Das gefährlichste im Kampf gegen das Böse ist der Einsatz böser Mittel. Gastbeitrag von Thomas Zieringer.
Aus Verantwortung zur Freiheit
Das Jerusalem Friedensmal ist mit dem Leben heute verbunden: „Kann man diese Vergangenheit nicht endlich mal ruhen lassen? Es war sehr schlimm aber es ist schon lange vorbei“, war ein Kommentar auf Facebook zu diesem Projekt. Zu leben bedeutet, einen Weg zu gehen. Er reicht von der Vergangenheit in die Zukunft. Faschismus und Krieg, die viele Millionen an Toten brachten, gehören zur deutschen Geschichte. Diese Erfahrung ist zu einem Teil der kollektiven Identität der Deutschen geworden. Statt wegzuschauen geht es vielmehr darum, in einer Liebe hinzuschauen, welche die tiefen Wunden in den Beziehungen, aber auch im eigenen Selbstwertgefühl der Deutschen heilen kann. Erst dann wird sich diese Vergangenheit auch in anderem Gewand nicht wiederholen.
Ich bin gerade in Tel Aviv, sitze in einer Bar am Strand und schaue auf den Sonnenuntergang hinter Jaffa. Vielleicht lässt sich ein Artikel über das eigene Land besser schreiben, wenn man von außen auf es blicken kann. Ich habe viel mit Israelis über die derzeitigen Geschehnisse in Deutschland gesprochen. Man versteht die Deutschen nicht, versteht ihre Naivität nicht, dass sie ihre Grenzen nicht mehr kontrollieren wollen. Mir ist hier bislang kein junger Israeli begegnet, der oder die noch nicht in Deutschland war. Man empfindet die Deutschen als nett und freundlich. In Israel ist man oftmals etwas rauher. Aber man ist hier offen und ehrlich miteinander und scheut nicht die Konfrontation. Die Menschen in Israel haben sehr viel besser entwickelte Grenzen im Umgang miteinander. In Israel gibt es eine Kultur der Konfrontation. Der andere muss nicht die gleiche Meinung haben, damit er ein guter Mensch sein darf. In Deutschland wird so oft sanktioniert, wer sich nicht anpasst. Der Mut des anders Denkenden, anders Redenden und anders Handelnden wird bestraft. Ich weiß, wie viele Menschen im privaten Umfeld von mir die Flüchtlingspolitik der Regierung stark kritisieren, aber öffentlich – sogar in Reden – das Gegenteil von dem sagen, was sie wirklich denken. Es sind diese Lügen, es ist diese Heuchelei in der deutschen Gesellschaft, warum andere Länder Deutschland zu Recht misstrauen.
Das zeigt gerade keine Wehrhaftigkeit gegenüber Bewegungen, wie sie die Nationalsozialisten in der Weimarer Republik darstellten. Ist es so falsch, die Frage, „warum Hitler Deutschland passieren konnte“ auch damit zu beantworten, dass es in der deutschen Kultur die für eine Demokratie eigentlich notwendige Konfrontationsfähigkeit nicht im genügenden Maße gibt, weil zu viele Deutsche die gesunden Grenzen im Miteinander selbst nicht haben? Und so zieht man dann also lieber gemeinsam im geheuchelten Konsens Richtung Untergang, als womöglich alleine mit einer unrichtigen Meinung dazustehen, für die man sich zu schämen hätte? Die Diskussion um Zäune zeigt so viel.
Frieden beginnt im Innern, dann beginnt er im Außen seinen Raum zu nehmen. Frieden ist ohne gesunde eigene Grenzen nicht möglich. Die derzeit zu beobachtende Entgrenzungsideologie in Deutschland ist ein Symptom einer tieferen Ursache. Eine Gesellschaft kann nur dann gesunde Grenzen haben, wenn genügend der Menschen, die sie ausmachen, diese Grenzen selbst in sich haben. So aktuell ist also das Thema mit der Aufarbeitung deutscher Vergangenheit immer noch. Es wird aktuell bleiben, bis die richtigen Dinge aus dieser Vergangenheit gelernt wurden. Oder auch nicht: Viel Zeit dazu bleibt nicht mehr. Der Lauf der Dinge ist, dass dekadente Kulturen vergehen und auf deren Trümmern neue Kulturen entstehen.
Vielleicht sollten die Deutschen besser Hilfe bei Freunden suchen. Wir feierten dieses Jahr „50 Jahre Beziehungen zwischen Deutschland und Israel“. Es war ein Zeichen der Freundschaft. Freunde helfen sich gegenseitig. Alleine sieht man seine eigenen blinden Flecken nicht. So wie die Deutschen den Israelis schon so manchen (unwillkommenen) Ratschlag bezüglich ihrer Palästinenserpolitik gaben, so könnten die Israelis heute die Deutschen über die möglichen Folgen aufklären, wenn man seine eigenen Grenzen nicht mehr schützt. Israel kennt sich aus bei diesem Thema.
Die derzeitige politische Situation zeigt uns auch, dass die Demokratie in Deutschland sehr viel breiter aufgestellt sein müsste. Unsere Regierung sollte sehr viel mehr Vertrauen in die Bürger haben und einen selbstkritischeren Umgang mit sich selbst pflegen. Im Jahr 2002 wurde der erste Entwurf in den Bundestag eingebracht, Elemente der direkten Demokratie einzuführen. Das Land war reif dafür. Es wurde aber von der CDU strikt abgelehnt. Heute fehlt uns dieses notwendige Korrektiv für eine immer selbstherrlicher werdende politische Klasse, die sich im hochsubventionierten Berlin ungesund weit von der Realität entfernt hat.
In gewisser Weise ist das ganze Projekt vom Friedensmal in einer Ausgleichsbewegung dazu entstanden. Denn das aus privatem bürgerschaftlichem Engagement entstandene Projekt ist tatsächlich in dem, was es ausdrückt, ein demokratischer Vorschlag, über dessen Annahme die ganze Gesellschaft entscheidet. So in dieser Form dürfte das wohl von Behördenseite noch nie gesehen worden sein. Das Jerusalem Friedensmal kann also bei einem essentiellen Thema unseres Landes tatsächlich ein notwendiges Korrektiv darstellen. Es muss nur als solches wahrgenommen werden.
Bilder: http://friedensmal.de/
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