Die AfD ist keine verfassungswidrige oder gar zu verbietende Partei, so Staatsrechtler Rupert Scholz

"Die AfD ist in der Form, in der sie heute besteht, keine verfassungswidrige oder gar zu verbietende Partei", sagt der ehemalige Bundesminister und renommierte Staatsrechtler Rupert Scholz. Demokratiedefizite sieht er eher bei den Gegnern, die dafür das Grundgesetz fehlinterpretieren.

IMAGO - Collage: TE

Professor Scholz (*1937) war von 1972 bis 1978 an der Freien Universität Berlin und von 1978 bis 2005 an der Ludwig-Maximilians-Universität München Professor für Staatsrecht/Öffentliches Recht. Von 1981 bis 1988 war er in verschiedenen Ämtern Senator in Berlin, 1988/89 Bundesminister der Verteidigung und von 1990 bis 2002 Mitglied des Deutschen Bundestages. Das Gespräch führte Josef Kraus.

Tichys Einblick: Soeben ist über ein sogenanntes „Recherche-Magazin“ bekannt geworden, dass sich im November 2023 in Potsdam in einer früheren Adlon-Villa einige sogenannte Rechte und Identitäre getroffen hätten, um über Remigration zu diskutieren. Remigration – das erinnert eigentlich ein bisschen an den Ampel-Koalitionsvertrag, wo wörtlich steht, „wir starten eine Rückführungsoffensive“. Nun attestieren Politik, Innenministerin Nancy Faeser voran, und die Medien der Runde Verfassungsfeindlichkeit, reden von einem AfD-Verbot. Frage: Ist so ein Treffen schon verfassungswidrig?

Rupert Scholz: Eindeutige Antwort: nein. Ich habe das Recht als Bürger auf Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit. Auch wenn jemandem meine Meinungen nicht gefallen, so ist natürlich auch ein Treffen mit Menschen, die ich nicht akzeptieren kann oder will aus irgendwelchen Gründen, nicht für sich genommen bereits verfassungswidrig.

Was wird mit einer solchen öffentlichen Reaktion auf dieses Novembertreffen erreicht – wenn gar unter Anspielung auf den nahegelegenen Wannsee eine Assoziation hergestellt wird mit der Wannseekonferenz vom 20. Januar 1942?

Ich halte das nicht nur für außerordentlich fragwürdig, sondern auch für gefährlich. Aber solche Anspielungen sind leider üblich geworden. Es ist üblich geworden, jeden, der konservativ argumentiert, gleich als Extremisten, als Rechtsextremisten, ja als Nazi zu etikettieren. Dass der Nationalsozialismus verfassungsfeindlich ist, dass der Nationalsozialismus bekämpft werden muss, ist selbstverständlich für eine Demokratie. Aber für eine Demokratie sind auch selbstverständlich die Meinungsfreiheit und das Recht des Einzelnen, sich politisch zu artikulieren oder auch gegebenenfalls zu organisieren, etwa in einer konservativen, einer rechten Richtung. Wer dies von vornherein mit Begriffen wie Nazi versieht oder beschimpft, der betreibt ein gefährliches Spiel. Er bekämpft nicht, was er zu bekämpfen vorgibt, sondern er bekämpft die Meinungsfreiheit.

In vermeintlich etwas dezenter Form wird gerne gewarnt vor sogenannten Verschwörungstheorien von Populisten, Corona- und Klimaleugnern. Steckt dahinter nicht eine Art Meta-Verschwörungstheorie?

Solches Argumentieren ist undemokratisch, um nicht zu sagen: antidemokratisch. Und wer die Demokratie, wie von diesen Leuten meist behauptet wird, schützen will, der tut hier genau das Gegenteil. Demokratie fordert Offenheit, Pluralität, Freiheit des Einzelnen und ist nicht von vornherein zu verurteilen oder zu diskriminieren.

Wie ist die um sich greifende öffentliche Debatte um ein Verbot der AfD zu werten?

Eindeutig: Nach Artikel 21 Grundgesetz sind Parteiverbote nach der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nur dann statthaft, wenn eine bestimmte verfassungsfeindliche Haltung oder Meinung in Aggressivität, in wirklichen Angriff auf unsere demokratische Grundordnung, einmündet oder solches praktiziert wird. Die Verfassungslage ist klar. Es ist nicht zu akzeptieren, ständig öffentlich zu debattieren, ob ein solches Verbot anzustrengen ist. Das läuft auf eine Wählerbeschimpfung hinaus.

Im Zusammenhang mit der Debatte um ein Verbot der AfD: Halten Sie es für legitim, wenn sich, was ja offensichtlich bei früheren Urteilen geschehen ist, Karlsruhe und Bundesregierung hier vorab austauschen?

Wenn so etwas geschieht, ist das höchst problematisch. Das Bundesverfassungsgericht ist ein Verfassungsorgan von höchstem Rang und auch von hohem Ansehen. Mit Recht. Aber wir haben eine Gewaltenteilung, und die Exekutive ist nicht berechtigt, sich mit dem Bundesverfassungsgericht über bestimmte Inhalte, mögliche Entscheidungen oder Verfahren auszutauschen. Das Bundesverfassungsgericht selbst kann das natürlich tun, wenn es etwa von der Regierung Auskünfte und auch Stellungnahmen einfordert. Aber das gilt nicht umgekehrt, dass etwa die Regierung Einfluss nehmen darf auf die Meinungsbildung im Verfassungsgericht.

Angenommen, ein Verfassungsorgan wie Bundestag oder Bundesrat oder Bundesregierung würde einen Antrag auf ein AfD-Verbot stellen. Wäre hier auch eine Eilentscheidung möglich, oder würde sich das länger hinziehen, mit allen möglichen politischen Folgen?

Heute wird allzu leichtfertig, undemokratisch, aus meiner Sicht unverantwortlich darüber spekuliert, ob man die AfD verbieten kann. Die AfD ist in der Form, in der sie heute besteht, keine verfassungswidrige oder gar zu verbietende Partei. Und ich habe vorhin schon gesagt, wer in dieser Weise argumentiert, der begeht Wählerbeschimpfung, und das ist undemokratisch. Manchmal hat man auch den Eindruck, es geht hier um das Bekämpfen einer Partei, gegen die man in der politischen Auseinandersetzung aktuell nur schwer besteht und der man sich als eines unbequem gewordenen Gegners mit nicht mehr verfassungsmäßigen Mitteln entledigen will.

Verhalten sich die Verfassungsschutzämter des Bundes und etwa der ostdeutschen Länder korrekt, wenn sie davon ausgehen, dass AfD-Landesverbände beispielsweise – wörtlich – gesichert rechtsextrem seien?

Es gibt in der AfD auch rechtsextreme Strömungen oder einzelne Mitglieder, die man rechtsextrem nennen kann. Das ist sicherlich richtig. Der Verfassungsschutz hat das Recht und gegebenenfalls die Pflicht, solche Entwicklungen zu beobachten, aber er hat nicht das Recht, damit in die Öffentlichkeit zu gehen und auf die allgemeine politische Auseinandersetzung in politisch gewünschter Weise Einfluss zu nehmen.

Das heißt also, der Verfassungsschutz dürfte im Grunde genommen nur dem jeweiligen Innenminister zuarbeiten.

So ist es. Das entspricht der Aufgabe der Verfassungsschutzämter. Ein Präsident eines Verfassungsschutzes aber, der, wie geschehen, in die Öffentlichkeit geht und dort etwa vor einer angeblich oder vermeintlich rechtsextremen AfD warnt, überschreitet seine Befugnisse. Das steht dem Chef eines Verfassungsschutzamtes nicht zu.

Um beim Verfassungsschutz zu bleiben: Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Mai 2021 den neuen Phänomenbereich „Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates“ eingeführt. Statt Phänomenbereich hätte ich fast schon Phantombereich gesagt. War das Bundesamt für Verfassungsschutz da gut beraten?

Nein!

In diesem Zusammenhang: Darf man eigentlich noch etwas sagen gegen Wärmepumpe, Elektroautos, Corona-Impfung, Corona-Test, Corona-Maske, darf man gegen Rundfunk-Zwangsgebühren, gegen das Davos-Forum, gegen illegale Zuwanderung sein? Oder ist das schon Delegitimierung des Staates?

Das ist legitime politische Meinungsäußerung, nichts anderes, und wenn ich hier von Delegitimierung des Staates spreche, dann bedeutet das eigentlich, dass ich dem Staat seinerseits ein politisches Meinungsmonopol zuordne. In der Demokratie gibt es das aber nicht. Demokratie beruht auf Meinungsfreiheit, Meinungsoffenheit und Meinungspluralität.

Indirekt zum Verfassungsschutz: Passt es zu einem Rechtsstaat, wenn sogenannte Recherche-Netzwerke oder Stiftungen wie die Amadeu Antonio Stiftung willentlich oder unwillentlich den Geheimdiensten zur Hand gehen, wenn kommunale Behörden oder Stiftungen oder sogar Bundesbeauftragte Meldeportale einrichten?

Das ist ebenso undemokratisch wie rechtsstaatlich nicht gerechtfertigt.

Eine grundsätzliche Frage an den Staatsrechtslehrer Scholz: Was eigentlich bedeutet verfassungswidrig, verfassungsfeindlich oder gesichert verfassungsfeindlich? Was sind die Kriterien?

Es geht um Ziele und Inhalte, die gegen unsere Verfassungsordnung gerichtet sind und die auch bereits das Maß von aggressiver Gefahr erreichen. Das ergibt sich aus Artikel 21 Grundgesetz für das Parteienverbot, und das ergibt sich ebenso aus der übrigens niemals bisher praktisch exekutierten Verwirkung von Grundrechten nach Grundgesetz Artikel 18.

Wird man der Rechten, der sogenannten Rechten, der AfD Herr, indem man politisch und medial ständig davor warnt und über ein AfD-Verbot diskutiert, sogenannte Brandmauern errichtet, der Erasmus-Stiftung staatliche Gelder verweigert, die AfD von Ämtern in Parlamenten, etwa Vizepräsidenten-Posten und Ausschussvorsitzen ausschließt? Oder hat das vielleicht das Gegenteil zur Folge?

Zu den Parlamentsämtern: So etwas ist in dem Sinne gerechtfertigt, dass man einen Abgeordneten der CDU, SPD oder Ähnlichem nicht zwingen kann, einen bestimmten AfD-Politiker zum Vizepräsidenten des Bundestages oder zum Vorsitzenden eines Rechtsausschusses zu wählen. Da gilt das Wahlrecht, die Wahlfreiheit des Abgeordneten geht vor. Auf der anderen Seite aber muss man auch sehen, dass in der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages vorgesehen ist, dass zum Beispiel im Präsidium des Deutschen Bundestages alle Fraktionen zu beteiligen sind. Es würde vieles dafür sprechen, wenn man hier eine klare, saubere, nach beiden Seiten hin saubere Regelung schaffen würde.

Halten Sie es für korrekt, wenn sich der mittlerweile ausgeschiedene, frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Voßkuhle in die Debatte um ein Verbot beziehungsweise die Verfassungswidrigkeit der AfD einmischt?

Das ist zumindest äußerst unklug. Er sollte sich einer Zurückhaltung befleißigen, also besser schweigen. Das gilt für jeden ausgeschiedenen wie aktiven Verfassungsrichter, auch gerade um die Unbefangenheit und Objektivität des obersten Gerichts zu wahren. Die Verfassungsrichter, aktive und ehemalige, müssen sich bei politischen Diskussionen Zurückhaltung auferlegen.

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Kommentare ( 151 )

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Grobi
11 Monate her

Die jetzt agierenden Personen und Parteien, auch aus der Regierung, machen mit ihrem grundgesetzwidrigen Vorgehen in dieser Angelegenheit das Abwehrrecht nach Art.20 GG Abs.(4) eindeutig möglich, was aussagt, dass die jetzige Reg. auch mit Waffen-, Sprengstoff- und anderer Gewalt beseitigt werden darf um wieder einen verfassungsrechtlichen Zustand herzustellen.
Wenn die das tatsächlich so wollen, dann sollen sie mal weitermachen!

AndreasH
9 Monate her
Antworten an  Grobi

Im genannten Art. 20 GG Abs. 4 steht der Passus „[…] wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“. Es sind also zuvorderst die legalen Möglichkeiten der Abwehr des übergriffigen Staates anzuwenden. Erst wenn diese fehlgeschlagen sind, ist der bewaffnete Widerstand in Erwägung zu ziehen. Wir sind noch lange nicht so weit, dass bewaffneter Widerstand statthaft wäre.

AlexR
11 Monate her

Rupert Scholz wird demnächst als N@zi und AfD-Sympathisant von der linksgrünen Hampel diffamiert werden. Wäre doch gelacht, wenn man da nicht irgendwas in der Vergangenheit findet, um hier eine Rufmordkampagne zu starten. Die SZ weiß ja, wie man das angeht. Vielleicht findet sich in Scholz’ Ranzen aus der Grundschule ein entsprechendes Papier, das man einer rächten Vergangenheit zuordnen kann.

Es ist unglaublich, was sich die Altparteien und Kirchen anmaßen. Besonders verwerflich finde ich die Kirchen. Die haben dazu überhaupt keine Aussagen zu machen.

Last edited 11 Monate her by AlexR
maru
11 Monate her

Es ist mal wieder eine Verdrehung:
Delegitimierung der Opposition, der per Framing vorgeworfen wird, den Staat zu delegitimieren.
Die verdrehen alles bis es auf dem Kopf steht.

Emsfranke
11 Monate her

Herr Scholz ist ein alter erfahrener weißer Mann. Er ist, wie jüngst nun auch die harmlos geglaubten Landwirte, eine Gefahr für das verderbliche Polit-Kaspertheater, das sich seit mindestens 20 Jahren aus unserer Hauptstadt mit immer neuen Aufzügen auf der Bühne des deutschen „Weltenrettungstheaters“ zuträgt. Das Drehbuch hat der hegemoniale Finanzkomplex erschaffen, und die darstellende Besetzung der Berliner Politbühne ist sich des tosenden Applauses der Verfasser und derer Hintergrund-Regisseure sicher. „The Show must go on“, werden wir in den kommenden Tagen aus Davos bis in die hinterste Stube zu hören bekommen. Genau aus diesem Grund wird auch dieser alte weiße Mann,… Mehr

Ralph Martin
11 Monate her

Eine Partei die teilweise über 30% Zustimmung der Menschen erhält kann per Definition nicht extrem sein.
Extrem können nur die Ränder sein.

AndreasH
9 Monate her
Antworten an  Ralph Martin

Ihre Behauptung ist völlig absurd. Wenn NSDAP, DKP oder SED sich neu konstituierten und 30 Prozent Zustimmung bekämen, dann wären sie deshalb keinen Deut weniger extrem.

Klaus Uhltzscht
11 Monate her

In dem Interview kommen weder neue Fragen noch neue Antworten. Und, nein, ich finde es richtig, daß der ehemalige Präsident des BVG, Herr Voßkuhle, laut und mutig mahnt.

A rose is a rose...
11 Monate her
Antworten an  Klaus Uhltzscht

Welche „neuen Fragen und Antworten“ hätten Sie denn gerne gehabt?
Letztendlich geht es doch nur um eins: Ist die AfD verfassungsfeindlich und sollte man deshalb ein Verbotsverfahren anstreben?
Beides wurde hier beantwortet,
Wenn Ihnen das nicht reicht, könnten Sie sich natürlich auch selber informieren. In der Wissenschaft wird hierzu ein Quellenstudium empfohlen: also nicht die Meinungen anderer Menschen als Basis nehmen. Es würde sich das Parteiprogramm und die Reden z.B. der Parteivorsitzenden empfehlen, um ein unabhängiges Bild zu bekommen.

hoho
11 Monate her

Das Gericht muss AfD nicht verbieten, es ist genug als verfassungsfeindlich einzustuffen. Das ist was ich im Wikipedia dazu gefunden habe: „Im Juni 2017 änderte der Bundestag das Parteien- und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sowie das Steuerrecht und schuf einen neuen  Art. 21 Abs. 3 GG, sodass Parteien, welche vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuft werden, von der Parteienfinanzierung ausgeschlossen werden können. Dies würde auch bedeuten, dass Spenden an diese Parteien nicht mehr steuerlich abgesetzt werden könnten und dass die steuerlichen Privilegien für die Parteien entfallen würden.“ Wir bestimmt einfacher als Verbot und sehr schmerzhaft. Dazu muss ich auch hier erwähnen, dass die Corona… Mehr

Chris Friedrich
11 Monate her
Antworten an  hoho

Dieser Haldenwang hat überhaupt nicht die Legitimation sich derart parteilich zu äußern. Er ist verfassungsmäßig ausschließlich dem Innenminister zur Aussage verpflichtet. Alle öffentlichen Aussagen, besonders in Parteifragen, sind außerhalb seiner Legitimität und dienen ausschließlich der Selbstdarstellung und der Inszenierung der „etablierten“ Parteien. Aber wahrscheinlich ist es auch Anbiederung an seine Innenministerin, um sein gut dotiertes Amt zu behalten und nicht so zu enden wie sein, von mir geschätzter, Vorgänger.

Klapa
11 Monate her

Auch das ZDF stimmt Herrn R. Scholz zu, dass die AfD von ihrer Parteiprogrammatik her nicht wie die NPD seinerzeit als rechtsextremistisch eingestuft werden kann.

Wilhelm Roepke
11 Monate her

Ist Professor Scholz schon aus der CDU ausgetreten? Wenn nicht, ist er für mich unglaubwürdig.

Vox critica
11 Monate her

Ich empfinde die gesamte Verbotsdebatte als höchst antidemokratisch.