„Zentrale Fehlentscheidungen der letzten 15 Jahre müssen grundsätzlich revidiert werden“

Der Historiker und Ex-Vorsitzende der CDU-Programmkommission Andreas Rödder sieht die CDU nach Merkel als „in sich gespaltene Partei“. Sie müsse sich von diesem Erbe lösen, die grüne Hegemonie bekämpfen und ein bürgerliches Gesellschaftsbild entwickeln, um eine Zukunft zu haben.

IMAGO / Sämmer
Symbolbild: Andreas Rödder im Interview

TE: Herr Professor Rödder, nach heftigen Angriffen aus Ihrer eigenen Partei haben Sie den Posten des Vorsitzenden der Programmkommission niedergelegt. War das ein schmerzhafter Schritt für sie? Oder ein befreiender?

Andreas Rödder: Ein notwendiger, weil ich nach den ganzen Angriffen reagieren musste, auf diese Art und Weise aber auch etwas klarstellen konnte. Ich habe Freiheit als politischer Bürger wiedergewonnen, denn das war für mich immer die Voraussetzung meines politischen Engagements, nicht zuletzt meines politischen Engagements als Christdemokrat: meine intellektuelle Unabhängigkeit. Das heißt auch hier: Ich spreche für mich, in keiner offiziellen Funktion.

In der Auseinandersetzung, die zu Ihrem Rückzug führte, ging es um Ihren Vorschlag, dass die CDU, wenn sich die entsprechenden Mehrheitsverhältnisse durch Wahlen so ergeben, auch dann die Möglichkeit einer Minderheitsregierung in Betracht ziehen muss, wenn die nötigen Stimmen von der AfD kommen. Angesichts der Umfragen in der Ost-Ländern ist dieses Szenario nicht unwahrscheinlich – wird aber von vielen in der CDU strikt zurückgewiesen. Können sie erklären, wo die Konfliktlinien innerhalb Ihrer Partei verlaufen? 

Andreas Rödder: Ich habe mich in einem Interview zu der Frage einer Minderheitsregierung ohne Absprache mit der AfD im Gegensatz zu einer Tolerierungsregierung auf Basis von Absprachen mit der AfD geäußert, und das eine für denkbar, das andere für nicht akzeptabel erklärt – unter der Voraussetzung, dass zwei Parteien, mit denen die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss hat, die Mehrheit der Sitze in einem Parlament haben, wie es in Thüringen gegenwärtig der Fall ist. Aber da diese Frage jetzt nicht ansteht, werde ich sie nach dieser Diskussion in diesem Moment auch nicht kommentieren.

Aber die CDU wird sich diesem Problem spätestens nach den Landtagswahlen im Osten 2024 in irgendeiner Form stellen müssen. 

Andreas Rödder: Deshalb war ich ja der Meinung, dass man sich rechtzeitig strategische Gedanken machen sollte.

Sind sie hier in London Gast der ARC-Konferenz; ARC steht für „Alliance for Responsible Citizenship“, Allianz für verantwortliche Bürgerlichkeit, eine weltumspannende Organisation von Konservativen bis zu Vertretern der Mitte, die darüber debattieren, wie sich die Idee der westlichen Bürgergesellschaft retten lässt. Das große Motto hier lautet: „A Better Story“. Es geht also darum, die bessere Geschichte zu erzählen als die woke, antiwestliche Linke. Wie sind Ihre Eindrücke von dieser Konferenz?

Andreas Rödder: Ich sehe eine große Ernsthaftigkeit und eine eindrucksvolle Kraft, die davon ausgeht, dass sich hier 1.500 Gäste und dutzende Referenten mit den wirklich großen Fragen unserer Zeit auseinandersetzen.

Ein Gedanke, der hier in London wiederholt geäußert wurde, lautet: Konservative bis Liberal-Konservative waren bisher nicht besonders gut darin, eine positive Erzählung zu ihrem Gesellschaftsbild zu entwickeln. Sie haben sich in die Defensive drängen lassen. Gerade in Deutschland ist die die Klage der Gruß der Konservativen. Gibt die ARC-Konferenz auch für Deutsche von der Mitte bis demokratisch rechts den Anstoß, wieder besser zu erklären, warum ihre Ideen gut für die Gesellschaft sind?

Andreas Rödder: Für mich trifft die Fragestellung dieser Veranstaltung den wesentlichen Kern: Die ganz entscheidende Herausforderung für moderne, zukunftsfähige Politik besteht darin, nicht nur pragmatisch Probleme zu lösen, was zwar immer wichtig ist, aber keine Richtung weist. Es ist dringend nötig, ein positives Narrativ bürgerlicher Politik zu entwickeln. Darüber nachzudenken halte ich für die absolut essenzielle Frage, auch in Deutschland. Bürgerliche Politik muss einen optimistischen Zukunftsentwurf verkörpern: dass sie in der Lage ist, Zukunftschancen für junge Menschen zu eröffnen, dass sie in der Lage ist, Kräfte in Wirtschaft und Gesellschaft zu entfesseln, und dass sie in der Lage ist, Wohlstand für alle zu sichern und zu mehren.

Sie versuchen seit einiger Zeit, mit der von Ihnen mitgegründeten Denkfabrik R 21 genau diese bürgerliche Selbstvergewisserung voranzutreiben. Wie sehen Sie die Wirkung von R21, einem noch relativ jungen Projekt?

Andreas Rödder: Schönheit liegt ja immer im Auge des Betrachters, Insofern bin ich vielleicht nicht der richtige Zeuge für die Außenwirkung von R21. Aber zugleich bekomme ich ebenso wie wir alle, die sich in dieser Initiative engagieren, eine Fülle von E-Mails, Anrufen und überhaupt: sehr, sehr viel Zuspruch, bis dahin, dass mich Menschen in der S-Bahn ansprechen. Wir haben den starken Eindruck, dass wir eine sehr weitreichende und tiefliegende Sehnsucht innerhalb des bürgerlichen Deutschlands ansprechen, bürgerlich übrigens in einem weiten und keineswegs exklusiven Sinne. Unsere Mission ist, das inzwischen vorherrschende Narrativ zu überwinden, die westliche bürgerliche Gesellschaftsmodell sei entweder zerstörerisch oder diskriminierend. Wir wollen diese grüne Hegemonie überwinden, ohne dabei in einen populistischen oder gar völkischen Stil zu verfallen. Die bürgerliche Selbstbehauptung mit einem positiven Narrativ zu versehen –  Ich glaube, das ist die zentrale Aufgabe nicht nur für bestimmte Parteien, sondern für die gesamte Demokratie.

Wenn die Aufgabe so dingend und die Sehnsucht nach einer positiven bürgerlichen Erzählung so groß ist – warum hält sich dann die Union bei dieser Sinnfrage zurück? Mit der Frage ‚wie geht es weiter?‘ ist ja nicht gemeint: gehen demnächst die die Steuersätze für irgendetwas um 2 oder 5 Prozent nach oben oder nach unten. 

Andreas Rödder: Die Union hat zwei Probleme. Das eine ist eine DNA, die auf praktisches Regieren ausgerichtet ist. Das ergibt sich aus ihrer Tradition als faktischer „Staatspartei“ der Bundesrepublik. Zugleich ist sie nach der Ära Merkel eine in sich gespaltene Partei, und es braucht einfach seine Zeit, das zu überwinden. Deshalb ist es wichtig, diese Debatte zu führen. Bürgerliche Politik wird nur dann eine Zukunft haben, wenn sie in der Lage ist, eine eigene, positive Erzählung anzubieten, und sich nicht darauf beschränkt, immer nur pragmatisch Probleme zu lösen. Pragmatisches Problemlösen klingt auf den ersten Blick immer ganz gut, endet aber letztendlich in Richtungslosigkeit. Eine Partei, die sich darauf beschränkt, würde sich am Ende des Tages überflüssig machen.

Besonders pragmatisch ging es allerdings in den Merkel-Jahren nicht zu. Der Ausstieg aus der Atomkraft, die Öffnung der Grenzen für eine unbegrenzte Asylmigration – das waren ja ebenso irrationale wie folgenschwere Entscheidungen, deren ganze Auswirkung wir erst jetzt richtig sehen. Bisher hat sich die CDU nicht wirklich von diesem Erbe gelöst.

Andreas Rödder: Es steht außer Frage, dass zentrale Fehlentscheidungen der letzten 15 Jahre grundsätzlich revidiert werden müssen, wenn Deutschland eine Zukunft haben. Das gilt für die Energiepolitik, das gilt für die Migrationspolitik, das gilt für die Russlandpolitik und auch für die Chinapolitik. In der Russlandpolitik ist es eingeleitet, in der Migrationspolitik wird es angedacht. In der Energiepolitik wird es sich als unumgänglich erweisen. Fehlentwicklungen zu korrigieren, kann aber nur der erste Schritt sein, um eine neue Richtung einzuschlagen. Deshalb ist ein positiver bürgerlicher Zukunftsentwurf so wichtig.

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Kommentare ( 103 )

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Ralph Martin
1 Jahr her

Es sind keine „Fehlentscheidungen“!
Es ist ein geplantes Abwickeln des Landes.
Deutschland war im Kalten Krieg nötig als Schlachtfeld gegen die Russen und als kapitalistischer Gegenentwurf zum sozialistischen Osten.
Das Schlachtfeld gegen die nur noch halb so mächtigen Russen liegt nun in der Ukraine und der Osten ist kapitalistisch.
Deutschland wird nicht mehr gebraucht und zu einem politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwerg umgewandelt.

H. Hoffmeister
1 Jahr her

Unbefriedigend, was Rödder da von sich gibt. In der Merkel-Zeit den Irrsinn mitgetragen und noch immer mutlos und lavierend, obwohl er eiskalt für eine Vernunftsanwandlung von seiner achso bürgerlichen CDU abserviert wurde.

Siggi
1 Jahr her

Kohls Mannen wussten genau, was sie mit dem Mädchen machen können. Merkel war immer nur auf ihre Anerkennung und Aufwertung aus. Sie, die mit dem vermeintlichen Makel aus der DDR stammend glaubte, keine hinreichende Position bekommen zu könnten, dazu noch eine Frau, sah in der Berufung durch den großen Zampano der Einheit eine Chance, aus diesem Minderwertigkeitskomplexes entfliehen zu können und darüber hinaus es den Invasoren und Siegern über die DDR zeigen zu können. Merkel war die ganzen 16 Jahre nur Marionette eines Teils der CDU, der sich heute noch um Merkel schart. Und dann kam die verheerende Entscheidung am… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Siggi
Grumpler
1 Jahr her

Unter anderm deswegen habe ich nochmals nachgeforscht. Das Ergebnis ist überraschend: Niemand wird in Deutschland gezwungen, Mitglied einer politischen Partei zu sein — oder zu bleiben. Ein- sowie Austritt erfolgen freiwillig. Demnach muß niemand Mitglied einer Partei sein oder bleiben UND KANN AUSTRETEN. Frau Wagenknecht bspw. hat gezeigt, daß das geht. Bei der Union und der FDP haben das einige noch nicht begriffen. Obwohl auch dort (Union) eine Mehrheit der Mitglieder mit der Parteiführung und Teilen des Vorstands unzufrieden ist. Aber lieber zahlen sie die Mitgliedsbeiträge und kleistern bunte Poster in die Landschaft, wenn Wahlen anstehen und lassen sich dafür… Mehr

Siggi
1 Jahr her
Antworten an  Grumpler

Das stimmt ja so nicht. Die AfD ist aus den anderen Parteien entstanden; vor allem die jetzige.

Evero
1 Jahr her

Die CDU macht seit 1949 eine einseitig transatlantische Politik. Erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in der Merkelära merken wir es um so mehr, dass trotz der Möglichkeiten wenig Austausch zustande kam, obwohl sich Moskau und Berlin räumlich viel näher sind, als Washington und Berlin. Mit Rotchina wurde eine pragmatische Politik des Wandels durch Annäherung toleriert. Bei den Wirtschaftsbeziehungen mit Russland las ich vorwiegend immer von Problemen mit Korruption. War das wirklich der Hemmschuh oder wollte der Große Bruder und die Briten keine engere wirtschaftliche Verflechtung mit Russland?

Last edited 1 Jahr her by Evero
Evero
1 Jahr her

Was ist in der Russlandpolitik eingeleitet? Der neue eiserne Vorhang? Wenn das gemeint war, dann ist das der total falsche Weg für Deutschland und auch für Gesamteuropa. Wir dürfen nicht nochmal zulassen, dass die Angelsachsen die deutsche Russlandpolitik bestimmen!!!
Deutschland und Russland sind kulturell verwandt und brauchen einander für den kulturellen Austausch und für den gemeinsamen wirtschaftlichen Erfolg.
Deutschland hat sich nach 2005 falsch entschieden und sich zu sehr auf die transatlantische Seite geschlagen. Wir als Deutsche durften es nicht zulassen, dass Russland Schritt für Schritt aus Europa hinausgedrängt wurde. Der Ukraine-Konflikt ist die Folge dieser arroganten westlichen Politik.

Guenther Adens
1 Jahr her
Antworten an  Fritz Goergen

Meinen Sie die Sowjetunion, geschätzter Fritz Goergen?

Evero
1 Jahr her
Antworten an  Fritz Goergen

Das habe ich nicht gemeint. Ich meinte, die Bemühungen der Russischen Föderation, Teil des „europäischen Hauses“ zu sein oder sogar Teil der NATO.

Kuno.2
1 Jahr her
Antworten an  Fritz Goergen

Wäre der vom Westen unterstützte Putsch gegen die gewählte Regierung 2014 nicht gewesen, wären die Russen in der Ostukraine nicht diskriminiert worden und hätten sich von Kiew nicht lossagen müssen. Die Sicherheit des Westens ist seitdem deutlich gesunken. Die Obergrenze bei den Atomwaffen gibt es nicht mehr und die sonstige russische Kriegswaffenproduktion wurde seither versiebenfacht.

Kuno.2
1 Jahr her
Antworten an  Fritz Goergen

Nun, das bezog sich auf Ihre Darstellung der okkupierten Gebiete der Ukraine.

Entenhuegel
1 Jahr her

Die CDU/CSU ist durch und durch vermerkelt (verrottet). Da hilft keine Besinnung, kein Umbau, kein Neuanfang mit diesem Verein, da hilft nur eins: Abreißen und völlig neu bauen!

Drum wundert mich immer wieder, wie Werte-Union und Co. die Union kritisieren, aber letztlich jede Konsequenz vermissen lassen. Als Klatschhasen auf den Merkel-Parteitagen waren sie alle immer fleißig dabei. Die Guten sind längst aus der Union ausgetreten und/oder bei der AfD. Was bleibt, sind Trümmer einer einstmaligen Volkspartei…

Weisheitszahn
1 Jahr her

Das traurige bei der CDU ist, dass irgendwie immer die falschen resigniert aufzugeben scheinen, sich dem wachsenden, moralisierenden Genörgel nicht länger aussetzen wollen oder können.
Man sieht an allen Ecken und Enden, wie sehr grüne Indoktrination schon Staatsräson geworden ist. Ziel erreicht: längst wurden christlich-bürgerliche Werte gegen das krude, ersatzreligiöse Alt-68er und Klimagrschwurbel als moralische Instanz inthronisiert.

Evero
1 Jahr her
Antworten an  Weisheitszahn

Sehr richtig. Von Gottglaube (Glaube, Liebe, Hoffnung) scheint bei der CDU nicht viel übrig zu sein. Das sind eher Götzendiener geworden, die als weltliche Sekte pseudowissenschaftlichem Irrglauben anhängen (Coronawahn, Klimawahn). Rette sich wer kann vor solchen irdischen Heilslehren.

Last edited 1 Jahr her by Evero
Orlando M.
1 Jahr her

Welch ein grober Unfug! Der Herr tut so, als hätten wir Jahrzehnte Zeit, um uns allmählich aus der Bredouille herauszureformieren. Wenn das die Denkfabriken sein sollen, die die Zukunft entwerfen, dann sind wir hoffnungslos verloren! Die Politik hat Deutschland blindwütig in eine hoffnungslose Lage manövriert. Allein die Pensionslasten von je nach Bundesland knapp 8.000 – 17000€ pro Bürger und Jahr nehmen der Politik jeden Spielraum, dazu noch die fatal hohen Sozialkosten und Deutschland ist vollständig an Geist und Körper gelähmt. Entweder wird ab sofort eine reine Wirtschaftspolitik verfolgt, hinter der lange nichts kommt, oder aber hier sind in kürzester Zeit… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Orlando M.
Evero
1 Jahr her
Antworten an  Orlando M.

Was nötig ist, ist ein klares Bekenntnis der Politik zur Familie, dass sich Arbeiten wieder lohnt, weniger Staat, Fokus auf nationale Interessen. Von der vollständigen Revision der Migrationspolitik will ich gar nicht reden. Das ist das A und O. Deutschland ist nicht das Sozialamt der Welt.
Politiker, die das verbrochen haben, gehören wegen Hochverrat vor Gericht.

LiKoDe
1 Jahr her

Herr Rödder irrt bezüglich der Politik gegenüber der Russischen Föderation. Denn Adenauer betrieb gegenüber der Sowjetunion eine sehr pragmatische Politik, die später zu Handelsbeziehungen führte, die für Deutschland gut und nützlich waren und die man deshalb mit der Russischen Föderation weiterführte, bis sie durch hypermoralistische Grüne&SPD zerstört wurden.