Mit gegen China gerichtete Schutzzölle, einer Mauer an der mexikanischen Grenze und Einreiseverbote für Muslime wird auch ein Donald Trump die Probleme der USA nicht lösen. Aber vielleicht will er ja auch nur Präsident werden. Von Norbert F. Tofall
Publius Claudius Pulcher (92 v. Chr. – 52 v. Chr.) war ein Politiker in der Endphase der römischen Republik, der aus der Patrizierfamilie der Claudier stammte. Den plebejischer klingenden Namen Clodius nahm er an, nachdem er sich von einem Plebejer hatte adoptieren lassen, um 59 v. Chr. Volkstribun werden zu können.
I.
Dieses Amt konnten Patrizier nicht bekleiden. Eine seiner ersten Amtshandlungen als Volkstribun bestand in der Vorlage eines Gesetzes, welches die kostenlose Abgabe von Getreide an das Volk vorsah. Drei Jahre zuvor entging Clodius einer Verurteilung wegen incestum, weil er die Geschworenen erfolgreich bestochen hatte. Bei der Durchsetzung seiner Politik stütze sich Clodius auf die römische Plebs und setzte gezielt Gewalt und Straßenkämpfe zur Zerstörung der öffentlichen Ordnung und politischen Institutionen ein.
Marcus Tullius Cicero hatte nicht zuletzt wegen der existenzbedrohenden persönlichen Feindschaft mit Clodius nichts Gutes über ihn zu berichten: „Clodius war ein Mann aus vornehmer Familie, noch jung an Jahren, aber frech, hochmütig und anmaßend.“ Er war „jemand, dem nie etwas heilig war, weder bei Untaten, noch bei Ausschweifungen, … jemand der kein Gesetz, kein bürgerliches Recht, keine Eigentumsschranken kannte.“ – „Sogar untadelige Männer haben es fertiggebracht, diese gift- und verderbensschwangere Viper wie einen Schoßhund zu verhätscheln.“ – „Halunke!“ –„Abschaum!“ – „Drecksvisage!“ – „Wutschnaubender, abscheulicher Schurke!“ – „Sittenstrolch!“ – „Pestbeule!“ – „Schmierenkomödiant!“ – Doch die römische Plebs liebte und verehrte Clodius. Denn Clodius Pulcher kämpfte gegen die etablierten Eliten, die sich nach ihrer Ansicht hemmungslos bereicherten, das römische Gemeinwesen ausbeuteten und sich nicht an die tradierten Sitten und Regeln hielten, die öffentlich so hochgehalten wurden. Clodius stammte zwar auch aus diesem Establishment und bereicherte sich noch hemmungsloser als seine Standesgenossen, gab dieses aber ohne Scham offen zu. Sein Erfolg bestand gerade darin, diese Schamlosigkeit und die Verachtung der tradierten Sitten und Regeln zum Prinzip erhoben zu haben.
II.
Donald Trump wurde 1946 als Sohn des Multimillionärs Frederick Trump Jr. geboren, der in New York mit dem Bau von Mietskasernen in Brooklyn, Queens und Staten Island sein Vermögen machte. Seine High-School-Zeit verbrachte Donald Trump in der New York Military Academy, einem Internat, in welchem er durch seine Sportleistungen herausragte. Von 1964 bis 1966 studierte er an der Fordham University in New York und von 1966 bis 1968 an der Wharton School in Philadelphia Wirtschaftswissenschaften. Anders als seine Altersgenossen beteiligte sich Trump nicht an Anti-Vietnamkriegs-Demonstrationen. Er verfolgte bereits zu dieser Zeit das Ziel, der Immobilienkönig von New York zu werden. Er kaufte erste Häuser und sanierte sie.
Trump ist Mitglied der presbyterianischen Marble Collegiate Church und verzichtet vollständig auf den Konsum von Tabak und Alkohol.
Mit 28 Jahren übernahm Donald Trump 1974 die Immobilienfirma seines Vaters und konzentrierte seine Geschäfte auf Manhattan. Aufgrund der damaligen schlechten Wirtschaftslage bot die Stadt ihm große Steuernachlässe an. Von der völlig überschuldeten New Yorker Stadtverwaltung bekam er für die Übernahme des heutigen Grand Hyatt Hotels einen Steuernachlaß über 40 Jahre gewährt. Auch später hat Trump immer wieder derartige Steuervorteile für seine Immobilienprojekte herausschlagen können.
Donald Trump engagierte sich jedoch nicht nur in Immobilien, sondern auch in Spielbanken und Freizeitgeschäfte, welche in der Trump Entertainment Resorts Holdinggesellschaft verwaltet werden. 1991, 1992, 2004 und 2009 wurde wegen Zahlungsunfähigkeit dieses Unternehmens nach Kapitel 11 US-Handelsgesetz Gläubigerschutz veranlaßt, was Trump unter anderem zwang, die Hälfte des Casinos Taj Mahal und des Plaza Hotels, seine Yacht Trump Princess und 1992 die Fluggesellschaft Trump Shuttle zu verkaufen. Aus dem Casinogeschäft zog er sich 2009 vollständig zurück.
Über sein unternehmerisches Engagement im Immobiliensektor und in Spielbanken hinaus hat Donald Trump in einer sehr erfolgreichen Medienkarriere bewiesen, daß er erstens sehr genau weiß, was beim Volk ankommt und welche Emotionen und Befindlichkeiten beim Volk angesprochen werden müssen. Zweitens ist er in der Lage und hat den durch keine Skrupel gebremsten Willen, aus diesem Wissen – ohne Rücksicht auf Anstand und Moral, tradierte Sitten und Regeln – Kapital zu schlagen. In diesem Geschäft dürfte Trump noch erheblich erfolgreicher sein als in Deutschland Dieter Bohlen. Parallelen zum italienischen Immobilien- und Medienunternehmer Silvio Berlusconi drängen sich auf.
Trumps Buch „The Art of the Deal“ von 1987 stand 51 Wochen auf der Bestsellerliste der New York Times. Weitere 12 Bücher bedienen als Ratgeberliteratur ebenfalls die Sehnsüchte eines Massenpublikums nach Erfolg und Reichtum: „How to Get Rich“ – „The Way to the Top. The Best Business Advice I Ever Received“ – „Think Like a Billionaire. Everything You Need to Know About Success, Real Estate, and Life” – “The Art of the Comeback” – “The Best Golf Advice I Ever Received” – “Why We Want You To Be Rich: Two Men, One Message” (zusammen mit Robert T. Kiyosaki) – “The Best Real Estate Advice I Ever Received: 100 Top Experts Share Their Strategies” – “Never Give Up: How I Turned My Biggest Challenges into Success” – “The Trump Card: Playing to Win in Work and Life” – “Think BIG and Kick Ass in Business and Life” (zusammen mit Bill Zanker) – “Think Like a Champion: An Informal Education In Business and Life” – “Midas Touch: Why Some Entrepreneurs Get Rich – And Why Most Don’t” (zusammen mit Robert T. Kiyosaki). Und drei Bücher transportieren diese Erfolgsphilosophie in politische Forderungen: “The America We Deserve” – “ Time To Get Tough. Make America great again” – “Crippled America. How to make America great again”.
In Trumps Fernsehserie „The Apprentice” sucht Trump seit 2003 einen Mitarbeiter für seine Firmen aus. In jeder Folge wird einer der anfänglichen Kandidaten vor laufenden Kameras entlassen: „You’re fired!“ Die letzte Staffel mit Trump lief Anfang 2015. Da Trump im Juni 2015 seine Präsidentschaftskandidatur für die Republikaner verkündete, soll Arnold Schwarzenegger ihn in dieser Fernsehserie ersetzen. Ähnlich wie in „Deutschland sucht den Superstar“ wird in solchen Sendungen mit der Sehnsucht von Menschen nach Erfolg und Ruhm gespielt. Falscher Ehrgeiz und Ruhmsucht werden gezielt solange angestachelt, bis Menschen bereit sind, sich öffentlich vor Millionen von Zuschauern demütigen und sich sogar aufeinander hetzen zu lassen.
Zu ergänzen ist, daß Trump auch maßgeblich an der „Miss Universe Organization“ beteiligt war, die jährlich die Miss-Universe-, Miss-USA- und Miss-Teen-USA-Wettbewerbe veranstaltet. Und seit März 2007 trat Donald Trump regelmäßig beim „World Westling Entertainment“ auf und wurde 2013 in die „World Westling Entertainment Hall of Fame“ aufgenommen.
III.
Clodius Pulcher, Silvio Berlusconi, Donald Trump und andere zielen bewußt auf die Verstärkung und Entgrenzung eines menschlichen Defektes, der zur conditio humana gehört und eine anthropologische Grundkonstante darstellt. An welcher Stelle höchst intelligente Menschen wie Clodius, Berlusconi und Trump ansetzen, um diesen menschlichen Defekt zu entgrenzen und zu verstärken, ist auf dem ersten Blick indes nicht so leicht zu erkennen. Es lohnt sich jedoch, diese neutralgische Stelle freizulegen.
In seinem Buch „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz“ beschreibt René Girard den uns hier interessierenden menschlichen Defekt anschaulich als „mimetische Rivalität“, die sich durch „mimetische Ansteckung“ zum „mimetischen Furor“ steigern kann. Was versteht Girard unter „mimetischer Rivalität“?
Im Alten Testament heißt es: „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat“ (2. Mose 20, 17). Notabene: Dieses Gebot bedeutet nicht, daß ich nicht „auch“ ein Haus begehren darf. Das Zehnte Gebot zielt darauf, daß ich nicht das ganz konkrete Haus meines Nächsten begehren soll. Wenn ich „auch“ ein Haus begehre und daraus produktive, wertschöpfende Handlungen folgen, so daß ich auch ein Haus baue, dann gibt es anschließend sogar ein Haus mehr. Der Wohlstand in der Gesellschaft ist gestiegen und der Friede wurde bewahrt. Und das ist auch der Grund, weshalb der Markt Wohlstand für alle ermöglicht, solange das Gebot „Du sollst nicht stehlen“ nicht verletzt wird. Wenn ich aber das ganz konkrete Haus meines Nächsten begehre und als Folge das Gebot „Du sollst nicht stehlen“ verletze, dann gibt es anschließend nicht mehr Häuser in einem Gemeinwesen. Ein Haus wurde lediglich vom einen zum anderen durch Raub und Vertreibung umverteilt. Der Wohlstand wurde nicht gesteigert. Und die Wahrscheinlichkeit, daß durch diesen Diebstahl weitere Gewalt und Krieg entstehen ist sehr groß.
Der menschliche Defekt, das Teuflische, besteht nun darin, dass das menschliche Begehren gerade dann größer und oftmals am größten ist und sich zum Wahnsinn steigern kann, wenn es sich auf den ganz konkreten selben Gegenstand richtet, den auch ein anderer Mensch begehrt. Durch die „Nachahmung“, die Mimesis, entsteht Rivalität, mimetische Rivalität: Gerade weil mein Nächster das konkrete Haus begehrt, das ich auch begehre, kann sich mein Begehren noch mehr steigern, wird der begehrte Gegenstand noch begehrenswerter. Ich ahme das Begehren des anderen nach einem Gegenstand nach und dieser meines. Schon kleine Kinder finden ein Spielzeug dann am interessantesten, wenn andere Kinder damit spielen und das Spielzeug gerade nicht teilen wollen. Die Prügelei im Sandkasten ist oft die Folge. Um diesen Krieg zu minimieren, versucht man schon kleinen Kindern beizubringen, was das Mein und das Dein ist, was Eigentum ist. Es wird versucht, Regeln und Regelsysteme durchzusetzen. Darüber hinaus versucht man schon Kindern beizubringen, sich nicht an anderen zu orientieren, man versucht die mimetische Rivalität zu durchbrechen. „Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat.“ Dieses Gebot ist zeitlos, weil trotz aller Regeln und Regelsysteme und aller Anstrengungen zur Erziehung und Persönlichkeitsbildung die mimetische Rivalität nicht aus der Welt zu schaffen ist. Da sie eine negative anthropologische Grundkonstante ist, die sich in dieser Welt lediglich zivilisieren, aber nicht vernichten läßt, lauert unter jedem menschlichen Regelsystem die Dynamik einer Räuberbande.
Und genau hier setzen Menschen wie Clodius Pulcher, Silvio Berlusconi und Donald Trump an. Denn werden Regeln und Regelsysteme – aus welchen angeblich guten Gründen zur Vermeidung einer Großen Depression und zur Verhinderung einer Anpassungsrezession oder aus welchen anderen Gründen auch immer – bewußt verletzt und vor allem von denen verletzt, die durch Amt die Pflicht hätten, sie einzuhalten, dann können die mimetischen Rivalitäten nicht mehr mit Verweis auf Moral und Anstand, tradierte Sitten und Regeln zivilisiert werden. Denn der Verweis, daß Moral und Anstand, tradierte Sitten und Regeln für Wohlstand für alle sorgen, wird nicht mehr geglaubt. Die etablierten Eliten in Wirtschaft, Medien, Politik und Wissenschaft verlieren das Vertrauen, weil sie sich vielfach an der Durchsetzung von Sonderinteressen auf Kosten Dritter beteiligt haben, geben dieses Versagen aber nicht zu, heucheln sogar, daß sie die geltenden Regeln und Regelsysteme einhalten würden. Die mimetischen Rivalitäten werden dadurch ihres zivilisierenden Kleides beraubt, liegen offen zu Tage.
Jetzt müssen sie nur angestachelt werden, damit durch mimetische Ansteckung ein Furor entsteht, der die bisherige Ordnung und Regelsysteme ins Wanken bringen kann. Durch verstärkte Freund-Feind-Polemik erhalten die mimetischen Rivalitäten ein Ziel, auf das sich die Aggression der Einzelnen richten kann. Und es werden immer mehr Menschen angesteckt, was sich zum mimetischen Furor steigert. Die Prügelei im Sandkasten wird absichtlich nicht minimiert, sondern aktiviert und über den Sandkasten hinaus in alle benachbarten Grundstücke und Häuser getragen werden.
Um diesen Prozeß in Gang zu setzen, muß jemand den ersten Stein werfen. Und es werfen nur diejenigen den ersten Stein, denen es egal ist, daß sie nicht ohne Sünde sind, und die genau wissen, daß sie gerade durch die öffentliche Zurschaustellung der eigenen Verruchtheit und Schamlosigkeit den Applaus der wütenden Massen ernten. Denn die wütenden Massen dürsten danach, daß ihnen jemand bestätigt, daß es da oben genauso verrucht zugeht, wie sie schon immer vermutet haben. Und wer kann das glaubwürdiger als derjenige, der noch verruchter ist als seine Standesgenossen, der quasi der Hohepriester des menschlich Dunklen ist.
Da die Zurschaustellung der eigenen Verruchtheit und Schamlosigkeit in der Regel mit dem Aufzeigen der angeblich persönlich Schuldigen an der gesellschaftlichen Misere verbunden ist, werden die mimetischen Rivalitäten vom Hohepriester des menschlich Dunklem mehr und mehr vom Nächsten auf diese Schuldigen gelenkt und können sich aggressiv entladen. „Ich sah den Satan vom Himmel fallen wie einen Blitz!“
IV.
Aufgrund seiner langjährigen Medienerfahrungen weiß Donald Trump genau, wie diese Prozesse ablaufen. Er hat sie spielerisch über Jahre erfolgreich inszeniert. Er weiß genau, was er tut. Und da er keinen Alkohol trinkt und wir ihm unterstellen, daß er auch sonst keine Drogen nimmt, sollten wir sein großes Spiel, das er seit dem 16. Juni 2015 inszeniert, sehr ernst nehmen.
Denn auch in einem anderen Punkt unterscheidet sich Trump nicht von Clodius Pulcher. Clodius hatte kein politisches Programm, das eine schrittweise Reform der krankenden römischen Republik vorsah. Clodius hatte nur ein Programm: sich selbst.
Mit gegen China gerichtete Schutzzölle, einer Mauer an der mexikanischen Grenze und Einreiseverbote für Muslime wird auch ein Donald Trump die Probleme der USA nicht lösen. Aber vielleicht will er ja auch nur Präsident werden.
Norbert F. Tofall, Analyst
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