SPD: Denkzettel als Regierungsauftrag – ein Missverständnis

Es könnte sein, dass den Beteiligten das Gespür für die politische Wetterlage völlig abhanden gekommen ist. Und das gleich in vielfacher Hinsicht.

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Es gibt Anfänge, denen wohnt gar nichts inne. Das nächtelange GroKo-Gewürge ist so einer. Das könnte daran liegen, dass es gar kein Anfang ist, sondern der dritte Neuaufguss. Es könnte aber auch damit zu tun haben, dass den Beteiligten das Gespür für die politische Wetterlage völlig abhanden gekommen ist. Und das gleich in vielfacher Hinsicht.

– Schulz: Ein gescheiterter Parteichef, der einen desaströsen Wahlkampf hingelegt hat und sich das sogar vom „Spiegel“ protokollieren ließ, die Wahl mit Allzeit-Tief verlor, die SPD nicht in eine neue Koalition führen und unter Angela Merkel kein Minister werden wollte, soll jetzt in einer neuen GroKo womöglich nicht nur SPD-Chef bleiben, sondern obendrein noch Außenminister und Vize-Kanzler werden. Absurd.

– Das Beängstigende daran ist, dass hier offenbar alle gängigen Wettbewerbsregeln des politischen Betriebs nicht mehr gelten und die parteiinterne Konkurrenz auch keine Lust hat, die fällige Quittung für offensichtliches Versagen auszustellen. Bei der Union sieht es nicht besser aus. Der langjährige CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach brachte es am Dienstagabend (6. Feb) bei Markus Lanz auf den Punkt: „Wenn sich die Unionsführung hinstellt und sagt: Das ist das Ergebnis, dann sagt die Basis: Ok. Bei der SPD fängt dann das Theater erst an.“ Bei welcher von beiden Parteien angesichts dessen mehr im Argen liegt, fragte Lanz nicht.

– Es soll kein „weiter so“ geben, sagen die drei Wahlverlierer und machen weiter. Das Signal ist verheerend. Zeigten die letzten Umfragen bereits den Trend zum Schrumpfen der ehemals Großen zu einer eher kleinen Koalition, so dürfte sich dieser Vertrauensverlust noch verstärken. Der Denkzettel der Wähler wird zum Regierungsauftrag umdeklariert. Die vermeintlich mit der Regierungsbildung gewonnene Stabilität bedroht so mittelfristig den Akzeptanz-Kern des politischen Systems insgesamt, stärkt die Ränder, treibt Polarisierung und Aggression voran.

– Inhaltlich ist der Koalitionsvertrag ein Dokument der Erschöpfung. Kleinteilige Sozialstaatsreparatur, die nichts schadet aber viel kostet. Völlig schräg wird es bei den von der SPD zu Knackpunkten hochgejazzten Schlagworten „sachgrundlose Befristung“, Bürgerversicherung und Familiennachzug. Auf die tiefe und anhaltende Vertrauenskrise durch die unkontrollierte Massenmigration im Jahr 2015 mit 1000er Kontingenten nachziehender Familien zu reagieren, ist schon aberwitzig. Noch absurder mutet es an, wenn man sich klar macht, dass es diesen Familiennachzug für Migranten mit geringem Schutzstatus faktisch noch nie gab (lediglich einigen Monate im Jahr 2015) und die Integration von Menschen befördern soll, die offiziell nicht in Deutschland bleiben können und sollen. Während das Thema „Flüchtlinge“ noch immer in nahezu allen Befragungen über die Problemwahrnehmung der Menschen ganz oben steht, wird also neuer Zuzug geregelt, während das Wort „Obergrenze“ ausdrücklich mit Tabu belegt wird, obwohl selbst die avisierten 200 000 Migranten pro Jahr die Aufnahme einer Stadt wie Kassel bedeuten. Bevölkerung hör‘ die Signale.

– Besonderen Charme hat auch das Europa-Kapitel. Legt man es zusammen mit der Ankündigung von Schulz, das „Spardiktat“ in Europa habe jetzt ein Ende und hat nicht vergessen, dass Deutschland selbst höhere Beitragszahlungen an Brüssel angeboten hat, dann kann sich auch der Rest Europas über die neue GroKo freuen.

– Dass die Union die beiden wichtigen Ministerien Außen und Finanzen weggibt, macht nur noch ratlos und folgt offenbar dem alten Spruch: Wer regieren will, muss fühlen. Immerhin konnte die Union 100 Prozent ihres Programmes durchsetzen: Angela Merkel bleibt Kanzlerin. Manchmal bleibt halt nur Sarkasmus.

Natürlich kann die SPD-Basis all das ganz anders sehen, sich couragiert für die Erneuerung ihrer Partei in der Regierung aussprechen und die nun verteilten Minister widerlegen jegliche Miesepetrigkeit durch überzeugende, zupackende Arbeit. Es kann aber auch sein, dass der politische Aschermittwoch künftig auf einen Donnerstag fällt.


Der Beitrag von Ralf Schuler ist zuerst hier erschienen.

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Kommentare ( 69 )

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Frank Ruzek
6 Jahre her

Wenn ich Herrn Seehofer glauben kann, dann hat sich in der Nacht der langen Verhandlungen (langen Messer) über Stunden nichts bewegt, er hat in der Zeit Zitrusfrüchte geschält. Wurde da vielleicht mit Zitronen gehandelt? Als Frau Merkel den Herrn Seehofer sah sprach sie (frei nach einem Drama): „Was willst Du mit dem Dolch Horst sprich, Orangen schälen Du Wüterich.“

Casa Done
6 Jahre her
Antworten an  Frank Ruzek

Wenn da mit etwas gehandelt wurde, dann waren es Kühe!

Sigrid Schonard
6 Jahre her

Wir sollten die Monarchie wieder einführen. Hermelin, Krone und Juwelen für Angela Merkel auf Lebenszeit. Den ganzen Mist von Wahlen kann man sich doch sparen.

Ali
6 Jahre her

Tja, was zickt der Wähler auch rum. Für wen hält das Volk sich überhaupt, das es sich anschickt sich wie der Souverän aufzuführen. So geht es ja nun nicht.

Maria Salzwedel
6 Jahre her

Was für ein Trauerspiel! Um Kanzlerin bleiben zu können – nur darum geht es – besticht AM die abgewirtschaftete SPD mit fetter Beute: dem Außenministerium, dem noch wichtigeren Finanzministerium und dem Arbeitsministerium. Und den CSU-Seehofer, der wie ein seniles Kind nach seinen Lieblingsspielzeug hascht, mit dem Innenministerium. Und alle machen mit!

Gero Hatz
6 Jahre her

Herzlichen Glückwunsch Frau Merkel, sie haben gewonnen! Wir freuen uns alle aufrichtig auf die nächsten vier Jahre ihrer Herrschaft.

SamsEye
6 Jahre her

Was ich nicht verstehe ist folgendes: Eine Partei, die mit ca. 20 % bei der BTW abgeschnitten hat, die jetzt nur noch bei ca. 17% in der Wählergunst steht, bekommt die wichtigsten Ministerposten ( Justiz-, Finanzressort und Außenministerium) zugeschachert.

Aber eines stimmt mich dann zumindest etwas … schadenfroh!
Ein Herr Schulz, der außenpolitisch fast in jedes Fettnäpfchen getapst ist, muss jetzt bei den „geächteten“ Personen irgendwann seine Aufwartung machen.

Andreas Donath
6 Jahre her

Zu Bouffier, der uns heute den lieben lange Tag in Endlosschleife in den HR-Radionachrichten mit dem Statement, da sei etwas Gutes für unser Land herausgekommen, zitiert wurde, ergänze ich noch folgendes. Da ich den Mann von früher, aus gemeinsamen CDU-Tagen noch ganz gut kenne, kreide ich ihm solches Geschwätz besonders an. Ich weiß nämlich, das er weiß, dass er die Leute dreist anlügt. Das war mal ein vernünftiger Mann mit bodenständigen Ansichten, heute steht er symbolisch für die gescheiterte, entkernte CDU, für die es nur noch einen Wert gibt – und der heißt Machterhalt um jeden Preis.

Delinix
6 Jahre her

Das ist doch total IRRE, dass ausgerechnet die Partei, die von den Bürgern ERKENNBAR abgewählt wurde, nun die wichtigsten Ministerien erhält, um eine Politik durchdrücken zu können, die wir Bürger nicht (mehr) gewollt haben.
DEMOKRATIE PARADOX.

Bernd Messerschmidt
6 Jahre her
Antworten an  Gerd

Ich bin mittlerweile als Telekom – Kunde ziemlich genervt. Und zwar deswegen, weil die Kommentare auf deren Seite dermassen nach Regierungspropaganda riechen, dass ich mir überlege, bei der nächsten Gelegenheit den Provider zu wechseln. Gibt es eigentlich noch seriöse Journalisten in diesem Land ?

Casa Done
6 Jahre her
Antworten an  Bernd Messerschmidt

Zwar auch kein Trost, aber GMX ist genauso gleichgeschaltet.

Fiete Fahnderbildt
6 Jahre her

Moin moin,
„Scholzomat“ als Finanzminister? Der OB, der seine rote Flora bis zum G20 als
Tourismusattraktion betrachtete, der nach „Nolympia“ sich auf seinen G20-Gipfel freute wie ein kleines Kind mit Sätzen wie „Wir richten ja auch jährlich den Hafengeburtstag aus. Es wird Leute geben, die sich am 9. Juli wundern werden, dass der Gipfel schon vorbei ist“?
Die „EU-Wölfe“ werden das „Schäfchen“ Finanz-Olaf ausnehmen wie eine fette Weihnachtsgans. Die freiwerdenden 73 Brexit-Parlamentssitze werden ja auch schon verteilt auf Kosten „disses unseres Land“. Oh Helmut, was hast du uns für ein „Kuckucks-Mäd’sche“ ins heimelige Nest gesetzt.