Die virtuelle Rekonstruktion der Stasi-Akten harrt dagegen immer noch ihrer Umsetzung. Übernimmt ein Privater die notwendige 2-Millionen-Investition, wenn sich der Staat drückt? Von Philipp Lengsfeld.
Erinnerungspolitik und Erinnnerungskultur ist politisch oft ein heiß umgekämpftes Feld: Das war beim Thema Stasiakten natürlich ganz besonders der Fall. Obwohl jetzt, nach 30 Jahren und zum Zeitpunkt der Überführung der Akten aus der Verantwortung des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik und seiner Behörde (BStU) (die aufgelöst wird) in das Bundesarchiv die Bewertung dieses historisch sehr radikalen und mutigen Schrittes bis weit hinein in die ursprünglich erbitterte Gegnerschaft dieses vor allem von den Bürgerrechtlern betriebenen Projekts sehr positiv ist.
Erinnerungskultur kann auch ein großer Innovationstreiber sein: So hat die Generalität der Staatssicherheit in den ersten Wendewochen verzweifelt versucht, wichtige Akten zu vernichten – was nicht ganz einfach war, da sie eine urdeutsche Sammel- und Dokumentierwut hatten und ihre Technik zwar besser als im Rest des Landes, aber letztlich auch nicht wirklich adäquat war. So mussten viele Mitarbeiter in einer Art Verzweiflungsakt am Ende Akten mit der Hand zerreißen. Dabei kamen letztlich immerhin stolze 15.000 Säcke zusammen, mutmaßlich mit eher dem aktuellen, sehr brisanten Material – viele Säcke gehören zur Hauptabteilung 20 (Staatsapparat, Kultur, Kirchen, Untergrund/HA XX), deren Bereich 20/IV die Hauptzuständigen für die Oppositionsgruppen unter dem Dach der evangelischen Kirche, vulgo Bürgerbewegung, waren.
Einige wenige dieser handzerrissenen Akten wurden von Seiten des BStU in einer aufwendigen und sehr zeitraubenden Maßnahme per Hand zusammengesetzt: Damit konnte natürlich nur ein winziger Teil rekonstruiert werden. Hier kam schon sehr früh der Wissenschaftler und Innovator Dr. Bertram Nickolay vom Fraunhofer Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (Fraunhofer IPK) aus Berlin ins Spiel.
Bertram Nickolay hatte eine simple, aber durchschlagende Idee: Wenn man die zerrissenen Einzelstücke scannt und eine intelligente Software entwickelt, dann kann man die Stücke digital zusammensetzen und die virtuell rekonstruierte Akte drucken.
Die technischen Details will ich nicht vertiefen, im Prinzip ähnelt aber die die Methodik der virtuellen Rekonstruktion beim Puzzeln. Sie entscheidet anhand einer Vielzahl von Merkmalen, ob zwei Teile zusammenpassen oder nicht. Analog zur menschlichen Vorgehensweise berechnet der ePuzzler zunächst verschiedene Merkmale der Schnipsel – wie Kontur, Papierfarbe, Schrift oder Linierung und setzt sie dann sukzessive zusammen . Und damit wird gleich noch ein zweiter Punkt ganz deutlich: Ähnlich wie beim analogen Puzzeln ist die Methode unabhängig von der Sprache oder gar der Herkunft der zerrissenen Papiere – lediglich die Größe der Fragmente ist relevant: Wie beim Puzzeln ist auch die virtuelle Rekonstruktion besser, schneller und robuster, je größer die Stücke und je klarer die Muster. Damit ist der ePuzzler nicht nur für Geheimdienst und andere Aufklärung jeglicher Art hoch interessant – immerhin gibt es genug andere mafiöse Vereine und Strukturen, die durch Zerreißen von Akten versuchen, ihre Tun zu verschleiern, sondern im Prinzip auch für andere museale Rekonstruktionen.
Eine hochinnovative Technik made in Germany.
Aber wie bei jeder Innovation gibt es auch hier eine Schwachstelle: Das Scannen und die Verbindung mit der Ursprungsaufgabe. Obwohl das Fraunhofer IPK im Prototyp auch einen Scanner gebaut hat, ist für eine Übertragung des Verfahrens auf die Untersuchung der MfS-Säcke eine weitere Entwicklungsphase mit einem besseren, einfacheren semiautomatischen Scanner- und Zuführungssystem nötig. Das kostet Geld und Zeit und hätte aber bedeutet, dass man tatsächlich größere Menge der handzerrissenen Akten, zu mindestens gezielt hätte rekonstruieren können.
Ein zähes Ringen begann, denn die großen Unterstützer des Projekts neben mir, z.B. CDU-MdBs Martin Pätzold und Klaus Dieter Gröhler aus Berlin oder auch MdB Johannes Selle aus Thüringen, waren alle aus der CDU-Fraktion.
Aber im heutigen Deutschland ist nichts leichter, als ein missliebiges Projekt auszubremsen – immer neue Hürden türmten sich auf, der Rechnungshof hat Anmerkungen, zwischen Fraunhofer Dachgesellschaft, Fraunhofer IPK und der BStU-Leitung kommt es zu zähen Vertragsdiskussionen. Versuche von mir, die Zuständigkeit und die Geldquelle von BKM auf das ebenfalls denkbare Forschungsministerium (beide waren und sind in CDU-Hand) zu übertragen, wurden hintertrieben und zerredet oder gar im letzten Moment gestoppt.
Die virtuelle Rekonstruktion der Stasiakten harrt dagegen immer noch ihrer Umsetzung. Letzte Geheimnisse des MfS schlummern weiterhin in den tausenden Säcken mit handzerrissenen Akten: Eine gezielte Suche mit Hilfe eines leistungsstarken, semiautomtischen Scanners und des ePuzzlers – ein echter proof of concept – wartet auf den Einsatz.
Wird das Thema in der nächsten Legislatur, wo sich ja vieles ändern wird, noch mal aufgerufen? Man kann es nur hoffen.
Ansonsten könnte natürlich auch in diesem Land ein solches Projekt mal von privater Seite weitergeführt werden: Die Kosten sind überschaubar (1-2 Millionen), dafür hätte man einer hochinnovativen und potentiell lukrativen Digitalisierungstechnik zur Marktreife verholfen. Und vielleicht sind auch die rechtlichen Hürden nach Überführung der Verantwortung für die Akten ins Bundesarchiv für die ursprüngliche Zielsetzung Stasi-Akten nicht mehr so hoch.
Aber vielleicht bin ich da auch zu optimistisch und zu weit weg: Im momentanen Berliner Betrieb gilt: Wenn etwas politisch gewollt ist, dann ist sehr viel möglich. Aber leider noch viel mehr: Wenn etwas politisch nicht gewollt ist, dann übertrifft die Obstruktionsmaschinerie sich selber.
Philipp Lengsfeld war 2013-17 Mitglied des Bundestages für die CDU (u.a. Berichterstatter zum Thema Erinnerungskultur der CDU/CSU-Fraktion)
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Mir fällt es als Historiker eher schwer, diesem Thema angesichts dessen, was sich in diesem Land gerade abspielt, einen nennenswerte Relevanz zuzubilligen. Selbst wenn sich Merkels „Stasiakte“ unter den Schnipseln befinden sollte, was würde es ändern? Merkel ist gefährlich, wegen ihrer Politik, nicht weil sie ggf. mal als kleines Mädchen für die Geheimpolizei ihres Staates spitzelte (was sie aller Kenntnis nach aber nicht getan hat). Ein vollkommen nebensächliches Thema. Es ist nahezu ausgeschlosseen, dass sich in diesen Schnipseln irgendetwas findet, das unser Bild von der DDR nennenswert ändern würde. Merkel hat im Übrigen ihr Fähnchen ihr ganzes Leben in den… Mehr
„““Wird das Thema in der nächsten Legislatur, wo sich ja vieles ändern wird, noch mal aufgerufen? Man kann es nur hoffen.“““ Mit Verlaub, Herr Lengsfeld, in welchem Mustopf sind Sie eigentlich zuhause? Grün/Schwarz oder Schwarz/Grün, beide Varianten evtl. und notgedrungen mit ’nem bißchen Lindnergelb gesprenkelt- und da hoffen Sie auf einen erneuten Aufruf eines Projektes, das den Verbreche(r)n der kommunistischen DDR-Stasi nachgehen soll?! Diesen Figuren, die 1989 eingetaucht sind in den in Westdeutschland seit 1968 gärenden Prozess, der Zerstörung Deutschlands a la Adenauer-BRD, Die werden werden alles, aber auch alles daran setzen, daß das Fraunhoferprojekt der weiteren Entwicklung und Verwirklichung… Mehr
Es sind offensichtlich noch zuviele der damaligen Parteigänger bei uns in öffentlichen Ämtern, so dass deren Entlarvung wohl nicht nur persönliche Probleme zur Folge hätte!
Ich vermute stark, dass bei einer genauen Aufarbeitung – neben vielem Anderem – auch(!) zutage treten dürfte wie und unter welchen Umständen M’s Promotion zustande kam, wie „wertig“ sie ist … oder auch nicht. –
Was – selbstverständlich und unbedingt – zu verhindern ist!!!
Soweit ich weiss, ist die Wiedervereinigung bereits über dreissig Jahre her!
Aber wahrscheinlich hofft man heute, dass man, wenn man mit dem puzzeln fertig ist, in 30 Jahren einen 90 Jahre „jungen“ DDR-Grenzer wegen millionenfacher Freiheitsberaubung anklagen kann… 😉
(Ähnlichkeiten mit noch lebenden, oder bereits verstorbenen Personen und ähnlichen Anklagepunkten sind reiner Zufall…)
Geld für NGO und weiteren einseitigen Schwachsinn ist vorhanden. Aber an die, die in der DDR die Diktatur bekämpften, Opfer brachten und teilweise noch heute darunter leiden, wird kaum noch gedacht. So soll wieder linke Unmenschlichkeit aus dem Gedächtnis der Menschheit gelöscht werden. Wird auch jetzt wieder klappen.
Das erinnert mich an die Ausführungen von Andreas von Bülow in seinem Buch „Im Namen des Staates“. Danach bestand schon nach der Wende wenig Interesse an der Aufarbeitung der DDR-Akten, weil Schalck-Golodkowskis KoKo ziemlich undurchsichtige Geschäfte mit Wissen und sogar unter Einbeziehung westlicher Dienste (BND, CIA) betrieb.
Und von Grütters kann man erst recht keinen konstruktiven Beitrag erwarten. Als „Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien“ unterstützt sie lieber das antirussische Propaganda-Organ „Dekoder“.
LOL
Wer glaubt, dass am Ende der superteuren Superscannerei so etwas wie eine Entstasifizierung des Politmilieus und des Staatsapparates stünde, dem kann man vieles erzählen.
Naja, bei der jährlichen Milliardenverschwendung kommt es auf die paar Milliönchen auch nicht mehr an. Ein paar Fraunhofer-Spielkinder haben einige Jahre lang gut bezahlten Spaß mit ihrem tollen Spielzeug, die Informatikergemeinde hat ein anregendes Thema für´s abendliche Biertrinken und am Schluss verläuft eh alles im Sande. Gönnen wir es ihnen!
Sicher richtig, dass einige „Opportunisten und Verräter“ im nachhinein enttarnt wurden. Nur im wesentlichen Punkt hat dieses System versagt (vermutlich auch ein Verdienst von Herrn Gauck): Merkel sitzt im Kanzleramt. Und wer das nötige Durchstehvermögen besitzt streitet einfach alles ab (Gysi), Akten von durch und durch verlogenen Geheimdiensten lassen das nicht mal zwingend unplausibel erscheinen. Nur jetzt ist es eh zu spät, es ist nicht einmal unbekannt (und scheint auch niemanden zu stören) zu welchen Schlüsselpositionen sich Stasiverbindungen rekonstruieren lassen.
Wenn sich in jedem der 15.000 Säcke 10.000 Schnipsel befinden und der Scanner pro Schnipsel nur 1 Sekunde braucht, um ihn einzulesen und abzuspeichern, dauert allein dieser Vorgang fast 5 Jahre – wenn der Scanner ununterbrochen läuft.
Nun, wieviele Schnipsel sind denn in einem Sack, Herr Lengsfeld? Und wie lange braucht der Scanner, um einen Schnipsel einzulesen? Wie werden die Schnipsel voneinander getrennt und lesebereit dem Scanner zugeführt? Wie lange braucht die Software, um aus dem Inhalt von 15.000 Säcken eine A4-Seite richtig zusammenzusetzen?
Auch mir liegt an der Aufarbeitung der sozialistischen Altlasten. Nur bin ich in einigen Jahrzehnten doch recht vorsichtig gegenüber technischen Wunderversprechen geworden – ganz besonders, wenn diese im Umfeld der Politik stattfinden und aus Steuergeldern finanziert werden sollen. Das sind nämlich die klassischen Fälle, wo technisch und praktisch völlig Unbedarfte gewaltige Summen locker machen und hinterher niemand Verantwortung für den Verlust übernimmt.
Wichtiger wäre es sowieso, sich um die Gegenwart zu kümmern. Gerade im Wissenschaftsbetrieb muß mal genau hingeschaut werden, wer sich heute für welche Politik korrumpieren lässt.
Auch dieser Kommentar ist merkwürdig. Warum lässt sich das Fraunhofer Institut „korrumpieren“, wenn historisch wichtige Unterlagen, die zur Aufklärung von DDR-Unrecht benötigt werden, elektronisch zusammengesetzt werden?
Schon mal was von Klimahysterie gehört? „Unite behind the science“, anyone?
Sie sind ein hervorragendes Beispiel für das (nicht vorhandene) politische Langzeitgedächtnis des deutschen Michels.
Die Frage die sich aufdrängt ist, „wer finanziert die von Zuwendungen unmittelbar abhängige Fraunhofer-Gesellschaft wohl“???
Die zum „Entschnipseln“ nötige software ist längst „Allgemeingut“. Die hardware kein Hexenwerk. Aber als Zahler kommt halt leider nur der Regierungsapparat in Frage. –
Sonst hätten wir schon 100x den Inhalt all der Säcke rekonstruiert. –
Ich finde Ihre Kommentare recht merkwürdig. Selbstverständlich braucht auch der Scanner eine bestimmte Zeit, um die Daten zu verarbeiten. Na und? Für das gesamte Material werden mit dem Scanner 10 Jahre benötigt. Die von Ihnen angesprochenen Probleme sind gelöst, denn der Scanner war schon beim Kölner Stadtarchiv, das 2009 einstürzte, und bei, Jüdischen Archiv in Buenos Aires eingesetzt, auf das 1994 ein Anschlag verübt wurde. Warum malen Sie hier technische Bedenken an die Wand, die keine sind? Es geht zumindest viel schneller als das händische Auswerten.
@Deutscher Rein gefühlsmäßig glaube ich, daß Sie die Angelegenheit unterschätzen. In jeder Beziehung. 😉 Ich gehe von 10 Ordnerinhalten je Sack aus. 1 Ordner nimmt ungefähr 500 bis 600 Blätter auf. In Eile zerrissen sollten da je Blatt 8 „Schnipsel“ entstehen. 1 Sack also um die 40 bis 50.000 Schnipsel. Eher mehr als weniger. Selbst wenn ein Sack nur 5 Ordnerinhalte aufnähme, wäre die Anzahl der Schnipsel weit höher, als von Ihnen unterstellt. Hier unterschätzen Sie m.E. die Anzahl. Was aber kompensiert wird durch die IT-Möglichkeiten, die Sie m.E. noch erheblich mehr unterschätzen. Wenn ein Duplex-Scanner eingesetzt werden kann, ließe… Mehr
Und auch wenn es lange dauert – es handelt sich um zentrale Dokumente der deutschen Geschichte, die wohl nicht umsonst vernichtet werden sollten. So manches Unrecht könnte so, wenn nicht geahndet, so doch publiziert werden. Und dies bei überschaubaren Kosten.
Ich als Bürger habe ein Interesse an der Rekonstruktion der Dokumente. Und eine brennende Frage: wer hat ein legitimes Interesse daran, dass die Rekonstruktion nicht stattfindet?
Wenn diese Scannerei überhaupt brauchbare Resultate liefern sollte, sind bereits 40 Jahre seit dem Ende der DDR vergangen. Was glauben Sie, was da noch groß passiert?
Ich glaube, dass es Leute gibt, die sich blindlings für alles Technische begeistern und nicht zugeben können, wenn wieder mal offensichtlich Schaumschläger am Werke sind, die vor allem Staatsknete abgreifen wollen.
Ich bin gänzlich bei Ihnen!
Wenn ich nämlich richtig verstanden habe, handelt es sich nicht um Personalakten der Stasimitarbeiter, sondern um gesammelte Werke über den Tagesablauf der/einiger DDR-Bürger.
Was da wohl so alles stand?
Vielleicht:
10:00 Uhr. Geht mit seinem Hund Gassi.
10:00 – 14:30 Uhr. Bastelt an seinem Trabbi.
15:00 Uhr. Steht fünf Stunden für Klopapier an.
19:00 Uhr. Muss unverrichteter Dinge wieder nach Hause; Klopapier gab es hier gar nicht…
Ich war 1989 (Ende November) bis Februar/ März 1990 einer derjenigen, die in einer Kommission des Runden Tisches in einer norddeutschen Hansestadt solche Papiersäcke der MfS- Kreisdienststelle händisch durchforstet hat. Die meisten DinA4- Seiten waren höchstens in 6-8 Stücke zerrissen. Da ist nix mit 10000 Schnipseln. Manchmal erinnere ich mich daran, dass ich mich einmal selbst dabei ertappte, wie ich mir nach einem solchen Tag des „Wühlens“ in den Papierbergen mehrmals die Hände wusch. Nicht weil sie schmutzig waren, sondern weil ich solche Widerwärtigkeiten von den Spitzeln gelesen hatte, dass mich das psychisch belastete. Von Liebesaffären der „Reisekader“ über Briefe… Mehr