Steckten Europa und die freie Welt in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gibt? Haben die Strategen des Glaubensterrorismus schon gewonnen?
Noch problematischer allerdings wäre etwas anderes. Wer in den vergangenen Tagen erleben musste, wie der türkische Plebs beim Fußballländerspiel Türkei-Griechenland bei der Schweigeminute für die Attentatsopfer in Paris mit „Allahu akbar“-Rufen seine Solidarität mit den Attentätern zu Ausdruck brachte, der mag vielleicht eine Ahnung davon bekommen, wo im Weltbürgerkrieg die tatsächlichen Frontlinien verlaufen. Wer einen Blick in die Gesellschaften von failed states wie Pakistan wirft, der wird verstehen, dass die militärische Vernichtung der radikalislamischen Kämpfer beim islamischen Plebs weltweit eine Solidarisierung erzeugen kann, die bislang noch ungeahnte Kräfte freizusetzen in der Lage ist.
Die Hydra der religiologisch indoktrinierten Globalisierungsverlierer ist in der Lage, jedem abgeschlagenen Kopf zwei neue nachwachsen zu lassen. Jene Personen, die im Fatih-Terim-Stadion ihr Bekenntnis zum islamischen Terror in die Welt schrien, sind nur die Spitze eines Eisberges, der zwischen Fes in Marokko und Djakarta in Indonesien unter der Oberfläche lauert. Doch selbst wenn es zu dieser Solidarisierung nicht kommen sollte, so wäre dieses Szenario am Ende nichts anderes als martialische Kosmetik. Denn es wird vielleicht das Ende des IS sein – nicht aber das Ende des islamisch begründeten Terrors. Und es wird so vielleicht ein konkretes Kriegsziel erreichen– nicht aber den Frieden gewinnen können.
Szenario 3 – Der Krieg der Kulturen
Samual P. Huntingtons „Clash of Civilisations“ schien bereits zu den Akten gelegt. Aber im Kern sind die Überlegungen des 2008 verstorbenen Politikwissenschaftlers so aktuell wie eh und je dann, wenn wir „Civilisations“ als Kulturen übersetzen und Kulturen als Lebensauffassungen und nicht als regionalspezifische Gesellschaftsausprägungen begreifen. Sollte es das Kriegsziel der Europäer sein, die Ursachen des Weltbürgerkrieges zu beseitigen, dann ist auf der einen Seite ein militärischer Kampf gegen islamisch motivierte Terrorgruppen weltweit unvermeidbar. Dann gilt es nicht nur, eine „Koalition der Willigen“ zu schmieden, sondern eine Armee der Aufklärung, die überall dort auf der Welt aktiv wird, wo fundamental-islamische Bewegungen ansetzen, Andersdenkende zu terrorisieren. Dieser Krieg wird ausgefochten in Syrien und dem Irak, in Afghanistan und Pakistan, in Somalia und Kenia, in Mali und Nigeria, in Libyen und Ägypten, auf den Philippinen und in Indonesien – und überall dort, wo er im Moment noch nicht bereits ausgebrochen ist.
Dieser Krieg wird ein erbarmungsloser sein und er wird die hehren Vorstellungen globaler Menschenrechte erheblich in Mitleidenschaft ziehen. Er kann – wenn die in Szenario 2 angedeutete Solidarisierung des islamischen Proletariats mit den unterliegenden Glaubenskämpfern erfolgen sollte – Opfer in bis heute unvorstellbaren Zahlen fordern. Es wird ein Kampf werden, der um so länger dauert, je humanitärer er von Seiten der Europäer geführt werden soll. Und es wird ein Kampf werden, der unsere Welt in ihren Grundfesten verändern wird. Denn weder ist garantiert, dass an seinem Ende tatsächlich ein Gewinner feststeht, noch ist auch nur ansatzweise sicherzustellen, dass die Armee der Aufklärung nicht zu einer Armee des „Terreur“ mutiert und vergleichbar der Französischen Revolution selbst zum Instrument einer Schreckensherrschaft wird.
Keine optimale Lösung
Die Skizze der drei nahe liegenden Kriegsziel-Szenarien hat deutlich gemacht: Keine der unmittelbar denkbaren Varianten ist wirklich erstrebenswert. Keine liefert eine Garantie, dass das jeweilige Kriegsziel tatsächlich erreichbar ist. Und keine ist mit unseren eigenen Ansprüchen an Menschlichkeit und globaler Gerechtigkeit auch nur ansatzweise vereinbar. Sind wir folglich gezwungen, uns selbst aufzugeben, unsere Werte zu verleugnen, um nicht unterzugehen in einem Sog des Barbarismus? Oder steckt Europa seinen Kopf weiter in den Sand und gibt sich selbst auf?
Die Zermürbungserscheinungen sind unübersehbar. Maßgeblich befördert durch die Angst vor kultureller Überfremdung, die durch den Terror des IS eine übersteuernde Komponente erhält, werden in den Ländern Kerneuropas rechtsextreme Kräfte immer stärker. Ob jene von Moskau finanzierte Front Nationale in Frankreich oder Polens neugewählte, antirussische Kaczynski-Führung – als Vertreter eines nationalen statt europäischen Wagenburg-Szenarios haben sie das Potential, die Idee der Europäischen Union zu sprengen. Unter der Bedrohung durch als solche empfundene, kulturfremde Barbaren schließen sich ihre Reihen und reaktivieren sich kollektive Abwehrmechanismen. Die von rotgrünen Wohlstandkindern erträumte bessere Welt gleicher, im ewigen Einklang mit der Natur stehender Menschen wird im Angesicht der als real empfundenen Bedrohung zum Auslaufmodell – und mit ihrem realitätsfernen Anspruch weltumspannender Gerechtigkeit selbst zu einer Bedrohung für die Zukunft Europas.
Und noch etwas steht im Raum ohne bislang wirklich öffentlich realisiert geschweige denn beantwortet worden zu sein: Wie hält es Europa, wie hält es die Freie Welt mit jenen Mächten, die zwar nicht hinter dem archaischen Barbarentum der Glaubensterroristen stehen – die dieses aber entweder befördern oder eigene Wege bestreiten, die den Idealen Europas widersprechen, oder diese vielleicht sogar aus eigenen Interessen auszuhebeln versuchen? Bevor Europa in den Krieg zieht, muss es sich die Frage nach seinen Partner, seinen Verbündeten auf Zeit und auch nach seinen Gegnern beantworten. Und: Wie hoch darf der Preis sein, den Europa für seine Verbündeten zu zahlen bereit ist? Diese Fragen sind nicht zu beantworten, solange das Kriegsziel nicht eindeutig definiert ist. Doch sie liegen bereits jetzt sehr konkret auf dem Tisch dann, wenn sich der Blick beispielsweise auf Sa’udi-Arabien und die Türkei richtet. Auch der Blick auf Russland lässt erahnen, dass der Preis für ein gemeinsames Vorgehen gegen den Terror der Verrat an den eigenen, westeuropäischen Idealen sein könnte.
Steckt Europa, steckt die freie Welt also in einer Falle, aus der es kein Entrinnen geben wird? Haben die Strategen des Glaubensterrorismus schon gewonnen? Fast will es so scheinen. Welcher Weg dennoch zu beschreiten sein könnte, wenn Kriegsziel und Strategie in Einklang mit den Idealen Westeuropas gebracht werden sollen – darüber soll im dritten Teil zum Weltbürgerkrieg nachgedacht werden.
Sie müssenangemeldet sein um einen Kommentar oder eine Antwort schreiben zu können
Bitte loggen Sie sich ein