Elektroparadies Norwegen will Stromversorgung mit Kernkraft absichern

Norwegen ist in der Lage, grünen Strom zu exportieren. Das Unternehmen Norsk Kjernekraft treibt dennoch den Bau von sogenannten Small Modular Reactors (SMR) voran und hat bereits Absichtserklärungen mit Rolls-Royce unterzeichnet. Von Wolfgang Kempkens

picture alliance / imageBROKER | Angela to Roxel
Aura Kraftwerk, Wasserkraftwerk, Norwegen

Norwegen gilt als Elektroparadies. Die Wasservorräte, Grundlage für 89 Prozent der Stromerzeugung, scheinen endlos zu reichen. Das Land kann sogar noch grünen Strom exportieren, etwa nach Deutschland. Doch Klimawandel und steigender Stromverbrauch sowie die weitere Dekarbonisierung des Landes – abseits des Strommarktes dominieren noch Öl und Gas, etwa zur Produktion von Prozesswärme und Sprit für Fahrzeuge und Schiffe – lassen sich nach Ansicht von Norsk Kjernekraft, am 15. Juli 2022 vom privaten norwegische Öl- und Gasunternehmen M Vest in Bergen gegründet, nur mit Kernenergie bewältigen.

Das Unternehmen hat bereits Absichtserklärungen mit Rolls-Royce SMR zum Bau von drei Kernkraftwerken, sogenannten Small Modular Reactors (SMR), mit einer elektrischen Leistung von jeweils rund 470 Megawatt, unterzeichnet. Außerdem sind fünf 300-Megawatt-Anlagen sowie diverse noch deutlich kleinere geplant. „Das Land wird in den kommenden Jahren viel Strom benötigen, und wir müssen wichtige Entscheidungen darüber treffen, wie viel Natur wir zu opfern bereit sind und was es kosten darf, eine stabile Stromversorgung zu gewährleisten“, heißt es bei Norsk Kjernekraft. Die Kernenergie könne einen positiven Beitrag dazu leisten, die Bürger mit sauberer, zuverlässiger und erschwinglicher Energie zu versorgen, was dem UN-Ziel Nr. 7 für nachhaltige Entwicklung entspreche.

Woran man nicht auf Anhieb denkt: Anwendungen der künstlichen Intelligenz und sowie das Schürfen von Bitcoins und der Handel mit Kryptowährungen sind extrem rechenaufwändig und benötigen deshalb sehr viel Strom. „Im Grunde ist der Bedarf an Datenverarbeitung und Datenspeicherung im Gegensatz zu allem anderen unbegrenzt“, heißt es bei Norsk Kjernekraft. „Künstliche Intelligenz beschleunigt diesen Bedarf exponentiell.“ Aus diesem Grund plant das Unternehmen außer den drei 470- und weiteren fünf 300-Megawatt-Kernkraftwerken den Bau noch kleinerer nuklearer Anlagen, um Rechenzentren und Industrieunternehmen direkt vor Ort mit Strom beziehungsweise Strom und Prozesswärme zu versorgen.

Anfang dieses Jahres hat Google mit dem Bau eines Rechenzentrums in der Gemeinde Skien begonnen, seinem ersten in Norwegen, das 2026 in Betrieb gehen soll. Google benötigt dafür nach eigenen Angaben eine Leistung von 840 Megawatt. Der norwegische Energieminister Terje Aasland hat erklärt, dass die Gemeinde Skien den Strom selbst bereitstellen muss. Der dort amtierende Bürgermeister hat erklärt, dass die Gemeinde dazu Kernenergie in Betracht ziehen wird. Bis 2026 ist das freilich nicht zu schaffen.

Zusätzlicher Strom wird in Norwegen auch für die Abscheidung von Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Luft, für die Produktion von Wasserstoff, Ammoniak und E-Treibstoffen sowie für die Elektrifizierung des Verkehrs benötigt. „Da Kernkraftwerke ebenso wie Wasserkraftwerke 100 Jahre lang halten (mit zwei Aufrüstungen nach 60 und 80 Jahren), bieten sie die Möglichkeit, das zu wiederholen, was die Wasserkraft für Norwegen geleistet hat“, so die Einschätzung des Unternehmens. „Nachdem die Kraftwerke abbezahlt sind, liefern sie – wie die Wasserkraft – für weitere 70 bis 80 Jahre billigen Strom.“

Nukleare Wärme soll auch von wärmeintensiven Industrien wie der Stahl- und Aluminiumproduktion genutzt werden, die Restwärme für die Fernwärmeversorgung. Dadurch verringere sich der Strombedarf und damit auch die Notwendigkeit des Netzausbaus.

Mit den drei Gemeinden Aure, Heim und Narvik hat Norsk Kjernekraft Vereinbarungen unterzeichnet, um die technischen, wirtschaftlichen und sicherheitstechnischen Aspekte des Baus eines oder mehrerer SMR auf deren Gebiet zu analysieren. Und für ein Grundstück in der Gemeinde Øygarden, westlich von Bergen, leitet das Unternehmen bereits eine Umweltverträglichkeitsprüfung ein, um die Möglichkeit der Errichtung eines Kernkraftwerks mit bis zu fünf kleinen modularen Reaktoren zu prüfen.

Nach Angaben von Norsk Kjernekraft bietet der Standort Platz für fünf SMR-Kraftwerke mit einer elektrischen Leistung von jeweils 300 Megawatt, wie sie das US-Unternehmen GE (General Electric) und sein japanischer Partner Hitachi Nuclear Energy entwickelt hat. Das bedeutet, dass der Standort das Potenzial zur Erzeugung von 12,5 Terawattstunden pro Jahr hat, was fast zehn Prozent des derzeitigen norwegischen Gesamtstromverbrauchs entspricht.


Wolfgang Kempkens studierte an der Techni­schen Hochschule Aachen Elektrotechnik. Nach Stationen bei der „Aache­ner Volkszeitung“ und der „Wirtschaftswoche“ arbeitet er heute als freier Journalist. Seine Schwer­punkte sind Energie und Umwelt.

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Kommentare ( 47 )

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WandererX1
1 Tag her

AKWs als Naturschutz und kulturelle Zukunft zu verkaufen ist schon ein extreme Frechheit! Es muss uns egal sein, wieviel Energie bei KI`s und Krypto verbraucht wird: Kulturerhalt muss vor Optimierung des Wohlstandes in ökonomisch gut abgesicherten Ländern wie Norwegen und Co gehen.So konservativ bin ich – und zwar im Gegensatz zu den Hyperliberalisten, die vielleicht rechtsradikal auf dem Ego- Trip, aber sicherlich nicht konservativ und christlich sind.

WasIstMitte
1 Tag her

Witziger Artikel: die Öl- und Gasgesellschaft (M Vest) kriegt keinen Fuß in die Energieversorgung Norwegens. Also gründen M Vest ein neues Energieunternehmen (Norsk Kjernekraft = Kernkraft), welches eine Energieversorgung per Kernkraft propagiert. Und während sich zwei in Norwegen gescheiterte Energieformen populistisch äußern, feiern hier im Forum die lieben „Ich les‘ nur die Überschrift“-Mitforisten schon die Zeitenwende in Norwegen. Eigentlich ist dieser Artikel völlig unnötig. Wir können noch so viel dafür beten, dass Norwegen doch jetzt unbedingt auf Öl, Gas oder Atom setzen soll. Norwegen ist mit fast 90% regerativen Energien nicht auf unsere rückständigen Gebete angewiesen. Dafür brauchen sie uns… Mehr

Berthold Bohner
1 Tag her

Bei der Überprüfung des vorhergehenden Posts mittels Wikipedia fiel mir auf, dass der Wahlspruch Norwegens Alt for Norge („Alles für Norwegen“)lautet. Skandalös !

Last edited 1 Tag her by Berthold Bohner
Ralf Poehling
1 Tag her

Wunderbar, alles begriffen. Einen ganz herzlichen Gruß nach Norwegen.

Georgina
1 Tag her

Norwegen, ein Land mit nur circa 5,5 Millionen Einwohner, nicht in der EU, mit einer Fläche die um 8 Prozent größer ist, als diejenige Deutschlands.

Ganz gegen den grünen Zeitgeist gefeit sind die auch nicht.

Eine intelligente Energiepolitik sähe anders aus.

johnsmith
1 Tag her

Sind eben vernünftige Leute die Norweger, die rechnen können, anders als unsere grünen Ideologen, die nach Wünsch-Dir-Was oder als Märchenbuchschreiber die Energiepolitik bestimmen.

Wilhelm Roepke
1 Tag her

Jedes nichtgrüne Nachbarland hilft Deutschland. Entweder mit Strom oder mit Fachpersonal oder mit Fertigprodukten oder mit Forschungsergebnissen. Danke, Norwegen!

Michael W.
1 Tag her

Die Norweger sind ohnehin Heuchler.
Die beziehen sehr viel Strom aus Kernkraft aus Schweden.
Deswegen sollen in Schweden in den 3 noch vorhandenen Kraftwerken 10 Reaktoren neu gebaut werden.
Einige der Reaktoren arbeiten faktisch nur für Norwegen, die bezahlen dafür mit Gas.

Egge940
1 Tag her

Kosten? Bauzeit? Hirngespinste bei der Haltbarkeit (100 Jahre?!) solche Langzeiterfahrungen gibt es bisher nicht mal bei der etablierten Technik.

Dr. Rehmstack
1 Tag her

Dabei war es doch mal erklärtes grünes Ziel, dezentrale Elektrizitätsversorgung zu schaffen, Frau Kotting-Uhl schwärmte doch im Bundestag von dieser neuen, „spannenden“ dezentralen Energieversorgung, stattdessen wollen sie Wind Strom aus Schleswig-Holstein 1000 km in den Süden schaffen, was einen immensen, finanziellen Aufwand und gleichzeitig erhebliche Verluste an Naturraum bedeutet. Jedes einzelne Windrad ist als ein eigenes kleines Kraftwerk zu betrachten, dass eine entsprechende Leitungsanbindung an ein immer größer werdendes Stromnetz bedeutet. Alles genau das Gegenteil von dezentraler, moduler Energieversorgung; wo man in die grüne Energiekiste greift, man findet nur Schrott.

WasIstMitte
1 Tag her
Antworten an  Dr. Rehmstack

Der Strom aus Windparks in S-H muss deshalb über Stromtrassen in den Süden, weil die rückständigen CSU Bayern zu blöd waren, in ihrem Land für nachhaltige Energieversorgung zu sorgen.

Der „immense, finanzielle Aufwand“ ist immer noch Zehnerpotenzen niedriger als rein die Baukosten fur ein modernes Atomkraftwerk.

Dezentral bedeutet übrigens genau das, was der „Dr“ Vorposten bemängelt: viele kleine Kraftwerke verteilt. Der Gegensatz zu dezentral ist zentral: ein riesiges Kraftwerk, was 150.000 Haushalte mit Energie beliefert.

Bei „Verluste am Naturraum“ kann man eigentlich schon mit dem Lesen aufhören..

Aber das passiert, wenn man seinen Doktortitel in einem Laberfach macht.

werner2k
9 Stunden her
Antworten an  WasIstMitte

Das Problem bei den geliebten Windmühlen ist die Tatsache, dass diese nur hin und wieder Strom liefern. Die dumme CSU dachte halt, dass man ein existierendes Nuklearkraftwerk weiter betreiben kann – nur kam den Bayern eine CDU-Kanzlerin in den Weg, die einen unnötigen Ausstieg aus der Kernkraft beschloß. Jetzt muß man halt aus allen möglichen Gegenden Strom importieren, Backupkraftwerke bauen und hoffen, dass sich Flauten irgendwie ausgleichen lassen. Bayern selbst ist viel zu windarm um dort wirtschaftlich Windkraftanlagen hinzustellen. SMR’s bieten da einige Vorteile – Nahe am Bedarf (kein Ausbau des Leitungsnetzes), Serienproduktion in Fabriken (zur Kosten- und Bauzeitoptimierung) und… Mehr