Neue Gesichter in der Ahnengalerie des Auswärtigen Amts

Bereits als Josef Fischer Außenminister war, kam aus dem Auswärtigen Amt heraus ein Buch, das die Identität als Frau weit vor alle anderen Eigenschaften der darin betrachteten deutschen Diplomaten stellte. Nun folgt: „Änne Kundermann und Ellinor von Puttkamer: Deutschlands erste Botschafterinnen“. Von Raymond Dequin

Auf der Seite des Politischen Archivs hat das Auswärtige Amt unter der Rubrik „Das besondere Dokument“ einen Beitrag eingestellt, dessen Überschrift „Änne Kundermann und Ellinor von Puttkamer: Deutschlands erste Botschafterinnen“ lautet. Darin heißt es: „Der Weg für Frauen in Leitungspositionen innerhalb der deutschen Diplomatie war und ist nicht selbstverständlich. Die zwei ersten weiblichen Botschafter … verdeutlichen dies durch ihre Biografien.“

Zuerst ist Kundermann an der Reihe. Aus ihrem KPD-Lebenslauf werden einige Stationen benannt. „1933 emigrierte sie in die Sowjetunion. Dort zählte sie zum engeren Kreis um Wilhelm Pieck, war unter anderem für die Kommunistische Gewerkschaftsinternationale tätig und gehörte dem Nationalkomitee Freies Deutschland an.“ Wir erfahren, dass Kundermann zu den ersten Frauen gehörte, denen „die KPD nach Kriegsende in Deutschland die politische Aufbauarbeit übertrug“. „Sie leitete die Kaderabteilung der KPD-Landesleitung des Mecklenburgischen Landtags und übernahm nach ihrem Eintritt in die SED 1946 weitere Leitungsposten auf Partei- und Landesebene.“

Dann wird festgestellt: „Entsprechend wiesen sie ihre soziale Herkunft, ihr kontinuierliches politisches Engagement, ihre Auslandserfahrungen, ihre Mitarbeit im Widerstand während des Nationalsozialismus sowie am Aufbau der politischen Strukturen der späteren DDR nach deren Gründung 1949 und nicht zuletzt ihre persönlichen Beziehungen zum Staatspräsidenten Wilhelm Pieck als geeignete Kandidatin für den Auswärtigen Dienst aus.“ Für das MfAA war sie ab 1950 Leiterin in Sofia, Warschau, und – nach einer Zeit in der Zentrale – in Albanien, bevor sie 1972 in den Ruhestand ging.

Sodann ist die Reihe an Puttkamer. Wir erfahren, dass sie „in der Bundesrepublik fast 20 Jahre später einen ähnlichen Posten bekleidete“. Neben ihrer persönlichen Eignung verhalfen ihr „Reformbestrebungen innerhalb des Auswärtigen Amts zur Funktion des ersten weiblichen Botschafters der Bundesrepublik Deutschland“. In einem Rückblick ist von ihrem Studium der Geschichte die Rede, von ihrer Habilitation und ihrer Berufung 1963 auf eine außerplanmäßige Professur an der Universität Bonn. „Bereits seit 1953 war sie im Auswärtigen Amt auf verschiedenen Posten und später in Leitungsfunktionen tätig.“

Dann steht da: „Die Ernennung der ersten Frau zur Botschafterin 1969 wird zwar innerhalb der Berichterstattung etwa des Bremer Weser-Kuriers über die Gleichstellungsbemühungen des Auswärtigen Amts erwähnt, ohne jedoch ihren Namen zu nennen. Der Grund für ihre Versetzung in den einstweiligen Ruhestand 1973 und im Jahr darauf in den endgültigen geht aus ihrer Personalakte nicht hervor, ihre Klage dagegen blieb ohne Erfolg.“

Hier werden Portraits nebeneinander gehängt, die nicht nebeneinander gehören. Frau von Puttkamer war eine Kollegin, die vor meiner Zeit im Auswärtigen Dienst tätig war. Frau Kundermann war gar keine Kollegin, sondern das Werkzeug einer Besatzungsmacht, die vor meiner Zeit die Freiheit in Deutschland unterdrückt hatte.

Das irreführende Nebeneinander der beiden Lebensläufe erweckt den Eindruck, als handle es sich bei den Unterschieden lediglich um Lokalkolorit auf dem allgemeinen Weg der Frau zur gleichberechtigten Teilhabe am Beamtentum in Deutschland Ost und West. Hier die wackere Kommunistin, die als „erster weiblicher Botschafter“ in die Männerriege der DDR-Diplomaten vordringt, dort – mit systemtypisch 20-jähriger Verspätung – die „persönlich geeignete“ Historikerin, die 1969 – 1974 Leiterin der Ständigen Vertretung beim Europarat in Straßburg war. Das immerhin hat Puttkamer Kundermann voraus, dass 2020 in der Zentrale des Auswärtigen Amts ein Sitzungssaal nach ihr benannt wurde.

Das Auswärtige Amt weiß natürlich, dass man seine geneigten Leser nicht eigens darauf hinzuweisen braucht, dass Frau Kundermann allein schon durch ihre Parteifunktion von den zahlreichen und vielfältigen Verbrechen der stalinistischen Gewaltherrschaft gewusst haben muss. Sowohl in der Sowjetunion als auch in Deutschland, wohin sie noch vor Kriegsende eingeflogen wurde, um dort ihrerseits an Verbrechen des politisch oder lediglich willkürlich motivierten Mordes, der Inhaftierung, der Verschleppung, der Verbannung, der Zwangsarbeit, der Enteignung und der Vertreibung mitzuwirken. Um den alltäglichen und nicht immer aus politischen Beweggründen begangenen Verrat zu organisieren, und um die nachhaltige Irreführung und Knechtung ihres eigenen Volkes herbeizuführen. Sie gehörte, wie ihr Ehemann Erich Kundermann, zur kleinen Elite der aus Moskau rekrutierten Funktionäre, die im Auftrag Stalins die Sowjetmacht erfolgreich nach Westen vorgeschoben haben, bis es schließlich zur Konsolidierung der Macht der SED in der Sowjetischen Besatzungszone und zur Gründung der DDR kam. Die Partei stand über der Exekutive. Ihr Aktionsradius wurde nur durch die Vorgaben der Besatzungsmacht eingeschränkt.

Gerne würde man Einzelheiten wissen, doch die gibt es mangels einschlägiger Forschungen kaum. Kundermann war von Jugend an in kommunistischen Gewerkschaften tätig gewesen. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 hatte sie sich kurzzeitig ins Ausland in Sicherheit begeben, kehrte aber Mitte 1933 nach Deutschland zurück und engagierte sich nach eigenen Angaben im kommunistischen Widerstandskampf. In der Widerstandskartei heißt es dazu: „Illegale Arbeit in den unteren Parteiorganisationen“. Einzelheiten sind nicht bekannt. Im November 1933 emigrierte sie nach eigenen Angaben „auf Beschluß der Parteileitung nach der Sowjetunion“. Dort war sie 1934 – 1941 Mitarbeiterin im Zentralrat der russischen Gewerkschaften und anschließend in der Kommunistischen Internationale.

In diesen Jahren soll sie zum engsten Mitarbeiterkreis Wilhelm Piecks gehört haben. Ab 1942 war sie, bis 1944, Inspekteurin in mehreren NKWD-Kriegsgefangenenlagern und hatte Ende 1944 zusammen mit ihrem Mann die KPD-Parteischule Nr. 12 bei Moskau besucht. Sehr früh wurde sie nach Deutschland geschickt, und zwar nach Schwerin; genannt wird das Datum 28. April 1945. Nur kurzzeitig war sie Sekretärin in der Gruppe Sobottka. In Schwerin wurde sie Leiterin der Kaderabteilung im KPD-Landesverband Mecklenburg, beauftragt mit der Verbindung zur SMAD und der Kaderauswahl, und zog 1946 in den Landtag ein, wo sie Mitglied des Verfassungsausschusses war. Ihr Mann war 1945 – 1950 persönlicher Referent des Innenministers und Leiter der Hauptabteilung Personal und Schulung im Innenministerium des Landes Mecklenburg. Ab 1949 bereitete sie sich auf den Botschafterdienst vor; ihre Ausreise nach Sofia war 1950.

Zwar lagern viele Akten in russischen Archiven, doch gibt es auch leichter zugängliche Bestände in Deutschland. Soweit ich feststellen konnte, ist eine umfangreichere aktengestützte Forschung lediglich in einem einzigen Fall veröffentlicht worden – in Zusammenhang mit der Rehabilitation der zu Unrecht der Kollaboration mit den Nationalsozialisten beschuldigten Künstlerin Helen Ernst. Deren Biograph Hans Hübner hat den Weg ihrer mühsamen Petitionen nach der Befreiung aus dem Frauen-KZ Ravensbrück nachgezeichnet. Für die an Tuberkulose Erkrankte ging es um den Status als „Opfer des Faschismus“ und die damit verbundene Rente. Kundermann spielte dabei eine zuhörende und zurückhaltende Rolle; wer Helen Ernst 1948 schließlich herauspaukte, war Kundermanns als schlimme Stalinistin verrufene Kollegin Herta Geffke. So bleibt der Mensch Änne Kundermann unserer Wissbegierde zunächst entzogen. Wir wissen lediglich, dass die Funktionärin Änne Kundermann an der Unterdrückung der Freiheit in Deutschland beteiligt war.

Und Frau von Puttkamer? Wenn man ihre frühen geschichtswissenschaftlichen Arbeiten liest, ist man von ihrer umsichtigen, zunächst großräumig ordnenden und dann konzentriert arbeitenden Herangehensweise beeindruckt. Man spürt, dass hier jemand am Werk war, der nicht nur Polen gut kannte, sondern auch mit jeder Faser in der Welt der Diplomatie lebte. Sie war somit tatsächlich auf die von ihr erwählte Laufbahn vorbereitet. Umso mehr fällt auf, wie lieblos sie in dem Beitrag des Politischen Archivs wegkommt. Das einzige Interessierende scheint hier die Frage gewesen zu sein, inwiefern sie als Frau in ihrer Laufbahn behindert oder begünstigt worden war.

Da hat nach 50 Jahren sogar der Weser-Kurier noch ein Sagen. Und auch hier unterscheiden sich die beiden Geschlechtsgenossinnen deutlich voneinander. Während Puttkamer ihren Weg selbständig ging, hätte es Kundermanns diplomatische Karriere ohne einen mächtigen Mann nie gegeben. Zwar ist Vertrauen in der Diplomatie ein unverzichtbares hohes Gut. Eine darüberhinausgehende Befähigung oder gar Leistung vermag ich in der Förderung durch Wilhelm Pieck jedoch nicht zu erkennen. Aber vielleicht fördert das Politische Archiv des AA / MfAA solche Leistungen noch zutage.

Es ist eine schlimme Sache, wenn die politischen Instinkte abhandenkommen. Auch in diesem geringen Fall hat es die Leitung des Auswärtigen Amtes an Urteilsvermögen fehlen lassen. Dies ist aber leider keine ganz neue Entwicklung. Bereits im Jahr 2000, als Josef Fischer Außenminister war, wurde aus dem Auswärtigen Amt heraus ein Buch veröffentlicht, das die Identität als Frau weit vor alle anderen Eigenschaften der darin betrachteten deutschen Diplomaten stellte (Müller und Scheidemann, Gewandt, Geschickt und Abgesandt, München 2000).

Bereits zwischen diesen Buchdeckeln führte Änne Kundermann an der Spitze einer Kolonne weiterer Pioniere ein unauffälliges Diplomatendasein. Dieses Buch enthält eine Kurzbiographie, in der bereits in verharmlosender Weise von Kundermanns Einsatz beim „Wiederaufbau“ nach dem Kriege die Rede ist. Und der zweite Pionier in der Reihe der präsentierten weiblichen DDR-Diplomaten ist – siehe da! – die Tochter von Wilhelm Pieck höchstselbst. Ich war damals allerdings zu beschäftigt, um dergleichen wahrzunehmen – und das war nun auf jeden Fall ein Fehler.

Raymond Dequin war von 1987 bis 2018 im Auswärtigen Dienst tätig.


Literatur Kundermann / Puttkamer

Deutsche Kommunisten, Biographisches Handbuch 1918 bis 1945, Hrsg. Hermann Weber und Andreas Herbst, gefördert mit Mitteln der Rosa-Luxemburg-Stiftung, 2. Auflage, Berlin 2008

Gewerkschafterinnen im NS-Staat, Biographisches Handbuch, Hrsg. Siegfried Mielke unter Mitarbeit von Marion Goers, mit Unterstützung der Hans Böckler Stiftung, Berlin 2022

Gegen Hitler. Deutsche in der Résistance, in den Streitkräften der Antihitlerkoalition und der Bewegung „Freies Deutschland“ – Kurzbiographien, Hrsg. Gottfried Hamacher unter Mitarbeit von André Lohmar, Herbert Mayer, Günter Wehner und Harald Wittstock, Reihe Manuskripte, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bd. 53, Berlin 2005

Hans Hübner, Helen Ernst – Ein zerbrechliches Menschenkind (1904-48), Berlin 2002

Kyra T. Inachin, Parlamentarierinnen – Landespolitikerinnen in Mecklenburg und Pommern 1918 bis heute, Hrsg. von der Landeszentrale für politische Bildung Mecklenburg-Vorpommern, verantwortlich: Hans-Christian Kuhn, Kückenshagen 2005

Ulrike Müller und Christiane Scheidemann (Hrsg.), Gewandt, Geschickt und Abgesandt, Frauen im Diplomatischen Dienst, München 2000

SBZ-Handbuch, Hrsg. Martin Broszat und Hermann Weber, München 1990

Wer war wer in der DDR? – Ein Lexikon ostdeutscher Biographien, Hrsg. Helmut Müller-Enbergs, Jan Wielgohs, Dieter Hoffmann, Andreas Herbst und Ingrid Kirschey-Feix, unter Mitarbeit von Olaf W. Reimann, in Kooperation mit der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, 5. Auflage Berlin 2010

Dr. Ellinor v. Puttkamer, Frankreich, Rußland und der polnische Thron 1733, Osteuropäische Forschungen, Hrsg. Hans Uebersberger, Neue Folge, Band 24, Königsberg (Pr) und Berlin 1937

Dr. Ellinor v. Puttkamer, Die Polnische Nationaldemokratie, Schriftenreihe des Instituts für Deutsche Ostarbeit Krakau, Sektion Geschichte, Band 4, Krakau 1944

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Kommentare ( 2 )

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Marcel Seiler
1 Jahr her

Das ist wie mit Nachrichten über die Frauennationalmannschaft: Man fühlt die Absicht und man ist verstimmt. Es sind diese vielen kleinen Nadelstiche ins Gehirn, die – neben dem wirtschaftlichen Niedergang – die Leute zur Überlegung der Auswanderung bringen.

horrex
1 Jahr her

Eine höchst interessante Sichtweise des heutigen AA die da deutlich wird.
Als ich als kleiner Bub zum ersten Mal Scheuklappen sah dachte ich, sowas gibts doch höchstens bei Pferden. Ein paar Jahre später begriff ich, das gibts auch bei Menschen. Manchen scheinen sie sogar von kindauf an als Köperteil zu wachsen. –