„So, wie die Rente gestrickt ist …“

... lässt sie sich langfristig nicht finanzieren. Das sollte auch Bundeskanzler Olaf Scholz wissen. Der Ökonom und Ifo-Forscher Joachim Ragnitz erklärt, warum das Alterssicherungsversprechen der Regierung nichts taugt – und weshalb auch die geplante Aktienrente nichts nutzt.

Bild: ifo
Der Wirtschaftswissenschaftler Joachim Ragnitz, 58, ist stellvertretender Geschäftsführer der Niederlassung des ifo-Wirtschaftsforschungsinstituts in Dresden. Seit 2011 lehrt er als Honorarprofessor an der TU Dresden.

Tichys Einblick: Die Bundesregierung hat die Renten für 2022 trotz sehr angespannter Haushaltslage stark erhöht – um 6,12 Prozent im Westen und 5,35 Prozent im Osten. Was bedeu­tet das für die Stabilität des Rentensystems?

Joachim Ragnitz: Mich hat es in der Tat überrascht, dass die Anpassung so hoch ausgefallen ist. Vor einigen Monaten hieß es noch, es würden wahrschein­lich um die vier Prozent sein. Aber die konkrete Erhöhung richtet sich nach der Rentenanpassungsformel, die sich wie­derum auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes stützt. 2020 waren die Bruttolöhne wegen des Kurzarbeitergel­des nur schwach gestiegen, im Jahr dar­auf vergleichsweise stark. Im Jahr 2021 gab es keine Rentenerhöhung. Daraus er­gibt sich zwangsläufig diese starke Erhö­hung für 2022/23. An dieser Logik konn­te die Bundesregierung nicht vorbei.

Sie hätte in die Rentenformel ein­greifen können.

Aber das hätte einen politischen Auf­schrei gegeben. Mit den Rentnern als wichtige Wählergruppe will es sich kei­ne Regierung verscherzen.

Was bedeutet das nun für ein Renten­system, das ja auch schon ohne Rentenerhöhung immer stärker in Schieflage gerät, weil demnächst
die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen?

Das bedeutet, dass auch alle Renten­steigerungen in den nächsten Jahren von diesem gestiegenen Niveau ausge­hen. Eine Senkung des Rentenniveaus ist derzeit ausgeschlossen. Der grund­sätzliche Fehler war die Aussetzung des sogenannten Nachhaltigkeitsfaktors, der in den 1990er­ Jahren eingeführt worden war, um die zukünftigen Ren­ten an die demografische Entwicklung anzupassen. Er wurde von der rot­grü­nen Regierung unter Gerhard Schröder abgeschafft, dann wieder eingeführt. Unter Angela Merkel wurde er 2018 wie­der ausgesetzt, und das soll nach den Plänen der Ampelkoalition dauerhaft so bleiben. Nichts anderes ist ja das Versprechen, das Rentenniveau auf min­destens 48 Prozent der Löhne zu fixieren. Mit dem Blick auf die Entwicklung nach 2030 wäre es dringend nötig, ihn jetzt wieder einzusetzen.

Und warum geschieht das Ihrer Meinung nach nicht?

Die Mehrheiten bei Wahlen liegen nun einmal bei den Rentnern und den rentennahen Jahrgängen. Die will nie­mand verärgern.

Die SPD und Kanzler Scholz beharren darauf, die Renten seien auch nach dem Wechsel der geburtenstarken Jahrgänge auf die Empfängerseite gesichert – weshalb auch in Zukunft weder der Rentenbeitrag steigen noch das Rentenniveau sinken müsse.

Aber so, wie die Rente derzeit gestrickt ist, kann sie langfristig nicht finanziert werden. Das weiß auch Olaf Scholz. Es ergibt sich nun mal aus der Demogra­fie, dass jede neue Alterskohorte nur zwei Drittel der Rentnergeneration ausmacht. Spätestens wenn die gebur­tenstarken Jahrgänge zwischen 2030 und 2040 in Rente gehen, ist das gegen­wärtige Rentenniveau von 48 Prozent nicht mehr zu halten. Der Beitragssatz kann aber auch nicht weit über das aktuelle Niveau angehoben werden, weil das den Faktor Arbeit noch weiter verteuern würde. Und es ist auch nicht möglich, den Steuerzuschuss zur Ren­te, der ja jetzt schon fast 80 Milliarden Euro im Jahr beträgt, immer weiter zu steigern. Wir haben einmal durchge­rechnet, dass bei unverändertem Ren­tenniveau und konstantem Beitrags­satz 60 Prozent des Bundeshaushalts im Jahr 2050 für den Rentenzuschuss aufgewendet werden müsste. Das ist unvorstellbar. Alternativ müsste die Umsatzsteuer bis 2050 auf 30 Prozent angehoben werden.

Die Ampelkoalition schlägt die sogenannte Aktienrente vor: Zwei Prozent des bisherigen Rentenbeitrags sollen in einen staatlichen Aktienfonds fließen, aus dem Rentner dann später eine Ausschüttung bekommen. Diese Aktienrente sollte eigentlich mit einem Grundstock von zehn Milliarden Euro 2022 starten, die jetzt allerdings wegen Finanzierungsschwierigkeiten nicht im Bundeshaushalt stehen. Aber falls die Aktienrente später kommt: Könnte sie die Krise des gesetzlichen Rentensystems dann wenigstens mildern?

Nicht wirklich. Die viel zu geringe Ausstattung mit zehn Milliarden bedeutet, dass später jedem Rentner pro Monat etwa ein Euro aus diesem Fonds ausgezahlt werden könnte. Ein solcher Fonds könnte nur auf sehr lange Sicht und mit einem deutlich höheren Kapitalstock mehr als nur einen symbolischen Beitrag zur Rente leisten. Nach Berechnungen des Ifo-Instituts wäre bis 2070 ein Kapitalstock von 700 Milliarden Euro nötig, damit bei einer durchschnittlichen Verzinsung von jährlich fünf Prozent jedem Rentner monatlich wenigstens 100 Euro ausgezahlt werden können. Kurzfristig – also um die Schieflage des Rentensystems ab 2030 abzufangen – bringt eine Aktienrente überhaupt nichts.

Wäre eine Aktienrente dann wenigstens eine gute Idee für die Jahrzehnte danach?

Meiner Meinung nach sollte die Regierung die Finger ganz von der Aktienrente lassen. Denn sie würde ausschließlich die jetzt Aktiven belasten, die die Beiträge zur gesetzlichen Rente und dann auch noch die Einzahlungen in den Fonds aufbringen müssten. Einen solchen Fonds hätte man vielleicht vor 20 Jahren auflegen können – mit ausreichend vielen Einzahlern aus den geburtenstarken Jahrgängen. Jetzt sieht es so aus, als würde der Start der Aktienrente erst einmal verschoben. Aber: Wenn sie erst später beginnt, dann wird es noch schwieriger, das Kapital für einen staatlichen Fonds anzusparen.

Das Modell sieht allerdings vor, dass der Beitrag zur gesetzlichen Rente um die Prozentpunkte sinken soll, die in den Aktienfonds fließen.

Aber das würde bedeuten, dass der Zuschuss zur Rente aus Steuermitteln entsprechend steigen müsste. Die Steuerzahler und die Rentenbeitragszahler sind nun einmal weitgehend identisch.

So oder so würden die jüngeren Jahrgänge noch stärker belastet. In Norwegen gibt es tatsächlich einen staatlichen Fonds für die Alterssicherung. Dorthin fließen allerdings die Einnahmen aus der Gasförderung. Diese Möglichkeit hat Deutschland nun einmal nicht.

Welche Möglichkeiten bleiben also, um den Kollaps des Rentensystems in Zukunft noch zu verhindern?

Es bleibt keine andere Möglichkeit, als die Belastung zwischen der jüngeren, aktiv im Berufsleben stehenden Generation und den Rentnerjahrgängen einigermaßen gerecht aufzuteilen. Für die Jüngeren bedeutet das etwas höhere Beiträge, für die künftigen Rentner ein niedrigeres Rentenniveau. Den Jüngeren bleibt nichts anderes übrig, als privat mehr als bisher vorzusorgen und dafür auf Konsum zu verzichten. Das größere Problem ergibt sich für diejenigen im Alter um 55: Sie können bis zum Renteneintritt nicht mehr viel an eigener Vorsorge aufbauen.

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Kommentare ( 53 )

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tane
2 Jahre her

Nur um einen Eindruck der Größenordnungen zu bekommen:
Es sollte jedem Rentner klar sein, dass bei Null-Zins und ohne Berücksichtigung von Inflation in private Rentenversicherung oder auch GRV zu einer Rente von 1000€ ein Kapital von etwa 300.000€ nötig ist. Bei Arbeitnehmern hat der Betrieb die Hälfte gezahlt (also 45 Jahre lang 550€ monatlich, 275€ für Arbeitnehmer). Dazu ist 45Jahre ein Bruttogehalt von 3000€ Voraussetzung.

Michael M.
2 Jahre her

Na ja, dass bei den Rentnern fast nichts hängen bleibt ist definitiv falsch. Auch im Spitzensteuersatz (wieviele Rentner haben den schon) bleiben nach Abzug der Krankenversicherung immer noch Minimum 50%.
Ihrem letzten Satz ist vollumfänglich zuzustimmen.

Juvo
2 Jahre her

Zum Thema „Rente“ seit dreißig Jahren immer das Gleiche: Sie sind wegen der Demografie nicht mehr zu finanzieren. Der Bundeszuschuß ist zu hoch und seit neuestem: Demnächst kommen die geburtenstarken Jahrgänge in Rente, dann wir es erst richtig schlimm. So Raffelhüschen, Börsch-Supan, Metzger und viele andere, so auch dieser Autor. Man kennt das und fasst sich immer wieder an den Kopf; steckt hinter diesem Negativaugurismus Absicht, Nichtwissen oder pure Ignoranz? Denn entscheidend für die Rentenfianzierung ist nicht die Zahl der nachwachsenden Kinder, sondern die der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze und der mit diesen erzielten Verdienste. Wäre die Demografie entscheidend, wären die Renten… Mehr

rbayer
2 Jahre her
Antworten an  Juvo

so ist es. nur eine minderheit arbeitet in diesem land noch so, dass sie mehr liefern als kosten.

friedrich - wilhelm
2 Jahre her
Antworten an  rbayer

….nicht mehr lange, dann sind auch die letzten nettosteuerzahler verschwunden, denn was erhalten diese noch, für das es sich lohnt?
wir erhalten ja noch nicht einmal eine anständige meister – und hochschule, deren absolventen unsere produktionen fortführen könnten!
schluß und gruß aus washington!

Last edited 2 Jahre her by friedrich - wilhelm
Waldorf
2 Jahre her

Ich fürchte, dass das Kind schon im Brunnen liegt und nicht nur das deutsche Rentensystem kollabieren wird, schon die gesamten Staatsfinanzen incl Euro. Die Entwicklung zur Dollarparität rast, vielleicht sehr wir sie schon dieses Jahr. Wir sehen eine Horrorinflation und politische Untätigkeit, insb in der EZB und das in einem massiv Coronageschädigten Umfeld und dem Ukrainekonflikt, der die bisherige Weltordnung komplett neu mischen wird. Russland, China und Indien sind nicht mehr „Zulieferer“ oder „Billiglohn-Gehilfen“ der bisherigen globalen Hegemonialmächte, „dem Westen“ bzw ihre Bedingungen massiv neu verhandeln. Das sind derart fundamentale, globale Veränderungen, die unser Jahrzehnte altes Geschäftsmodell massiv bedrohen, nämlich… Mehr

Mike
2 Jahre her

Die Diskussion über irgendwelche auch noch so geringen Eingriffe in die deutschen mini- und superspät- Renten führen wir als Zahlmeisterland zweckmäßigerweise erst dann, wenn andere EU Länder, die weitaus generösere Rentenzahlungsmodalitäten haben und gleichzeitig deutsches Geld wollen, zunächst Einschnitte in ihren Rentensystemen vorgenommen haben. Wir müssen nicht immer der oberdämliche Musterschüler in der EU sein, der allen andern einen ausgibt und am Ende seinen eigenen Leuten eiserne Spardisziplin aufgibt. solange also die andern auf Kosten der EU mit 55 am Mittelmeerstrand liegen, gibt es in Deutschland keinerlei Handlungsbedarf. Wer jetzt das Geld für Waffen nur so aus dem Ärmel schüttelt,… Mehr

Last edited 2 Jahre her by Mike
elly
2 Jahre her

Rentenerhöhungen erfolgten bisher immer nachgelagert zu den vorherigen Lohnsteigerungen. Das ändert diese Regierung wieder. Müsste die gesetzliche Rentenkasse nicht viele versicherungsfremde, gesamtgesellschaftliche Aufgaben finanzieren, dann wäre die Haushaltslage schnurzegal. Es sind Leute, wie Joachim Ragnitz , die zu den Profiteuren von dieser Praxis zählen. In Schweden ist die Rentenkasse ausschließlich für Rentenzahlungen zuständig. Sämtliche Familienleistungen werden aus dem Steueraufkommen finanziert und von einer Familienkasse bezahlt. Soviel Transparenz ist in Deutschland unerwünscht. Ein Beispiel, wie Privilegierte die Rentenkasse plündern: „Zeiten der Kindererziehung können selbst dann angerechnet werden, wenn die Eltern während dieser Zeit einem anderen Alterssicherungssystem angehört haben. Voraussetzung hierfür ist jedoch,… Mehr

Michael Palusch
2 Jahre her

Schon merkwürdig. Die üppigen Pensionsansprüche des Herrn Professor und seinesgleichen stellen kein Problem dar, die kärgliche Rente, so mancher Beitragszahler nach einem arbeitsreichen Leben, hingegen schon.
Egal wie man es dreht und wendet, die Renten, egal ob nun Umlageverfahren oder Kapitaldeckung, müssen immer aus dem laufenden Volkseinkommen finanziert werden. Zu jeder Rentenzahlung gehört entweder die deckungsgleiche Beitragszahlung oder die Verkaufssumme der entprechenden Anlagen.

Last edited 2 Jahre her by Michael Palusch
Michael Westler
2 Jahre her

Solange wir uns die GEZ leisten können, die ein Rentensystem mit angeschlosener Telvisionsanstalt finanziell erhält mit vielen Nutznießern, die Haltungs- und Belehrungsjournalismus verbreiten wollen, wird sich auch am allgemeinen Rentensystem nichts ändern. Irgendwann wird es aber ganz schnell mit beiden vorbei sein.

Johann Thiel
2 Jahre her

Habe von Ökonomen noch nie zu irgendetwas einen einzigen hilfreichen Satz gehört. Es ist immer ein Haufen Gerede mit fachlichem Tunnelblick, Binsenweisheiten, Spekulationen und blinden Behauptungen. Deswegen ist für mich die Bezeichnung „Ökonom“ längst zu einem Schimpfwort geworden und es wären für mich immer die letzten Ansprechpartner, wenn es um Finanzen egal welcher Art geht. Es ist im Grunde immer die gleiche Frage nach Einnahmen, Ausgaben und deren Verteilung. Wieviel erwirtschaftet ein Land wie Deutschland und welche Mittel stehen ihm zur Verfügung. Wieviel davon will dieses Land seinen Rentnern zur Verfügung stellen. Mehr gibt es nicht zu sagen und zu… Mehr

Fui Fujicato
2 Jahre her

Ach, für die Rentner reicht es nicht mehr ???
Wie wäre es denn, endlich mal alle Staatsbürger in die Rentenkassen einzahlen zu lassen ??? z.B. auch alle Beamten + Abgeordneten ???
Diesem Personenkreis die überproportionalen Aktiv- + Passiv-Bezüge aus Solidaritätsgründen um 50% zu kürzen, den gesamten Wasserkopf um 50% auszudünnen + keine unnützen „Aktivisten“, „NGOs“-, „Stiftungen“, „Verbände“ etc. aus Steuermitteln zu finanzieren u.v.a.m.
Die komplette Repartriierung aller bei uns eingefallenen + seit Jahren komplett auf unsere Kosten lebender „Asylbewertber“, „Flüchtlinge“, „Migranten“ wäre auch endlich mal in Erwägung zu ziehen !!!

Everhard
2 Jahre her
Antworten an  Fui Fujicato

Mehr Einzahler bedeuten auch mehr Empfänger.
Das ändert also nicht an der grundsätzlichen Finanzmechanik.
Man hätte nicht vor 20, sondern vor 40 Jahren anfangen müssen.

Jetzt ist es in der Tat schlicht zu spät.

Waldorf
2 Jahre her
Antworten an  Fui Fujicato

Kürzungen oder nachteilige Neuregelungen bei Beamten? Der Staat ist mit ca 2 Millionen Beamten und Angestellten der größte Arbeitgeber Deutschlands. Zähle ich die Wohlfahrtsindustrie dazu, reden wir schon über eher gut 4 Millionen Beschäftigte, die entsprechend der staatlichen Besoldung vergütet werden. Rechne ich die meisten „Beamtenhaushalte“ als Paar zweier Erwachsener plus ihre Kinder, haben wir ca 6-8 Millionen staatsnah denkende Wähler im aktiven Dienst oder in Partnerschaft mit einer solchen Person. Dazu kommen weitere Millionen Pensionäre, exBeamte/Angestellte im öffentlichen Dienst. Dieser Wähler-Sockel bewegt locker 10% bei Bundestagswahlen, eher mehr. Wer Beamte, Staatsdiener, die Wohlfahrtsbeschäftigten (und die gesetzlichen Rentner) auf seiner… Mehr