Jetzt kommt das Wahlrecht an die Reihe

Nachdem die Koalitionäre den Bürger entmündigt haben, gibt es nur noch eine Größe, die ihnen gefährlich werden könnte: die Opposition. Ein Verbot ist nicht nötig, da es elegantere Mittel gibt, mit ihr fertig zu werden: der Entzug des passiven Wahlrechts – so wie Macron das mit Le Pen gemacht hat. Von Konrad Adam

IMAGO / Emmanuele Contini

Vor langer Zeit, als sich die Deutschen vom Schock der Niederlage erholt hatten und nach neuen Gewissheiten Ausschau hielten, wurde ihnen der Verfassungspatriotismus als Stichwort zugerufen. Ein echtes Professorenstichwort, vage, abstrakt und farblos. Es stammt von Dolf Sternberger, wurde von Jürgen Habermas aufgegriffen und popularisiert. Zwei Generationen lang hat es den Deutschen als Ausrede gedient, doch damit ist nun Schluss. Nachdem ihnen der Patriotismus ausgetrieben worden war, folgt jetzt der Glaube an die Verfassung.

Vom Haushaltsbewilligungsrecht, dem einstmals sogenannten Königsrecht des Parlaments, sind nur noch Trümmer übrig. Da sie im Umgang mit den Staatsfinanzen freie Hand haben wollten, haben die Volksvertreter die Vorschrift, Ausgaben und Einnahmen zur Deckung zu bringen, kurzerhand gestrichen – ersetzt durch einen Rattenschwanz von Ausnahmen, Vorbehalten und Sondertatbeständen, die niemand überblickt und kontrolliert, sie selbst natürlich auch nicht. Mit dem Beschluss, die Schuldenbremse zu lockern, hat ein abgewählter Bundestag auf Geheiß einer geschäftsführenden Bundesregierung nun endgültig die Segel gestrichen.

Immerhin hatte sich das Parlament noch einmal zu Wort gemeldet. Wenn die Regierung die Grundrechte aufs Korn nimmt, pflegt es zu schweigen. Zwar macht das Grundgesetz mit dem Schutz von Menschen- und Bürgerrechten Ernst: Es hat verboten, ihren „Wesenskern“ anzutasten, Eingriffe nur per Gesetz erlaubt und überdies verlangt, „unter Angabe des Artikels“ das Grundrecht zu benennen, das eingeschränkt oder aufgehoben werden soll. Aber was vermag das alles gegen eine entschlossene Regierung, gegen ein folgsames Parlament und gegen eine willige Justiz? Wenn es verboten ist, Grundrechte per Gesetz auch nur anzutasten, dann machen wir das eben per Verordnung – wie zu Corona-Zeiten tatsächlich geschehen. Not ist nötig, sagen sich Machthaber, denn nur in Notzeiten können wir machen, was wir wollen.

Das Virus lieferte den Vorwand; den haben sie genutzt. Umgangen oder missachtet, eingeschränkt oder ausgesetzt worden sind damals das Gleichheitsgebot, die Glaubens- und die Bewegungsfreiheit, Versammlungs-, Vereins-, Berufs- und Gewerbefreiheiten (einschließlich des Rechts auf sexuelle Dienstleistungen, Verfassungsrichter sind genaue Leute) und was dergleichen Freiheiten mehr sind – im Grunde also alles, was im bürgerlichen Alltag zählt. Auf dem Verordnungswege, wie gesagt, und abgesegnet von einem Gericht, das ursprünglich dazu geschaffen worden war, den Bürger gegen den Übermut einer Regierung zu schützen, die sich verantwortlich nennt, aber nicht ist. Vor wem denn auch verantworten, wenn es das Volk, die Quelle aller Staatsgewalt, wie es im Grundgesetz heißt, nicht mehr gibt? Die Spahns und Lauterbachs sind nie zur Rechenschaft gezogen worden, genauso wenig wie Frau Merkel.

Ja, die Verfassung gibt es noch, aber sie bedeutet nichts mehr. Wenn es ernst wird, kann sich keiner von uns auf sie berufen. Sie ist ersetzt worden durch Gremien und Verfahren, von denen das Grundgesetz nichts weiß: durch Koalitionsrunden und Koalitionsausschüsse, die Koalitionspapiere und Koalitionsbeschlüsse produzieren, die nach Recht und Gesetz nicht lang fragen. Schamlos gegen die Wähler und rücksichtslos gegen die Verfassung, kündigen sie ihren Angriff auf unsere bürgerlichen Freiheitsrechte in der Gewissheit an, dass der Bürger ohnehin nichts mehr zu sagen hat. Sie reden von „unserer Demokratie“, als wäre sie ihr Eigentum; und jeder, der mitreden will, ihr Gegner.

Nachdem sie den Bürger entmündigt haben, gibt es nur noch eine Größe, die ihnen gefährlich werden könnte – die Opposition, die Regierung von morgen, wie sie in England heißt. Die kleinzukriegen ist nicht leicht, weil das Grundgesetz einem Parteiverbot gewaltige Hindernisse in den Weg legt. Doch ein Verbot ist gar nicht nötig, da es ja andere, elegantere Mittel gibt, mit der Opposition fertig zu werden. Man muss ihre Führer nicht einmal einlochen, wie Erdogan das tut, oder umbringen, wie das in Russland üblich ist; es reicht, ihnen das passive Wahlrecht zu entziehen, so wie Macron das mit Marine Le Pen gemacht hat (oder machen ließ) – wobei passiv in diesem Fall ein glatter Euphemismus ist. Denn indem er seiner schärfsten Rivalin das Recht, gewählt zu werden, nimmt, nimmt er ja auch Millionen von Bürgern das Recht, sie zu wählen. Und eben darauf kommt es ihm doch an.

Der Angriff auf das Recht, gewählt zu werden, ist nur der erste Schritt. Der zweite, der das Wahlrecht in seiner aktiven Form sabotiert, das Bürgerrecht auf allgemeine, freie, gleiche und geheime Wahlen leerlaufen lässt, ergibt sich früher oder später dann von selbst. Denn wozu wählen, wenn man keine Wahl mehr hat? Geht es nach dem Willen der beiden immer noch sogenannten Volksparteien, soll das passive Wahlrecht verlieren, wer sich der Volksverhetzung schuldig macht. Und schuldig ist jeder, der gegen Einzelne oder Gruppen wegen ihrer Zugehörigkeit zu nationalen, rassischen, religiösen oder sonstigen Minderheiten etwas Böses vorbringt, „zum Hass aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen auffordert“ – ein Blankoscheck, der seinerseits zu Willkür und Gewalt einlädt, da er aus lauter unbestimmten Rechtsbegriffen besteht.

Ich würde gern genauer wissen, was unter diesen Kautschukwörtern zu verstehen ist. Auch ich bin gegen Einzelne und ganze Gruppen, die zum Hass, ja zur Vernichtung von Andersdenkenden, Andersredenden und Andersglaubenden aufrufen. Und nicht nur aufrufen, sondern auch so handeln, weil sie den frommen Schriften folgen, die der Ungleichheit das Wort reden, die einen Mann für wertvoller halten als eine Frau, die dazu einladen, Minderheiten zu bekämpfen und zu unterdrücken, die es für verdienstvoll halten, Juden und Christen die Hälse abzuschneiden, und was dergleichen fromme Wünsche mehr sind.

Ich glaube immer noch, dass Deutschland gut daran getan hätte, auf die Bereicherung durch Kulturen zu verzichten, die solche Tugenden predigen und praktizieren. Und gut daran täte, das Versäumte wo irgend möglich nachzuholen. Wie viele andere bin ich nicht dazu bereit, junge Leute, die ihre erste Straftat schon beim Überschreiten der deutschen Grenze begangen haben, als Mitbürger zu begrüßen. Im Gegenteil plädiere ich dafür, sie in ihre Heimat abzuschieben oder zurückzuführen, wie immer man das nennen will. Also dafür, immer dann, wenn sich der Einwanderer dem Einleben widersetzt, Migration mit Remigration zu beantworten.

Nun warte ich auf Antwort – ob sie kommt, von wem sie kommt und wie sie aussieht. Oder ob sich James David Vance geirrt hatte, als er neulich den Verdacht aussprach, dass es in Deutschland mit der Meinungsfreiheit nicht weit her sei.


Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.

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Kommentare ( 67 )

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Don Didi
1 Tag her

Das passive Wahlrecht ist zwar wichtig, aber nicht entscheidend.
So wie unsere derzeitige Regierung nur aus Politmarionetten besteht, könnte es auch die Opposition handhaben.
Selbst wenn es gelingt, Weidel, Höcke, Chrupalla das passive Wahlrecht zu entziehen, können die 3 noch immer Sprecher sein, noch immer Parteiführung und medienwirksam und irgendeine beliebige Marionette auf Listenplatz 1 setzen, die exakt deren Agenda umsetzt. Ich glaube nicht, daß das Entziehen des passiven Wahlrechts die Opposition hierzulande groß beeinflußt.
Das ist bei Personenkult wie um Le Pen oder Trump (oder auch Wagenknecht) schon etwas anders, das haben wir hier in dem Maße aber nicht.

jopa
3 Tage her

Ich sagte schon vor einiger Zeit: Unsere Wahre Demokratie nähert sich immer den anderen wahren Demokratien an, die da sind oder waren: DDR, SU, Iran, Vr China, Nordkorea usw. Diese zeichnen sich aus: 1.Meinungsfreiheit vom Typ Idi Amin: Ich garantiere die Freiheit der Meinung, aber nicht die Freiheit nach der Meinung. 2.Demonstrationen= Aufmärsche für die Regierung erlaubt, alle anderen verboten 3.Aus die Wahlzettel dürfen nur die, die das Regime für geeignet hält, der Typ Klatschhase. 4. Gleichgeschaltete Presse und ÖRR wie Neues Deutschland, DFF, Prawda. 5. Demokratie a la Ulbricht: Es muß nur demokratisch aussehen… 6. Manche dieser unserer wahren… Mehr

Jan Frisch
3 Tage her

Das kleine Possessivpronomen „unsere“ vor der Demokratie, ist ein Segen für jedes Streitgespräch. Sie haben sich über die Parteien den Staat, und zwar alle drei Zweige, zur Beute gemacht, da wirkt diese Sprachregelung wie ein Geständnis.

Ceterum censeo Berolinem esse delendam
3 Tage her

Ja, die Verfassung gibt es noch Einspruch. Eine Verfassung gab es nie. Nur ein Grundgesetz, das lediglich so lange gelten sollte, bis das deutsche Volk „in freier Entscheidung“ eine Verfassung beschlossen hat (Artikel 146 GG). Das Grundgesetz sollte also nur eine Übergangsregelung darstellen. Da dem deutschen Volk eine freie Abstimmung über seine Verfassung seit jeher vorenthalten wird, ist dieses Grundgesetz wertlos. Und so geht die jeweils herrschende Junta eben auch damit um. Dass es sich hierzulande nicht mal ansatzweise um eine Demokratie handelt, sieht man aber nicht nur daran, sondern auch an dem Umstand, dass die Deutschen nicht einmal ihren… Mehr

Lotus
3 Tage her

„Wenn es ernst wird, kann sich keiner von uns auf sie [Verfassung] berufen.“ – Oh doch. „Geflüchtete“ tun es täglich massenhaft. GG Art. 16a (1) ist in Beton gegossen und seit vielen Jahren das Einfallstor für illegale Migration. Ganz anders bei GG Art. 3 (3): Niemand darf wegen […] seiner politischen Anschauungen […] benachteiligt oder bevorzugt werden. – Wird seit vielen Jahren einfach ignoriert. Alle anderen Arten der Diskriminierung (Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glauben, religiöse Anschauungen) sind seit Jahren ein Vorwand für den linksgrünen Umbau der Gesellschaft. Die „Brandmauer“ steht in keinem Gesetz, schon gar nicht in… Mehr

W aus der Diaspora
4 Tage her

Ich hoffe doch sehr, dass der RN in Frankreich nicht nur aus Frau Le Pen besteht. Die Partei sollte doch wohl noch mehr kluge Köpfe haben. Die AfD besteht auch nicht nur aus Höcke und Weidel. In Rumänien dagegen geht es gerade darum, dass dort wirklich nur eine Person und nicht eine Partei gewählt wird. Wir dagegen wählen eine Partei, die stellt zwar immer eine oder auch ein paar Personen vorne dran, Diese Personen können aber jederzeit ausgetauscht werden ohne, dass sich dadurch die Politik maßgeblich ändert. So könnte die CDU auch statt Merz z.B Linnemann als Bundeskanzler vom Parlament… Mehr

Dieter Blume
4 Tage her

Linientreue Juristen stehen schon in den Startlöchern. Sie werden Herrn Höcke zweimal wegen Volksverhetzung anklagen und verurteilen, damit er nicht mehr Ministerpräsident in Thüringen werden kann. Ich bin mal gespannt, was die Demokratieretter sich für Alice Weidel und Tino Chrupalla einfallen lassen. Die freiheitlich demokratische Grundorndung existiert nicht mehr.

Werner Holt
4 Tage her

Ich würde allen hier postenden Leuten dringend empfehlen, sich weniger auf das Verfassen langer, sicher sehr kluger und geistreicher, aber letzten Endes nutzloser Kommentare zu konzentrieren, sondern vielmehr auf das Bekämpfen der Propaganda des Altparteienkartells im Alltag, das um so unversöhnlicher und haßerfüllter wird, je mehr ihm das Macht- und Deutungsmonopols entgleitet.

Werner Holt
4 Tage her

Es ist nicht anzunehmen, daß das Ancien regime sich so einfach durch den Urnenpöbel abwählen läßt. Das ist in deren Drehbuch jedenfalls so nicht vorgesehen. Irgendwann, unter Umständen sehr bald, wird die Entscheidung Spitz auf Knopf stehen, und dann wird es keine noch so gescheite juristische Argumentation, sondern der maximale Druck der Bevölkerung sein – nicht nur, aber vor allem auf der Straße – , der diesem Treiben der Parteien der untergehenden alten Bonner Republik ein Ende setzt, die zwar inzwischen nach Berlin umgezogen ist, sich aber hartnäckig weigert, die neuen politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse zur Kenntnis zu nehmen.

Marcus Iunius Brutus
3 Tage her
Antworten an  Werner Holt

Wenn es wirklich so weit kommen sollte, werden sie nicht nur Wasserwerfer auffahren…

Klaus Kabel
4 Tage her

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden. (4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. Der Situation in Deutschland legitimiert Artikel 20 (4) In Deutschland findet ein Putsch von oben statt, der die demokratischen… Mehr

gmccar
4 Tage her
Antworten an  Klaus Kabel

War schon absehbar, als Uschi als Verteidigungsminister die Bundeswehr nach „Rechtsextremen“ filzte. Da wurden alle Offiziere ausgesondert, die sich einem bereits kurz danach erfolgten Putsch durch Sozialisten und linksextreme NGOs sich hätten entgegenstellen können. Merkel hat mit dieser Platzhalterin erfolgreich agiert.