„Klimafreundlich“ zu Fraports Billigfliegern. Und sonst? Von Claus Folger
Es war das erste schöne Freibadwetter-Wochenende in Frankfurt, als ich meine 50-Meter-Bahnen im für 15 Millionen Euro frisch sanierten Riedbad Bergen-Enkheim zog. Es ist mein Lieblingsbad. Warum, das sagte mir Stephanie vom Gastro-Team: „Ich arbeite auch für das Stadionbad und das Waldschwimmbad Neu-Isenburg. Im Vergleich ist es hier wie in einer Idylle. Die Leute sind entspannt, sie bleiben freundlich zu den Mitarbeitern, auch wenn sie einmal länger auf das Essen warten sollten. In Neu-Isenburg ist es anders. Dort sind die Gäste öfter auf Stress aus.“ Und der Fluglärm im Riedbad ist weniger manifest als im Stadionbad.
Die viel zitierte „Kampfzone Freibad“ ist das Riedbad also nicht. Es ist eher ein Ausschnitt einer heilen Welt als ein symptomatischer Spiegel der Frankfurter Gesellschaft.
Das würde sich mit der vom Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV) bevorzugten Variante der S-Bahn-Strecke Regionaltangente-Ost ändern, die 22 Meter hoch über das Riedbad, die angrenzende Sportanlage des FC Germania Enkheim und den „Streuobstwiesenlehrpfad für die ganze Familie“ geführt werden soll. Mit ihr möchte der Magistrat in Zukunft Frankfurt besser mit dem nordöstlichen Umland verbinden. Stefan vom Bademeister-Team sagt: „Das Entscheidende an einem Freibad ist der Erlebniswert, der dann wegbrechen würde. Mit dem Stress kommt ein anderes Publikum, vor dem wir uns wahrscheinlich mit höheren Zäunen schützen müssen.“ Die man augenblicklich kaum als Einschränkung wahrnimmt, sodass Liegewiese (mit informellem FKK-Bereich) und Naturraum (mit meckernden Ziegen) ineinander überzugehen scheinen. Die offene Anmutung beruhigt die Ballungsraum-Nerven.
Die geplante S-Bahn-Trassenführung erweiterte allerdings den Großstadt-Stress auf das Schwimmbad, weil dann Fahrgäste im Zehn-Minuten-Takt von oben auf nackte Leiber unten schauen könnten. Uwe Jocham, Vorsitzender des FC Germania Enkheim, wundert sich in der Bergen-Enkheimer Stadtpost, die aufgeschlagen auf meiner Bastmatte, eingerahmt von Mohnblumen, liegt: „Wir dürfen wegen des Naturschutzgebiets keine Flutlichtanlage aufstellen, aber eine 22 Meter hohe Brücke soll in Ordnung sein?“ Laut einer vom RMV in Auftrag gegebenen Machbarkeitsstudie könnten durch die Ankurbelung der Fahrgastzahlen auf der Strecke zum Billigfliegerterminal 3 des Frankfurter Flughafens allerdings etwa 9000 Autofahrten täglich eingespart werden, was laut Frankfurter Klimareferat („Danke, dass du was für das Klima machst“) „den CO2-Emissionen von etwa 5500 Flugreisenden in der Economy-Klasse einer Boeing 747-400 auf der Strecke von Frankfurt nach New York entspricht“.
In Zeiten klimapolitischer Erregung ist dies für viele Entscheidungsträger wichtig, die als Klima-Kapitäne gern von oben herab planen und für das „Klein-Klein“ unten nur wenig übrig haben. Läuten sie dadurch ein neues Zeitalter des Brutalismus ein? Wie damals, als per Stadtverordnetenbeschluss der Generalverkehrsplan 1976 verabschiedet wurde, der eine Autobahn durch Sachsenhausen inklusive Tunnelführung unter dem Südfriedhof vorsah. (Das Gegenkonzept aus dem Stadtteil heraus, nämlich das südliche Mainufer nicht als Rennstrecke für Autos, sondern als Museumsufer zu entwickeln, setzte sich schließlich durch.)
Ja, meint ein empörter Leser im Internet: „Abgesehen davon, dass der Berger Rücken geologisch äußerst heikel ist, wäre der Eingriff in Landschaft und Natur einfach nur verantwortungslos, barbarisch und völlig aus der Zeit gefallen. Solche Gewalttaten hat man sich in den 50ziger/60ziger Jahren geleistet.“ Setzrisse an Häuserwänden zeigen zudem, dass der aus Sand- und Lehmschichten bestehende und mit Wasserquellen durchzogene Berger Rücken für einen Tunnel zu instabil wäre. FRANKFURT.DE – DAS OFFIZIELLE STADTPORTAL bestätigt: „Es sprudelt, quillt und gluckert aus dem Berger Hang hervor.“
Auf zum 43. Bergen-Enkheimer Altstadtfest! Ich schwang mich auf mein Fahrrad, um anschließend den Fritz-Schubert-Ring hochzukriechen. Eine Schlagzeile der FAZ ging mir dabei nicht aus dem Kopf: „Frankfurt träumt von einem Schienenring rund um die Stadt. Dafür wollen Planer im Osten Frankfurts ein wichtiges Erholungsgebiet opfern.“ Träumen die Frankfurter nicht viel mehr von Zufluchtsorten, wo sie die Menschenmassen, den Müll, die Kriminalität, die Überfremdung, allgemein: die Zumutungen der Innenstadt hinter sich lassen können? Zum Beispiel von einem Naturschutzgebiet wie dem Enkheimer Ried, einer ehemaligen Moorlandschaft, am Fuße des Berger Hangs? – Ob die FAZ zwischen „um (…) herum“ und „durch“ unterscheiden kann, wäre die nächste Frage.
Am BI-BE-Besucherstand auf der Marktstraße treffe ich Ann Marie Welker, die Sprecherin der neugegründeten Bürgerinitiative-Bergen Enkheim: „Die Stadtverordnetenversammlung hat den Magistrat 2019 beauftragt, einen S-Bahn-Ring ‚südlich und östlich von‘ bzw. ‚um‘ Frankfurt voranzutreiben. Eine Machbarkeitsstudie sollte einen bestimmten Korridor betrachten. Es wird aber seit 2023 nur eine Variante bearbeitet, die ‚durch‘ Frankfurt führt. Warum? Mit einer S-Bahn-Station Bergen Enkheim kann man die Nutzerzahlen hochpumpen, um eine bestimmte Kosten/Nutzer-Zahl zu erreichen, um Bundesmittel zu beanspruchen.“ Das Argument der besseren Anbindung von Bergen-Enkheim sei nur vorgeschoben, sagt sie abschließend.
Es ist Zeit für Volkes Stimme: „Sind Sie für oder gegen die S-Bahn-Station?“, frage ich abwechselnd in die Runden. „Ich bin die Einzige, die dafür ist“, ruft eine autolose Frau: „Man kommt schnell in die Stadt und ist schnell vom Feiern wieder zurück.“ Viele haben aber zwei bis drei Autos in der Garage stehen und brauchen keine S-Bahn. Die alte Straßenbahnlinie ist überraschend präsent. Einige wünschen sich ihre Reaktivierung nach Bergen. „Dann bräuchte man keine S-Bahn.“ – „Wenn nur der Bus nicht so lange nach Bornheim zockeln würde!“, stöhnen andere. Das bestehende Verbindungsnetz sollte also besser optimiert werden, anstatt Unsummen für einen S-Bahn-Anschluss auszugeben. Im Großen und Ganzen fühlen sich die Bergen-Enkheimern jedoch gut durch den öffentlichen Nahverkehr angeschlossen. Mit der U-Bahn ist man schließlich in nur 15 Minuten an der Zeil.
Mit dem Fahrrad geht es auch schnell. Vorbei an Bauer Würfls Erdbeeren-Selbstpflückfeld stehe ich schon fünf Minuten später auf der Kuhweide von Frankfurts letztem Milchviehbetrieb (50 Kühe und zwei Bullen), ungefähr dort, wo die S-Bahn in einem Tunnel aus dem Hang schießen soll. (Die „Zeitung für Deutschland“ unterschlägt die dörflichen Ränder des vergleichsweise kleinen Frankfurt, indem sie einen S-Bahn-Ringschluss a la Berlin propagiert.) Wenig später empfangen mich die leidenschaftlichen Landwirte Sigrid Vetter (67) und ihr jetziger Mitarbeiter und späterer Nachfolger Henrik Winkler (33) auf dem mittlerweile 60 Jahre alten Hof am Gisisberg. Henrik Winkler engagiert sich schon länger durch unterschiedliche Initiativen für den Bauernstand im Rhein-Main Gebiet, der nach seiner Auffassung unter großem gesellschaftspolitischen Druck steht.
Aber noch immer sind mit Deutschlandfahne versehene Milchtüten in Chinas Supermärkten ein besonderes Gut. „Warum produzieren die Chinesen im Gegensatz zu den Deutschen nur wenig Milch?“, frage ich ihn. „Was uns Deutsche auszeichnet sind tüchtige Leute und risikofreudige Unternehmer. Wir haben einen starken Mittelstand und auf traditionellen Familienwerten basierende eigentümergeführte Betriebe, was im kommunistischen China nicht der Fall war. Außerdem hatten sie jahrelang eine zu geringe Grundbildung. Doch die Chinesen holen nicht nur in der Milchwirtschaft sondern im kompletten Agrarbereich schwer auf. Schweine, Hühner alles.“
Und die deutsche Politik? „Die chinesische Regierung hat schon vor Jahren erkannt, dass staatlich oder halbstaatlich nicht viel läuft, dass sie freie Unternehmer brauchen. Deshalb haben sie angefangen, einen Mittelstand aufzubauen. Den unsere Regierung gerade kaputt macht. Bürokratie, Auflagen, Dokumentationspflichten usw. Es ist der Wahnsinn.“ – „Wenn die Bahn hier durchgeht, stirbt meine Heimat, weil unsere eigene, nicht öffentliche Wasserversorgung dann gekappt würde“, schiebt Henrik Winkler nach.
Mein Kreis schließt sich, wieder zurück am Schwimmbad, wo der Kleingärtnerverein Möllers Wäldchen Bergen-Enkheim 1950 e.V. liegt. „Nur 13 der 45 Frankfurter Stadtteile sind ausreichend mit Kleingärten versorgt“, schreibt die Stadt in ihrer Broschüre zum Kleingartenentwicklungskonzept (KEK) und zieht die neue S-Bahn-Trasse mitten durch die Anlage. Zielrichtung Stadtplanung: Fehlanzeige!
Wenn es nur um die Anbindung des nordöstlichen Umlandes an die Innenstadt Frankfurt ginge, könnte man mit vergleichsweise geringen Kosten die Straßenbahnlinie 18 nach Bad Vilbel verlängern. Trotz Machbarkeitsstudie, die klare ökologische Vorteile und vorhandenes Potential bescheinigte, wurde dies im Juni 2022 von den beiden Mehrheitsfraktionen CDU und SPD im Bad Vilbeler Stadtparlament abgelehnt. Leute aus dem Umland über Frankfurt möglichst schnell und ohne Umstieg zum Flughafen zu schaufeln, ist das Gebot. Es war der Frankfurter Bürgermeister Uwe Becker (CDU), der 2019 dem ursprünglichen Konzept der RTO einer Verknüpfung von DB-Netz und regionalen Schienenverkehrswegen mit dem Ziel Frankfurter Flughafen eine neue Ausrichtung gab und erklärte, dass die logische Konsequenz daraus eine Trassenführung auf dem östlichen Frankfurter Stadtgebiet sei.
Der BUND Frankfurt kommentiert: „Wegen den Langzeitperspektiven des klimaschädlichen Flugverkehrs ist eine Verlagerung der Flughafenanbindung vom motorisierten Individualverkehr auf die Schiene als Bestandteil des berechneten Nutzen-Kosten-Verhältnisses sehr problematisch.“ Das hohe Nutzen-Kosten-Verhältnis ist zudem schöngerechnet, da Fraport nach eigener Aussage auf eine S-Bahn-Anbindung zum Terminal 3 gut verzichten kann: Fraport gewährleistet unabhängig von einer möglichen S-Bahn-Haltestelle eine hervorragende Anbindung an den öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Vom Terminal 1 können Reisende vom Regional- und Fernbahnhof mit der neuen Sky Line-Bahn in acht Minuten zum Terminal 3 fahren. Insgesamt können dabei 4.000 Passagiere pro Stunde und Fahrtrichtung transportiert werden.
„Unsere Stadt muss uns schützen, anstatt uns an das Umland zu verkaufen und unsere Natur zu zerstören!“, sind sozusagen die letzten Worte auf einem Flyer der Bürgerinitiative Bergen Enkheim BI-BE. Ein Hilferuf ins Nichts. Eine Kommune, die seit Jahrzehnten ihre Bürger an einen Flughafenbetreiber verrät, hat dafür kein Gehör.
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„Träumen die Frankfurter nicht viel mehr von Zufluchtsorten, wo sie die Menschenmassen, den Müll, die Kriminalität, die Überfremdung, allgemein: die Zumutungen der Innenstadt hinter sich lassen können?“
Nö. Sonst würden sie ja nicht in Frankfurt wohnen.
Diese Linie ist dem Größenwahn entsprungen. Überflüssig, unfinanzierbar und technisch heikel. Aufgrund der Erfahrung mit Stuttgart 21 und BER rate ich jedoch zur Gelassenheit. Das wird nie fertig.