Heute greift der Spitzensteuersatz beim 1,3-Fachen des Durchschnittseinkommens eines Vollzeiterwerbstätigen. Rainer Holznagel, Präsident des Bundes der Steuerzahler, findet das skandalös.
Als im Jahr 1998 Bundeskanzler Gerhard Schröder die Amtsgeschäfte von Helmut Kohl übernahm, verzeichnete der Staat knapp 425 Milliarden Euro Steuereinnahmen. 23 Jahre später, 2021, nach einigen großen Wirtschaftskrisen und der Agenda 2010, werden die Einnahmen voraussichtlich bei mehr als 850 Milliarden Euro liegen. Flankiert wird diese gute Kassenlage durch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank, die dem Finanzminister extrem hilft. Und schließlich sorgt die sehr robuste Konjunktur für fantastische Rahmenbedingungen des Staates.
Steuersenkungen jetzt!
Wann, wenn nicht jetzt, sollen deshalb nachhaltige Steuerentlastungen kommen? Ein Blick in die jüngere Vergangenheit zeigt die Misere auf: Nach der durchgreifenden Reform des Lohn- und Einkommensteuertarifs zum 1. Januar 1990 gab es bis 2016 insgesamt 14 Tarifkorrekturen. Dabei wurden niedrige Einkommen durch die Anhebung des Grundfreibetrags von 2.871 Euro auf 8.652 Euro deutlich entlastet. Da der Staat aber nicht auf Einnahmen verzichten wollte, wurden mögliche Steuerausfälle durch einen „Knick“ im Tarifverlauf vermieden. Insbesondere der Grenzsteuersatz im Anfangsbereich der Besteuerung steigt durch den „Trick mit dem Knick“ rasant an. Interessanterweise wurde dieses Problem bei der Diskussion um die Einführung des Mindestlohns nie angesprochen. Fakt ist jedenfalls: Die Entlastungswirkung des erhöhten Grundfreibetrags wurde so bereits für mittlere Einkommen zum erheblichen Teil ausgeglichen.
Gleichwohl kam es von 1990 bis 2016 durch die tariflichen Korrekturen auch im mittleren Einkommensbereich zu begrenzten Tarifentlastungen. Spürbare Tarifentlastungen gab es auch für Bezieher höherer Einkommen. Sie profitieren von der mehrstufigen Absenkung des Spitzensteuersatzes von zunächst 53 Prozent auf mittlerweile 42 Prozent. Es darf aber nicht vergessen werden, dass durch das sogenannte Steuervergünstigungsabbaugesetz unter Gerhard Schröder die Bemessungsgrundlage verbreitert wurde.
Neben den tariflichen Veränderungen kam es auch zu Belastungsverschärfungen. 1991 wurde der Solidaritätszuschlag von zunächst 7,5 Prozent eingeführt, der sich seit 1998 auf 5,5 Prozent beläuft und auch derzeit noch in dieser Höhe erhoben wird. Seit 1990 fielen aber auch erhebliche heimliche Steuererhöhungen an, die aus dem Zusammenwirken des progressiven Steuertarifs mit allgemeinen Einkommenserhöhungen resultieren.
Per saldo haben sich die tariflichen Entlastungen und die Mehrbelastungen durch Solidaritätszuschlag und heimliche Steuerhöhungen unterschiedlich ausgewirkt. Bis zu einem Jahreseinkommen von 27.150 Euro war die Belastung 2016 niedriger als 1990. Gleiches gilt für Jahreseinkommen von mehr als 135.748 Euro. Anders sieht es für Steuerzahler mit mittleren Einkommen zwischen den genannten Beträgen aus.
Sie sind unterm Strich nicht nur nicht entlastet, sondern sogar zusätzlich belastet worden. Die deutlichsten Belastungsverschärfungen ergeben sich bei Einkommen von rund 72.000 Euro, die 2016 um 17 Prozent höher belastet waren als 1990. Dies entspricht einer jährlichen Zusatzbelastung von 3.330 Euro. Der Einkommensbereich zwischen rund 27.000 und 136.000 Euro umfasst die Verlierer der Tarifanpassungen der vergangenen 25 Jahre. Hier besteht also beträchtlicher Entlastungsbedarf.
Natürlich darf die Gerechtigkeitsdebatte nicht zu kurz kommen – wir sind schließlich in Deutschland! Aber auch hier helfen Fakten. Auf Grundlage der Lohn- und Einkommensteuerstatistik 2016 verfügte das obere Viertel der Steuerpflichtigen im Jahr 2016 über 59,9 Prozent der Einkünfte, trug aber 77,5 Prozent der gesamten Steuerbelastung. Die oberen 50 Prozent verfügten über 83,6 Prozent der Einkünfte und hatten einen Anteil von 94,5 Prozent am gesamten Steueraufkommen. Umgekehrt trug das untere Viertel der Steuerpflichtigen 0,4 Prozent und die untere Hälfte 5,5 Prozent zum gesamten Steueraufkommen bei.
Die oberen 50 Prozent der Steuerpflichtigen haben einen Anteil von 94,5 Prozent am Steueraufkommen.
Der Bund der Steuerzahler schlägt vor, dass der 42-prozentige Spitzensteuersatz erst ab 80.000 Euro greift. Mit diesem Tarif würden spürbare Entlastungen für die Lohn- und Einkommensteuerzahler in einem Gesamtvolumen von rund 40 Milliarden Euro erreicht. Die Minderung der Steuerbelastung bewegt sich dann (beim Grundtarif für Ledige) für Einkommen von 20.000 bis 80.000 Euro zwischen elf und 24 Prozent.
Die höchste prozentuale Entlastung von rund 24 Prozent der bisherigen Steuerschuld würde bei Einkommen von 20.000 beziehungsweise 40.000 Euro (Ledige/Verheiratete) erreicht. Die absoluten Entlastungsbeträge stiegen mit der Einkommenshöhe an und beliefen sich für Ledige bei 20.000 Euro Einkommen auf 625 Euro, bei 40.000 Euro auf 1.666 Euro und bei 60.000 Euro auf 2.516 Euro. Ab einem Einkommen von 80.000 Euro bliebe der Entlastungsbetrag dann gleich bei 2.938 Euro. Bei Ehepaaren verliefe die Entlastung entsprechend.
Ja, dieser Vorschlag ist ambitioniert, aber angemessen und notwendig. Angesichts der mehr als 850 Milliarden Euro Steuereinnahmen, die für das Jahr 2021 erwartet werden, ist es vertretbar, diese Zahl nach unten zu korrigieren.
Dieser Vorschlag ist im Übrigen auch ein Wachstumsmotor und daneben ein Beitrag für mehr Bürgerfreiheit. Derzeit bleiben Bürgern und Betrieben von jedem verdienten Euro nur 45,4 Cent zur freien Verfügung. Diese Steuerentlastung bedeutet deshalb auch mehr Freiheit und Selbstbestimmung – ohne dass unser Staat unterfinanziert wäre.
Der studierte Politikwissenschaftler Rainer Holznagel begann sein Berufsleben als Referent für Politik und Öffentlichkeitsarbeit bei der CDU Mecklenburg-Vorpommern. Seit 2003 beim Bund der Steuerzahler, 2006 Vizepräsident, seit 2012 dessen Präsident.
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 09/2017 von Tichys Einblick Print erschienen >>
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„Je mehr man über die Sache nachdenkt, desto klarer wird einem, dass Umverteilung in Wahrheit weniger eine Umverteilung von freiem Einkommen von den Reicheren zu den Ärmeren bedeutet, … sondern eine Umverteilung von Macht, weg von den Individuen und hin zum Staat.“ (Bernhard De Jouvenel)
Ich war viele Jahre einer dieser Spitzensteuerkühe die dauernd gemolken wurden. Mit dem Ergebnis? Ich bin einfach ganz ausgestiegen bin. Man hat nur ein Leben.
Nun, um es ab zu kürzen: ich habe noch NIEMALS von Steuersenkungen gelebt. Allein die Frage, wo all das viele Geld bleibt, treibt mich beinahe in den Wahnsinn. Von ca. 1970 bis tief in die 80’er hatte ich ergo noch niemals darüber nachgedacht, was mit Steuergeldern gemacht wird. Eine Zeit, in der ich mich aber auch leidlich gut aufgehoben fühlte, in dieser Bundesrepublik. Ja, eine sog. Scheckbuch-Diplomatie gab es bereits, aber die war überschaubar. Und man konnte sich darüber auslassen, wenn man denn wollte. Und vor allem hatte man noch keine Konsequenzen zu fürchten, welche heute allerdings einem sog. Kapo… Mehr
Vorher sollte sich Herr Holznagel sich die Frage stellen, wie die Migranten denn bezahlt werden sollen? Alles also heiße Luft…und wenn man die Euro Krise und ie anderen ungelösten Probleme in die Rechnung einbezieht…dann fragt man sich, was der Artikel soll?
Wenn man Steuern senken will, dann muss man vorher die Kosten senken….
Die FDP ist schon einmal daran gescheitert…Posten waren ihnen wichtiger
Wenn der Staat mehr bekommt als die welche es erwirtschaften läuft in Deutschland mächtig was schief. Schuld daran sind aber nicht die Politiker und Parteien die schamlos zugreifen, sondern die Bürger die sich das gefallen lassen und am Sonntag die gleichen Parteien wieder wählen.
82 Mill. Einwohner. 12-15 Mill. Steuerzahler. In jeder Demokratie mit solchen Zahlen wird wohl derjenige die Wahl gewinnen, der das Geld der Arbeitenden verteilt.
Trotz hoher Steuereinnahmen sind Infrastrukturen und Bildungseinrichtungen zum großen Teil verwahrlost. Unsere Schulden wachsen nicht mehr, was wohl ohne niedrige Kreditzinsen eine gute Nachricht wäre.
Wenn wir eine „Steuerfreiheit“ ohne politische Einflussnahme von Parteien hätten, wäre mir wohler.
Das ist machbar (vgl. mein Beitrag zu Steuerprogramme der Parteien), aber das bedeutet parteipolitischen Machtverzicht.
Wenn, wie der Autor angibt, von jedem Euro nur 45,4 Cent zur freien Verfügung übrigbleiben, so ist das nur dann richtig, wenn der geschröpfte Bürger auf das freie Verfügen gänzlich verzichtet, was kaum jemand kann, der leben muß. Falls er also seinen Unterhalt bestreiten will und mit den 45,4 einkaufen geht, wird er feststellen, dass seine 45,4 Cent 19% weniger wert sind, nämlich 36,77 Cent. das ist letzlich die Kaufkraft, die ihm von 1 Euro bleibt. Der Staat greift nahezu zwei Drittel ab.
Das ist kriminell.
Da wird eher noch mehr zugegriffen werden. Irgendwo muss ja die Penunze für den ganzen Wahnsinn den die „Eliten“ so treiben herkommen. Steuererleichterungen ein schöner Traum.