Freiheit statt Gleichheit! Auch für die Geschlechter.

Kristina Schröder plädiert für einen frauenpolitischen Ansatz, der nicht Gleichstellung, sondern Gleichberechtigung im Blick hat.

„Wenn man einen Ostdeutschen frage: ‚Wollt Ihr, dass alle Menschen nur trockenes Brot bekommen, oder wollt Ihr, dass alle Brot mit Margarine bekommen und einige sich zusätzlich Kaviar draufschmieren können?, sei die Antwort klar: Die Ostdeutschen seien dann für Trockenbrot für alle.“

So soll der ehemalige Ministerpräsident Mecklenburg-Vorpommerns, Harald Ringsdorff, laut SPIEGEL im Sommer 2004 die Seelenlage der Ostdeutschen beschrieben haben. Ich glaube, dass Ringsdorffs Analyse nicht nur für den Osten, sondern für ganz Deutschland weitgehend zutrifft. Und ich bin der festen Überzeugung, dass genau diese Haltung Deutschland ausbremst.

Es gibt in unserem Land eine tiefe Sehnsucht nach Gleichheit. Und zwar nicht nur nach Chancengleichheit, sondern auch nach Ergebnisgleichheit. Und wenn es nicht klappt, die Schwächeren auf das Niveau der Stärkeren zu heben, dann wird um der Gleichheit willen eben auch mal eine Nivellierung nach unten, also Trockenbrot für alle, in Kauf genommen.

Deutscher Gleichheitsdrang

Wir beobachten dieses Streben nach Gleichheit – im Politiker-Sprech: „soziale Gerechtigkeit“ – etwa in der Debatte um Vermögens- und Erbschaftssteuer. Oder in der regelmäßig stattfindenden Armutsdebatte, in der auch Vertreter meiner Partei kritiklos einen Armutsbegriff benutzen, der Armut als weniger als 60% des Durchschnittseinkommens definiert und damit nicht Armut, sondern Ungleichheit misst. Da sicherlich jeder unterschreiben würde, dass eine Gesellschaft ohne Armut einer Gesellschaft mit Armut vorzuziehen wäre, ist das implizite sozioökonomische Ziel dieses Armutsbegriffs klar: Eine Gesellschaft, in der die Einkommen so gleich verteilt sind, dass auch der am schlechtesten Gestellte mindestens 60% des Durchschnittseinkommens verdient. Eine derart egalitäre Gesellschaft wäre mit einer sozialen Marktwirtschaft kaum vereinbar.

Das Streben nach Gleichheit greift interessanterweise auch in gesellschaftspolitischen Fragen immer mehr um sich. Der gleichzeitige Ausbau von Betreuungsplätzen für Ein- und Zweijährige und die Einführung eines Betreuungsgeldes für Eltern, die die Betreuung anders organisieren wollen? „Widersprüchlich“, war da das einhellige Urteil der Medien und der Parteien links der Mitte, so als solle der Staat ein bestimmtes, alle seligmachendes Leitbild vorgeben, wie Familien ihr Leben zu organisieren haben. Und auch die anlässlich des morgigen „Equal Pay Day“ wieder allseits artikulierte Betroffenheit darüber, dass sich das Berufswahlverhalten von Frauen und Männern beharrlich stark unterscheidet und dass Frauen seltener als Männer bereit sind, die Familie der Karriere unterzuordnen, offenbart, wie stark die Sehnsucht nach Gleichheit auch in Hinblick auf die Geschlechter ist. Als Frauenministerin habe ich übrigens eine besonders eifrige Vertreterin der Behauptung, Frauen verdienten für GLEICHE Arbeit 21% weniger als Männer, mal gefragt, warum dann nicht mehr Unternehmen auf die Idee kämen, nur Frauen einzustellen und damit 21% ihrer Lohnkosten zu sparen. „Da sehen Sie mal, wie stark die Vorurteile gegenüber Frauen sind, dass die Unternehmen sich das entgehen lassen!“ wurde mir nach einer kurzen Schrecksekunde entgegengehalten und die so immunisierte Theorie stand wieder bombenfest.

Der theoretische Bezugspunkt hierfür ist meist die sogenannte Gendertheorie. Viele ihrer Anhänger halten Geschlecht für ein soziales Konstrukt, das mit der Biologie des Menschen nichts oder nicht viel zu tun hat. Wenn das so wäre, also alle Charaktereigenschaften, Vorlieben, Talente usw. tatsächlich biologisch vollkommen gleich unter Männer und Frauen verteilt wären, wäre tatsächlich jede Abweichung von einer 50:50-Verteilung zwischen Frauen und Männern ein Anhaltspunkt für Diskriminierung. Ein Geschlecht dominiert beim Führungspersonal unserer DAX-Unternehmen, den Teilzeitarbeitenden, den Studenten des Maschinenbaus, den Elterngeldbeziehern – wären Männer und Frauen bei Geburt gleich, läge in der Tat der Schluß nahe, dass hier Diskriminierungen vorliegen, die politisch bekämpft werden sollten.

Aber vielleicht stimmt dieses Axiom ja gar nicht. Vielleicht sind die Ungleichverteilungen zwischen den Geschlechtern, die wir in sehr vielen Lebensbereichen feststellen können und die sich hartnäckig halten, ja auch auf unterschiedliche geschlechtsspezifische Präferenzen zurückzuführen. Das heiß natürlich nicht, daß alle Männer Maschinenbau studieren und alle Frauen mit Kindern Teilzeit arbeiten wollen. Aber das heißt, dass die Wahrscheinlichkeit bei einem zufällig ausgewählten Mann der Neigung zum Maschinenbau höher ist als bei einer zufällig ausgewählten Frau. Und dass diese Präferenz nicht nur auf die in diesem Zusammenhang immer gern genommenen „veralteten Rollenbilder“, „strukturellen Barrieren“ und „gläsernen Decken“ zurückzuführen sind, sondern tatsächlich die Natur doch eine kleine Rolle spielt.

Unterschiede trotz Theorie

Ich bin selbst Soziologin und ich zweifle an der für den Feminismus grundlegenden Position Simone de Beauvoirs, die da lautet: „Man wird nicht als Frau geboren, man wird es.“ Ich glaube, dass die Einflüsse von Natur und Kultur 50:50 sind, vielleicht auch 60:40 oder 40:60. Dass es auf jeden Fall eine Rolle spielt, ob ein Mensch biologisch ein Mann oder eine Frau ist.

In den Ostblockstaaten war die Berufswahl von Frauen und Männern ähnlicher als im Westen. Später, unter den Bedingungen eines freien Landes, begann das Berufswahlverhalten von Frauen und Männern stärker auseinanderzudriften. Ist es also vielleicht doch gerade die Freiheit, die ungleiches Verhalten von Männern und Frauen hervorbringt?

Wenn die Gendertheorie sich auch offen für solche Zusammenhänge zeigte, könnte man sie ernster nehmen. Viele ihrer Vertreter beteuern, die Biologie nicht auszublenden. Kein ernstzunehmender Wissenschaftler der Gendertheorie behaupte, dass die Biologie keinerlei Einfluss habe, heißt es gerade in letzter Zeit. Das freut mich. Was ich lese und beobachte, ist allerdings eine nicht enden wollende Abwehrschlacht: Es ist immer die böse Gesellschaft, es sind immer strukturelle Diskriminierungen, es sind immer veraltete Rollenbilder, mit denen Ungleichheiten erklärt werden. Dass auch der freie Wille von Frauen und Männern mal wirklich entscheidend sein könnte, das finde ich in Texten der Gendertheorie fast nie. Geschweige denn den ernsthaften Versuch, die eigenen Grundannahmen zu falsifizieren. Vielleicht lese ich zu selektiv – ich freue mich über entsprechende Gegenbeispiele!

Kurzum: Ich bin für einen Staat, ich bin für einen frauenpolitischen Ansatz, der nicht Gleichstellung, sondern Gleichberechtigung im Blick hat. Meinem Staatsverständnis und meinem Menschenbild entspricht es nicht, wenn der Staat versucht, möglichst Gleichverteilung im Ziel zu erreichen (Auch wenn dieses Verständnis von Frauenpolitik den unabweisbaren Vorteil hat, diese Gleichverteilung nie zu erreichen, erst recht nie dauerhaft, und damit niemals überflüssig zu werden). Ich möchte, dass der Staat versucht, möglichst große Freiheit auf dem Weg zu erreichen. Welche Verteilung zwischen den Geschlechtern dann am Ende dabei raus kommt, das geht den Staat dann nichts mehr an.

Dieser Namensartikel erschien erstmals am 2. November 2015 in leicht veränderter Form auf der Internetseite des Deutschen Arbeitgeber Verbands e.V.

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