EU und Russland: Plädoyer für eine neue Sanktionspolitik

Mittlerweile 16 Sanktionspakete hat die EU bisher gegen Russland wegen des Ukraine-Kriegs geschnürt. An den Kämpfen hat das nichts geändert. Die Kritik am Strafansatz der EU wächst – auch bei Ex-Minister Andreas Scheuer von der CSU. Ein Gastbeitrag

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Mehr als 1.000 Tage ist es her, dass Russland die Ukraine überfallen hat. Über drei Jahre hatte die Europäische Union Zeit, wirkmächtig und zielführend auf diese Aggression zu reagieren sowie den Erhalt der territorialen Integrität der Ukraine zu erreichen. 16-mal haben sich die Staats- und Regierungschefs der EU auf ein Sanktionspaket gegen Russland geeinigt.

Und rückblickend muss man festhalten: 16-mal war der Ansatz ohne Erfolg, Russland zum Einlenken zu bewegen.

Mit Ausnahme der Maßnahmen gegen Individuen, die den russischen Angriffskrieg maßgeblich zu verantworten hatten, wurde das Ziel – die Schwächung der russischen Wirtschaft – bisher nicht erreicht. Die europäische Wirtschaft stagniert, während Russland Wachstum abliefert.

Am Beispiel des Leichtmetalls Aluminium, welches im letzten Sanktionspaket auf die Liste sanktionierter Güter kam, sind die Folgen eines Einfuhrverbots gut nachvollziehbar:

Russisches Aluminium macht mittlerweile nur noch einen kleinen Teil der EU-Importe an sogenanntem Primäraluminium aus. Historisch gesehen, lieferte Russland jedoch kostengünstiges Metall für Deutschlands Automobil-, Maschinenbau- und Elektro-Industrien.

Glaubwürdige Schätzungen deuten darauf hin, dass die Aluminiumpreise durch die neuen Sanktionen um 20 bis 30 Prozent steigen könnten. Da unsere heimische Schmelzkapazität aufgrund der hohen Energiekosten stark eingeschränkt ist, müssen deutsche Hersteller wie Volkswagen, BMW und Mercedes-Benz mit teureren und knapperen Lieferungen rechnen. Das würde zu höheren Produktionskosten, schmaleren Gewinnspannen und einer Erosion der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands vor allem im Export führen. Die ohnehin angespannte wirtschaftliche Lage würde sich verschärfen.

Kritisch ist zudem, dass die neuerlichen Sanktionen zu einem Verlust von 10.000 bis 20.000 Arbeitsplätzen in der gesamten EU führen könnten – wobei Deutschland sicherlich am meisten betroffen wäre.

Sanktionen sind dazu gedacht, dem Aggressor zu schaden. Wenn sie aber zum Bumerang werden, sollte man die bisherige Sanktionspolitik überdenken. Aus EU-Sicht ist sie, bei ehrlicher Betrachtung, in einer global vernetzten Welt mehr als löchrig. Es gibt Profiteure woanders.

Dies wäre bereits eine Herausforderung für sich. Hinzu kommt jetzt die Haltung der neuen US-Administration von Donald Trump in Bezug auf Friedensgespräche mit Moskau, bei denen europäische Top-Entscheider voraussichtlich nicht mit am Tisch sitzen werden – oder anders als gedacht eingebunden sind.

Das wirft grundlegende Fragen auf: Sollte Deutschland die volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten neuer Sanktionen tragen, falls Washington eine Teilvereinbarung mit Moskau trifft? Würde Deutschland mit höheren Rohstoffpreisen, verlorengegangener industrieller Kapazität und ohne Sitz am Verhandlungstisch dastehen? Die Dominosteine beginnen zu fallen.

Der entscheidende Punkt ist, dass die Trump-Administration Zölle in Höhe von zehn bis 25 Prozent auf Aluminiumimporte angekündigt hat. Das theoretische Ziel ist, die US-Fertigung zu stärken und zu schützen. In der Praxis wird diese Politik voraussichtlich US-Käufer dazu drängen, mehr heimische Lieferungen zu beziehen und die höheren Kosten an die amerikanischen Verbraucher weiterzugeben.

Kritisch ist, dass dies zu einer Volatilität der globalen Aluminiumpreise führen würde. Wenn die USA eine separate Vereinbarung mit Russland treffen, während sie Zölle auf Nicht-US-Metallprodukte aufrechterhalten, sind europäische Unternehmen plötzlich weniger wettbewerbsfähig bei ihren Exporten in die USA – haben aber gleichzeitig höhere Rohmaterialkosten von ihren Lieferanten.

Das Risiko für deutsche Hersteller ist daher akut. Ohne erschwingliches russisches Aluminium werden Industrien in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachen und anderswo einen Aufpreis für alternative Quellen in Kanada, dem Nahen Osten oder China zahlen müssen – wenn sie diese Quellen denn überhaupt finden können.

Deutschlands größte Schmelzanlagen kämpfen seit vielen Jahren mit steigenden Energiekosten. Dies hat schon zu einer verringerten Kapazität geführt. Die begrenzte heimische Kapazität kann keine Versorgungsschocks mehr abfedern. Gleichzeitig könnten Konkurrenten in Asien oder anderswo russisches Aluminium zu ermäßigten Preisen erwerben, wenn Moskau Exporte umleitet. Das benachteiligt europäische Produzenten dauerhaft.

Oft schon haben Sanktionen auf Metalle und Mineralien nur zu Handelsumlenkung geführt, statt den Handel mit einem Rohstoff wirklich zu unterbinden. Die europäischen Schwerindustrien zahlen mehr, während sanktionierte Länder andere Käufer finden.

Dieses Muster zeigt sich auch in der Reaktion der Märkte auf die bisherigen 16 Sanktionspakete der EU gegen Russland. An Europas Stelle mit seinen 500 Millionen Konsumenten treten als Abnehmer dann eben Länder wie China, Indien, Iran und auch die Türkei, die bei der Bevölkerungsgröße die EU um ein Vielfaches übertreffen.

Ein so großes Land wie Russland lässt sich in einer so ausdifferenzierten Welt wie unserer nicht isolieren.

Hinzu kommt: Die EU hat bisher Importe von russischem LNG nicht verboten. Laut Brüssel erfordert ein solcher Schritt ein zuverlässiges Ersatzabkommen mit den USA oder anderen Lieferanten. Wenn aber die EU weiterhin von russischem Gas abhängt: Warum greift sie sich dann Aluminium für Strafmaßnahmen heraus – obwohl sie auf russische Energiequellen angewiesen bleibt?

Vollends negativ wird das Szenario für die EU, wenn es eine von US-Präsident Trump vermittelte Vereinbarung zur Ukraine gibt – weil die das Sanktionsumfeld schnell umgestalten könnte. Deutschland bliebe dann im kostspieligen Aluminium-Embargo der EU gefangen, während Trump die US-Maßnahmen gegen Moskau selektiv lockert und dafür Zugeständnisse von Putin fordert.

Anstatt weiterhin auf Verbote zu setzen, die den industriellen Kern unserer eigenen Volkswirtschaft gefährden, sollte die Europäische Union die bisherigen Sanktionen evaluieren und aussetzen, wenn sie sich als stumpfes Schwert erwiesen haben – und eher Europa schaden als Russland.

Alles hängt mit allem zusammen. Europa braucht wirtschaftliche Stärke für geopolitische Bedeutung.


Andreas Scheuer (50) war für die CSU von 2018 bis 2021 Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur und saß bis 2024 im Deutschen Bundestag. Heute arbeitet er als Unternehmer.

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Kommentare ( 77 )

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LiKoDe
5 Stunden her

Schon die „territorialen Integrität der Ukraine“ war eine Erfindung, wie man Blick auf die jüngere Geschichte [ca. 100 Jahre] erkennen kann. Nach 1945 gab es eine Westverschiebung [ca. 250 km] zu Lasten der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik [USSR], Polens und vor allem Deutschlands, das dadurch einen Grossteil seines Staatsgebietes an Polen verlor. Die 1991 gegründete Ukraine ist ein künstliches Gebilde. Der militärische Eingriff der Russischen Föderation in die Ukraine wurde schon kurz nach dem „Regierungswechsel“ in der Ukraine 2013/2014 wahrscheinlich und wurde 2021 offen angekündigt. Bezüglich der „Strafaktionen“ der EU gegen die Russische Föderation muss man gucken, wem sie wirklich nützen,… Mehr

jugend_attacke
1 Tag her

Die ewiggestrigen Kaltekriegboomer und Transatlantiker unter den Kommentatoren, bei denen man das liberal vor dem konservativ FETT schreiben müsste können es nicht lassen. Da wird die kapitalistische Alternative zur sozialistischen EU > Russland jetzt schon als „kommunistisch“ bezeichnet. xD
Was kommt als nächstes? Die AfD sind Nazis?

Apfelmann
1 Tag her

Tichy sollte einen eigene Rubrik für Ossis einführen. Da könnten dann alle die Russlandfreundlichen und den Despoten Putin anbiedernden Artikel erscheinen. Die Ossis könnten dann gezielt darauf zugreifen und sich in ihren Kommunistischen Utopia daran ergötzen. Andere, die diese Art Artikel nicht lesen möchten würden dann nicht mehr im Hauptfeed dazu genötigt. Nur mal so als Vorschlag…..

jugend_attacke
1 Tag her
Antworten an  Apfelmann

Sie sollten vernunftbegabt nicht mit Ossi verwechseln, auch wenn man bei Leuten wie Ihnen durchaus auf den Gedanken kommen kann, dass die Begriffe synonym verwendet werden können.

jugend_attacke
1 Tag her

Gähn. Andi du bist Mittäter und wir kaufen dir deine Feigenblattargumentation nicht ab.

Christian H.
1 Tag her

Na wenn wirtschafts- und Verwaltungsexperten wie Herr Scheuer das so einschätzen… – dann sollte dringend das Gegenteil getan werden.
Grüße

Icarus
1 Tag her

Wenn die USA bzw. die von ihr dominierte NATO die gleichen Maßstäbe wie im Kosovo-Krieg angelegt hätte, wäre die logische Konsequenz gewesen, daß diese Kiew bombadiert hätte und die Unabhängigkeit bzw. den Anschluß des Donbass an Rußland sichergestellt hätte. Der wahre Agressor waren also die ehemaligen Regierungen von Obama / Biden und im Schlepptau ihr unfähiger Vasall EU sowie die Regierungen der EU-Staaten.

Last edited 1 Tag her by Icarus
MMK
1 Tag her
Antworten an  Icarus

Vollkommen richtig. Zuerst wird der Putsch 2014 geschürt und orchestriert, dann guckt man zu wie in der Folge acht Jahre lang die russischsprachige Bevölkerung im gesamten Donbass von diesem unsäglichen, vom Werte-Westen finanzierte Regime in Kiew drangsaliert und mit Raketen und Granaten beschossen wird. Und 2021/2022 torpediert man dann sämtliche Verhandlungslösungen für einen Frieden. Komm mir bloß keiner mehr mit dieser unsäglichen NATO und EU Propaganda, die mittlerweile dermaßen daneben ist.

Imre
1 Tag her

Gelegentlich plagen mich Gewissensbisse, wenn ich bei TE keine Spenden mehr überweise! (wegen Inflation und anderer Förderziele werden diese umglenkt)
Bei solchen Artikeln wie dem von Herrn Scheuer wird mein Gewissen wieder beruhigt….

Frank G.aus D.
1 Tag her
Antworten an  Imre

Entschuldigen sie die Frage:Was ist bei dem Beitrag falsch dargestellt?
Ich lerne gerne dazu.

Hugohugo
1 Tag her

Die ganzen Sanktionen sind ideotisch. Deutschland sein Geschäftsmodell beruht auf der (energetischen) Veredelung von Vorprodukten und dem Verkauf auf dem Weltmarkt. Dieses Modell kolabiert aufgrund der Sanktionen. Der letzte macht das Licht aus.

Imre
1 Tag her

Wo haben Sie denn diesen Kronzeugen der Desinformation ausgegraben?
Soll Scheuer hier den Nachfolge von Th. Spahn geben?
Oder als Klon von Gerhard Löwenthal in dessen Fußstapfen treten?
Da sollten Sie doch Kommentatoren mit besserer Glaubwürdigkeit und Faktenwissen finden können!

Logiker
2 Tage her

Deutschland hat keine andere Chance, als mit allen anderen gute Beziehungen zu unterhalten – ohne sich jedoch der eigenen Souveränität zu entledigen oder andere belehren zu wollen. Womit wir m.E. beim Hauptproblem sind: in letzter Konsequenz ist der einzig richtige und erfolgversprechende Weg die politische und militärische Neutralität Deutschlands – mit einer angemessenen eigenen Fähigkeit zur Landesverteidigung. Alles andere bedingt, als Diener fremder Herren bzw. Interessen zu dienen zulasten der eigenen Bürger, der eigenen Sicherheit und der eigenen Wirtschaft. Russland wäre doch bekloppt, sich solch desolate und rohstoffarme Länder wie Deutschland oder andere EU- oder NATO-Staaten ans Bein zu binden,… Mehr

Last edited 2 Tage her by Logiker