Geblockt von Frau Sibylle

Die "Filter Bubble" verbindet innerhalb der Gruppe, aber sie treibt auch einen Keil durch die Gesellschaft, spaltet sie in zwei Lager.

© Getty Images

Diese Woche hatte ich meine erste Begegnung mit Sibylle Berg. Sie ereignete sich auf Twitter, der digitalen Sammelstelle für Politiker, Journalisten und Intellektuelle, und solchen, die gerne etwas von all dem sein wollen und sich dabei furchtbar ernst nehmen. Ich wurde von ihr geblockt – ein Vorgang, den man in der realen Welt als Tür vor der Nase zuknallen beschreiben könnte.

Frau Sibylle, wie sie in ihrer SPON-Kolumne heißt, ist Autorin und Dramatikerin. Vielleicht eine leicht durchgeknallte, vielleicht sensible, auch angefeindete Frau und „erbarmungsloseste Schriftstellerin deutscher Sprache“ (sagt das Feuilleton), Ikone des linken Establishments. Bislang konnte ich mich nicht zum Lesen ihrer Bücher entschließen, ich bummle aber gelegentlich durch ihre Kolumnen, deren Ansichten ich ausnahmslos nicht teile. An den einen Weihnachtstext aber „In dieser verdammten Nacht“ (SPON 22.12.2012) erinnere ich mich noch heute, so stark fand ich den. Ich folge Frau Sibylle auf Twitter, weil ich offen bin für verschiedene Meinungen, auch wenn sie mein geistiges Wohlbefinden streckenweise derart strapazieren, dass Schnappatmung die Folge ist.

Zu einem Beitrag der Tagesschau über die Grossrazzien in der linksextremen Szene wegen den G20-Krawallen schrieb Frau Sibylle ihren 70.000 Followern: „WTF“. WTF steht für What the F*** und drückt, sagen wir, ein bisschen Missmut aus. Da Landfriedensbruch von meinem Blickwinkel aus kein übermäßig dehnbarer Begriff ist, kommentierte ich ihr „WTF“ mit «’WTF‘? WTF!». Offensichtlich konnte sie sich dafür nicht erwärmen, Sekunden später kam die Mitteilung: „Du kannst Sibylle Berg nicht folgen, da du blockiert wurdest.“ Zwischen Blocken und grosser Twitter-Liebe gäbe es noch diverse Abstufungen wie etwa das ehemals angewandte simple Ignorieren einer Person oder die Funktion „Stummschalten“. Blocken jedoch lässt keinen Spielraum für Zwischentöne zu.

Dass ausgerechnet Frau Sibylle mich auf Twitter blockt, schlug mir ein bisschen aufs Gemüt – nicht wegen der Aktion an sich, sondern weil jemand wie sie, der sich auf dem Twitter-Profil mit „Kaufe nix, ficke niemanden“ beschreibt, also jemand, der wohl Eier in der Hose hat, sich überhaupt zum Blocken herablässt. Frau Sibylle, die Zartbesaitete? Da gerät ein Weltbild für einen Moment ins Wanken. Und überhaupt, wo bleibt die Solidarität unter Frauen? Sind wir nicht grundsätzlich Schwestern im Geiste? Sie hat sogar mal für die gleiche Zeitung, die Basler Zeitung, geschrieben. Aber eben, die BaZ, dieses Nazi-Hetzblatt. Und jetzt noch ein Tweet von einer, die ganz offensichtlich kein Verständnis hat für Demonstranten, die ja nur friedlich Autos angezündet und die Stadt verwüstet haben.

Jemanden aufgrund einer abweichenden Meinung zu blocken, ist charakteristisch für die sozialen Medien. Gerade hier verschanzen wir uns in unserer kleinen Meinungsnische, lesen nur noch Meldungen, die unsere Weltanschauung bekräftigen, folgen nur Leuten, die unsere Meinung bestätigen, pausenlos. Mit anderen Ansichten setzen wir uns nicht auseinander. „Filter Bubble“ nennt sich das Phänomen, wo wir uns durch unsere ausgewählten Kontakte ein behagliches Örtchen unter Gleichgesinnten erschaffen.

Ein gutes Beispiel für eine bequeme „Filter Bubble“ ist mein Youtube-Kanal, wo ich jede Woche gesellschaftspolitische Ereignisse kommentiere. Wie die Like/Dislike-Quote der letzten beiden Videos zeigt – „Die Dornröschen-Posse“, 233:0 / „Schweden hat ein Problem“, 314:0 – kann sich eine Mehrheit der Zuschauer mit den Inhalten identifizieren. Das heisst nicht, dass keine Missbilligung existiert. Falls sie aber präsent ist, dann häufig stumm, denn wer sich in einem Konsens-Umfeld wähnt, passt sich lieber stillschweigend der vermuteten Mehrheit an – das ging aus einer Studie des Pew Research Center von 2014 hervor, die sich mit der „Theorie der Schweigespirale für das Internet“ befasste.

Die „Filter Bubble“ verbindet innerhalb der Gruppe, aber sie treibt auch einen Keil durch die Gesellschaft, spaltet sie in zwei Lager. So zumindest beschreibt es der US-Autor und Politologe Eli Pariser, der den Begriff „Filter Bubble“ entwickelt und ein Buch darüber geschrieben hat. Laut Pariser schotten wir uns in unserer „Filter Bubble“ vom Rest der Welt ab, glauben aber, die ganze, „normale“ Welt sei unserer Meinung. So können sich Fake-News verbreiten, ohne dass Gegenmeinungen oder Richtigstellungen in die Blase durchdringen können. Pariser hat auch herausgefunden, dass zwei Personen, die bei Suchmaschinen wie Google denselben Suchbegriff eintippen, aufgrund ihrer unterschiedlichen politischen Orientierung andere Suchergebnisse erhalten können. Ein Liberaler erhalte unter Umständen beim Suchbegriff „BP“ Ergebnisse zur Ölverschmutzung im Golf von Mexico, während der Konservative Informationen über die Gesellschaft für Investoren erhält (Wikipedia). Pariser hält die Algorithmen und das eigene Nutzerverhalten für die unterschiedlichen Resultate verantwortlich. Die Algorithmen würden unsere Vorlieben anhand der Seiten oder Bilder, die wir liken und mit Freunden teilen, erkennen – und uns andere Themen oder Seiten gar nicht erst vorschlagen. Die Entwicklung hält er für gefährlich, denn es hetze uns gegeneinander auf.

Bei Frau Sibylle lag ich falsch. Ihr Blocken war ein Missverständnis – oder so ähnlich. Wenig später kam ein Tweet: „Sie sind nicht blockiert. Immer 1 Mal ein & ausatmen. Shit happens.“ Auf Anweisung habe ich sofort einmal ein- und ausgeatmet. Dann bin ihr gleich wieder neu gefolgt, was sie wiederum mit einem „like“ honorierte. Zwei Filterblasen – ein versöhnlicher Abschluss. Auch das gibt’s.

Eine Kurzversion des Beitrags erschien zuerst in der Basler Zeitung.

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Kommentare ( 27 )

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Jens Schnell
6 Jahre her

Ich bin zwar nicht bei Twitter, aber bei dem Vorgang ging mir auch ein WTF durch den Kopf und zwar als ich die Berliner Zeitung dazu las:
https://www.berliner-zeitung.de/berlin/polizei/g20-razzia-linke-szene-wurde-vor-bundesweiter-durchsuchung-gewarnt-29020646

Anthea
6 Jahre her

„„Kaufe nix, ficke niemanden“

Eine Abwehrreaktion. Niemand bietet ihr etwas an, niemand möchte…..
“ Ich habe keine Lust auf Eure Party“ sagt die, die nicht eingeladen war. :-))). Sie hat eine PTBS. Deswegen auch eine grosse Narrenfreiheit . Und immer schon mein Mitleid. Nur meine Interesse schon ewig nicht mehr. Seien Sie doch froh , dass Sie geblockt sind. Das Leben ist zu schön und zu kurz, um sich den morbiden Gedanken von Frau B. zu witmen.

Beatrice Mayer
6 Jahre her

Wer weiss, vielleicht hat Frau Sibylle nur „entblockt“, weil Sie Tamara Wernli sind und dass Sie sich dazu öffentlich äussern könnten, wie Sie es auch getan haben.

Matthias Kaufmann
6 Jahre her

Hat so etwas nicht schon Cass Sunstein, ein Berater Obamas, vor Mr. Pariser formuliert?

NathanRosenhof
6 Jahre her

Das Phänomen der „Bubbles“ existiert doch schon viel länger und wird unter anderem auch schon von Walter Lippman in seinem Buch „Public Opinion“ 1922 theoretisch erfasst. Haben wir uns etwa früher dorthin begeben, wo unsere Meinung nicht vertreten wird, wo wir statt mit Gleichgesinnten eine Meinung zu teilen, mit Andersgesinnten gestritten haben und wo am Ende nicht die Emotionen entschieden haben, sondern der Gebrauch der öffentlichen Vernunft? Ich denke nicht.

elly
6 Jahre her

es sind diejenigen am Intolerantesten die immerzu nach Toleranz rufen. Weshalb ich den Spiegel schon lange nicht mehr lese. Auch nicht online

Pitt Arm
6 Jahre her

Sie haben vollkommen Recht! Ich boykottiere seit 2 Jahren SPON, ZON, ARD, ZDF etc. und mache es mir in meiner „liberal-konservativen“ Filterblase auf Achgut und Tichy bequem. Als tagesaktuelles Medium kann man noch „Welt“ oder ausländische Medien lesen. Wenn ich heute nochmal zurückzappe haut es mich aus den Socken, wie links die „etablierten“ Medien alle sind. Wir müssen wieder einen echten Diskurs lernen. Das haben uns die linksgrünen Meinungsdiktatoren gründlich ausgetrieben. Genau hier kämen meiner Meinung nach eigentlich die ÖR-Medien ins Spiel. Dort müsste man unvoreingenommen verschiedene Meinungen darstellen, verschiedene Blickwinkel in der Berichterstattung aufzeigen. Das passiert aber nicht. Stellen… Mehr

Frank Stefan
6 Jahre her

Frau Sibylle ist in meinen Augen unerheblich. Der Fehler, unser Fehler, ist zu glauben, wir müssten denen, die am lautesten schreien, am gröbsten Fluchen und bei Tisch den dicksten Fladen auf den Teller des Nachbarn husten mit Gefolgschaft dienen. Aber wir erkennen nicht, dass das keine Führungspersonen, nicht einmal Personen sind. Dadurch, letztlich durch unser Missverständnis, erleben die ihre gewünschte gesellschaftliche Levitation. Die Lösung kommt mal wieder von Menschen mit einer angenehmen Arroganz: den Österreichern. Und mit ihrem typischen Schmäh: nicht einmal ignorieren sollte man solche.

Rainer Franzolet
6 Jahre her

Nur mal so als Beispiel. Ich wähne mich nicht in einer Filterblase, wenn ich Leuten wie Schulz oder Merkel Irrationalität unterstelle und allen, denen das nicht so geht Ahnungslosigkeit. Genau so wenig nehme ich Leute für voll, die auf einer Scheibe leben oder an konkretes ausleben von Sexfantasien nach ihrem Ableben glauben, wenn sie nur zu ihren Lebzeiten genug Schaden unter ihren Mitmenschen anrichten. Für mich sind das schlicht Irre. Das Verhalten vieler MSM Leute, alles, was ihrem ideologischen Ziel nützen könnte zu hofieren oder zu verklären egal welche Verbrechen begangen werden, ist vielleicht deren Filterblase geschuldet. In meinen Augen… Mehr

Rico Martin
6 Jahre her

Die primitive Sybille ist so primitiv, die darf man nicht mal ignorieren. Solche extremen linksradikalen Geschwüre erfordern dringend unseren Widerstand!