„It’s the culture, stupid“ – Lehren aus der Wahl in Polen

Die kürzlichen Wahlen in Polen offenbarten Risse in der konservativen Hochburg Europas. Zwar wurde die PiS wiederum stimmenstärkste Partei, doch die Koalitionsbildung dürfte sich schwierig gestalten. Über etwaige Fehler der PiS sowie mögliche Lehren für Europas Konservative unterhielten wir uns mit David Engels.

Privat / David Engels

Bei den Wahlen in Polen vor wenigen Wochen überzogen dunkle Wolken das wertkonservative Lager der PiS. Zwar konnte die Partei von Ministerpräsident Morawiecki ihren Platz als stimmenstärkste Partei behaupten, aber deutliche Stimmenverluste führten dazu, dass es schwierig werden könnte, eine Koalition zu bilden. Die liberalen Herausforderer um Donald Tusk stehen bereits parat, um das Ruder zu übernehmen und damit eine der konservativen Hochburgen Europas zu Fall zu bringen. Über mögliche Zukunftsperspektiven, sowie Lehren für konservative Bewegungen anderswo in Europa, unterhielten wir uns mit dem in Polen ansässigen TE-Gastautor David Engels.

Tichys Einblick: Vor wenigen Wochen fanden in Polen Wahlen statt, und die bislang regierende PiS musste herbe Verluste einstecken, sodass es, obwohl sie nach wie vor stimmenstärkste Partei ist, für eine Koalition mit Mehrheit wohl nicht reichen wird. Welches Szenario zeichnet sich denn momentan ab und welche Implikationen erwachsen daraus?

David Engels: Das ist gar nicht so einfach zu sagen, wie es scheint. In den westlichen Medien wird natürlich behauptet, die Macht würde jetzt automatisch von der Opposition übernommen werden. Ganz so einfach ist die Sache aber nicht. Die Regierungsbildung liegt ja formal in den Händen von Präsident Duda, welcher der PiS recht nahe steht; und sein konstitutioneller Auftrag ist es, die stärkste Partei mit der Regierungsbildung oder doch zumindest mit einer ersten Sondierungsrunde zu beauftragen – das wäre immer noch PiS. Die linksliberale Opposition ist aber vorgeprescht, hat selbst schon eine Art Regierung vorgestellt und ihre feste Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass kein Weg an dieser Lösung vorbeiführe, sie die absolute Mehrheit im Sejm [polnisches Parlament; Anm. d. Red.] innehabe und entsprechend allein fähig ist, eine Regierung zu bilden.

Dennoch hat Duda die gegenwärtige Situation als „diffizil“ bezeichnet, da ihm zufolge „zwei Möglichkeiten“ bestünden, die es auszukundschaften gelte. Das wird von der Opposition natürlich sehr stark kritisiert, die hervorhebt, dass es keine rechnerische Möglichkeit für die PiS gibt, eine parlamentarische Mehrheit zu erhalten. Jetzt stellt sich daher die Frage nach der Position Dudas: Wird er letztlich der Opposition den Vorrang geben, oder wird er versuchen, bis zur letzten Sekunde der PiS treu zu bleiben? Eine weitere wichtige Frage ist, ob Duda in Zukunft sein präsidentielles Veto ausüben wird, um jedes parlamentarische Gesetz, das ihm nicht passt, systematisch zu verunmöglichen und damit die neue Regierung zu behindern, oder ob er vielmehr versuchen wird, sich „konstruktiv“ am neuen politischen Kurs zu beteiligen?

Die Lösung hängt von der Natur seines persönlichen Ehrgeizes ab: Wird Duda sich als Erbe Kaczyńskis profilieren wollen, der eines Tages die Partei übernehmen kann, um bei den nächsten Wahlen die Revanche einzuleiten, oder strebt er, wie manche spekulieren, ein höheres internationales Amt an, für das es sehr wichtig wäre, die Unterstützung der gegenwärtigen Regierung zu haben?

Wie erklärt sich Ihrer Meinung nach der Abbau der Wertkonservativen? Denn dass die Städte allerorts links-progressive Hotspots sind, ist ja hinlänglich bekannt. Aber die PiS verlor ja sogar auf dem Land an Zuspruch, obwohl die Coronapolitik in Polen vergleichsweise mild war und auch die Unterstützung für die Ukraine gerade anfänglich auf großen Zuspruch in der Bevölkerung stieß. Was hat die PiS denn falsch gemacht?

David Engels: Es gab eine ganze Reihe von Fehlern, auch wenn die Regierung natürlich auf sehr viele Erfolge verweisen kann. Polen erlebt eine blühende wirtschaftliche Konjunktur, übt im Vergleich zur Vergangenheit eine starke außenpolitische Rolle aus, hat ein gut funktionierendes Sozialsystem aufgebaut, wurde acht Jahre lang auf einen wertkonservativen Kurs eingeschworen, erfuhr endlich eine Demokratisierung seines Rechtssystems und vieles mehr.

Aber es gab eben auch einige Fehler. Erwähnen wir zuerst diejenigen struktureller Art. Auch Polen ist verstärkt dem unterworfen worden, was man die moderne hedonistische Konsumgesellschaft nennen kann; nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturell – dagegen kann eine demokratische Regierung nur sehr wenig unternehmen, solange jeder junge Mensch dank Smartphone unmittelbar mit jener „brave new world“ verbunden ist. Aber es gab natürlich auch einige konkrete Probleme. Da wäre etwa der oft ungeschickte Umgang mit der EU. Zwar war es klar, dass diese die Demokratisierung des Rechtssystems und die Ausschaltung linksliberal aufgestellter postkommunistischer Richtereliten nicht positiv sehen würde, aber ich denke, es wäre vermeidbar gewesen, das Ganze so eskalieren zu lassen: Mit ein bisschen mehr Diplomatie hätte man den ganzen Konflikt durchaus auf kleinerer Flamme halten können.

Ferner mögen die Polen es nicht, wenn sie jahrelang in der gesamten westlichen Presse als Bürger eines autoritären, quasi „klerikalfaschistischen“ Staates beschimpft werden: Polen ist glücklich, nach Jahrhunderten russischer Besatzung endlich wieder im Westen angekommen zu sein; da fällt es vielen Bürgern psychologisch sehr schwer, permanent mit dieser Diffamierung umzugehen. Ein weiteres wichtiges Problem war die Abtreibungsfrage. Polen verfügte über eine bereits extrem restriktive Abtreibungsgesetzgebung, aber die Regierung hat vor einigen Jahren versucht, diese Restriktionen noch weiter zu verschärfen, dadurch schlafende Hunde geweckt und eine unerwartete Protestwelle hervorgerufen, die sicherlich auch erklärt, wieso gerade Frauen nun massiv gegen PiS gestimmt haben.

Und dann gab es noch einige kleinere Skandale; etwa die Affäre um angeblich massenweise in Afrika verkaufte polnische Arbeitsvisas – ein zwar immer noch nicht aufgeklärter Skandal, der die Position der Regierung gegenüber der Migration aber stark geschwächt hat. Insgesamt ist also ein Klima entstanden, das es der PiS zwar ermöglichte, trotz zweier Regierungsperioden immer noch stärkste Partei zu bleiben (was historisch einmalig ist), aber jegliche Koalition mit einer der linksliberalen Oppositionsparteien unmöglich macht, da deren Programm wesentlich darin bestand, eine Ablösung der vielen verhassten PiS zu versprechen. Zudem wissen diese Parteien genau, dass sie mehr davon zu profitieren haben, die PiS aus der Macht zu drängen und die Unterstützung der EU und Deutschlands zu erfahren, als in eine Koalition mit dem „Schmuddelkind der europäischen Demokratien“ zu treten und beim eigenen Wähler unglaubwürdig zu werden.

Mit welchen konkreten Veränderungen, innen- wie außenpolitisch, müsste man in Polen denn eigentlich rechnen, wenn es zu einer Koalition rund um Donald Tusk kommen sollte? Gerade im Zuge des Ukraine-Kriegs strebte Polen zunehmend den Status einer konservativen Hegemonialmacht an und beschloss auch weitreichende Investitionen in die Aufrüstung. Welche Pläne würde da eine Koalition um Tusk verfolgen, und wie würden sich die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Polen, die in den letzten Jahren – Stichwort Kriegsentschädigungen – durchaus angespannt waren, dann entwickeln?

Eine sehr komplexe Frage. In den letzten fünf Jahren in Polen habe ich eines gelernt: Zwischen Ankündigungen und Realitäten gähnt ein echter Abgrund, zumal es hier aufgrund der alten Tradition des „liberum veto“ einen nicht zu unterschätzenden allgemeinen Hang zur Anarchie gibt: Es ist im Guten wie im Schlechten sehr schwierig, ein politisches Programm systematisch durchzusetzen. Aber natürlich wird es der zu erwartenden neuen Regierung innenpolitisch darum gehen, all das abzuschaffen, was in den letzten Jahren an „umstrittenen“ Gesetzen erlassen wurde. Die Demokratisierung des Rechtssystems wird wieder auf den Status quo ante zurückgeführt werden, was wiederum enorme juristische Konsequenzen auf personalpolitischer Ebene haben dürfte.

Auch das Kindergeldprogramm soll komplett abgeschafft werden. Ebenfalls soll die Verstaatlichung gewisser Schlüsselbetriebe wieder zugunsten jener ungezügelten Liberalisierung rückgängig gemacht werden, für die Donald Tusk als Liberaler steht. Und selbstverständlich werden die Abtreibungsgesetzgebung und die LGBTQ-Politik liberalisiert werden. Über das Ausmaß dieser Maßnahmen wird man gegenwärtig aber nur spekulieren können, da die neue Koalition über eine sehr starke ideologische Bandbreite verfügt: von extrem links über christdemokratisch-zentristisch bis hin zu den Liberalen. Was die Außenpolitik betrifft, so wird Polen wohl auf weitere Alleingänge verzichten und sich erheblich stärker mit Brüssel und vor allem dem Deutschland von Olaf Scholz abstimmen, auch und gerade, was die Ukraine-Politik angeht.

Ganz sicherlich wird auch das Projekt einer massiven Aufrüstung der polnischen Armee auf das Notwendigste zurückgestutzt werden. Und hinsichtlich der Frage der Reparationen ist zu erwarten, dass es zwischen Tusk und Scholz ein rasches Einverständnis geben dürfte: Im Gegenzug für ein paar Denkmäler, Begegnungsorte, NGOs und Ausstellungen wird diese Frage sicher rasch als endgültig geklärt betrachtet werden – Projekte, die wohl, wie ich vermute, allesamt mit den üblichen Parolen wie „Kein Schritt nach rechts“ oder „Nie wieder Nationalismus“ gefärbt werden und die Forderungen nach mehr Diversität, Toleranz, Multikulturalismus und „Europa“ in den Vordergrund stellen dürften.

Aus linker Perspektive außerordentlich gut investiertes Geld, da unter dem Deckmantel der – in der Tat dringend notwendigen – deutsch-polnischen „Versöhnung“ eine linke polnische „Zivilgesellschaft“ aufgebaut werden dürfte, die langfristig jede Rückkehr der Rechten verhindern soll.

Gemeinsam mit Ungarn bildete Polen das konservative Rückgrat der Visegrád-Staaten, die zumindest für einige Jahre gegenüber Brüssel die Ambition vermittelten, ein ideologischer Gegenpol zur links-progressiven Brüsseler Politik zu sein. Nun war das alles bei weitem nicht so einheitlich, wie man es zu manchen Zeiten vielleicht erhoffte, und spätestens mit den unterschiedlichen Positionen Ungarns und Polens in der Ukraine-Frage wurden bereits deutliche Risse sichtbar. Wäre ein Ende der PiS-Regierung auch das endgültige Ende der politischen Interessengemeinschaft Visegrád – eine wirtschaftliche würde sie ja bleiben – oder wäre gar zu befürchten, dass nun selbst die Visegrád-Staaten Brüsseler Positionen übernehmen und diese unter ihren Mitgliedsstaaten propagieren? Könnte also ein links-progressives Visegrád nun zusätzlichen Druck auf zum Beispiel Ungarn ausüben?

Das Risiko besteht in der Tat. Es wird allmählich eng für den Konservatismus in Europa. Zwar verläuft Politik oft in Zyklen, und man soll auch bei künftigen Wahlen nie den einen oder anderen Erfolg ausschließen, aber ja: Polen fällt kurz- bis mittelfristig als konservativer Anker in Mittel-/Osteuropa aus; und als Alternative bleibt herzlich wenig übrig. Schweden zeigt zwar Ansätze einer konservativen Selbstbesinnung, steht aber erst am Anfang; das Italien Melonis ist gegenüber der EU extrem vorsichtig, da man angesichts der gewaltigen Staatsschuld keine Sanktionen wie vor kurzem in Polen oder Ungarn riskieren will; wie es mit Spanien weitergeht, ist unsicher.

Es bleibt gegenwärtig in Europa – nimmt man die Slowakei aus, die machtpolitisch nur wenig Gewicht besitzt – nur noch Ungarn übrig. Auch für die konservative Orientierung des Visegrád-Bunds wird der Wegfall der Achse Warschau-Budapest enorme Folgen haben. Natürlich haben die Visegrád-Staaten angesichts ihrer vergleichbaren Situation als postkommunistische aufstrebende Wirtschaften auch jenseits politischer Unstimmigkeiten gemeinsame wirtschaftliche Interessen; aber die kultur- und sozialpolitische Nibelungentreue gegenüber der EU, die trotz Ukraine-Krieg immer noch zwischen Polen und Ungarn bestand, wird jetzt wohl wegfallen.

Über die Konsequenzen für Ungarn können wir natürlich nur spekulieren. Die Position Viktor Orbáns ist zwar erheblich gefestigter als die der PiS es in Polen jemals gewesen ist; aber auch Ungarn ist (im Gegensatz zu dem, was die deutschen Medien gerne erzählen), eine Demokratie, und Viktor Orbán ein sterblicher Politiker wie alle anderen. Entsprechend werden wir auch hier früher oder später das Risiko einer politischen Transformation erwarten müssen.

Über viele Jahre galt Polen – gemeinsam mit Ungarn – als eines der konservativen Vorzeigeprojekte im Westen. Viele Menschen verbanden damit die Hoffnung, dass, wenn man nur endlich einmal einer wertkonservativen Regierung die Zügel in die Hand geben würde, die Dinge sich zum Besseren wenden würden, die Bevölkerung der jeweiligen Staaten profitieren und einsehen würde, dass dies der bessere Weg sei als der lange Marsch in den woken Untergang. Doch die herbe Niederlage, wenn man sie so nennen darf, in Polen gibt zu denken. Welche Lektionen können konservative Kräfte im breitesten Sinne in Deutschland und anderswo in Europa vom Beispiel Polens mitnehmen, um zu vermeiden, dass konservative Regierungsbeteiligungen mehr als nur ein Strohfeuer für einige Jahre sind?

Ich denke, das lässt sich in einem Satz zusammenfassen. Die Niederlage der Konservativen in Polen hat bewiesen, dass der Gedanke „It’s the Economy, stupid“ absolut falsch ist. Es ist gerade nicht die Wirtschaft, um die es geht, sondern die Kultur, und man sollte daher eher sagen: „It’s the Culture, stupid“ [„Es geht um die Kultur, Dummerchen“]. Mehr denn je hätte es in Polen darum gehen müssen, die Menschen – und zwar nicht nur die Rentner, sondern vor allem die jungen Menschen – von der moralischen Richtigkeit und der philosophischen Wahrheit des konservativen Projekts zu überzeugen, nicht nur von seiner wirtschaftlichen Profitabilität: Eine glaubwürdige Kulturpolitik ist heutzutage der absolute Schlüssel zur Macht; und wer die Kultur zugunsten von Wirtschafts- oder Sozialpolitik vernachlässigt, hat letztlich nichts an der Situation Europas verstanden.

Die PiS ist aber letztlich eine Rentner-Partei geblieben; auch innerhalb ihrer Eliten hat keine wirkliche innere Erneuerung stattgefunden. Dementsprechend haben die jungen Menschen, die ohnehin eher durch Netflix als TVP beeinflusst werden, sich weitgehend vom konservativen Projekt abgewandt: Sie verstehen es nicht, betrachten es als altmodisch, begreifen nicht, dass die Werte, für die der Konservatismus steht, letztlich überzeitlich sind und vor 4000 Jahren genauso gültig waren, wie sie es in 2000 Jahren immer noch sein werden.

Was PiS an Akademien, Universitäten, Eliteförderung oder Medien gegründet hat, ist geradezu lächerlich im Vergleich zu dem, was Viktor Orbán in Ungarn gelungen ist; und das wenige, das über das Stadium bloßer Versprechungen hinausgekommen ist, wurde durch Eigensabotage, Unvermögen oder Desinteresse im Keim erstickt. Ein richtiges kulturpolitisches Rollback ist nicht nur nicht gelungen, sondern ist in Wirklichkeit gar nicht versucht worden.

Polen gelten – als halber Pole kann ich bestätigen: nicht ganz unberechtigt – als stolzes Volk. Daraus lässt sich viel Kraft schöpfen, aber es kann einen manchmal auch vor tatsächlichen Gefahren blind werden lassen. Wie steht es um den polnischen Nationalstolz und welche Rolle spielt er in der sich gegenwärtig abzeichnenden Spaltung Polens?

Was Polen betrifft, so finden wir eigentlich zwei Formen des Patriotismus, die weit in die Vergangenheit zurückreichen. Auf der einen Seite hätten wir den Geist der polnischen Aristokratie, die zwar zum Großteil ausgestorben oder vernichtet worden ist, deren Überzeugungen aber immer noch fortbestehen. Diese Aristokratie war von Grund auf liberal, hat sich auch mit den polnischen Teilungen recht gut arrangiert, weil sie damit Zugang zum Petersburger, Berliner oder Wiener Hof erhielt, und sah auf die eigene Bauernbevölkerung mit Verachtung herab, definierte sie sich doch sogar ethnisch als Sarmaten und nicht als Slawen. Sobald sie es einrichten konnte, lebte sie lieber in Wien, London oder Paris als im polnischen Flachland, und betrachtete es als patriotische Pflicht, den Westen zu imitieren und dies auch ihren trotzigen Bauern einzubläuen.

Diese hingegen pflegten eine andere Art des Patriotismus, waren eng mit Land und Boden verbunden und standen allem, was russisch, preußisch, österreichisch oder französisch war, mit einer gewissen Distanz gegenüber: Sie waren es auch, die die eigentlichen Träger der polnischen Aufstände gegen die Teilungsmächte stellten. Der gegenwärtige Konflikt zwischen PiS und Bürgerplattform, zwischen Kaczyński und Tusk ist letztlich nur eine späte Frucht dieses Konflikts: Beide betrachten sich als „echte“ polnische Patrioten, beziehen sich gerne auf die Geschichte und brandmarken den anderen jeweils als „unpolnisch“ – eine etwas andere Situation als in den westeuropäischen Ländern, wo wir eine ähnliche Doppelung nur bedingt kennen.

Ein besonders identitätsstiftendes Moment in Polen war lange Zeit der Katholizismus, der auch eine zentrale Rolle bei der Überwindung des Kommunismus spielte. Aber auch in Glaubensfragen scheint es Risse zu geben. Nicht nur gelangten vor der Wahl Sexskandale von Priestern an die Öffentlichkeit, insgesamt zeigen Umfragen, dass die jüngeren Polen sich zumindest vom offiziellen Katholizismus abwenden. Wie Sie schon sagten, „It’s the Culture, stupid“, wir haben es also mit einem ganz zentralen Schlachtfeld des Kulturkampfs zu tun. Wie kann Polen dieses Band wieder stärken, oder sollten sich die Konservativen in Polen ein anderes identitätsstiftendes Moment suchen?

„Außerhalb der Kirche gibt es kein Heil“, wie wir alle wissen; daher stellt sich diese Frage natürlich nicht wirklich. Aber jetzt im Ernst: Der Niedergang der traditionellen christlichen Konfessionen ist ein europaweites Phänomen, wenn auch parallele Strukturen wie die Evangelikalen als individualistische Alternative durchaus einen gewissen Aufschwung erleben. Diese Entwicklung findet auch in Polen statt. Gerade in den letzten drei oder vier Jahren hat ein unglaublicher Niedergang sowohl des Kirchgangs als auch der Neuberufungen eingesetzt – freilich auf einem anderen Niveau als in Frankreich oder Belgien, aber doch mit derselben Tendenz.

Was kann man dagegen machen? Wenn man davon ausgeht, dass das ganze Abendland trotz der einen oder anderen Verzerrung in etwa dieselbe kulturmorphologische Entwicklung durchlaufen muss, wird wohl auch Polen zunächst einmal den Tiefpunkt erreichen müssen, bevor ein neuer Aufschwung stattfinden kann. Zentral ist dabei das Erbe des polnischen Papstes Johannes Paul II., der naturgemäß mit der praktischen Umsetzung des Zweiten Vaticanums assoziiert wird: Dessen zahlreiche Fehler zu kritisieren, heißt in Polen immer noch, den eigenen heiligen Kirchenfürsten zu beschmutzen. Und doch geht kein Weg daran vorbei, sich mit den Schattenseiten des Zweiten Vaticanums auseinanderzusetzen.

Denn wenn wir auf den Rest Europas blicken, dann sehen wir, dass ein neuer Aufschwung des Christentums eigentlich immer nur in den sehr konservativen Gemeinden stattfindet, wo eben auch die Alte Messe gepflegt wird; und Ähnliches stellen wir – gerade in Frankreich – bei metapolitischen Organisationen fest, die katholische Tradition und abendländischen Patriotismus verbinden. Ich denke, diesem Weg wird auch Polen sich nicht entziehen können, doch steht das Land erst am Anfang dieser Erkenntnis.


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Kommentare ( 6 )

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THX1984
1 Jahr her

> und Ähnliches stellen wir – gerade in Frankreich – bei metapolitischen Organisationen fest, die katholische Tradition und abendländischen Patriotismus verbinden.

Wie lange muss man noch dem Abendland hörig bleiben? Es gibt einige Systeme und Zivilisationen weltweit, die zunehmend wetteifern. Das westliche System bringt zuletzt immer weniger Freiheit und Wohlstand; dadurch sollte man in Polen wie in Deutschland ohne Vorurteile schauen, was die anderen bringen.

In Eurasien spricht man gerne über Wohlstand, während der Westen zuletzt mit „you will own nothing“ kommt; ebenso mit winzig schmalem Fenster des Sagbaren.

THX1984
1 Jahr her

> Es ist gerade nicht die Wirtschaft, um die es geht, sondern die Kultur, und man sollte daher eher sagen: „It’s the Culture, stupid“

Dazu gehören Spinnereien wie Fleischverbote und Insektenfrass, die aus Brüssel wie auch von der linken Seite kommen. Ich bezweifle, dass irgendwo auf der Welt junge Leute lieber Insekten als Rindfleisch essen; dieses Zeug von furzenden Kühen, die angeblich den Weltuntergang bringen. PiS redete zwar auch darüber, aber vielleicht zuwenig?

Frank K.
1 Jahr her

Haben die jungen polnischen Wähler mit ihren Smartphones nicht mitbekommen, was in Westeuropa los ist und welch negativen Einfluss muslimische Masseneinwanderung auf die Gesellschaft hat? Anstelle froh zu sein, dass es in Polen noch gesittet zugeht und sicher ist, tragen sie mit ihrem Wahlverhalten dazu bei, ihre eigene Zukunft zu zerstören. Ich kann es nicht verstehen. So etwas muss man doch sehen. Sind die so naiv?

luxlimbus
1 Jahr her

Könnte mir vorstellen, dass die Verlegung der US-Army von Deutschland nach Polen, einen gewissen Einfluss auch auf die polnischen Durchschnittsfamilie genommen hat. Ansonsten, ein erhellender journalistischer Beitrag auf höchstem Niveau!

Klaus D
1 Jahr her

Ich meine das die konservativen und auch liberalen kräfte einfach zu gierig waren (sind) und ihnen land und leute (bürger) mehr oder weniger egal sind. Das haben und oder erleben wir ja mit der CDU CSU FDP die ja schon unter Kohl CDU total versagt haben siehe schwarze koffer.

alter weisser Mann
1 Jahr her

Die hiesige mediale „Leitkultur“ übt am Beispiel Polen schon mal die Empörung für die nächsten Landtagswahlen in Deutschland.
Hat der polnische Staatspräsident doch tatsächlich nach üblicher Gepflogenheit die stärkste Partei mit der Regierungsbildung beauftragt. Pfui über ihn, wo doch alles wissen …..
Nicht das etwa in Thüringen die AfD in 2024 den Auftrag zur Bildung des Landesregierung bekommt, wo doch alle wissen ….
Kultur und Tradition sind manchen Leuten halt einen Dreck wert, wenn sie die Falschen begünstigen, selbst in bloßen Formfragen.