Im Mittelalter sind wir längst

Die Scheiterhaufen unseres Mittelalters heißen Gleichstellung, Politische Korrektheit, Diskriminierung, Chancengleichheit, Rassismus, Homophobie. Das Pendel wird wieder anders ausschlagen. Der Weg bis dahin kann lang sein.

Bernd Zeller

Leser ** bescheinigt dem Autor „neurechte Rhetorik“. Abgesehen davon, dass solch ohne Not angebrachte öffentliche Etikettierung heute bereits das Potential hat, Existenzen buchstäblich zu zerstören, erlaubt sie einen Blick in die bunte Finsternis jener Grube, die den sich in geistiger und moralischer Superoirität Wähnenden als Glaube und Handlungsrechtfertigung dient. Allerdings: Der Klebstoff alles Denunziatorischen ist von schlechter Qualität. Das Etikett haftet nicht, fällt ab sobald das Gebannte dem politischen Kampfbegriff gegenübergestellt wird.

Vereinfacht und verengt wird die Bezeichung „neurechts“ mit Konservatismus im Sinne von Rückwärtsgewandtheit, mit Fortschrittsverweigerung und völkischem Überlegenheitsdenken gleichgesetzt. Kurz: mit der Verherrlichung einer gesellschaftlichen und politischen Rückker ins Mittelalter unter antidemokratischen, nationalistischen Vorzeichen. Die Sache ist jedoch die: Im Mittelalter sind wir längst. Leise, verstohlen und von den meisten unbemerkt wurde die Überführung der europäischen Gesellschaften in eine religiös organisierte Ordnung beschlossen und umgesetzt. Anführer ist ein Klerus, der sich auch heute dem profan Menschlichen enthoben und ausgestattet mit Sonderrechten und Privilegien im Stand der Gnade weiß, und der wie einst nur sich selber und dem steten Ausbau der eigenen Vormachtstellung verfplichtet ist. Wenn dazu auch dieser Tage wieder das Sich-Arrangieren mit einer mörderischen Steinzeit-Ideologie notwendig werden sollte, wird man den gesinnungsmäßigen Rutsch problemlos und geschmeidig hinkriegen.

Die Kurie von einst nennt sich in ihrer recycelten Version Europäische Kommission. Was außerhalb ist und sich noch als Nationalstaat bezeichnen darf, ist in Wahrheit Ableger, Verwaltungseinheit, belehnter Vasall. Damals wie heute statuiert eine gottnahe Elite die alleingültige Moral und gibt den Weg zum Heil angeblicher Teilhabe vor, während sich ihre Machtfülle und ihr Zerstörungspotential verfielfacht haben und ihr Zugriff auf das Leben des Einzelnen nach dem Totalen strebt. Ketzerverfolgung und Inquisition sind an der Tagesordnung. Die Scheiterhaufen unserer Zeit heißen Gleichstellung, Politische Korrektheit, Diskriminierung, Chancengleichheit, Rassismus, Homophobie. Gefordert wird mit dem Beiklang des Endgültigen und im Pathos des Alternativlosen die Aufgabe des Seinen zugunsten des Ganzen, die frag- und klaglose Gefolgschaft in ein weit entferntes, düster utopisches und einzig von seiner Heiligkeit erhelltes Kanaan. Gleich geblieben über die Jahrhunderte hinweg sind sich die Mittel, die der Klerus zur Durchsetzung seiner Ziele zum Einsatz bringt: Günstlingsherrschaft und Geldwertmanipulation, Androhung von gesellschaftlichem, kirchlichem und wirtschaftlichem Ausschluss, Schüren und Wachhalten von Ängsten, Wunderglaube, Ablass, Erpressung, Entmündigung und Entfremdung.

Freiheit, Dezentralität, Konkurrenz: Feinde der Obrigkeit

Die schlimmsten Feinde eines solchen Herrschaftssystems waren und sind Freiheit, Dezentralität, Konkurrenz. Und es ist das einzig Logische, dass im Schatten des täglich politisch und medial geschürten gesellschaftlichen Äquivalents eines Krieges diskret und abseits der Öffentlichkeit eine ganz andere Agenda abgearbeitet wird. Das Ziel: Mehr Macht der Zentrale. Das Ganze folgt einem einfachen Schema. Jenem, dass angeblich unvorhergesehene Umstände den nächsten Zentralisierungsschritt notwendig machen. Flüchtlingswelle? Wir brauchen eine einheitliche europäische Einwandungs- und Grenzschutz-Behörde. Wirtschaftskrise? Wir brauchen eine einheitliche europäische Wirtschaftspolitik! Und so weiter und so fort: Bankenaufsicht, Steuerbehörde, Sicherheitspolitik, Verfassungsgerichtsbarkeit … Alles – versteht sich – ohne, dass staatliche Souveränität abzugeben oder nationale Befugnisse an die Kurie zu übertragen sind. Die größte Lüge überhaupt. Das Gegenteil ist der Fall: Referenden, Ratifizierungs-Verfahren und Volksbefragungen sind reine Show. Die Ergebnisse sind zusammen mit dem Projekt klar definiert. Verträge werden durchgedrückt und regelmäßig gebrochen, unliebiges Querulantentum mittels europäischer oder nationaler Justiz ausgebremst. CETA und das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine – um nur zwei zu nennen – sprechen eine deutliche Sprache. Und was die angebliche Konjunktur-Ankurbelung via EZB betrifft: Die supranationale Monsterbehörde ist heute durch ihre Ableger und dadurch, dass sie die Großkonzerne der Versorgungsindustrie bei der Ausarbeitung kontinentaler Konzepte und Regulatorien mit einbezieht, Hedgefond, Kartell, Erpresserin und antidemokratisches Klumpenrisiko in einem.

Warum kommen sie damit durch? Warum funktioniert es erneut? Mögliche Antworten: Es ist gut gemacht. Es ist so verdammt gut gemacht, dass sogar solche, die sich selber als liberal oder allgemein freiheitsliebend bezeichnen, oft genug auf den Leim des Alle-gegen-Alle gehen, „Politik“ fordern, um ihre Idee bedingter Freiheit als allgemeingültig auf einen Sockel zu stellen, sie anzubeten, stolz darauf zu sein, sie anzubeten und alle zu verachten, die sie nicht anbeten. Es gibt auch die wahren Gläubigen, die Bekehrten, nicht immer die größten geistigen Leuchten, oft aber die eifrigsten. Gut, global denkend, grün, technologiehörig, staatsabhängig und der Überzeugung, ihre Mitmenschen seien in ihrer Mehrzahl stumpfe Gegenstände, die von höheren Wesen, also von ihnen, gehandhabt, taube Gefäße, die mit dem „Richtigen“ gefüllt werden müssen. Nettsein und Verschonung sind keine Optionen.  Eine große Mehrheit der Menschen indes gibt der Sehnsucht nach absoluter Orientierungssicherheit, nach bezahl- und berechenbarer Erlösung nach – Wahlergebnisse sprechen oft genug davon. Wie die anderen auch, fallen sie schlicht und arglos herein auf moralische und religiöse Gesinnungsphrasendrescherei ohne Substanz. Sie haben sich im guten Glauben ködern lassen mit dem Versprechen von Sorglosigkeit und individueller Narrenfreiheit. Geblieben ist ein familiäres, spirituelles und wertemäßiges Vakuum. In dem leben sie. Stumpfsinn, Langeweile und Leere, denen oft zu entkommen versucht wird mittels eines medialen Unterhaltungsangebots, das anmutet wie Literatur in einem Polizeistaat: kindisch, geknebelt, uninteressant.

Die Ungläubigen und Dissidenten werden mehr

Allen gemeinsam ist zweierlei: die Wahrscheinlichkeit zukünftiger Momente blanken Entsetzens und der die fadenscheinige Sicherheit des Kartenhauses gefährdende Feind: Eine täglich größer werdende Schar von Dissidenten, Ungläubigen, Ein-Mann-Armeen. All jene, die der anmaßenden Einmischung von außen ein lautes „Extra omnes!“ („Alle hinaus!“) entgegenschmettern. Jene, die im Wissen um die eigene Fehlbarkeit fordern, in Freiheit das eine Leben, das sie haben, ohne Zwang, Bevormundung, Lüge und Manipulation selbstverantwortlich zu leben, wie sie wollen und mit wem sie wollen. Die fordern, ihre Ziele selber zu definieren, die Risiken selber zu wählen und zu tragen. Jene, die selbst bestimmen wollen, für wen oder was sie sich interessieren, woran sie glauben, wem sie vertrauen und wen sie persönlich unterstützten wollen. Jene, die glauben, dass Freiheit nur beim einzelnen anfangen kann und dass ihre natürliche Grenzlinie erst an der Freiheit des Nächten verläuft , dass die Werte, der Glaube, Entscheidungen und Handlungen, die ihre Würde ausmachen, nie kollektiviert und schon gar nicht dekretiert werden können. Dass das verordnete Kollektiv früher oder später mit Herrschaft und Unterwerfung, oft genug mit Gewalt einhergeht.

Wer solche Haltung ergänzt um die christlichen Fundamentalprinzipien der Unantastbarkeit des Eigentums, der Freiwilligkeit allen Tuns, der Gewaltlosigkeit und der Achtung des Individuums – als „neurechts“ denunziert, diffamiert in Wahrheit hinter allen Spiegeln nur eines: Die Freiheit.

Jene, die angesichts dieser obrigkeitlich geforderten, geförderten und finanzierten Spitzellogik, die sich im Besitz der Wahrheit und nichts als der Wahrheit wähnt, nicht nur fröstelt, sondern friert, sollten sich warm anziehen. Es ist möglich, dass es furchtbar kalt wird hierzulande. Kühl ist es schon. Indes: Das Kerngeschäft aller Politik ist es, die Freiheit zu beschneiden, sie als Böse zu etikettieren. Das Kerngeschäft aller Freiheit ist es, die Politik zu beschneiden. Das Pendel wird auch wieder anders ausschlagen. Der Weg bis dahin kann allerdings ein langer sein. Trotzdem ist er Grund zur Hoffnung, Grund genug, stehen zu bleiben. Egal, wie lange die Kraft reicht.

Frank Jordan studierte Betriebswirtschaft. Weiterbildung in Öffentlichkeitsarbeit und Print-Journalismus, arbeitete als Kellner in einem Schweizer Skiort, als Gärtner und Haussitter in Frankreich, als Rezeptionist in einem namhaften Pariser Hotel sowie als Maler. Zuletzt war er als freischaffender Kommunikations- und Mediaberater in der Schweiz tätig. Heute lebt Frank Jordan als Teilzeit-Selbstversorger in Frankreich.

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