursprünglich eingeladene Rapper mit arabischem Hintergrund das Berliner Pop-Kultur-Festival mit der Begründung, die israelische Botschaft sei Unterstützer des Festivals. In den Erklärungen dazu wird „Israel“ konsequent in Anführungszeichen geschrieben. Der linke Kultursenator Klaus Lederer zeigt sich darüber „maßlos enttäuscht“. Ein echter Berliner, echte Berliner, echte Berliner.

Einsame Mahner

Gunnar Schupelius ist Redakteur der „BZ“. Auch ein echter Berliner, in seiner feinen Art ein würdiger Nachfolger von Sigi Sommer, der als „Spaziergänger“ die Not der kleinen Leute im Nachkriegs-München aufgeschrieben hat, unverdrossen bis in die 70er. Schupelius’ Kolumne heißt „Mein Ärger“. Und Tag für Tag macht er ihm Luft. Täglich ein Berlin-Skandal.

Täglich führt er die Ergebnisse rot- rot-grüner Politik vor. „Ich schaue aus der Perspektive der normalen Leute auf die Stadt“, sagt er, „nicht aus der Perspektive der Bundeskanzlerin.“ Eine vielgelesene Erfolgsserie der dominierenden Themen: „Die Folgen der Migration. Die gebrochenen Versprechungen der Abschiebung, die Kriminalität und das tägliche Versagen der Behörden. Manchmal fängt man die Kleinen und lässt die Großen laufen. In Friedrichshain-Kreuzberg werden Drogenhändler ,tapfer geehrt‘. Gott bewahre uns vor dem Eifer der neuen Sittenwächter der Politik. In den Berliner Klassenzimmern hat man das Lernen verlernt“ und: „Wann kommt sie endlich, die Ehrenmedaille für die Polizisten?“
Echte Berliner, echte Berliner, echte Berliner.

Es gibt sie noch, aber es werden weniger. Touristen merken nicht, dass nur fünf, sechs U-Bahnstationen von ihren quirligen Hotspots die Plätze plötzlich still und menschenleer werden, ganze Straßenzüge, merken nicht, wenn Stadtviertel als urbaner Lebensraum ausfallen, weil tatsächliche oder gefühlte Kriminalität die Herrschaft über Pflaster und Köpfe übernommen hat. Wie ist es, wenn ganze Straßenzüge sich zu Vierteln erweitern, die von der Politik aufgegeben und die Menschen darin nur noch aus der Ferne von den Ämtern subventioniert werden?

Terroristen als Märtyrer, ein Skandal
Dem Senat von Berlin ist nichts zu abwegig
Die 3,4-Millionen-Stadt wurde lange als Hauptstadt der Hartz-IV-Empfänger verspottet. Ganz stolz wurde nun Mitte des Jahres verkündet, dass Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg noch schlechter dastünden. Sogar die Dauer der Arbeitslosigkeit soll um 15 Tage gesunken sein, von 463 auf 448 Tage. Was für eine Berliner Erfolgsgeschichte! Aber dann doch nicht, erklärt die Bundesagentur auf Nachfrage kleinlaut: Bei vielen Betroffenen soll es einfach an den Qualifikationsmaßnahmen gelegen haben, dass sie aus der Statistik herausgefallen sind.

Qualifikationsmaßnahme Berlin

Über eine halbe Million Berliner bekommt Hartz IV. Das ist wahlweise die komplette Einwohnerzahl von Bremen, Dortmund, Essen oder Leipzig. Jeder Fünfte ist Leistungsempfänger. Monatlich zahlen die Berliner Jobcenter allein elf Millionen Euro für den Hostel-Aufenthalt von 10.000 Hartz-IV-Familien. Sozial-Staatssekretär Alexander Fischer (Linke) bestätigt gegenüber der „BZ“, dass die Zahlen deutlich gestiegen sind.

Zwar sind Wohnungen unter den Aufwendungen für die Hostel-Unterbringung zu haben, dürfen aber nicht bewilligt werden, wenn sie die zulässige Miethöhe überschreiten. Also werden die betroffenen Familien in Hostels verfrachtet, bis sich eine preiswertere Miete findet.

Bundesweit nimmt auch die Zahl der Flüchtlinge rapide zu, die ins reguläre Sozialsystem aufsteigen und Hartz IV beziehen. 777.000 Menschen aus „nichteuropäischen Asylherkunftsländern“ erhalten jetzt die Grundsicherung für Arbeitsuchende, berichtete die „Morgenpost“ im Juni. Ein Anstieg um weit über 100 Prozent innerhalb eines Jahres. Davon allein eine halbe Million Hartz-IV-Empfänger aus Syrien. Fast jeder dritte Hartz-IV-Empfänger ist heute nichtdeutscher Nationalität. Den Anspruch auf Grundsicherung hat, wer das Asylverfahren durchlaufen und eine Bleibeberechtigung erhielt.

Nun beobachtete der Berliner Senat bei Amtsantritt eine „soziale Verdrängung“ in den Innenstadtbezirken. Das wollte man mit einer Neuberechnung der Nettokaltmiete für die Übernahme der Kosten der Unterkunft verhindern. „Derzeit erhalten 285.358 Haushalte in Berlin Kosten für die Unterkunft. Der Landesanteil dafür beträgt pro Jahr 1,4 Milliarden Euro“, so der „Tagesspiegel“.

Und dann wäre da noch Yakup Y. (56) aus Anatolien. Er ist Vater von drei Kindern und bezieht Hartz IV. Die Familie wohnt im Schillerkiez in Neukölln. Auf einer Bank vor der Sparkassen-Filiale an der Ecke Ganghoferstraße-Karl-Marx-Straße fand er eine alte Aktentasche voller Goldbarren und Bargeld. Ein schussliger Rentner hatte sie liegen lassen, nachdem er sein Schließfach räumen musste. Yakup Y. brachte den Schatz im Wert von fast 50.000 Euro zur Polizei. Gegenüber den Beamten erklärt er: „Das hier, das gehört mir nicht, ich will das zurückgeben.“

Medien und Leser liebten diese Geschichte. Was die Familie von Yakup Y. dazu sagt, ist nicht bekannt. Eine abgestumpfte Berliner Überlebenshaltung war das jedenfalls nicht. Yakup Y. ist wohl noch kein echter Berliner, echter Berliner, echter Berliner.


Dieser Beitrag ist in Tichys Einblick 12/2017 erschienen >>

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Kommentare ( 33 )

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Markus
6 Jahre her

Man liest immer wieder Antisemitismus = Israelkritisch. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Ich wuenschte mir, ihr koenntet das mehr differenzieren.

AnSi
6 Jahre her

Fast ist man hier in der Provinz (Westmünsterland) geneigt zu sagen: „GsD wollen alle nur in die Metropolen und lassen uns hier in Ruhe!“. Hoffentlich bleibt das noch einige Zeit so! Aber ich fürchte, in ein paar Jahren haben wir hier die gleichen Zustände in jeder kleinen Stadt, in jedem Dorf. Es tut mir so leid für unsere Kinder. So leid.

ertutnix
6 Jahre her

Bei einem wirtschaftswachstum von 2,8% müsste es deutschland und seiner hauptstadt blendend gehen.ist das nicht der fall,hat die politik versagt

Schwarzseher
6 Jahre her

Liebe TE Leidensgenossen. Jedes mal, wenn ich die hahnebüchenden, aber leider zutreffenden Beschreibungen des Zustands dieses Landes lese ( wie jetzt wieder in diesem Beitrag ), und die Wut, die über die Verantwortlichen aus jedem Kommentar hervorbricht, schöpfe ich Mut, daß nun endlich diese Politiker in die Wüste geschickt werden. Doch wenn ich an das letzte Wahlergebnis denke und die aktuellen Prognosen lese, verläßt mich die Hoffnung umgehend. Wir, die TE Leser, sind offensichtlich eine verschwindend kleine Minderheit. Ich selber ( Jahrgang 1943 ) ertrage dies nur noch aufgrund der Gnade der frühen Geburt ( Helmut Kohl, Variante ), da… Mehr

Rainer Franzolet
6 Jahre her

Als es noch die Ostzone gab habe ich mir schon gedacht, man sollte Westberlin besser gegen einen anderen ländlichen Teil der DDR tauschen. Heute würde ich vorschlagen eine Mauer um dieses Irrenhaus zu bauen.

Illusionslos
6 Jahre her

In Berlin alles egal ? Nicht alles. Wer dort richtig parkt, bekommt von der Berliner Polizei Schokolade geschenkt. Kein Witz, lt. BZ

Sonni
6 Jahre her
Antworten an  Illusionslos

O M G !!!

Matthias Losert
6 Jahre her

Berlin – Eine Stadt in der wir gut und gerne Leben!

NocheinOberbayer
6 Jahre her

Richtig – in letzter Zeit haben nur die Gründer von „Wunderlist“ einen erfolgreichen „Exit“ (Käufer Microsoft) geschafft.

Fred Müller
6 Jahre her

So geht es ab, im links-vergrünten Berlin ! Kein Wort davon in den Systemmedien. https://www.droppy.ch/NZOLKyH Neue Merkel-Kultur ! …so etwas sagen echte Staatsmänner zu Migration und Integration : Wladimir Putins kürzeste Rede: „Lebt in Russland wie Russen! Jede Minderheit, gleichgültig, woher sie kommt, muss, wenn sie in Russland leben, dort arbeiten und essen, Russisch sprechen und das russische Gesetz respektieren. -Wenn Sie das Gesetz der Scharia bevorzugen und das Leben von Muslimen führen wollen, raten wir Ihnen, dorthin zu gehen, wo es Staatsgesetz ist. -Russland braucht keine muslimischen Minderheiten. Die Minderheiten brauchen Russland, und wir werden Ihnen keine besonderen Privilegien… Mehr

ULRICH Salloch
6 Jahre her
Antworten an  Fred Müller

Ich erinnere das Putin auch amüsiert gelacht hat, als er die Tatsache kommentierte das kein vernünftiger Staat seine Souveränität an eine Kommission abgeben würde. Gemeint war MERKEL – DEUTSCHLAND. Es gibt doch noch realistische Politiker.

Nihil Nemo
6 Jahre her

„Startup“ schein mir häufig auch „Blöde Idee und keine Ahnung“ zu bedeuten.