Der Erfolg von Donald Trump bei den US-Präsidentschaftswahlen ist kein epochales Beben, schließlich ist der Machtwechsel durch Wahlen normale Demokratie. Aber wer versucht, weiter an den Menschen vorbei zu regieren, bekommt Schwierigkeiten.
Die USA haben gewählt, und die Welt ist in Aufruhr. Typisch amerikanisch, nicht wahr? Im Vergleich zur letzten Präsidentenwahl 2012, die Amtsinhaber Barack Obama mit 51,1% der Wählerstimmen gegen den republikanischen Herausforderer Mitt Romney (47,2%) gewann, gab es zwar nur leichte Verschiebungen zugunsten der Republikaner im niedrigen einstelligen Prozentbereich. Im Wahlsystem der USA, in dem Wahlmänner den Mehrheitsentscheiden in den einzelnen Bundesstaaten folgend den Präsidenten wählen, reichten diese aber aus, um die Mehrheitsverhältnisse zu kippen: Nach acht Jahren dürfte nun mit Donald Trump wieder ein Republikaner die Mehrheit der Wahlmänner auf sich vereinen können.
So weit, so unspektakulär, könnte man meinen, schließlich ist der Machtwechsel per Wählervotum Sinn und Zweck demokratischen Politik und somit alles andere als ein alarmierender Ausnahmezustand. Weder hat sich eine gewaltsame Revolution noch ein Putsch noch eine Militärintervention ereignet. In einer funktionierenden Demokratie ist der Wechsel eine Konstante.
Doch folgt man den Kommentaren aus Politik- und Medienkreisen, so steht die Welt mit dem Sieg von Donald Trump einmal mehr am Abgrund, zumindest aber vor einem radikalen Zeitenwechsel. Dieser Eindruck ist zurückzuführen auf die gewollte und von beiden Seiten inszenierte Emotionalisierung des politischen Wettstreits. Sie hat dafür gesorgt, dass diese Wahl als Entscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Aufstieg und Untergang, zwischen Fortschritt und Rückschritt, zwischen Krieg und Frieden diskutiert wurde.
Dass diese Zuspitzung der Realität nicht entspricht, wird dann deutlich, wenn man sich vor Augen führt, wie stabil die Verteilung der politischen Präferenzen in der US-amerikanischen Gesellschaft tatsächlich ist. Politische Beben oder Erdrutschsiege sehen jedenfalls anders aus. Wirklich einschneidende Stimmungsumschwünge in der US-amerikanischen Wahlbevölkerung hat es nicht gegeben. Die öffentliche Hysterie ist vielmehr das Resultat der zunehmenden Unfähigkeit von Beobachtern und Kommentatoren, politische Veränderungen rational und sachlich und aus einer dafür notwendigen Distanz zu verfolgen und zu bewerten.
Öffentliche Hysterie folgt Blindheit der Beobachter
Anstelle nüchterner Analysen prägen Entsetzen, Empörung, tiefe Niedergeschlagenheit und Panik einerseits sowie triumphaler Überschwang und Großmut andererseits die Reaktionen auf das Wahlergebnis. Doch in Wirklichkeit haben die Wahlen keine neuen radikalen Trends offengelegt, die nicht schon seit Jahren bekannt gewesen wären. Weder standen revolutionäre Ideen oder Politikkonzepte zur Wahl, noch griff man zu völlig neuen Mitteln und Methoden, um für diese zu werben und sie durchzusetzen.
Es kann niemanden überraschen, dass ein Kandidat, der sich als Gegner des unbeliebten politischen Establishments und als Vertreter des „einfachen Mannes“ positioniert, Unterstützung in diesen Wählerkreisen gewinnt. Wenn überhaupt, dann fällt eher die große Anzahl verschiedener der Bevölkerungsgruppen auf, in denen Trump gut abschnitt. In der gegenwärtigen politischen Situation ist es außerdem nicht überraschend, dass der Groll vieler Menschen gegenüber der etablierten Politik und den alteingesessenen Eliten keine linksliberale und linksintellektuelle Richtung einschlägt. Tatsächlich ist die heutige Anti-Eliten-Stimmung kein „linkes“ Gefühl, sondern richtet sich explizit gegen all das, was mit dieser politischen Ausrichtung verbunden wird. Dies ist, wie wir in Europa wissen, kein amerikanisches Phänomen.
In Ermangelung eigener politischer Visionen hatten beide Seiten im US-Wahlkampf kaum etwas Inhaltliches zu sagen – sieht man von den Beteuerungen dessen ab, was und wen man auf keinen Fall wolle. Dementsprechend sank das Niveau der Auseinandersetzung oft auf ein unerträgliches Niveau herab. Politik ohne Inhalte ist nicht nur langweilig, sondern auch überflüssig – was die historisch niedrige Popularität beider Kandidaten eindrucksvoll zeigte.
Mit Sicherheit wird dieses Wahlergebnis erhebliche politische Konsequenzen haben – was ja auch der Grund ist, warum Wahlen überhaupt durchgeführt werden. Doch so klar und eindeutig, wie nun vonseiten des unterlegenen links-liberalen Meinungsspektrums der Niedergang der politischen globalen Friedenskultur beschworen wird, wird sich die Zukunft nicht entwickeln. Denn jenseits aller Emotionalität zeigen sich in dem Wahlergebnis neben problematischen auch positive Aspekte.
Als positiv zu bewerten ist die Bereitschaft eines wachsenden Teils der amerikanischen Bevölkerung, sich gegen das unbeliebte politische Establishment zu stellen und auch dem Druck von seiten weiter Teile der Medien sowie der kulturellen und intellektuellen Eliten zu widerstehen. Problematisch an dieser Entwicklung ist jedoch, dass die sich den Menschen bietende Alternative keine ist, die sie selbst und die Gesellschaft wirklich nach vorne bringt. Denn außer seinem Hass auf die etablierte Politik und dem Rückgriff auf alte Ressentiments hat der neue Präsident wenig anzubieten.
Diese inhaltliche Schwäche von Donald Trump, der sich ja im Wahlkampf sogar stolz als Anti-Politiker inszenierte, wird nicht Amerika stark machen, sondern die Abkehr vom demokratischen System beschleunigen. Möglich wurde diese Entwicklung jedoch erst durch das Versagen seiner Gegnerin Hillary Clinton als Vertreterin des politischen Establishments. Wenn sich große Teile der Wahlbevölkerung lieber von einem unberechenbaren, weitgehend visionsfreien und cholerisch herumpolternden Demagogen Trump als von einer erfahrenen Politikerin Clinton regieren lassen wollen, dann sagt dies mehr über sie aus als über ihn.
Signal an die westliche Welt
Der Wahlausgang in den USA ist aber auch ein Signal an die westliche Welt: Er macht deutlich, dass die alten und eingefahrenen Instrumente der arroganten Gesellschaftsverwaltung an den Menschen vorbei nicht mehr greifen. Für das gesellschaftliche Klima in den USA und in Europa wäre es fatal, wenn sich die Politik nun in gewohnter Manier auf die vermeintlich dummen, ungebildeten und rückschrittlichen Wähler einschießen würde. Diese Routine ist nicht nur sinnlos, sondern selbst Ausdruck genau der politischen Haltung, die überhaupt erst diese missliche Lage heraufbeschworen hat.
Nach dem britischen Votum für den „Brexit“ und dem international zu beobachtenden Erstarken von national und autoritär gesinnten Protest- und Anti-Establishment-Parteien sollten die führenden politischen Kräfte in der westlichen Hauptstädten spätestens jetzt beginnen, grundlegend umzudenken. Es zeigt sich, dass die gerade vom politischen Mainstream seit Jahren gepredigte „Alternativlosigkeit“ nicht mehr ausreicht, um die Unzufriedenheit der Menschen zu betäuben und ihren Wunsch nach Veränderung zu unterdrücken. Für den demokratischen Prozess, der ja aus dem Wettstreit zwischen verschiedenen politischen Konzepten und Ausrichtungen heraus entsteht, kann dies nur positiv sein.
Wer vor den anstehenden und sicherlich mit härteren Bandagen auszufechtenden Auseinandersetzungen zurückschreckt und stattdessen versucht, weiterhin an den Menschen vorbei zu regieren, wird Schwierigkeiten bekommen. Vielleicht schiebt der Ausgang dieser US-Präsidentschaftswahlen den Prozess der demokratischen Politikerneuerung ein wenig an. Dass diese Erneuerung zwingend nötig ist, zeigt niemand eindringlicher als der Sieger dieser Wahl: Donald Trump.
Matthias Heitmann ist freier Publizist. Sein Buch „Zeitgeisterjagd. Auf Safari durch das Dickicht des modernen politischen Denkens“ erschien im TvR Medienverlag Jena. E-Book „Zeitgeisterjagd Spezial – Essay gegen enges Denken“. Website: www.zeitgeisterjagd.de.
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