Verfassungsrechtler Rupert Scholz: „Meines Erachtens spricht alles für Neuwahlen“

Rupert Scholz rechnet damit, dass Neuwahlen in Berlin notwendig werden, weil die Wahl zum Abgeordnetenhaus unter irregulären Umständen abgelaufen ist. Im TE-Interview sagt der Staatsrechtler, wie sich das auf die Regierung in der Hauptstadt auswirkt.

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Rupert Scholz

Rupert Scholz war von 1981 bis 1988 Senator in Berlin und danach bis 1989 Bundesminister der Verteidigung. 1972 nahm er den Lehrstuhl der Freien Universität Berlin als Professor für Öffentliches Recht an. Der Staatsrechtler sieht die Situation in der Hauptstadt als historisch einmalig an: Er hält es für wahrscheinlich, dass der Verfassungsgerichtshof Neuwahlen anordnen wird, weil die Wahl zum Abgeordnetenhaus im vergangenen Jahr unter unrechtmäßigen Zuständen ablief. Im TE-Interview sagt er, wie sich das auf die Legitimität des von Regierung und Parlament in Berlin auswirken würde.

TE: Herr Professor Scholz, hat Berlin derzeit einen legitimen Senat?

Rupert Scholz: Wir müssen natürlich erst einmal abwarten, bis sich der Berliner Verfassungsgerichtshof in der Sache entscheidet. Kommt es in der Folge zur Situation, dass die Wahl zum Abgeordnetenhaus wiederholt werden muss – meines Erachtens spricht alles dafür – dann haben wir tatsächlich die Situation, dass Berlin keinen legitimen Senat besitzt. Es gibt dann auch kein vollfunktionsfähiges Parlament mehr, das Gesetzesinitiativen ergreifen kann. Der Senat müsste sich dann auf die Aufgabe des Verwaltens beschränken.

Nun kann es zu Situationen kommen, in denen Verwalten nicht ausreicht. Zum Beispiel bietet das Infektionsschutzgesetz den Regierungen in den Ländern weitreichende Zugriffsrechte. Wäre es legitim, wenn der Berliner Senat diese anwendet?

TE-Exklusiv
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Das Gesetz besteht ja. Insofern ist es zu vollziehen, wenn gewisse Tatbestände eintreten. Wenn etwa verstärkt Probleme mit Corona eintreten und das Gesetz für den Fall gewisse Maßnahmen fordert, also dass bestimmte Beschränkungen erlassen werden – dann gehört es zu den Aufgaben des Senats, diese auch umzusetzen. Auch wenn er auf nicht legitime Weise zustande gekommen wäre.

Nun lässt das Infektionsgeschutz ja den Regierungen viel Spielraum, weil es nicht klar beschreibt, wann welche Maßnahme zu ergreifen ist. Darf ein Senat, dessen Legitimität in Frage steht, so weitreichend entscheiden?

Die Kritik, die Sie am Infektionsschutzgesetz formulieren, ist berechtigt. Das Gesetz ist mit einer Fülle von Mängeln behaftet und die wirken sich in dieser Situation negativ aus. Aber das Infektionsschutzgesetz gehört zu den Belangen des Bundes, also darf es nicht zu Lasten der Länder gehen. Der Berliner Senat müsste daher, auch falls eine Wahlwiederholung notwendig wird, im Rahmen dieses Gesetzes als Verwaltung tätig werden.

Das oberste Berliner Verfassungsgericht sagt, in Berlin gebe es derzeit keinen verfassungskonformen Zustand. Die Politik – allen voran die SPD – zögert aber eine Neuwahl heraus. Zuerst wird sie das Urteil abwarten, dann die Übergangsfrist bis gewählt werden kann. Wie wirkt es sich aus, dass die Situation so lange in dem derzeit unbefriedigenden Zustand bleibt?

Wenn es so kommt, dass das Gericht eine Neuwahl als notwendig erachtet, dann ist das in der Tat eine schlimme verfassungsrechtliche Situation. Dann gilt es, so schnell wie möglich, Neuwahlen einzuberufen, damit Berlin wieder einen legitimierten Senat bekommt. Was mich allerdings irritiert, sind Äußerungen aus der Politik, wie sie zum Beispiel von Berlins Innenstaatssekretär Torsten Akmann (SPD) kommen. Er behauptet, die Mängel seien bei der Wahl gar nicht massiv gewesen, demnach seien auch keine Neuwahlen notwendig. Hier gibt es offensichtlich politische Vertreter, die an Ämtern hängen und hoffen, nicht für illegitim erklärt zu werden und auch unberechtigt im Amt bleiben zu können.

Gab es in der Bundesrepublik schon vergleichbare Situation oder ist die Lage in Berlin historisch einmalig?

Ich sehe in der Geschichte der Bundesrepublik keine vergleichbare Situation. Es hat bisher keine Situation gegeben, in der es Neuwahlen geben könnte, weil ein Landesparlament nicht legitim gewählt worden ist. Juristisch ist die Situation aber zu vergleichen mit der nach regulären Wahlen. In der Übergangszeit der Regierungsbildung bleibt dann auch die alte Regierung im Amt und regelt die Dinge – schon damit kein Chaos ausbricht.

Nun dauern die von Ihnen beschriebenen Übergangsphasen in der Regel drei Monate. 2017 waren es im Bund mal fast sechs Monate. In Berlin zeichnet es sich aber ab, dass Rot-Rot-Grün den Prozess so lange wie möglich in die Länge ziehen will. Dann könnte es schnell ein Jahr dauern, bis tatsächlich gewählt wird. Ist das eine zufriedenstellende Situation?

In der Frage kann man derzeit noch kein Urteil abgeben. Wir brauchen die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes. In der Zwischenzeit ändert sich gar nichts. Das muss man abwarten.

Würden Sie Rot-Rot-Grün empfehlen, von sich aus Neuwahlen anzustreben?

Wenn sie es tun würden, wäre es ja gut so. Aber es wird voraussichtlich nur dann Neuwahlen geben, wenn der Verfassungsgerichtshof entsprechend urteilt.


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Kommentare ( 17 )

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Thorsten
2 Jahre her

Gegen Neuwahlen spricht, dass eine Koalition regiert, die bei den Wahlen verlieren werden. Da eventuell die Linken ihre Direktmandate verlieren, könnte der Wahlausgang die ganze Regierung ins Rutschen bringen.
Also ich wette ein Sixpack Perlenbacher, dass diese Wahlen höchstens in einem frevelhaft geringem Maße nachgeholt werden und nicht in dem vom Gericht angemahnten Umfang.
Stichwort: „grundrechtsschoned“ und „kein öffentliches Interesse“.

PS: in Thüringen gibt es auch keine Neuwahlen.

Last edited 2 Jahre her by Thorsten
Fabian S.
2 Jahre her

Die da oben und dazu gehört auch Rupert Scholz machen was sie wollen! Da wird seit einem Jahr eine offensichtlich ungültige Wahl vor sich hergeschoben, munter regiert und alle schwadronieren nur rum anstatt endlich eine legitime Wahl durchzuführen. Aber was soll man auch von einem Land erwarten, wo es weder Gewaltenteilung gibt noch das Grundgesetz mehr gilt. Und die Medien zeigen in Perfektion wie Propaganda funktioniert. Von der Justiz ganz zu schweigen, die haben schon zwei mal in der dunklen deutschen Zeit mitgemacht und machen es auch jetzt wieder.

reiner
2 Jahre her

rupert scholz,der berliner senat ist nicht demokratisch legitimiert ,soll aber bestimmen,wie wir schíkaniert werden ,dass verstehen wahrscheinlich nur staatsrechtler.einer,der nicht gewählt ist kann auch keine übergangslösung darstellen,dann eben vom kanzleramt aus.ist doch alles ne farce.die hier abläuft. der geisel müßte längst in u haft sitzen..

Juergen Waldmann
2 Jahre her

TE verhilft mit seiner Aufklärung zum Wahlbetrug in Berlin dem Ansehen unseres Staates . Im Ausland haben wir schon an Ansehen verloren , denn in welchem “ demokratischen Staatswesen “ wären solche Mauscheleien möglich ? Dass jetzt von der alten SPD die Neuwahl verschleppt wird , das kann nur bei einem Kanzler passieren , der selber Angst vor Aufklärung hat !

Peter Pascht
2 Jahre her

„meines Erachtens“, „spricht alles dafür“, das ist die gleiche Eiertanz-Sprache wie von Politikern, nicht die Sprache die man von einem Fachexperten Juraprofessor, erwarten muss.
Eine eindeutige rechtliche Positionierung klingt anders.
Was sagen Grundgsetz und Wahlgesetz ?
im Angesicht der unbestreitbaren Beweise dieTE vorliegen.
Das wäre die eindeutige Antwort gewesen, die ich von einem Mann, eines Professors des Rechts erwarte, anstatt rechtlich wertlose persönliche Meinung.

Last edited 2 Jahre her by Peter Pascht
Peter Pascht
2 Jahre her

Bürger dürfen Wahl-Überwachungskommitees bilden, lt. Recht und Gesetz,
so wie dies in anderen Ländern auch geschieht.
Siehe dazu die gesetzlichen Regelungen.

JamesBond
2 Jahre her

Rot-Grün-Linke sind Kommunisten dh. es wird erst Neuwahlen geben, wenn diese vom Verfassungsgericht angeordnet werden.

moorwald
2 Jahre her

Als versierter und erfahrener Jurist äußert sich Prof. Scholz so, wie es die augenblickliche Lage erfordert und ermöglicht. Nüchtern und frei von Wunschdenken.
Man darf von ihm keine politische Stellungnahme erwarten – auch wenn mancher sich das wünschen mag.

moorwald
2 Jahre her

Verfassungsrecht vergeht, Verwaltungsrecht besteht. Der Senat als bloßes Verwaltungsorgan kann noch lange überleben und handeln.

Peter Pascht
2 Jahre her

Schön dass dies nun ein renomierter Verfassungsrechtler bestätigt: „Verfassungsrechtler Rupert Scholz: „Meines Erachtens spricht alles für Neuwahlen“ was ich hier schon seit Tagen auch schreibe. Allerdings, ist das ungewisse seiner Aussage, „Meines Erachtens“, typisch für den ungewissen Zustand dieser Republik. Es gibt in einem Rechtstaat kein „Meines Erachtens“, sondern Grundgesetz und Gesetzes die eine eindeutige Antwort geben. Alles andere ist das Papier nicht wert auf dem es geschrieben steht. Es muss Neuwahlen geben, in Berlin UND im Bund, wegen gesetzwidrigem und verfassungswidrigem Ablauf der letzten Wahlen. Ein „bisschen“ gestzwidrig, oder ein „bisschen“ verfassungswidrig, gibt es nicht, denn „ein bisschen schwanger“… Mehr