Das Nicht-Dokument taucht elektronisch doch auf
In der Nacht zum Donnerstag um 1:07 Uhr wird auf EuDoX erst das MoU mit den beiden Zeitplänen eingestellt. Obwohl die Zeitpläne – theoretisch – nun allen Abgeordneten zugänglich sind und die Internet-Abschaltung verschoben ist, verkündet die südhessische Presse am Morgen des 13. August: „5 Tage lang ist das Bundestagsbüro von Dr. Michael Meister offline“. Michael Meister ist Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen.
BILD Online berichtet indessen wieder über das besagte Papier aus dem BMF und einen daraus resultierenden Streit mit dem Wirtschaftsministerium. Das BMWi bewerte die Vereinbarung im Gegensatz zum BMF positiv. Die BILD schreibt: „Das Finanzministerium erklärte unterdessen: ,Wir haben Fragen formuliert. Diese sind Teil des Prüfprozesses, der noch nicht abgeschlossen ist.´“
Die Auskunft aus dem Büro des Finanzstaatssekretärs an meinen Mitarbeiter war also nachweislich falsch. Alle Anrufe im Bundestagsreferat „PE 5 Europa-Dokumentation“ laufen aufgrund einer dortigen Besprechung ins Leere. Erst ab 11:30 Uhr geht jemand ans Telefon. Mein Mitarbeiter bittet das Europareferat darum, die Herausgabe des BMF-Papiers zu erzwingen. Das Europareferat verwechselt das Papier zunächst mit dem bereits in der Nacht übersandten MoU, stellt dann aber die gewünschte Anfrage beim BMF.
Im Verlauf des 13. Augusts verdichten sich indes die Signale, dass eine Sondersitzung Anfang der Folgewoche bevorsteht. Die Geschäftsführung der Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft, ein Abgeordnetenclub, verkündet in einer Rundmail vom 17. bis 19. August, geöffnet zu haben. Um 15:31 Uhr teilt uns der Erste Parlamentarische Geschäftsführer Michael Grosse-Brömer mit einem „Balkenschreiben“ mit, dass „nach derzeitigem Sachstand für Dienstag […] oder Mittwoch […] eine Sondersitzung des Deutschen Bundestages möglich“ ist. Jeweils am Vortrag um 19 Uhr würde entsprechend eine Fraktionssitzung stattfinden. Offiziell ist noch nichts. Alle Planungen stehen unter Vorbehalt. Flüge müssen trotzdem gebucht werden.
Das Spiel, ob der IWF doch noch mitspielt?
Um 15:38 Uhr erhalte ich über den Verteiler des Haushaltsausschusses weitere Informationen zu Griechenland 3. Man hofft, dass der IWF die noch ausstehenden 16 Milliarden Euro aus dem zweiten Hilfsprogramm in ein neues Drei-Jahres-Programm umwandelt. Ich vermute, auf diese Weise soll den Abgeordneten vorgegaukelt werden, der IWF sei weiterhin mit frischen Milliarden an Bord. Der IWF könnte den Bruch seiner Statuten damit kaschieren, dass es sich bei den 16 Milliarden um bereits einmal bewilligtes Geld handelt. Niederschmetternd ist vor allem die beigefügte Schuldentragfähigkeitsanalyse mit drei Szenarien. Selbst beim besten würde Athen 2016 auf eine Schuldenstandsquote von 198,9 Prozent zusteuern. Im Jahr 2020 würde sich der griechische Schuldenberg bei erfolgreichem Programmvollzug auf 166,1 Prozent belaufen. Als es im Februar 2012 um Griechenland 2 ging, wurde die Marke von 120 Prozent ausgegeben. Würde der errechnete Schuldenstand darüber liegen, könne kein Programm beschlossen werden, argumentierten damals die Euro-Retter.
Um 18:05 Uhr erhalte ich endlich das BMF-Papier mit der Bewertung der Vereinbarung zwischen der Troika und Athen. Im Übermittlungsschreiben an die Bundestagsverwaltung schreibt das BMF beschwichtigend: „Das Papier formuliert insbesondere Fragen, die Teil des andauernden Prüfprozesses des MoU-Entwurfes sind und diente der mündlichen Erörterung offener Punkte, die in der Eurogruppe zu besprechen sein werden. Ergänzend hierzu ist festzuhalten, dass die Pressemeldung, die Bundesregierung lehnt das Griechen-Rettungsprogramm ab´ nicht zutrifft.“
Hilfe ohne jede Basis
In dem Papier listet das BMF neun problematische Punkte auf, u.a. sei der Finanzbedarf höher als erwartet. Für ein drittes Griechenland-Hilfspaket fehlt jegliche Voraussetzung. Anscheinend hat das mittlerweile auch das BMF begriffen.
Am Freitagmorgen schreibe ich dem Staatssekretär eine geharnischte E-Mail: Ich erwarte nicht, dass das BMF mir um den Hals fällt, aber doch, dass sich das Ministerium an die gegebenen Gesetze hält. Dadurch, dass ich die Herausgabe des Dokumentes über die Bundestagsverwaltung erzwingen musste, wurde die Einsicht um einen ganzen Tag verzögert. Vielleicht war dies auch das Ziel. Eine Antwort auf meine E-Mail erhalte ich nicht. Auch nicht vom Fraktionsgeschäftsführer Kauder, den ich „cc“ gesetzt hatte. (Am Montagabend ruft mich der Staatssekretär schließlich an und bittet um Entschuldigung, seine Mitarbeiter hätten das Papier nicht gekannt und insofern nicht mit Absicht fehlinformiert.)
Am Samstagmorgen kommt endlich die Einladung für die Sondersitzung. Sie soll am Mittwoch um neun Uhr stattfinden. Für den Vortag werden die üblichen Gremiensitzungen angekündigt. Da werden dann üblicherweise die „Abweichler“ bearbeitet und Probeabstimmungen durchgeführt. Am Montagmorgen erhalten wir die Dokumente zur Abstimmung. Insgesamt sind es 207 Seiten. Einige davon sind wieder als vertraulich gekennzeichnet. Der IWF ist nicht mit im Boot. IWF-Chefin Lagarde begrüßt zwar in einem Schreiben den fortgesetzten Bailout, mahnt aber zugleich:
„Jedoch bin ich weiterhin der festen Überzeugung, dass die Verschuldung Griechenlands untragbar geworden ist und dass Griechenland seine Schuldentragfähigkeit nicht allein durch eigene Maßnahmen wiederherstellen kann. Deshalb ist es für die mittel- und langfristige Schuldentragfähigkeit genauso entscheidend, dass die europäischen Partner Griechenlands im Zusammenhang mit der ersten Überprüfung des ESM-Programms konkrete Verpflichtungen eingehen, um eine erhebliche Schuldenerleichterung zu gewähren, die weit über das bisher in Betracht gezogene Maß hinausgeht.“
Der IWF spielt doch nicht mit
Der IWF drängt auf einen Schuldenschnitt. Gleichzeitig betreiben die Euro-Retter weiter Konkursverschleppung. Die Mahnungen sind bereits aus dem BMF-Papier bekannt, das immer noch nicht allen Abgeordneten zugänglich gemacht wurde. Trotzdem legt Schäuble morgens der Öffentlichkeit dar, dass den Bedenken nun Rechnung getragen sei. Dabei hat die FAZ noch am Wochenende enthüllt, dass Athen mit allerlei Tricks die vereinbarten Privatisierungen hintertreibt. Der Privatisierungsfonds soll nicht in Luxemburg, sondern in Griechenland angesiedelt werden. Das Spitzenpersonal wird aus Syriza-Leuten rekrutiert. Der Klientelismus feiert wieder einmal fröhliche Urstände.
Der Druck im Kessel steigt. Einige Kollegen rufen in meinem Büro an und offenbaren, das erste Mal mit „Nein“ stimmen zu wollen. Ob ich eine Empfehlung geben könnte, wie man den Druck der Fraktionsführung am besten pariert und wie man sein abweichendes Abstimmungsverhalten anzeigen muss. Es geht schon lange nicht mehr um Argumente. In den nächsten Tagen werden nur noch Ja- und Nein-Stimmen gezählt. Worüber abgestimmt wird, scheint nachrangig zu sein.
PS: Rechtzeitig zu Griechenland III kommt mein Buch „Von Rettern und Rebellen“ heraus, das aus der Perspektive des Beteiligten die Eurokrise seit Beginn dieses Jahrzehnts nachzeichnet. Die zentralen Probleme werden dargestellt: die Machtlosigkeit des Parlaments gegenüber der Regierung, mangelnder ökonomischer Sachverstand im Bundestag und die mal subtile, mal rigorose Machtsicherung der Führung.
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