Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte sagte einmal: „Wir in den Niederlanden haben ohne jede ausländische Hilfe zahlreiche Reformen ergriffen - und jetzt sollen wir denen, die Reformen unterlassen haben, dafür Geld geben?“
Als Wolfgang Schäuble noch Finanzminister war, hatte er mit dem sogenannten „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) Großes vor. Er erklärte in einem Interview:
„Wir müssen Europa unterhalb der Schwelle von EU-Vertragsänderungen handlungsfähiger machen. … Das Primärrecht müssen wir dafür nicht ändern. Das könnten wir in der Euro-Zone auch mit einer Änderung des ESM-Vertrages hinbekommen“. Was wollte er „hinbekommen“?
Er wollte aus dem ESM einen „Europäischen Währungsfonds“ machen, der nicht nur subventionierte Kredite an überschuldete Mitgliedstaaten vergibt, sondern auch anstelle der Europäischen Kommission die Einhaltung der Fiskalregeln und der wirtschaftspolitischen Auflagen überwacht. Außerdem wünscht er sich einen „Euro-Finanzminister“, der über einen eigenen aus Mehrwert- und Einkommensteuer gespeisten Haushalt verfügt. Der ESM-Chef als Euro-Finanzminister?
„Es könnte in diesem Zusammenhang daran gedacht werden, die Rolle des ESM grundsätzlich zu stärken. Mit dem Antrag eines Mitgliedstaates auf Finanzhilfen beim ESM wird die Einschätzung zur weiteren Wirtschaftsentwicklung, zur Schuldentragfähigkeit und zum Finanzbedarf derzeit durch die Europäische Kommission im Benehmen mit der EZB erstellt, und dies ist auch für die Überwachung der wirtschaftspolitischen Auflagen vorgesehen. Diese Aufgaben könnten künftig auf den ESM übertragen werden.“ (S. 57).
„Im Falle einer Umschuldung … könnten Koordination und begleitende Aufgaben, wie etwa die Erfassung der bestehenden Ansprüche, auf den ESM übertragen werden, und dieser könnte auch mit der effektiven Abstimmung der Umschuldung mit einem Anpassungsprogramm und Finanzhilfen des ESM beauftragt werden. Mit Stärkung des Krisenbewältigungsmechanismus könnte darüber hinaus auch in Erwägung gezogen werden, dem ESM ergänzend die Funktion einer unabhängigen Fiskalbehörde zu übertragen. Dazu könnten ihm die bisher bei der Europäischen Kommission liegenden Aufgaben der Bewertung der Haushaltsentwicklungen und der Einhaltung der Fiskalregeln übertragen werden“ (S. 64).
Die französischen Vorstellungen hat Villeroy kürzlich präzisiert:
- Der ESM heißt in Zukunft „Europäischer Währungsfonds“.
- Der Chef der Eurogruppe soll als Vorsitzender des Gouverneursrats „Finanzminister“ der Eurozone werden.
- Der Fonds soll seine subventionierten Kredite nicht nur wie bisher bei Gefahren für die Finanzstabilität vergeben, sondern auch schon, wenn ein Land von einem negativen asymmetrischen makroökonomischen Schock getroffen wird oder mit einer „vorübergehenden politischen Unsicherheit“, einem plötzlichen „irrationalen“ Vertrauensverlust oder einer Naturkatastrophe konfrontiert ist.
- Der Kreditnehmer muss die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts einhalten, braucht aber kein zusätzliches Anpassungsprogramm zu akzeptieren.
- Der Fonds soll die Haushaltspolitiken der Euroländer im Rahmen der Krisenprävention überwachen.
Villeroy vertritt die Meinung, dass dafür keine Änderung der europäischen Verträge notwendig sei. Artikel 136 Z. 3 AEUV macht jedoch zur Bedingung für Euro-Finanzhilfen, dass sie unter „strengen Auflagen“ vergeben werden, „um die Stabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt zu wahren“. Das Wesen eines asymmetrischen Schocks ist, dass er gerade nicht das gesamte Euro-Währungsgebiet, sondern nur einzelne Länder oder Teile des Währungsraums trifft. Er wird daher in der Regel auch nicht die Stabilität des gesamten Euro-Währungsgebiets gefährden.
Kritik der Vorschläge
Sollte der ESM mehr Macht erhalten? Zunächst zur Überwachungskompetenz. Die Haushaltskriterien des Maastricht-Vertrages gelten nicht nur für die Euroländer, sondern für alle EU-Staaten. Was ist mit den Ländern, die zwar der EU, aber nicht der Eurozone angehören? Der ESM ist da keine Lösung. Sollen die einen von der Europäischen Kommission und die anderen vom ESM überwacht werden?
Was die besonderen Verfahren der Haushaltsüberwachung in der Eurozone und die wirtschaftspolitischen Auflagen für ESM-Schuldner angeht, ist zu fragen, wieso der ESM ein besserer Kontrolleur sein soll als die Europäische Kommission. Schäuble meint: „Der ESM würde die Haushaltsentwürfe nicht politisch, sondern streng nach den Regeln beurteilen“. Aber der ESM wird letztlich von seinem Gouverneursrat, den Finanzministern, dirigiert – also genau von denen, die die Haushaltsdefizite höchstpersönlich zu verantworten haben. Sie haben kein Interesse daran, gerügt zu werden oder gar Geldbußen zu zahlen. Ein Finanzminister hackt dem anderen kein Auge aus. Man würde die Böcke zu Gärtnern machen. Die Fiskalregeln können nur funktionieren, wenn die Sanktionen automatisch greifen. Dazu sind die meisten Regierungen der Eurozone aber – unter der Führung Frankreichs – nicht bereit. Damit ist schon Theo Waigel gescheitert.
Nun zu den wirtschaftspolitischen Auflagen, die den Empfängern von ESM-Krediten auferlegt werden. Ob sie eingehalten werden, prüft bisher die sogenannte Troika aus Kommission, EZB und IWF. Die Einsicht wächst, dass die EZB nie Mitglied der Troika hätte werden dürfen. Es ist nicht die Aufgabe von Zentralbankbeamten, die Wirtschaftspolitik demokratisch gewählter Parlamente und Regierungen zu kontrollieren.
Dieses Anreizproblem ist aus der Geschichte des Internationalen Währungsfonds sattsam bekannt. Zwar hat der IWF zum Beispiel im Zeitraum 1991-2012 insgesamt 41 Kreditprogramme wegen Nichterfüllung der Auflagen abgebrochen (Urbaczka, Vaubel, Cato Journal 2013). Aber auf dreißig dieser 41 Programme folgte innerhalb eines Jahres das nächste Programm. Nur fünf Staaten erhielten nach dem Abbruch ihres Programms keinen Kredit mehr. Die Regierungen der Schuldnerländer kennen das Interesse der IWF-Beamten und nehmen die Auflagen daher nicht ernst. Sie bekommen ja so oder so bald einen neuen Kredit.
Wenn die IWF-Beamten dagegen in der Euro-Troika darüber mitentscheiden, ob die Auflagen des ESM eingehalten worden sind, haben sie kein Interesse, zu lasch zu sein, denn es geht ja nicht um Kredite des IWF, sondern des ESM. Auch in der Frage der Schuldentragfähigkeit hat sich der IWF als unbestechlicher Mahner erwiesen. Wolfgang Schäuble wollte den IWF anfangs nicht dabei haben, aber er hat seine Meinung geändert: „Die Frage war, machen wir es als Europäer, oder machen wir es mit dem Internationalen Währungsfonds? … Ich habe gesagt, das müssen wir als Europäer schon alleine schaffen. Angela Merkel fand, die Brüsseler Kommission kann die nötige Härte nicht aufbringen, so wie sie nun mal konstruiert ist. Die Kanzlerin hatte recht“ (FAS, 22.10.17). Selbst Schäuble kann also heute nicht dafür sein, den IWF aus der der Troika zu drängen. Im Gegenteil, da ESM, EZB und Kommission aus den genannten Gründen nicht geeignet sind, die Einhaltung der ESM-Auflagen zu überwachen, bleibt für diese Aufgabe eigentlich nur der IWF übrig.
Ist es sinnvoll, wie die Bundesbank weiterhin vorschlägt, den ESM bei Umschuldungen einzuschalten? Nein, denn auch hier gibt es ein gravierendes Anreizproblem. Da der ESM selbst ein Gläubiger der umschuldenden Staaten ist, sind seine Beamten daran interessiert, dass der ESM keine Forderungen abschreiben muss und dass die anderen Gläubiger auf einen möglichst großen Teil ihrer Forderungen verzichten. Sein institutionelles Interesse hindert den ESM also daran, als neutraler „Broker“ Umschuldungen zu organisieren. Effizient wäre die Einschaltung des Pariser bzw. Londoner Clubs, die auch sonst für Umschuldungen zuständig sind.
Wenn man dem ESM jetzt zusätzliche Kompetenzen gäbe, die ihn langfristig als unentbehrlich erscheinen lassen, würde man jedoch seine spätere Abschaffung erschweren.
Wirtschaftspolitische Auflagen kann der ESM nur aushandeln, wenn er gleichzeitig subventionierte Kredite vergibt. Die Verbilligung der Kredite schwächt die Bereitschaft, Reformen zu ergreifen und Auflagen zu erfüllen. Außerdem wird man sich in Zukunft weniger scheuen, überhaupt erst einmal in eine Krise zu geraten. Deshalb ist der ESM alles andere als ein „Stabilitätsmechanismus“. Bei der subventionierten Kreditvergabe des Internationalen Währungsfonds ist es nicht anders. Je mehr IWF-Kredite einem Land noch zur Verfügung stehen, desto höher sind sein Haushaltsdefizit und seine Geldmengenexpansion (Dreher, Vaubel, Open Economies Review, 2004).
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte hat es einmal so formuliert: „Wir in den Niederlanden haben ohne jede ausländische Hilfe zahlreiche Reformen ergriffen – und jetzt sollen wir denen, die Reformen unterlassen haben, dafür Geld geben?“
Roland Vaubel ist emeritierter Professor der Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Er hat im November zu diesem Thema das folgende Buch veröffentlicht:
Das Ende der Euromantik – Neustart jetzt
Springer Taschenbuch (14,99 Euro) und e-book
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein
ist Schäuble eigentlich immer noch Gouverneuer beim ESM? „Bund der Steuerzahler in Bayern e.V. Ein Langfinger als Bundesfinanzminister? (10.12.2013) während der Bundesfinanzminister diese Gelder über die ESM-Bank an internationale Banken und Finanzoligarchen weiterschiebt (der einfache Grieche sieht davon keinen Cent). Doch obschon es Dr. Schäuble per Gesetz klar verboten ist, neben seinem Finanzministerposten irgendeinen anderen Beruf auszuüben oder ein Wirtschaftsunternehmen, wie die ESM-Bank, zu leiten (Art. 66 GG i.V.m. § 5 I Abs. 2 BMinG), bekleidet er dort den Gouverneursposten. Die größte Dreistigkeit aber liegt darin, dass die geistigen Gründungsväter der ESM-Bank (Dr. Schäuble gehört dazu!), den ESM-Bank-Vertrag so gestaltet… Mehr
Irrwitz!
O h n e Witz für „die Bürger“.
M I T Witz nur für die die im Selbstbedienungsladen arbeiten.
•
Manchmal beschleicht mich der Gedanke, dass man – wollte man die Staaten Europas so schnell wie möglich global noch weiter marginalisieren – es genau SO! anstellen müsste. –
Erst bricht man die „selbst gestzte Regel“, das „Bail-out-Verbot“. Und weil selbst DAS noch nicht reicht, schafft man ein höcht komplexes Instrumentarium mit „toll klingendem Namen“ in dem man, ohne dass „die Kinder“ es bemerken den „Bock zum Gärtner“ machen kann. – Wunderbar. – Wunderbares Beispiel für Selbstreferentialität, Selbstbedienung!!! OHNE im geringsten die verherenden Folgen für das lästige Pack der Bürger zu bedenken. Wieso nur erinnert mich das an Ringelnatz, das „Kinder-Verwirr-Buch“. – Z.B. nur: Daß eure Windeln wie Segel sind, Das wißt ihr Kinder noch nicht. Ihr kümmert euch nicht um den eigenen Wind, Um den fremden Wind, um… Mehr
Nur das Ende des ESM schafft langfristig das Vertrauen in ALLE Euroländer. Solange er nur ein Vehikel ist, die bonitätsschwachen durch die starken schützen zu lassen, verzögert er die Verbindung von Haftung und Verantwortung
Komplizierter, unkontrollierter, so soll der Geldumgang für die Staatenlenker zukünftig sein.
Da gibt es nur eine Alternative: Raus aus dem Euro, so schnell wie möglich!
Zitat (Ende des Artikels) „Roland Vaubel ist emeritierter Professor der Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Er hat im November zu diesem Thema das folgende Buch veröffentlicht: – Das Ende der Euromantik – Neustart jetzt – Springer Taschenbuch (14,99 Euro) und e-book“
Nur für jeden, der es nicht weiß: Der „Springer-Verlag“ und „Axel Springer-Verlag“ sind zwei völlig verschiedene und unterscheiden sich wie Feuer und Eis. ^^ Just sayin‘ …
Hat sich Griechenland noch in den Euro betrogen, wird der Rest der Eurostaaten nun selbst zu Griechenland.
Wer glaubt eigentlich, dass dieser ständige Selbstbetrug, kein Geld in der Kasse, aber schnell neues drucken, ohne einen gewaltigen Knall zuende gehen wird?
Eine Ergänzung noch, der Anteil Deutschlands an den ESM beträgt derzeit 27%. Wenn England austritt wird der Anteil so bei 32% liegen. Kann mir jemand erklären, warum wir nicht nur mehr Migranten aufnehmen als die ganze EU zusammen, sondern auch der grösste Gläubiger dieses ESMs sind?
Was passiert wenn die Mittel nicht mehr ausreichen um die kronisch insolventen Mittelmeer Staaten inkl. Frankreich zu finanzieren? Und das innerhalb von nur 7 Tagen! So steht es im Gesetz.
Die Logik dahinter ist offensichtlich….. Finis Germania
Finis Germania, dafür: Hallo EU!
Deutschland wird durch unsere unfähige Politik a`la Merkel zum Schmelztiegel Europas. In Folge müssen uns die anderen auffangen, bist es kracht.
Dann haben wir endlich unser unregierbares Deutschland wieder.
Einer der Niederländischen Reformen war es Holland zu einem Steuerparadies umzubauen 😉 Spass beiseite. Es ist auffallend wie in der EU zusammengespielt wird. Einer gibt etwas vor (Marcon) und alle steigen befliessen auf diesen Zug auf. Damit es nicht auffällt, das die „Reformen“ ganz woanders geplant UND ausgeführt werden, schickt man immer eine andere Handpuppe vor. Unsere „Politelite“ hat schon fleissig ihre Zustimmung bekundet, Grüne, die SPD sowieso, die Linken – alle äussern sich positiv über diesen Geldtransfer-Modus. Die letzten solventen Länder sollen ihre Finanzhoheit verlieren und den Geldbeutel abgeben. Gabriel meinte heute O-Ton… wir sollten jetzt nicht über Geld… Mehr
Was wird aus dem ESM?
Keine Ahnung. Aber ich weiss das Deutschland dafuer zahlen wird.