Auch Wasser kann tödlich sein

Der Unkrautvernichter Glyphosat ist in der EU weitere fünf Jahre verlängert. Ökos und SPD toben, sogar eine Regierungsbildung in Berlin könnte am hochemotionalen Thema scheitern. Den Kontrahenten sei ein Blick auf die Statistik empfohlen.

© Sean Gallup/Getty Images

„Glyphosat ist ein vergleichsweise harmloses Mittel“, schreibt die Partei der Humanisten, und man solle angesichts der wissenschaftlichen Fakten doch nicht gleich hysterisch werden. Die Reaktionen in rund 300 Kommentaren zu diesem kleinen Facebook-Post reichen von „GLYPHOSAT GEHT GAR NICHT!“ über „neuer Faschismus der Wissenschaft“ bis hin zu „was ist mit den missgebildeten Babys in Argentinien“. Hinterher ist der Leser mangels Quellenangaben zwar nicht schlauer, ob Glyphosat nun Krebs verursacht oder nicht, aber bewiesen ist zumindest einmal mehr, dass ein Aufruf zu weniger Hys­terie die Emotionen zuverlässig hochkochen lässt.

Das wissenschaftlich unab­hängige Bundesinstitut für Risi­kobewertung (BfR) bescheinigt Glyphosat die Unbedenklichkeit und führt aus, dass „sämtliche
Bewertungsbehörden weltweit zu dem Schluss kommen, dass Glyphosat nach derzeitigem Stand des Wissens nicht als krebserregend einzustufen ist“. Kurz gesagt, von Glyphosat gehe für den Menschen keine Gefahr aus. Ganz andere Töne schlägt hingegen die interna­tionale Krebsforschungsagentur IARC an. „Wahrscheinlich krebserregend“ sei Glyphosat, und zwar nicht nur für Mäuse, sondern auch für Menschen.

Verschwörungstheorien und Lobbyarbeit

Befürworter wie Gegner werfen mit Argumenten um sich, die teilweise schon an Verschwörungstheorien grenzen. So soll Monsanto Wissenschaftler bezahlt haben, damit sie positiv über Glyphosat berichten. Von Mäusen, an denen die Versuche durchgeführt wurden, könne man außerdem gar nicht auf Menschen schließen. Denn den Versuchstieren wurde reines Glyphosat oral verabreicht, während die Wirkung beim Menschen auch durch weitere Zusätze in den Pflanzen­schutzmitteln beeinflusst werden kann. Ist die Unbedenk­lichkeit von Glyphosat also vor allem ein Ergebnis gelunge­ner Lobbyarbeit?

Oder die verwöhnte Generation
Glyphosat und die postmodernen Narzissten
Ganz unvoreingenommen scheint jedoch auch das IARC nicht zu sein. Aaron Blair, Leiter der IARC­-Studie, wusste nachweislich, dass seine US-­amerikanischen Forscherkollegen längt zu anderen Schlüssen gekommen waren. Die Agricultural Health Study (AHS), durchgeführt am National Cancer Institute, fand bei amerikanischen Landwirten keinen signifikanten Zusammenhang zwischen dem Einsatz von Glyphosat und einer bestimmten Art von Krebs. Blair gab dann auch zu, dass seine Risikoeinschätzung deutlich geringer ausgefallen wäre, wenn er diese Daten in seine Analyse verschiedener Studien mit einbezogen hätte. Anderer­seits sagte der Experte Christoph Portier in einer Anhörung vor Bundestagsabgeordneten, das BfR habe überhaupt keine Risikobewertung von Glyphosat durchgeführt.

Ja, was denn nun? Spätestens hier wird klar, dass man sich näher mit dem Begriff „Risiko“ auseinandersetzen muss. Risiko („risk“) und Gefahr („hazard“) sind zwei verschiedene Dinge. Um das Risiko einer Substanz zu bewerten, muss man zunächst nachweisen, dass die Substanz überhaupt gefährlich ist. Deswegen bewertet das BfR auch nicht das Risiko von Wasser, obwohl Menschen gelegentlich an übermäßigem Wasserkonsum sterben. Das IARC sagt also: Glyphosat ist gefährlich, aber es schweigt sich darüber aus, wie gefährlich (das heißt, wie groß der potenzielle Schaden sein kann) und wie riskant (das heißt, wie wahrscheinlich dieser Schaden auftritt). Das BfR sagt hingegen: Glyphosat ist nicht gefährlich, also interessiert das Risiko nicht weiter.

Eine wissenschaftliche Aussage der Art, dass eine Sub­stanz nicht gefährlich sei, weil keine signifikante schädliche Wirkung festgestellt werden konnte, heißt allerdings längst nicht, dass die Unschädlichkeit der Substanz bewiesen wur­de. Es bedeutet nur: „Im Zweifel für den Angeklagten“. So­ lange keine starken Indizien gegen die Unschädlichkeit von Glyphosat sprechen, gilt es als ungefährlich.

Nichtraucher-Mäuse leben gesünder

Es gibt durchaus Studien, die einen Zusammenhang zwi­schen Glyphosat und Krebs gefunden haben, bloß kann nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass es dafür alternative Erklärungen gibt. Oft ist nicht berück­sichtigt, ob die Teilnehmer beispielsweise geraucht haben oder an weiteren Krankheiten litten, sodass nicht klar nachweisbar ist, was letztlich zur Krebserkrankung geführt hat. Eine Studie an Mäusen fand zwar durchaus mehr Tumore bei Mäusen, die einer höheren Dosis Glyphosat ausgesetzt waren (und diese Mäuse hatten zweifelsfrei nicht geraucht), aber dieser Zusammenhang war nicht signifikant.

Unterschied zwischen „Wahrheit“ und Signifikanz

Aber „Signifikanz“ ist einer der am häufigsten missbrauchten Begriffe der Statistik. Letztlich handelt es sich nur um eine weithin anerkannte Entscheidungsregel, ab wann die Indizien gegen den Angeklagten stark genug sind, um ihn verurteilen zu können. Mit „Wahrheit“ hat Signifikanz wenig bis gar nichts zu tun. Tatsächlich entwickelte keine der 47 Mäuse ohne Glyphosat einen Tumor, aber vier der 45 Mäuse, die einer höheren Dosis Glyphosat ausgesetzt waren. Bei 45 Mäusen lässt sich dieser Unterschied gerade noch durch den Zufall erklären. Mit 20 Mäusen mehr und derselben Erkrankungsrate wäre statistisch gesehen der Zufall ausgeschlossen und die gefährliche Wirkung bewiesen.

Glyphosat
Technologie-Feindlichkeit mit Progressivität verwechseln
Signifikanz schützt lediglich davor, vorschnell eine Wirkung zu behaupten, die es in Wahrheit gar nicht gibt. Sie schützt uns aber nicht davor, eine real existierende Wirkung als Zufall zu deklarieren. Davor schützt nur eine Power-Analyse. Diese Analyse hilft dabei, genügend Versuchsteilnehmer (Mäuse oder Menschen) zu rekrutieren, um den Angeklagten nicht vorschnell in die Freiheit entlassen zu müssen. Wenn eine Wirkung existiert, dann nutzt ein Experiment nichts, das zu klein angelegt ist, um diese Wirkung überhaupt finden zu können. Das gilt nicht nur, wenn man zu wenige Teilnehmer beobachtet, sondern auch, wenn man sie nicht lange genug beobachtet. So beschränkte sich die schon erwähnte AHS auf eine mittlere Nachbeobachtungszeit von 6, 7 Jahren. Weil Krebs aber oft erst Jahre oder gar Jahrzehnte nach dem Kontakt mit seinem Auslöser auftreten kann, ist das womöglich zu kurz gegriffen.

Wir wissen nach derzeitigem Stand schlicht nicht, ob Glyphosat langfristig schädlich für den Menschen ist. Wir wissen, dass andere Substanzen gefährlicher sind. Aber das allein ist noch kein Beweis für die Unschädlichkeit.


Keine Glyphosat-resistente Gentechnik in Europa

Bereits im Jahr 1974 entdeckte das US-Unternehmen Monsanto den Wirkstoff Glyphosat für sein Unkrautvernichtungsmittel Roundup. Das Herbizid gilt als das am besten untersuchte der Welt, bisherige Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass Glyphosat das Krebsrisiko für den Menschen „bei sachgemäßem Gebrauch“ nicht erhöht. Es gibt mehr als 250 zugelassene Wirkstoffe im Pflanzenschutz, die fast durchweg schlechter untersucht und potenziell gefährlicher sind als Glyphosat. Auch weil diese bei einem Glyphosat-Bann dann vermehrt zum Einsatz gekommen wären, hatte Landwirtschaftsminister Christian Schmidt für die Verlängerung gestimmt. In der Kritik steht Glyphosat unter anderem bei Gentechnikgegnern, weil Monsanto seit den 1990er-Jahren gentechnisch veränderte Pflanzen entwickelt hat, die als Einzige den Einsatz des Pflanzengifts überstehen. Das Gentechniksaatgut von Monsanto findet in Europa allerdings praktisch keine Abnehmer, in den USA, Südamerika und Teilen Asiens hingegen schon.


Dieser Beitrag ist in Tichys Einblick Ausgabe 01/2018 erschienen >>

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Kommentare ( 42 )

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42 Comments
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Nuf
6 Jahre her

Mit Zynismus und Mittel-Heiligsprechung kommen wir aber auch nicht voran. Hysterie unter Ökos, ja vielleicht, aber in der Branche arbeitend darf ich berichten, dass die Behörden – ob EU oder deutsche – heillos überfordert sind, die Pestizidrückstände auf Ihre Menge und Schädlichkeit hin zu überprüfen. Besonders weit sind Behörden davon entfernt, Multiresistenzen, also die Anwendung verschiedener Fungizide, Pestizide und Herbizide, zu untersuchen und ihre eindeutige Schädlichkeit nachzuweisen. Das müsste aber geschehen, um eine Substanz oder ein Mischung von Substanzen zu sperren. Also, etwas differenzierter an die Sache herangehen will und weniger Zeugungsprobleme, Intoleranzen, Allergien und Zellmutation möchte, dem sei an… Mehr

Klaus Reichert
6 Jahre her

Die SPD arbeitet fleißig daran, dass die grünverträumten Besserverdiener weiterhin die Grünen wählen, während sich bald auch der letzte Landwirt der AfD zuwendet. Das ist konsequente, vorbildliche Wählerstimmenabwehr. Man muss eben auch einmal verzichten können.

ichdarfdas
6 Jahre her

oh supi und als Glyphosat-Ersatz kommen bei Biobauern gerne genommene Kupfersalze und andere nette Dinge zur Anwendung, die gerne mal unseren ökologisch korrekten Biowein vor Pilzbefall schützen….https://www.welt.de/wissenschaft/article3228140/Biobauern-spritzen-Schwermetalle.html Scheint aber niemanden zu stören, wenn man an bio verstirbt.

STimOv
6 Jahre her

Hm, schon komisch. Ich bin kein sonderlicher Befürworter von Glyphosat. Soweit ich mich entsinne, gab es in der oben genannten Facebook-Diskussion der PdH durchaus auch gelegentlich Quellenangaben. Ich selbst hatte mich an dieser beteiligt und einige meiner Quellen soweit auch benannt (wenn auch sicherlich nicht alle; und die bestehen nicht aus Youtube-Videos). Für Leute die auf Quellen stehen: Patent US 7771736 Studien doi 10.1007, doi 10.4172, doi 10.1128, doi 10.1039, doi 10.1016, … da geht es mal eher nicht so sehr um Krebs, sondern um ganz andere Gefahren. Auch die oben erwähnte Studie des AHS ist mir gut bekannt. Es… Mehr

Tom Hess
6 Jahre her

Zitat: „So soll Monsanto Wissenschaftler bezahlt haben, damit sie positiv über Glyphosat berichten.“ Das ist aber gewiss kein Argument pro Glyphosat. Wer finanziert Studien? Was ist das Ziel von Studien? Immer Geldverdienen. Wer zahlt aufwendige Studien, um festzustellen, dass etwas nicht gut und damit wirtschaftlich nicht lohnend ist? Mit diesem Hintergrund lohnt ein Blick nach Frankreich und Südamerika. Die Quote missgebildeter Kinder in ländlichen Regionen (von Landarbeitern, die das Zeug täglich versprühen) ist auffällig angestiegen. In Frankreich wurden Studien mit sehr hohen Mengen in kurzer Zeit durchgeführt. Es gibt aber keine Studie über längere Zeiträume und mit geringer, aber kontinuierlicher… Mehr

A. Schmidt
6 Jahre her

Es ist hinreichend unwahrscheinlich, dass reines Glyphosat als Derivat der einfachsten natürlichen Aminosäure Glycin und sehr ähnlich dem natürlich auftretenden Phosphoenolpyruvat im Stoffwechsel von Pflanzen krebserregend ist. Allenfalls kann nach einem veralteten Verfahren hergestelltes Glyphosat eine stark krebserregende Verunreinigung in Spuren enthalten. Das sollte man einmal untersuchen! Dann wäre aber kein Glyphosat-Verbot per se sinnvoll, sondern ein Verbot dieses Herstellungsverfahrens, denn Glyphosat-Ersatzstoffe wären vermutlich schädlicher als Glyphosat. Gegen Gentechnik in Europa hilft ein Glyphosat-Verbot natürlich auch nicht, da auch gegen neue Glyphosat-Ersatzstoffe gentechnisch veränderte resistente Pflanzen entwickelt werden können, die dann auf den Markt kommen könnten. Letztlich wäre ein Glyphosat-Verbot… Mehr

Der Ketzer
6 Jahre her

… und wann kommen die gentechnisch veränderten Menschen ‚auf den Markt‘, die als einzige garantiert resistent gegen Glyphosat sind?

Wenn es erforderlich ist, Genmanipulationen durchzuführen, um Pflanzen gegen Glyphosat resistent zu machen, dann kann ein solcher Stoff nur giftig sein, der alles natürlich gewachsene zerstört.

Die Glyphosatbefürworter erinnern mich irgendwie an Otto:
„Wissenschaftler haben festgestellt, dass Rauchen doch nicht gesundheitsschädlich ist.
gez. Dr. Marlboro“

Als Gast
6 Jahre her

Bei der Deutschen Bahn geht es heute genauso ohne Pflüge mit Glyphosat. Sonst müssen wir wieder die lohnfreie Samstagsarbeit „Subbotnik“ wie zu DDR-Zeiten einführen. Wir müssten damals einmal pro Jahr die Schienen von Dreck und Unkraut befreien. Weil Sie Nitrat erwähnt hatten, denke ich auch an Rote Beete. Die enthalten viel Nitrat. Das macht nicht die Landwirtschaftsindustrie, sondern dafür ist die Natur verantwortlich. Man sollte öfter Rote Beete essen. Dann enstehen im Körper „Stickoxide“ und es steigt die körperliche Leistung um 3%. Der Mensch wird da wohl wie ein Dieselauto zur „Dreckschleuder“ … oder wie würden das die NGOs sagen?… Mehr

Uferlos
6 Jahre her

… aus der Medizinstatistik weiss man, dass Menschen, die häufig mit Agrarchemikalien in Kontakt kommen, ein deutlich erhöhtes Risiko für Bauchspeicheldrüsenkrebs haben.

Ich würde Glyphosat auch keinen Persilschein ausstellen wollen. Mir sind Lebensmittel ohne Reste von Agrarchemikalien lieber als solche mit. Ob Glyphosat wirklich so schädlich ist, sollte weiter erforscht werden. Wenn ja, dann weg damit.

Reinhard Peda
6 Jahre her

„Wir wissen nach derzeitigem Stand schlicht nicht, ob Glyphosat langfristig schädlich für den Menschen ist. Wir wissen, dass andere Substanzen gefährlicher sind. Aber das allein ist noch kein Beweis für die Unschädlichkeit.“

Kommt mir bekannnt vor.

Contergan:

https://www.stern.de/gesundheit/medizin/contergan–wie-der-skandal-in-brasilien-weitergeht-7128618.html

Asbest gibt es auch noch woanders:

https://www.umweltbundesamt.de/themen/gesundheit/umwelteinfluesse-auf-den-menschen/chemische-stoffe/asbest#textpart-1

Demnächst Nanoteilchen?:

http://www.chemie.de/lexikon/Nanoteilchen.html

http://www.nanowissen.bayern.de/nanowissen/mit_nano_sicher_umgehen/partikel/index.htm