Das gefährlichste im Kampf gegen das Böse ist der Einsatz böser Mittel. Gastbeitrag von Thomas Zieringer.
Seien wir also im womöglich postreligiösen Zeitalter offener für eine bildhaft gewordene Philosophie, die sich auch in religiösen Bildern ausdrücken darf. Wir brauchen uns nicht über einen „Untergang des Abendlandes“ zu beklagen, also darüber, dass der Geist und die Seele auch in unserem Land verloren ging, wenn sich sofort unüberwindliche Barrieren bei einem religiös aufgeladenen Wort bildeten. Dieses Abendland war ein christliches. Ohne diese religiösen Vorstellungen hätte es auch nicht die entsprechende kulturelle Entwicklung gegeben. Auch die Aufklärung fand nicht in einer nihilistisch geprägten Kultur statt, sondern auf dem Wertefundament einer christlich gefestigten Kultur.
Über die gesunden Grenzen, ein Zaun als Gleichnis
Dies ist eine Geschichte darüber, wie das Jerusalem Friedensmal seinen Namen und seine Form fand. Diese Geschichte hat deshalb etwas von Weihnachten, weil sie zeigt, wie ineinander verwoben in Wirklichkeit Welt und Geist sind; welcher Zauber dem Leben innewohnt. Diese Geschichte wurde vom Leben sogar selbst geschrieben und kann als ein Gleichnis zum Thema „gesunde Grenzen“ verstanden werden. Es ist auch schon komisch, dass das Leben diese Geschichte genau so schrieb, dass sie gerade zur Situation in unserem Land passt. Das gibt zu denken. Vielleicht ist der rein materialistische Standpunkt nicht entwickelter, als es das religiöse Dogma im tiefsten Mittelalter war.
Beinahe hätte es kein Jerusalem Friedensmal gegeben. Die Kreisbehörde hatte nämlich durch eine Ausnahmegenehmigung im Jahr 2012 den Bau eines Zauns in direkter Nachbarschaft des Standorts genehmigt. Diese Maßnahme verkehrte die beabsichtigte künstlerische Aussage des Denkmals allerdings in ihr Gegenteil: Das Friedensmal stellt einen durchbrochenen Teufelskreis dar – doch der Durchbruch in die Freiheit war genau an jener Stelle geplant, wo nun neu ein Zaun entstehen würde. So hätte die künstlerische Aussage aber keinen Sinn mehr gemacht.
Statt das Projekt aufzugeben, wurde das Friedensmal schließlich anders als geplant gebaut. So konnte es der neuen Umgebung wieder gerecht werden und dem Gesamtwerk war wieder ein Sinn gegeben. Das war eben schon ein sehr merkwürdiger Zufall: wie wahrscheinlich ist es, dass man ein privat finanziertes Friedensmal genehmigt bekommt, das ganz wesentlich Freiheit und Offenheit repräsentiert und dann wenig später davor aber aber ein Zaun in der freien Landschaft genehmigt wird, der als Symbol die inhaltliche Aussage des Denkmals gleich wieder in Frage stellt? Ja, das war wirklich ein Zufall, denn bei der Behörde wurde mir gesagt, dass man das Friedensmal einfach vergessen hatte.
Man kann das nun auch als ein Gleichnis für die heutige Zeit sehen: Das Friedensmal musste so verändert werden, dass der Zaun zu einem Teil seiner originären Aussage wurde. Zunächst wurden 21 große Gedenksteine weniger errichtet als eigentlich genehmigt, um wieder den notwendigen Freiraum zu erhalten. Das könnte bedeuten, dass auch erst noch „Seelensteine“ ausgeräumt werden müssen, dass unser Land in der Lage ist, gesunde Grenzen zu definieren. Darüber hinaus wurden mit weißen Kieselsteinen durch Böschungen gebildete „Engelsflügel“ an den Seiten des Denkmals betont. Damit wurde aus dem zunächst störenden Element „Zaun“ ein visuell schützender Rahmen für das Friedensmal im Landschaftsbild. Wieder auf das Leben übertragen: „Engelsflügel“ aus Kieselsteinen sind keine starre Grenze, sondern fordern die Achtung eigener Grenzen ein, indem zuvorderst an das Gute im Menschen und seine Verantwortung appelliert wird. Die erste gesunde Grenze ist so der gute und vor allem ehrliche Umgang miteinander. So macht man keine Versprechungen, die nicht haltbar sind; weder als ein lautes Willkommen, hinter dem nicht die Mehrheit der Deutschen steht, noch als ein „wir schaffen das“, ohne konkrete Vorstellung, wie das dann danach ausschaut.
Um den Zaun auch inhaltlich in die Botschaft des Friedensmals zu integrieren, wurde zusätzlich ein einzelner Jerusalem-Stein, der für den äußeren Frieden steht, am Rande der Anlage gesetzt. Dort führt der Europäische Fernwanderweg E8 am Friedensmal vorbei. Der Jerusalem-Stein wurde direkt gegenüber des neu entstandenen Zauns errichtet und spricht inhaltlich in positiver Weise das Thema „gesunde Grenzen“ an. Das Thema, das heute mit der Flüchtlingskrise zu diskutieren ist.
Friedensmal und Zaun – es braucht in allem ein Ausgleich und ein gesundes Maß. Der Ausgleich zwischen Kopf und Herz ist zu suchen. Es darf trotz des guten Gedankens der Völkerverständigung keine Entgrenzung geben. Grenzen sind zu kontrollieren. Wer das nicht tut, ist schlicht verrückt. Die Geschichte mit dem Zaun und dem Friedensmal, die das echte Leben schrieb, zielte darauf zu zeigen, wie sehr Frieden und gesunde Grenzen miteinander zu tun haben. Frieden braucht gesunde Grenzen. Liebe braucht Vernunft. Kopf und Herz brauchen sich gegenseitig. Es soll eine Sichtweise aus einer gesunden Mitte sein. Die Alternative dazu ist radikal. Das sollten auch diejenigen wissen, welche Ansätze wie das Jerusalem Friedensmal ausgrenzen, weil es nicht in ihre Ideologie des Freiseins ohne Grenzen und Wurzeln passt. Das aber ist vor allem wohl ein Freisein von Vernunft.
Heilung tiefer Wunden
„Jerusalem“ ist mehr als eine religiöse Ideologie; es bezeichnet eine Idee des Lebens. Diese ist wie die Hoffnung, aus einem dunklen Traum aufzuwachen und sich in einer Welt wiederzufinden, in der Menschen sich nah sind und in aller Aufrichtigkeit berühren. Das beginnt in den Worten, die wir sprechen. Doch diese Nähe, in die jeder seine Schönheit einbringen mag, ist ohne gesunde Grenzen nicht möglich. Wir würden uns verlieren.
Ohne Abgrenzung ist Leben nicht möglich. Zäune und Grenzen errichten wir, um Werte und die Verschiedenartigkeit von Vorstellungen und Strukturen zu schützen. Materie selbst ist Struktur, also Begrenzung. Je durchgeistigter eine Kultur, je mehr die gesunden Grenzen und die Werte im Innern verwirklicht sind, desto mehr können tatsächlich auch die äußeren Zäune innerhalb dieser Kultur fallen. Es bleibt die natürliche Abgrenzung nach außen. Die völlige Entgrenzung ist kein kultureller Fortschritt, sondern ein Krankheitsbild. Darin wird deutlich, wie sehr eine Bewältigung von Vergangenheit Not tut, die in den Frieden führt; so wie es dem Ansatz des Jerusalem Friedensmals entspricht. So geht es auch nicht darum, Vergangenheit zu bewältigen für die Vergangenheit. Sie ist immer Gleichnis für die Gegenwart. Vergangenheit will sich wiederholen, bis sie verstanden wurde; allerdings immer anders, um das alte Muster immer wieder neu zu erkennen.
Ein „himmlisches Jerusalem auf Erden“ ließe sich auch nicht durch das Einreißen von Zäunen erzwingen. In dieser Vorstellung liegt nicht Frieden und Menschlichkeit, sondern ideologische Verblendung und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem, was Zäune und Grenzen schützen. Die Folge davon sind noch mehr Streit und Krieg. Es gibt einen friedlichen Weg, Grenzen zu überwinden. Dieser beginnt bei uns selbst. Der Friedensweg ins eigene Innere führte wieder nach außen in die Verantwortung in der Welt. Menschen, die so klar und mit sich im reinen sind, öffnen die Welt.
Was ist also aus unserer deutschen Vergangenheit zu lernen, das heute zu leben ist, dass es einer lichteren Zukunft Weg gibt? Was konkret bedeutet es, Verantwortung dafür zu übernehmen? Wieder Hass, das meint auch Selbsthass, ist keine Antwort auf diese dunkle Vergangenheit. Ein kollektives Schuldgefühl ist es auch nicht. Weltoffenheit im Sinne eines Austauschs miteinander über Grenzen hinweg und eine Verantwortung zur Freiheit können aber tragfähige Antworten für die deutsche Gesellschaft heute sein. Auf dem Jerusalem-Stein gegenüber des Zauns ist zu lesen „Yerushalayim, dass wir unseren Halt nicht hinter Zäunen der Ideologie suchen“. In Deutschland wurden in der jüngeren Geschichte schlimme Erfahrungen mit der Gefangennahme in Ideologien gemacht. Freiheit bedeutet aber zu allererst, in der Lage zu sein, frei denken zu können; es zu wagen, jegliche Ideologie zu hinterfragen. Dafür braucht es den Mut, in anderen Bahnen zu denken, Mut zum Ausdruck und es braucht den freien Austausch von Meinungen.
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