Post-Demokratie: Gedanken zu 2016

Wir erleben damit die schleichende Veränderung der staatlichen Ordnung von der parlamentarischen hin zu einer exekutiven Demokratie – kurz und bewusst überspitzend kann man es auch „Post-Demokratie“ nennen.

Die Einschläge kommen näher. Wer für eine freiheitliche Ordnung eintritt, für den hat es im vergangenen Jahr wenig Anlass zur Freude, aber viel Anlass zur Sorge gegeben. Manchmal konnte man gar Angst bekommen.

Wir haben einige der schwersten Anschläge auf die Freiheit seit langem erlebt, beginnend mit dem Massaker an Redakteuren der Zeitschrift „Charlie Hebdo“ im Januar. Ihr Vergehen: Sie hatten Mohammed verhöhnt. Als Bürger und Journalist habe ich einen Schauder gespürt angesichts dieses abscheulichen Anschlags auf die Pressefreiheit. Am gleichen Tag wurde noch ein jüdischer Markt in Paris attackiert, insgesamt gab es gut ein Dutzend Tote. Gewalttätige Islamisten haben im November in Paris noch einmal zugeschlagen, dabei gab es sogar 130 Tote.

Viel Appeasement und Selbstzensur

Die Freiheit und Sicherheit in Europa waren schon lange nicht mehr so gefährdet wie jetzt. Und wie reagieren wir darauf? In seinem Buch „Keine Toleranz den Intoleranten“ über den schizophrenen Umgang der Intellektuellen des Westens mit dem Vordringen des radikalen Islams schreibt der Kulturjournalist Alexander Kissler, dass es eine Tendenz zu einer „mentalen Islamisierung“ gebe – nämlich die Scheu, den inakzeptablen, totalitären Kern der islamischen Polit-Religion konsequent zu kritisieren. Stattdessen hören wir viel Appeasement.

„Bloß nicht provozieren“, lautete die Devise, die viele Politiker, Gutmeinende und professionelle Beschwichtiger befolgen. Ich meine, eine der größten Gefahren für die Freiheit in den kommenden Jahren wird darin bestehen, dass das – oft auch schleichende – Vordringen des radikalen Islams in Europa im Namen einer falsch verstandenen Toleranz geduldet wird und dass Kritik aus Gründen der „Political Correctness“ unterdrückt oder als „islamophob“ oder gar „fremdenfeindlich“ diffamiert wird. Die „Schere der Selbstzensur in den Köpfen“ (Kissler) schneidet scharf.

Vor siebzig Jahren, als Friedrich August von Hayek sein politisches Werk „Der Weg zur Knechtschaft“ veröffentlicht hatte, war die freie Gesellschaft vor allem durch den Megatrend zur Planwirtschaft gefährdet. Nicht nur im Osten, auch in Europa gab es viele, die sozialistische Planungstechniken in Wirtschaft und Gesellschaft dem freien Markt als überlegen ansahen. Obwohl der real existierende Sozialismus im Osten krachend gescheitert ist, bleiben unterschwellig viel Sozialismus-Sympathien und viel Ressentiments gegen den Kapitalismus bestehen.

Zusammenhang von Markt und Freiheit nicht verstanden

Bis heute haben viele nicht verstanden, dass der Markt – in einer Ordnung, die den Wettbewerbs sichert – Chancen für nahezu jeden bietet und durch Wahlmöglichkeiten die Freiheit sichert. Hinzu kommt, dass die Marktwirtschaft in allen Ländern, in denen sie konsequent verwirklich wurde, zu einer erstaunlichen Zunahme des Wohlstandes geführt hat. Die Bundesrepublik hatte nach dem Zweiten Weltkrieg das Glück, dass sie einen Wirtschaftspolitiker hervorbrachte, der – inspiriert von der Freiburger Schule um Eucken und auch von Hayek – eine (soziale) Marktwirtschaft errichtete – im Unterschied zum vorherrschenden planwirtschaftlichen Zeitgeist. Ludwig Erhard war ein großes Glück für Deutschland.

Leider haben die Deutschen nach und nach das geistige Erbe Erhards vergessen. Die soziale Marktwirtschaft wird in Sonntagsreden gepriesen, doch im Alltag versündigen sich die Politiker immer wieder an den Grundprinzipien, dass der Staat zwar den Rahmen errichten soll, nicht aber in den Preismechanismus eingreifen soll.

Oder ausgedrückt in der Sprache des Fußballs: Der Staat soll die Spielregeln aufstellen und lediglich Schiedsrichter sein, aber er ist immer öfter Mitspieler, weil den Politikern die Rolle des Unparteiischen nicht reicht. Sie wollen das Spielergebnis bestimmen, und sorgen so für ein schlechtes Spiel.

Im vergangenen Jahr haben sich die Politiker in Deutschland weitere Eingriffe in den Markt erlaubt oder diese fortgeführt. Das wird sich rächen, es kostet Wohlstand und Freiheit. Die planwirtschaftliche Energiewende, die auf einer absurden „Anmaßung von Wissen“ der Politik über die richtige Stromerzeugungstechnik beruht, wird fortgeführt. Vorwärts, mit dem Kopf gegen die Wand. Die Kosten für die gesamte absurde Energieplanwirtschaft wachsen in dreistellige Milliardenhöhe. Jährlich werden allein über 20 Milliarden Euro zwangsweise von den Stromkunden zu privilegierten „grünen“ Stromproduzenten umverteilt.

Weiter im Regulierungswahn

Beim Versuch, das Weltklima zu retten, setzt die Politik weiterhin auf zahlreiche EU-weite und nationale Einzelregulierungen, aber nicht auf das naheliegende marktwirtschaftliche Instrument eines globalen Emissionszertifikate-Handelssystem, das die angestrebte Minderung zu den günstigsten Grenz- und Gesamtkosten erreichen würde. Der gegenwärtige Weg, den vor allem die deutschen Grünmenschen und Ökoplanwirtschaftler fast aller Parteien mit sturer Beharrlichkeit gehen, ist extrem teuer und ineffizient.

Erstmals seit 1949 gilt in der Bundesrepublik seit Anfang vergangenen Jahres ein staatlich gesetzter Mindestlohn. Zuvor galt die Tarifautonomie als zentrale Säule der sozialen Marktwirtschaft, sie ist eng mit der Vertragsfreiheit verbunden. Doch die Vertragsfreiheit wird immer mehr ausgehöhlt und beschädigt (auch durch die Antidiskriminierungsgesetze). Zwar kam es durch den Mindestlohn-Eingriff nicht direkt zu Verwerfungen am Arbeitsmarkt, doch stellt der Mindestlohn künftig eine Hürde für Geringqualifizierte dar, so dass diese einen erschwerten Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Gleiches gilt für die im vergangenen Jahr eingewanderten rund eine Million Asylbewerber.

Die Regulierung des Arbeitsmarktes in Deutschland gilt im internationalen Vergleich als hoch. Zum Jahreswechsel tritt die gesetzliche Frauenquote in Aufsichtsräten für mehrere Tausend Unternehmen in Kraft. Zur Krönung der Überregulierung betreibt das SPD-geführte Bundesfamilienministerium für 2016 weiter die Einführung eines „Entgeltgleichheitsgesetzes“ voran. Es soll sicherstellen, dass Frauen und Männer für „gleiche Tätigkeiten“ gleichen Lohn erhalten, doch wie will der Staat feststellen und überprüfen, was gleiche Tätigkeiten und gleiche Karrierewege sind. Hier droht das nächste Bürokratiemonster, wenn Arbeitgeber die entsprechenden Nachweispflichten erbringen müssten. Außerdem wäre ein solches Gesetz ein weiterer Nagel am Sarg der Vertragsfreiheit und Tarifautonomie in Deutschland.

Die Flüchtlingskrise ist seit vergangenem Sommer das beherrschende Thema und wird wohl auch 2016 die politischen Diskussionen dominierten. Auch freiheitlich gesinnte Menschen sind besorgt, wie tiefgreifend der Strom der Asylsuchenden überwiegend aus islamischen Regionen, in denen Religionsfreiheit, politische Freiheit und Gleichberechtigung von Männern und Frauen verwehrt werden, dieses Land verändern wird. Zugleich hat sich Deutschland durch seinen Sonderweg in der Asylpolitik, beginnend mit dem Alleingang der Bundeskanzlerin zur Öffnung der Grenzen, in der EU isoliert. Die Spannungen in Europa angesichts der Flüchtlingskrise werden wohl noch diejenigen während der Euro-Krise übertreffen.

Die Euro-Krise ist zwar bei weitem nicht ausgestanden, doch wird sie durch das starke Breitband-Antibiotikum der Europäischen Zentralbank (EZB) überdeckt. Durch das billige Geld wird in Teilen des Kontinents eine Art Konkursverschleppung betrieben, bankrotte Banken und Staaten wurden durch das Billiggeld gerettet und die notwendigen Reformen und die Haushaltskonsolidierung eher auf die lange Bank geschoben. Die EZB hat angekündigt, 1,5 Billionen Euro Anleihen, überwiegend Staatsanleihen zu kaufen. Der Ausgang dieses geldpolitischen Experiments ist völlig offen. Wenn es schlecht läuft, verliert die EZB ihre Unabhängigkeit und wird zum Staatsfinanzierer, der sich auf Gedeih und Verderben mit hochverschuldeten Regierungen verbunden hat.

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