Teil 2 – Russland: Öl, Gas, Gold und Geld

Russland hat trotz seiner generellen wirtschaftlichen Schwäche in den vergangenen Jahren kräftige Gewinne eingefahren. Der 2014 einsetzende Rückgang der russischen Einnahmen kommt zum geringsten Teil aus westlichen Sanktionen.

Im ersten Teil des Blicks auf Russland wurden anhand der Zahlen einer Studie der FoGEP die Kerndaten des nordeurasischen Flächenlandes im Weltvergleich dargestellt. Bereits die noch auf dem Jahr 2013 beruhenden Daten belegten, dass Russland im Vergleich zu den Industrienationen von USA bis Australien ein wirtschaftlicher Scheinriese ist. Russland hat mit seiner Wirtschaftsleistung in den G8 nichts zu suchen – weit vor ihm müssten China und selbst Brasilien aufgenommen werden. Geht es nach der russischen Pro-Kopf-Leistung, so fiele es selbst aus der G20. Zieht man einen Quotienten aus Gesamt- und Pro-Kopf-Leistung, so landet Russland auf Rang 15 zwischen den Niederlanden  und Singapur.

Wie nun wird sich die Situation Russlands weiter entwickeln? Nicht zuletzt: Gibt es etwas, das es attraktiv machen könnte, sich Russland zu unterwerfen – oder sich auch nur ansatzweise seinen ständig postulierten Führungsansprüchen anzunähern?

Öl und Gas als Geldmaschine

Russland hat trotz seiner generellen wirtschaftlichen Schwäche in den vergangenen Jahren kräftige Gewinne eingefahren. Sein Bruttoinlandsprodukt wuchs seit 2007 von 1,2 Milliarden auf 2,1 Milliarden USD in 2013. Entscheidend für diese Steigerung waren die Förderung und der Export von fossilen Energieträgern und ohne Zweifel auch die faktische Verstaatlichung der Ölindustrie.

Vor allem das Öl ließ Geld in die Staatskassen strömen. Laut vorliegenden Zahlen wurden in der russischen Föderation bereits 2003 rund 8,4 Millionen Barrel Öl (entspricht 1,3 Milliarden Litern) täglich gefördert, von denen mit 6,1 Millionen Barrel über 70 Prozent in den Export gingen. In der Exportbilanz schlug sich dieses mit 58 Milliarden USD nieder, was einem Anteil von 43 Prozent an den Exporteinnahmen entsprach. Damals schwankte der Barrel-Preis zwischen 23 und 40 USD.

In den Folgejahren steigerte Russland seine Ölförderung auf 10,44 Millionen Barrel am Tag im Jahr 2013. Es wurde neben Saudi-Arabien und den USA führender Ölförderer der Welt. Der Ölpreis stieg im gleichen Zeitraum auf bis zu 120 USD. Im Rekordjahr 2012 spülte das Öl 290 Milliarden USD in den russischen Staatshaushalt – was nunmehr bereits einem Anteil von 55 Prozent an den Exporteinnahmen entsprach. Das Öl brachte Russland innerhalb von zehn Jahren das 6,6-fache der entsprechenden Einnahmen von 2002.

Eine deutliche Steigerung war ebenfalls beim Verkauf von Erdgas zu verzeichnen – wenn auch unter anderen Vorzeichen. Hatte das Gas 2002 mit 20 Milliarden USD noch einen Anteil von 19 Prozent  an den Exporteinnahmen, stieg der Cashflow bis 2012 zwar auf 68 Milliarden USD, dabei sank jedoch sein Anteil am Gesamtexporterlös auf unter 13 Prozent.

Öl wurde innerhalb von nur zehn Jahren zum Lebenselixier der Moskauer Machtelite. Damit aber wurde Russland nicht nur vom in Dollar gehandelten Weltmarktpreis abhängig – es konnte bei geschätzten Reserven von 80 Milliarden Barrel bei der angestrebten Fördermenge von 11 Millionen Barrel am Tag auch den Zeitpunkt ausrechnen, zu dem dieser Geldsegen sich dem natürlichen Ende zuneigen musste. Noch zwanzig Jahre – ausgehend von 2014 – würden die bekannten Reserven reichen. Spätestens 2035 wäre Schluss. Der Blick auf die erhofften Öllagerstätten unter der abschmelzenden Arktis kommt insofern nicht von ungefähr. Senkt Russland seine Förderquote nicht und entsprechen  die vorhandenen Reserven jenen 80 Milliarden Barrel, so könnte Russland schon Probleme bekommen, seinen 2013 mit China geschlossenen Liefervertrag bis 2038 zu erfüllen. Russland ist zum Öl-Junkie mit kurzer Perspektive geworden.

Geld und Gold

Die Einnahmen aus dem Export fossiler Energieträger schufen der russischen Führung ein sattes Finanzpolster. Verfügte die russische Staatsbank noch 2003 über Reserven im Wert von „nur“ 77 Milliarden USD, so wuchs das Polster bis 2012 trotz eines Einbruchs im Jahr der Weltfinanzkrise auf 538 Milliarden Dollar an.

Tatsächlich jedoch lagen in den Moskauer Tresoren nicht nur amerikanische Dollar und vermutlich auch einige Euro. Ende 2005 hatte Putin verfügt, dass der russische Goldschatz künftig ein Zehntel der russischen Aktiva ausmachen solle. Denn in Putins Vorstellungen bedeutet Gold nicht nur wirtschaftliche, sondern auch politische – oder besser: psychologische – Macht.

Russlands Staatsbank entwickelte sich in den Folgejahren zum weltgrößten Goldeinkäufer. 2014 sollen durch sie rund 150 Tonnen Gold erworben worden sein. Und schon vorher hatte man kräftig dazu gekauft: So füllten sich die Tresore allein im Mai 2010 um 34 Tonnen Gold. In Folge dieses „Goldrausches“ war der russische Goldberg zum Ende des Jahres 2014 auf eine Größe von rund 1.200 Tonnen Gold mit einem aktuellen Marktwert von 45 Milliarden USD angewachsen.  Die von Putin geforderten zehn Prozent waren fast erreicht. Russland verfügte nur ein einziges Mal in seiner Geschichte über ähnlich viel Edelmetall: Das war 1914, als die Romanows ihr Volk in die Niederlage des Ersten Weltkriegs führten und damit die als Oktoberrevolution verklärte Sowjet-Usurpation verursachten.

Allerdings bediente sich Russland bei seinen Goldeinkäufen nur zum Teil auf dem Weltmarkt. Vielmehr gehört Russland zu den weltgrößten Goldförderländern – und die Russische Zentralbank kaufte kräftig eigenes Gold zu Rubelkursen. So flossen in den ersten neun Monaten des Jahres 2014 rund 114 der in Russland abgebauten 175 Tonnen Gold an die Staatsbank – und nur 61 Tonnen gingen auf den Weltmarkt.

Tatsächlich ist der Goldankauf Russlands so nichts anderes als eine Rubel-Vermehrungs-Strategie. Und sie ist eine selbst gebaute Falle. Zwar erreichte der Goldpreis mit bis zu 1.900 USD je Feinunze in 2011 eine zuvor ungeahnte Höhe. Doch seit Ende 2012 – damals stand das Gold durchschnittlich bei 1.650 USD – geht es rasant bergab. Im Dezember 2014 stand es nach einem Zwischenhoch wieder auf dem Stand vom Jahresbeginn bei rund 1.200 USD. Ein Jahr später lag es am 31. Dezember 2015 bei genau 1.060 USD. Ohne Zukäufe im Jahr 2015 wäre damit der Marktwert der russischen Goldreserven von jenen 46 Milliarden USD auf nur noch knapp 41 Milliarden geschmolzen. Rund fünf Milliarden des russischen Kapitals vom Jahresbeginn sind so im vergangenen Jahr 2015 schlicht der Marktentwicklung des Goldpreises zum Opfer gefallen. Da die Goldförderung in Russland nach wie vor auf Hochtouren läuft, ist mit einer deutlichen Verbesserung der Situation durch eine deutliche Goldpreissteigerung kaum zu rechnen.

Cash durch Export

Dank des Energieträger-Exports konnte Russland in nur zehn Jahren den jährlichen Überschuss aus dem Außenhandel von 44 Milliarden USD in 2002 auf jeweils fast 200 Milliarden USD in den Jahren 2012 und 2013 steigern. Putin saß am 1. Januar 2014 auf prall gefüllten Geldsäcken. Damit konnte er beispielsweise die russischen Militärausgaben zwischen 2002 und 2013 von 15 auf 90 Milliarden Dollar jährlich steigern, erwies sich jedoch gleichzeitig unfähig, die Binnenwirtschaft des Riesenreichs spürbar zu befördern.

Anders als in den Gründerjahren der westeuropäischen Nationen blieb der Wohlstandsschub für die Volksmassen aus. Ein den wirtschaftlichen Aufschwung tragender Mittelstand wurde durch die Oligarchenwirtschaft im Keim erstickt.

Die Geldreserve schmilzt

Doch im Jahr 2014 kippt die Situation. Das kräftige Finanzpolster, das Russland in den Jahren der fetten Öl- und Gaseinnahmen zurückgelegt hatte, begann zu schmelzen.
Russlands Staatsbank bezifferte die Höhe ihrer Geldreserven Anfang 2014 auf rund 500 Milliarden Dollar. Die CIA gibt den Betrag mit 509,6 Milliarden USD an. Damals kostete ein Euro rund 1,36 $. Vorausgesetzt, die Russische Staatsbank hortete ihren Schatz in der Währung der verhassten Nordamerikaner, hätten damit in Russlands staatlichen Tresoren Werte in Höhe von knapp 375 Milliarden Euro gelegen.

SERIE Russlands wirtschaftliche Perspektiven
Teil 1: Russland im Weltvergleich
Knapp ein Jahr später erklärte Putin im Dezember 2014, Russland verfüge aktuell über Geldreserven in Höhe von 400 Milliarden US-Dollar. Für die CIA allerdings war diese Summe zu optimistisch: Sie beziffert die russischen Reserven zum 31. Dezember 2014 auf nur noch 385,6 Milliarden USD. Das waren bei einem Dollar-Euro-Kurs von nun 1,23 $ noch 313,5 Milliarden Euro und damit angesichts des von EZB-Chef Draghi verursachten Euro-Wertverfalls rund 72,1 Milliarden Euro weniger als zu Beginn  des Jahres. In Dollar war der Schatz um 125 Milliarden geschmolzen – ausgehend von jenen 510 Milliarden ein Rückgang um fast ein Viertel.

Dieses Dahinschmelzen der Rücklagen kann nicht am Rückgang der Außenhandels-Einnahmen gelegen haben, denn diese waren 2014 zwar von 523.3 Milliarden um fast 24 Milliarden USD zurück gegangen, lagen jedoch immer noch bei 497,8 Milliarden. Dagegen standen Importe im Wert von 308 Milliarden USD, was im Saldo einem Überschuss in Höhe von 189,8 Milliarden USD entsprach – fast acht Milliarden mehr als im Vorjahr. Der erwirtschaftete Überschuss des Jahres 2014 basiert insofern auf dem im Vergleich zu den Einnahmen noch deutlicherem Rückgang der Importausgaben um 33 Milliarden Dollar bzw. fast zehn Prozent.

Die Legende der Sanktionen

Der Rückgang der russischen Einnahmen wird gern mit den vom Westen als Reaktion auf die völkerrechtswidrige Krim-Annektion verhängten Sanktionen begründet. Nicht nur die russischen Propaganda-Organe, auch ihre westlichen Unterstützer verbreiten die Legende, durch die Sanktionen sei es zum Einbruch der russischen Wirtschaft gekommen. Was allerdings ist von dieser Darstellung tatsächlich zu halten?

Es wurde bereits darauf hingewiesen: Das Jahr 2014 war trotz der ab März und verschärft ab Sommer einsetzenden Sanktionen angesichts des erwirtschafteten Überschusses ein exportwirtschaftlich erfolgreiches Jahr. Der Rückgang der Einnahmen basiert dabei maßgeblich darauf, dass die Preise für Produkte der Förderung fossiler Brennstoffe deutlich gesunken waren. Lag das Erdöl noch 2013 bei rund 110 USD pro Barrel, so gab es dafür in 2014 nur noch durchschnittlich 90 USD.

Die Sanktionen aber betrafen ausdrücklich nicht den Energie-Export Russlands. Tatsächlich gingen sie gestaffelt vor und wirkten sich vor allem auf den russischen Import aus. So richteten sich die westlichen EU-Sanktionen vom 17. März 2014 nicht gegen Russland oder Geschäfte mit Russland. Sie zielten ausschließlich auf einen überschaubaren Personenkreis und auf Unternehmen, die in unmittelbarem Bezug zur Krim-Annektion standen. Bei Licht betrachtet waren diese Sanktionen nichts anderes als symbolische Nadelstiche, die keinerlei wirkliche Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben hätten haben müssen.

Erst mit den EU-Sanktionen vom 31. Juli 2014 wurden auch konkrete Geschäftsfelder sanktioniert. So traf es neben Militärgerät auch Dual-Use-Erzeugnisse, die nicht nur zivil sondern auch militärisch genutzt werden konnten. Betroffen waren dadurch vornehmlich westliche Zulieferer zur russischen Militärindustrie – nicht aber russische Exporte. Auf die Embargoliste kamen weiterhin Maschinen und Explorationsgerät zur Rohstoffförderung. Das richtete sich nun tatsächlich gezielt gegen Russlands Hauptexportzweig – jedoch erst auf mittlere bis lange Sicht. Denn gemäß den Einschränkungen nach  Art 3a der EU-Verordnung 833/2014 beschränken sich die Sanktionen auf die Anwendungsgebiete des OffShore-Bohrens nördlich des Polarkreises, auf DeepSea-Exploration unter 150 Metern und auf Hydrofracking. Sie zielten so erst einmal auf die Vermehrung der bekannten Reserven Russlands.

Die Öl- und Gasförderung in den Weiten Sibiriens allerdings war dadurch ebenso wenig betroffen wie der Export der dort gewonnen Rohstoffe. Die Vorstellung, der Westen habe mit seinen Sanktionen gleichsam die russische Wirtschaft ins Mark getroffen, können wir folglich getrost zu den Akten legen. Wenn es zu einem Rückgang der Exporte in die Länder Europas gekommen ist, dann deshalb, weil Russland im Ukraine-Konflikt verdeutlicht hatte, seinen Export fossiler Brennstoffe als politische Waffe zu gebrauchen. Der Westen hatte das Signal verstanden und begonnen, sich nach Alternativen zur Abhängigkeit von russischen Energieträgerimporten umzusehen.

Kurzfristiges Gewinnstreben statt zukunftsorientiertem Wirtschaften

Im Ergebnis mögen die kurz- und mittelfristigen Einnahmen Russlands zurückgehen – dafür aber werden künftige Generation länger den Nutzen aus ihrem fossilen Reichtum dann ziehen können, wenn die Förderung zurückgefahren werden sollte und heute noch unbekannte Lagerstätten erst zu einem späteren Zeitpunkt entdeckt und ausgebeutet werden können.

Derzeit allerdings ist die russische Führung nach wie vor bestrebt, die Förderung zu steigern statt mit dem Öl langfristig den Erfolg der russischen Wirtschaft abzusichern. So erklärt sich auch der vergebliche russische Versuch, die Sa’udi zur Drosselung ihrer Ölexporte zu bewegen mit der Folge, dass Russland mitterweile maßgeblich zum rapiden Verfall des Weltölpreises beiträgt.

Moskaus Öl-Junkies denken in den Kategorien des kurzfristigen Gewinns – nicht daran, für das Wohlergehen ihres Volkes mit den Wertstoffen langfristig zu haushalten.

Unterstützung
oder

Kommentare ( 29 )

Liebe Leser!

Wir sind dankbar für Ihre Kommentare und schätzen Ihre aktive Beteiligung sehr. Ihre Zuschriften können auch als eigene Beiträge auf der Site erscheinen oder in unserer Monatszeitschrift „Tichys Einblick“.
Bitte entwerten Sie Ihre Argumente nicht durch Unterstellungen, Verunglimpfungen oder inakzeptable Worte und Links. Solche Texte schalten wir nicht frei. Ihre Kommentare werden moderiert, da die juristische Verantwortung bei TE liegt. Bitte verstehen Sie, dass die Moderation zwischen Mitternacht und morgens Pause macht und es, je nach Aufkommen, zu zeitlichen Verzögerungen kommen kann. Vielen Dank für Ihr Verständnis. Hinweis

29 Comments
neuste
älteste beste Bewertung
Inline Feedbacks
Alle Kommentare ansehen