Wurden Millionen Menschenleben durch die Covid-Impfung gerettet?

In einem Leserbrief wollten Wissenschaftler der NZZ Argumente gegen die Rettung von Menschenleben durch mRNA-Impfungen darlegen, jedoch meinte die Zeitung, dass der Brief nicht veröffentlicht werden kann, da er „Unzulänglichkeiten“ enthalte. Die Bitte um konkretere Angaben verweigerte die NZZ „aus Kapazitätsgründen“.

IMAGO

Seit mehreren Monaten geistert eine seltsame Zahl durch die deutschsprachigen „Qualitätsmedien“: Durch die Impfungen gegen SARS-CoV-2 seien zwanzig Millionen Menschenleben gerettet worden. Etwas bescheidener drückte sich am 9.Mai die Neue Züricher Zeitung aus: allein „im ersten Jahr der Pandemie Millionen Leben gerettet“. In dieser Aussage wird zwar der Zeitraum besser definiert (ein Jahr), dafür aber bleibt die Zahl unbestimmt, wobei aus der Verwendung der Pluralform folgt, dass es sich um mindestens zwei Millionen handeln muss.

Die Herkunft dieser Angaben ist nicht ganz klar. Womöglich beziehen sie sich auf eine Modellstudie aus dem Imperial College London . Aber die Modellstudien haben in der evidenzbasierten Medizin einen möglichst niedrigen Rang der Zuverlässigkeit, denn sie zeigen nicht, was ist, sondern nur, was unter bestimmten Annahmen sein könnte, wobei die Annahmen selbst innerhalb des Modells nicht überprüft werden können. Die Abhängigkeit der Resultate von den Annahmen kann bei komplexen Modellen nicht-linear sein; d.h. auch sehr kleine Fehler in den Annahmen können u.U. zu völlig falschen, sogar absurden Modellergebnissen führe.

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Dies wollten wir im Rahmen eines Leserbriefes bei der NZZ darlegen, jedoch meinte die Zeitung, dass der Brief nicht veröffentlicht werden kann, da er „Unzulänglichkeiten“ enthalte. Auf unsere Erklärung, dass wir als Wissenschaftler einen großen Wert auf die Aufdeckung unserer eigenen Fehler legen und deshalb um konkretere Angaben bitten, worin die Unzulänglichkeiten liegen könnten, erfolgte als Reaktion, die Zeitung könne „aus Kapazitätsgründen“ keine Begründungen für ihre Entscheidungen liefern. Wir finden aber eine Diskussion über diese absurd hohen Zahlen wichtig, weshalb wir den Inhalt des Leserbriefes und unsere Überlegungen im Folgenden beschreiben:

Im Gegensatz zu Modellstudien besitzen randomisierte kontrollierte Studien (sog. RCT) den höchsten Rang der Zuverlässigkeit. Zu den RCT gehören u.a. die Zulassungsstudien der neuen modRNA-Impfstoffe (der Einfachheit wegen übernehmen wir „Impfung“ als Begriff). Aus diesen Studien ist zu entnehmen, dass zur Verhinderung einer Ansteckung etwa 100 Personen geimpft werden müssen. Für das am häufigsten verwendete Präparat Comirnaty (Biontech/Pfizer) liegt diese Zahl bei 126 (die Daten in der Tabelle 2). Der Einfachheit wegen nehmen wir im Folgenden 100 als Zahl.

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Um von den Ansteckungen zu den Todesfällen zu kommen, brauchen wir zudem die Wahrscheinlichkeit, mit der ein an SARS-CoV-2-infizierter Mensch an Covid stirbt. Das ist die sogenannte Infektionssterblichkeitsrate (Infection Fatality Rate, IFR). Die wissenschaftlichen Einschätzungen der globalen IFR schwanken zwischen 0,15 Prozent und 0,68 Prozent. Obwohl die meisten Einschätzungen zwischen 0,2 und 0,3 Prozent liegen, nehmen wir, um uns den Millionenzahlen möglichst anzunähern, die absolut höchste IFR als Ausgangspunkt. Teilen wir dann 100 durch 0,68 Prozent, so bekommen wir 14 706. Das heißt, wenn 100 Voll-Impfungen einen Ansteckungsfall verhindern, dann verhindern 14 706 Voll-Impfungen einen Todesfall.

Daraus folgt, dass wir, um „Millionen“ (d.h. mindestens 2 Millionen) Todesfälle zu verhindern, 14 706 x 2 000 000 = 29 412 000 000 (in Worten: neunundzwanzig Milliarden vierhundertzwölf Millionen) Menschen vollständig hätten impfen müssen, was 3,6 Mal mehr ist als die gesamte Erdbevölkerung, einschließlich aller Kinder (8,1 Mrd.). Für 20 Millionen Gerettete würde diese Zahl auf die unvorstellbaren 294 (zweihundertvierundneunzig) Milliarden geimpfte Personen steigen.

Warum haben wir bei der Berechnung den Umweg über die Ansteckungszahlen genommen? Der Grund liegt darin, dass die Zulassungsstudien mit mehreren Zehntausenden Teilnehmern immer noch zu klein waren, um direkte Daten über Sterbezahlen zu bekommen. Solche Daten findet man jedoch in einer Studie von Dagan und seinen Mitautoren. Sie war zwar kein RCT, sondern nur eine streng kontrollierte Beobachtungsstudie, besitzt also im Rahmen der evidenzbasierten Medizin nur den zweitbesten Zuverlässigkeitsstatus, aber sie schloss fast 1,2 Millionen Teilnehmer ein. Aus den Daten der Abbildung 2E geht hervor, dass von den 596 618 Geimpften 9 Personen starben, von der gleichen Zahl an Ungeimpften 32 Personen. Die Impfung von 596 618 Personen rettete also 32 – 9 = 23 Menschen das Leben; daraus folgt, dass 596 618 / 23 = 25 940 Menschen hätten geimpft werden müssen, um ein Leben zu retten. Um 2 Millionen Leben zu retten, hätten somit 2 000 000 x 25 940 = 51 880 000 000 Menschen geimpft werden müssen, etwa 6,4 Mal mehr als die Weltbevölkerung.

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Im gleichen Artikel finden wir auch etwas andere Daten (Abbildung S7E auf der S. 23 im Appendix), wobei der Unterschied auf den Einschluss bzw. Ausschluss sogenannter zensierter Fälle zurückzuführen ist („zensierte Fälle“ ist ein Begriff aus der Statistik und hat mit der politischen Zensur nichts zu tun!). Sehr groß ist der Unterschied allerdings nicht: Von den 526 877 Geimpften starben 20, von der gleichen Zahl der Ungeimpften 39. Um ein Leben zu retten, müssten 526 877 / (39-20) = 27 730 Personen geimpft werden. Um aufgrund dieser Zahl auf zwei Millionen Geretteten zu kommen, müssten 55 460 000 000 (fünfundfünfzig Milliarden vierhundertsechzig Millionen) Menschen geimpft werden, 6,2 Mal mehr als die Erdbevölkerung.

Eine noch umfangreichere Studie mit fast 1,7 Millionen Teilnehmern verfolgte die Impfwirkung über Monate hinweg. In den ersten vier Monaten nach der zweiten Dosis blieben die Zahlen in etwa stabil; ungefähr 7 500 Personen müssten geimpft werden, um einen Fall von Hospitalisierung oder Tod vorzubeugen. Leider differenzieren die Autoren in ihren Tabellen nicht zwischen Hospitalisierung und Tod, aber unter der plausiblen Annahme, dass mindestens zwei von drei Hospitalisierten überleben, erhalten wir wieder die Zahl 22 500, was bedeutet, dass 22 500 x 2 Millionen = 45 Milliarden Menschen, d.h. mehr als fünffache der gesamten Weltbevölkerung – hätten geimpft werden müssen, um 2 Millionen Todesfälle zu verhindern.

Nach diesen Daten sinkt aber die Wirksamkeit nach ca. 120 Tagen, und die errechnete Zahl wird sogar negativ: –9 433. Das Minuszeichen bedeutet, dass nun 9 433 Vollimpfungen zu einem zusätzlichen Hospitalisierungs- oder Todesfall führen.
Die Zahl der Geretteten ist selbstverständlich höher für gefährlichere und geringer für harmlosere Erkrankungen. Alle oben zitierten Studien arbeiteten mit den ersten Virusstämmen (vorwiegend Alpha). Die Wahrscheinlichkeit eines schweren Verlaufs oder Todes bei Omikron war allerdings etwa 2,4 Mal geringer als für die Delta-Variante. Das bedeutet, dass im Extremfall, wenn alle Geimpften nur mit Omikron konfrontiert gewesen wären, die Zahl der Personen, die wir hätten impfen müssen, um 20 Millionen Leben zu retten, schon im Billionenbereich gelegen hätte. In der Tat gab es in der Population natürlich eine Mischung aus verschiedenen Virusstämmen.
Wir stellen klar: Auch wir haben nicht die richtige Methode, die Zahl der durch Impfungen Geretteten zu berechnen, wir kennen diese genaue Zahl nicht. Aber keine einigermaßen korrekte, durch Daten belegte wissenschaftliche Methode kommt auch nur in die Nähe von Millionen Lebensrettungen, von der frequentierten Zahl 20 Millionen gar nicht zu sprechen. Diese Zahlenangaben scheinen willkürlich gesetzt und sind einfach grotesk.


Prof. Dr. Paul Cullen, Laboratoriumsmedizin, Universität Münster
Roland Hofwiler, Psychotherapeut und Journalist
Prof. Dr. Boris Kotchoubey, Medizinische Psychologie
Prof. Dr. Jörg Matysik, Analytische Chemie, Universität Leipzig
Prof. Dr. Andreas Schnepf, Anorganische Chemie, Universität Tübingen
Dr. Harald Schwaetzer, Philosophie

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Kommentare ( 28 )

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28 Comments
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Alexander Wildenhoff
5 Monate her

Die NZZ hat Mitte der 10er Jahre eine Marktlücke im deutschsprachigen Zeitungssegment gefunden: liberal-konservative Positionen zu vertreten. Denn in der von Merkel – durch Subventionen für regierungshörige Mainstream-Zeitungen – gleichgeschalteten Presse gab es diese Positionen nicht mehr.   Die NZZ hat deshalb speziell für diese heimatlosen Leser eine „Ausgabe für Deutschland“ eingerichtet. Auch Steingarts Morning Briefing bediente diese Klientel. Markwort vom Focus hat das Segment vor vielen Jahren die Info-Elite genannt. Fakten, Fakten, Fakten. Aber da die Fakten-Checker durch diverse „Redaktionsnetzwerke“ in Misskredit geraten sind, wurde auch die Info-Elite stutzig. Aber die „Ausgabe für Deutschland“, die sich vor allem durch… Mehr

Mausi
5 Monate her

Entweder hier oder auf achgut wurde darauf hingewiesen, dass es keine Umfragen unter den „Alten“ gebe, um festzustellen, ob Quarantäne oder Kontakt bei „Pandemien“ gewünscht werde. Ich denke, gerade wenn man älter wird, nehmen die Ängste zu. Ich denke, die „Alten“ informieren sich überwiegend über das Fernsehen. Ich denke, die Alten wurden erfolgreich in Angst und Schrecken versetzt. Und Angst und Schrecken bleiben, treten vielleicht in den Hintergrund, aber sie bleiben. Meine Vermutung, kaum einer wird „Kontakt“ wünschen. Dieser Wunsch tritt erst dann ein, wenn man einsam im Krankenhaus, im Einzelzimmer in der Seniorenresidenz oder daheim liegt. Der Erkrankte muss… Mehr

Last edited 5 Monate her by Mausi
Simrim
5 Monate her

Ich konnte solche absurden Behauptungen noch nie glauben. Durch solche Maschen soll es, wie bei den Impfungen, zu einer Seligsprechung des Impfstoffes kommen oder wie in anderen Fällen der Panikmache dienen. Wie viele Todesfälle soll es durch Feinstaub, Stickoxide, Ozon, Kohlenwasserstoffe usw geben? Tiefenpsychologisch verknüpft der unbedarfte Leser das lebensnotwendige Atmen mit der Gefahr des Todes. Das wirkt. Ein findiger Journalist hatte mal die Zahlen der „pro Jahr sterben soundso Viele aufgrund XY“ zusammengerechnet, mit dem Ergebnis, dass deutlich mehr Bürger dieses Landes jedes Jahr sterben müssten. Die Formen des Wissenschaftsbetruges sind heute vielfältiger geworden und können noch so plump… Mehr

Last edited 5 Monate her by Simrim
Gottfried
6 Monate her

In meinem Bekanntenkreis gibt es etliche, auch Akademiker, die überzeugt davon sind, dass die Impfung wirksam und ungefährlich war und dass durch sie Schlimmeres verhindert wurde.

Mausi
5 Monate her
Antworten an  Gottfried

Als ich einem Arzt gegenüber meine Unwilligkeit, mich impfen zu lassen, damit begründete, dass der Impfstoff nicht regulär geprüft und zugelassen sei, hat der mir geantwortet, was ich denn wolle, der sei millionenfach angewendet und damit getestet worden.

Ben Clirsek
6 Monate her

Vielen Dank den Professoren und dem Journalisten. Ich habe den Artikel gleich gespeichert. Der nächste Jünger Coronas wird mit diesen „Erfolgszahlen“ bestimmt bald um die Ecke kommen.

AlNamrood
6 Monate her

Eine a posteriori Feststellung ob und wie viele Leben durch die Impfung gerettet wurden ist gar nicht plausibel möglich.

WGroeer
6 Monate her

Die meisten Todesfälle in Deutschland gab es 2022, besonders in der Altersgruppe 80+.
In der Altersgruppe 35 bis 60 war 2021 das Jahr mit einer signifikant höheren Anzahl an Todesfällen. Entweder hat die „Corona-Schutzimpfung“ versagt oder es waren die ganz ganz seltenen Nebenwirkungen.

horrex
6 Monate her
Antworten an  WGroeer

Zur Altersgruppe 80+ kann ich nur meine – statistisch völlig bedeutungslose – Erfahrung aus absolut vertrauenswürdigen Gesprächen mit Töchtern beitragen.
Die Erkenntnis aus diesen Gesprächen besagt, dass – in meinem unmittelbaren Kleinstadt-Umfeld – es mindestens 2x vorkam, dass das Krankenhaus (ein und dasselbe) darum bat für den Tod der beiden 80+ Mütter doch Covid als Todesursache eintragen zu dürfen. Begründung: Das sei abrechnungstechnisch weit günstiger als … den Rest denke man sich …

Georgina
6 Monate her

Ich und meine ganze Familie haben zu dieser experimentellen modRNA-Spritze ganz klar nein gesagt, diese erfolgreich abgelehnt. Allerdings mußten wir uns dreimal einem schmerzhaften Test unterziehen, der immer negativ ausfiel. Niemand benötigt eine Studie um zu diesem Ergebnis zu gelangen. Eine Studie macht nur dann Sinn, wenn diese von seriösen, nicht-lügenden Menschen, durchgeführt wird, wie oben beschrieben. Allerdings wird dieses Wort auch sehr gern von der menschenverachtenden Gegenseite genutzt und hier verliert sie jeglichen wert. Man will dann eine Pseudo-Autorität aufbauen, gegenüber den Massen. Die Lügner wollen „Glaubwürdigkeit“. Am Anfang dieser betrügerischen Pandemie hat man Kritiker verfolgt und wollte diese… Mehr

Bronstein
6 Monate her

NZZ angeblich: „im ersten Jahr der Pandemie Millionen Leben gerettet“. Im ersten Jahr gab es keine Impfung und keine Geimpften . Das erste Jahr eignet sich daher als Kontrollzeit. Die späteren Varianten waren ggf. gefährlicher. Ohne Impfung gab es keine Übersterblichkeit.

Last edited 6 Monate her by Bronstein
Wolfbert
6 Monate her

Die zwanzig Millionen erscheinen durchaus glaubhaft.
Auf dem Konto bestimmter Politiker.