Die Deutschen sahen sich einem Arbeitsmarkt gegenüber, der ausreichende Mengen an Arbeit, aber kaum noch anspruchsvolle bereithält. Die scharfe Linksdrift der Gesellschaft ist die logische Folge davon. Leser Thomas Hellerberger kommentiert Alexander Horns Beitrag „Nach Corona könnte das Wohlstandskoma kommen“.
Das Grundproblem kapitalistischer Ordnungen bleibt, dass die Interessen von Unternehmern und Kapitalbesitzern nicht identisch sind mit denen von nichtvermögenden abhängig Beschäftigten, die durchweg lebenslang nicht in der Lage sind, nur durch reinen Kapitalkonsum zu leben. Ihr Einkommen reicht zumeist nur aus, um bestenfalls alle Ausgaben zu tätigen, nicht aber nachhaltig Vermögen aufzubauen. Entgegen allen anderen Behauptungen war das in Deutschland seit der industriellen Revolution auch nie anders, auch nicht in den goldenen Jahren der BRD (allenfalls etwas leichter als heute), was die exzessiv hohe Mieterquote der Deutschen beim Wohnen verdeutlicht – aber auch die fast totale Abhängigkeit fast aller Senioren von steter staatlicher Alimentation namens Rente oder Pension.
Dazu muss er nur einen kleinen Seitenblick auf seine Kinder werfen, um wissend zu nicken. Wäre es anders, hätte zum Beispiel der öffentliche Dienst auf dem Arbeitsmarkt keine Chance, tatsächlich ist er auch und gerade bei den jüngeren Alterskohorten beliebter denn je.
Im Gegenteil: Die Jahre seit etwa Mitte der 1980er Jahre sind für die Mittelschicht eine einzige, sich verdichtende Erfahrung geworden, dass Einkommen und Einkommenssicherheit nicht mehr planbar sind, dass zwischen Haus, Garten, zwei Autos, Kinder und jährlichem Urlaub im Süden einerseits (also dem gewöhnlichen Verständnis von Mittelschichtleben) und Hartz IV, Kleinstwohnung im Plattenbaughetto und kein Geld mehr auf dem Konto ab dem Monatszwanzigsten nur ein einziges, ein lausiges Jahr ALG1 liegen. Liegen können.
Ich behaupte, dass 80 bis 90 Prozent der deutschen Mittelschicht dieses Damoklesschwert über sich schweben fühlen, die heute unter 50jährigen kennen es zeitlebens gar nicht mehr anders. Sicher, es gab ein paar Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg, wo das anders war. Auch ich bin in so einer Reihenhaussiedlung der Beamten, Facharbeiter und Ingenieure bei der örtlichen Industrie aufgewachsen, in denen eine Sicherheit und soziale Ausgeglichenheit herrschte, die sich heute keiner mehr vorstellen kann oder ihr melancholisch hinterhertrauert.
Den Deutschen im Osten geht das – Stasi und Mauer hin oder her – mit der Arbeitsplatzsicherheit in der DDR, den geringen sozialen Unterschieden in der Gesellschaft damals doch genauso. Sie haben hinsichtlich der harten Bauchlandung uns im Westen nur 30 Jahre voraus, Corona wird unsere (westdeutsche) Treuhandanstalt sein. Und wie im Osten werden die Billionen doch keine Massenarbeitslosigkeit verhindern können. Überall geht es los, die Presse ist schon voll davon.
Insoweit reicht es nicht, in einer Krise wie dieser einfach alle unmodern gewordenen Unternehmen pleitegehen zu lassen und darauf zu hoffen, dass auf diesen Trümmern neues sprießt. Das wurde den Deutschen schon einmal versprochen, uns im Westen in den 80ern, denen im Osten in den 90ern. Und was kam bei raus? Alles, was wir kaufen, ist made in China, Samsung und Apple – und Produkte mit deutschen Markenzeichen, produziert in der Türkei oder Slowenien. Und bei uns Callcenter und DHL. Die Ostler hofften auf „blühende Landschaften“ und bekamen stattdessen das Fernpendeln von Gera nach Frankfurt am Main.
Nein, dieses Narrativ trägt nicht für die, die nichts haben außer ihrem Monatseinkommen. Und leider, Herr Horn, fürchte ich, geben Merkel und Lagarde diesen Dünnhäutigen die überzeugendere Antwort. Schauen Sie sich die Wahlergebnisse an. Wie sagte Fassbender so schön? Angst essen Seele auf. Die Menschen wollen keine „Chancen“, sie wollen Sicherheit für ihr kleines, kurzes Leben. Und jeden Besenstiel, der ihnen das verspricht, den werden sie wählen.
Nicht, dass sie nicht trotzdem in der Sache recht hätten. Was aber, wenn Sie erst recht bekommen, wenn es keiner mehr erlebt? Fragen Sie den Selbstständigen Ihres Vertrauens, wie es ihm in den letzten drei Monaten gegangen ist, mit Corona und der notwendigen Kapitalentwertung.
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Das, was ich bisher dachte, scheint nicht absolut falsch zu sein. Nach der Lektüre dieser Zeilen des Autors, fühle ich mich eher bestätigt. Auch mein Ziel ist es gewesen meinen Kindern den Weg ins Berufsleben mit den „richtigen“ Hinweisen zu erleichtern. Erst hat man nichts angenommen und außerdem auch nicht gefragt, als es ernst wurde mit dem auf den eigenen Füßen stehen. Dann, nach Uni-Reife wurden die Ratschläge sehr „wohlmeinender “ Menschen angenommen und studiert. Und ab hier frage ich mich nicht mehr, warum Sicherheit im Berufsleben eine so dominante Rolle für mich gespielt hat. So, wie sich das anfängt… Mehr
Hatte persönlich vor der Niederlegung meiner Tätigkeit noch so ein einschneidendes Erlebnis in Duisburg, wo ich mich unter anderem von meinen wichtigsten Kunden persönlich verabschiedet habe, Just in dem Augenblick, wo ich gerade dabei war ein Teilgebiet der Muslime zu durchfahren erklang im Radio von Carl Maria von Weber der Freischütz und da prallten vor meinen Augen und Ohren Welten aufeinander, wie es schlimmer nicht sein konnte und es war mir klar unsere träumerische und zugleich trügerische Ruhe ist dahin und wird auch nie mehr wiederkommen, weil die dabei sind uns für ein Linsenmus zu verkaufen und die alten Geister… Mehr
Eine Sache gebe ich zu Bedenken, ob es immer nur am „Kapitalismus“ liegt. Stellen wir uns vor, ein Industriestandort hat den Großteil der Arbeitsplätze verloren und nur noch einen Rest übrig. Der Rest arbeitet in der Stadt im Handel, in der Infrastruktur, im ÖD und in den McJobs. Plötzlich kommt ein Investor und bietet an, eine Chemiefabrik bauen zu wollen, und zwar dort wo, sagen wir z.B., ein Stahlwerk gestanden hat. Es winken Arbeitsplätze für Chemiker Chemieingenieure Chemiefacharbeiter Lageristen und Bürokräfte. Ein Stück Wohlstand für die Mittelschicht würde zurückkehren. Was, wenn die Anwohner das nicht wollen? Wer ist dann schuld?… Mehr
Neulich traf ich anläßlich einer Feier die zwei Kinder einer guten alten Freundin nach langer Zeit einmal wieder. Erkundigte mich freundlich nach den beruflichen Perspektiven. Beide Akademiker Mitte 30 in guter Anstellung in der Großindustrie, IT und Facility Management. – – Da KAM rein garnix! – Ausser, selbstverständlich in vielen gewichtigen Worten verklausuliert: Wir machen so weiter bis zur Rente. Woraufhin ich „alter weißer Mann“ mich an meine „Dreißiger“ erinnerte und einen gewaltigen Fehler machte. Etwas sagte von „Aufbau, Chancen erkennen/nutzen“. Sie guckten mich nur an „wie der Ochs wenns blitzt“. Begriffen nicht im Entferntesten wovon ich überhaupt redete. –… Mehr
@ Rainer 12, Urvater Karl wusste schon (vereinfacht), dass es in der Endphase des Kapitaismus – wie er(!!!) ihn sah – nur noch eines kleinen finalen Schrittes bedürfen würde um das Eigentum der wenigen übrig gebliebenen „Monopol-Kapitalisten“ in Volkseigentum zu überführen um derart ins „Himmelreich des Sozialismus“ zu gelangen. Denn Gewinn, seit spätestens Karl umgangssprachlich abschätzig gerne mit „Profit“ bezeichnet ist per se „schlecht“. (Wobei anzubemerken ist, das schon die urspüngliche Begrifflichkeit eher – ganz allgemein – in Richtung „Nutzen“ geht als in Richtung von an Ende einer Handlungskette resultierenden Geldes mit dem man neues „Unternehmen“ schaffen kann.) – •… Mehr
Als Kind des Ruhrgebiets kenne ich die von Herrn Hellerberger genannte Mentalität der Mittelschicht genau. Den Egoismus der anywheres lernte ich in Frankfurt kennen. Mit Wut erinnere ich mich an Gespräche in den Jahren 2002 bis 2006 mit in der Finanzindustrie Beschäftigten, die ich zwangsläufig über die Kinder kennenlernte – es waren andere Eltern aus der Kita. Wenn du in eine neue Stadt kommst, musst du dir entweder Kinder oder einen Hund anschaffen, wenn du dazugehören willst. Was musste ich mir über den Manager von Mannesmann anhören, der D2 an Vodafone verkauft hat oder über Ackermann. Stets wurde mir das… Mehr
Wirklich ein „Grundproblem kapitalistischer Orddnungen“? Der Ami spart für sein Alter in den Aktien der großen Unternehmen seines Landes. Wenn die alle verschwinden, dann zahlt sowieso kein Staat mehr eine Rente. Anders gesagt: Die Hälfte der Amerikaner beteiligt sich direkt am Produktivkapital. Denn das ist ja das Schöne, dass der Widerspruch der „Interessen von Unternehmern und Kapitalbesitzern“ auf der Einen, und „nichtvermögenden abhängig Beschäftigten“ auf der anderen Seite, gar nicht zwangsläufig existiert. Der kleine Mann hat das Recht und in aller Regel auch die Chance, auf beiden Seiten zu stehen. Außer im Sozialismus! Nehmen wir da als Beispiel Deutschland. Hierzulande… Mehr
Es geht nicht um entweder Chancen, oder Risiken. Es geht um eine kluge Balance dazwischen, wenn ein Gemeinwesen gedeihen soll. Allerdings haben und hatten die Deutschen mit der Balance schon immer große Probleme. Maß und Mitte standen und stehen unter dem Generalverdacht der Inkonsequenz und des Spießertums. Die Schweizer allerdings sind damit die letzen 500 Jahre recht ordentlich gefahren. Etwas betulich, nie Weltmeister, aber dafür auch nie Waldmeister. Wenn ich nochmal geboren werde, will ich auch Schweizer werden. 🙂
Ich bitte Texaner.
* „Die Menschen wollen keine „Chancen“, sondern Sicherheit“ >> ja wie wahr -, je älter, desto mehr… als Land mit einer der ältesten Bevölkerungen der Welt, das auf eigenen Nachwuchs verzichtet, weil sie als „Treiber für den Wohlstand“ fungierte, fällt nicht in das „Wohlstandkoma“ sondern ins *Altersdelirium. Rollatoren werden Hochkonjunktur haben und Schnabeltassen gehen weg, wie Geschnitten Brot. Es wird nicht „Kapitalabbau und Disruption über Innovation“ geben, sondern Körperlicher Zerfall und mentales Siechtum mit geistiger Umnachtung. „Jeder Besenstiel wird gewählt“, der die Gesundheitsvorsorge in den Mittelpunkt rückt, siehe die „*Spahnische Corona – denn: “ Alte Männer machen keine Revolution“ lese… Mehr
Mal als Ergänzung von mir ein Kommentar, bitte auch die Leserbriefe darin lesen, wo ich mich als Kommentator erkennbar zeige:
http://georgtsapereaude.blogspot.com/2014/10/saettigungseffekte.html
Eins habe ich auch erlebt in meiner „Karriere“: Die Banken überredeten viele Unternehmer mit Krediten zu arbeiten! Welcher Unternehmer steht denn heute noch mit Gummistiefeln oder Sicherheitsschuhen in seinem Unternehmen? Mir fällt da immer nur Trigema ein! Es gibt noch ein paar andere, aber Unternehmer sind heute eher die Shareholder!