Die dienende Wissenschaft

Inzwischen genügt es, jedem beliebigen Wort das Suffix -forschung anzuhängen, und schon ist man ein Wissenschaftler, hat sogar eine neue Disziplin erfunden. Aus dem Narrativ ergibt sich die Narrativforschung, aus dem Diskurs die Diskursforschung und aus der Wissenschaft die Wissenschaftsforschung. Von Konrad Adam

IMAGO / Steinach
2008 wurde die Leopoldina in Halle zur ersten Nationalen Akademie der Wissenschaften Deutschlands ernannt

Donald Trump will aufräumen, überall auf der Welt, auch an Schulen, Akademien und Universitäten. Forscher und Lehrer blicken mit Sorge in die Zukunft, der eine oder andere soll sogar erwägen, nicht nur den Beruf, sondern auch das Land zu verlassen, vielleicht sogar in Richtung Deutschland. Das klingt nach Panik, und die ist selten ein guter Ratgeber. Bevor sie losfahren, sollten sich die Ausreisewilligen darüber klarwerden, was sie in Deutschland erwartet. Beispiele gibt es ja genug.

Das letzte stammt aus Würzburg. Dort hat es den Historiker Peter Hoeres erwischt, einen mutigen, unabhängigen und produktiven Mann, der eben deshalb bei den Sprücheklopfern, die im Studentenrat der Universität den Ton angeben, schlecht ankam. Hoeres steht damit freilich längst nicht mehr allein, seinem Berliner Kollegen Jörg Baberowski, der Biologin Marie-Louise Vollbrecht, dem Hamburger Ökonomen Bernd Lucke oder Michael Meyen, dem Medienwissenschaftler aus München, ist Ähnliches widerfahren. Sie alle sind Opfer des linken Mobs geworden.

Inzwischen kann es jeden treffen. Die deutschen Universitäten, seinerzeit Muster für alle Welt, sind zurück auf dem Weg ins Jahr 1933, als Martin Heidegger, damals Rektor der Universität Freiburg, gegen die negative, die bloß verneinende Freiheit vom Leder zog und für die neue, die positive, die Freiheit, Ja zu sagen, warb. Was damit gemeint war, hat wenig später einer seiner Schüler ausgesprochen, indem er das Glück pries, nun endlich von der Freiheit frei zu sein. „Heidegger weiß nicht, was Freiheit ist“, bemerkte Karl Jaspers damals lapidar; Jusos und Grüne Jugend wissen das auch nicht.

Damals, im Dritten Reich, beschränkte sich die Freiheit aufs Nachplappern von Schlagwörtern; heute auch. Es reicht, irgendjemandem, den man nicht mag, Etiketten wie sexistisch, rassistisch oder populistisch an den Rock zu heften; ihn rechts, neurechts oder rechtsextrem zu nennen; ihm prae- oder postfaschistische Tendenzen nachzusagen, und schon ist es um ihn geschehen. Er wird so lange denunziert und schikaniert, bis er einknickt; wenn nicht, wird kurzer Prozess gemacht. Dann folgen deutsche Studenten ihren französischen Vorbildern, den Jakobinern, die seinerzeit dekretiert hatten: Die bloße Anschuldigung genügt. Wer in Verdacht gerät, ist auch schon schuldig.

Die Obrigkeit macht nicht nur mit, sie geht voran. Um die akademische Freiheit nicht nur zu fördern, sondern aktiv zu fördern, hat sie sich eine Reihe von Schutzmaßnahmen ausgedacht, die von Lehrverboten und Kontaktsperren bis hin zum Verlust des Anspruchs reichen, an den Wahlen zur akademischen Selbstverwaltung aktiv oder passiv teilzunehmen, also zu wählen und gewählt zu werden. Dabei verlässt sich die Behörde auf die Arbeit von Zuträgern, die sich von ihren Vorgängern im nationalsozialistischen Studentenbund vor allem dadurch unterscheiden, dass sie verwaschene Jeans statt gestärkter Breeches tragen.

Die Jeansträger verlangen ein alternatives Lehrangebot und kritische Forschung – der Wissenschaftler soll Partei ergreifen, Haltung zeigen, Zeichen setzen und so weiter. Was damit gemeint ist, hat Hans-Ulrich Wehler, das Schulhaupt der Bielefelder Sozialhistoriker, vorgerechnet, als er seine Skizze über den Gang der deutschen Nachkriegswissenschaft mit der fröhlichen Bemerkung schloss, dass die Parteigänger der sozialliberalen Koalition nun endlich die knappe Hälfte aller Lehrstühle erobert hätten. Es geht um Geld und Stellen – und davon erhält die eine Partei natürlich umso mehr, je weniger die andere davon erhält.

Zu bieten hat die vereinigte Linke, bestehend aus Jusos, Grüner Jugend und GEW, inzwischen nicht mehr viel. Nach der Lehre ist auch die Forschung zum Massenartikel geworden, langweilig, routiniert und plakativ. An die Frauen-, die Küchen- und die Abfallforschung haben wir uns gewöhnt, aber das reicht nicht hin, um jedes Kind mit einem Steckenpferd zu versorgen. Inzwischen genügt es, jedem beliebigen Wort das Suffix -forschung anzuhängen, und schon ist man ein Wissenschaftler, hat sogar eine neue Disziplin erfunden. Aus dem Narrativ ergibt sich die Narrativforschung, aus dem Diskurs die Diskursforschung, aus beiden gemeinsam die narrativ fokussierte Diskursforschung, und aus der Wissenschaft die Wissenschaftsforschung. Der Fortschritt kennt eben keine Grenzen.

Große Forschungsförderungsorganisationen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft bekümmert das. Sie haben versucht, dem Fortschritt Grenzen zu setzen, ihn zu lenken und zu domestizieren. In umfangreichen Zielvereinbarungen haben sie ihre Mitarbeiter daran erinnert, dass Wissenschaft mit Wahrheit zu tun hat (oder hatte), und ihre Stipendiaten dazu angehalten, selbst zu forschen, ehrlich zu sein, vollständig zu berichten und nicht zu schummeln – lauter gute Vorsätze, aus denen aber nichts geworden ist, weil sie die Rechnung ohne die Wirtin gemacht hatten.

Die Wirtin, das war die Regierung, vertreten durch Annette Schavan. Als Doktorandin hatte sie geschummelt, es später dann aber zur Ministerin gebracht, zuständig für Forschung und Lehre. In dieser Eigenschaft hat sie ihr Amt dazu benutzt, die Wissenschaft ans Schummeln zu gewöhnen; durchaus erfolgreich sogar. Nachdem ihr die Universität Düsseldorf den Doktorgrad entzogen hatte, wurde sie umgehend für diesen schmerzlichen Verlust von einer anderen Universität, der Medizinischen Hochschule in Lübeck, mit einem Ehrendoktortitel entschädigt. Lübeck, eine klamme Neugründung, war von Schavan gepuscht worden. Dafür erzeigte sie sich nun erkenntlich.

Neulich hat diese Universität ihre Dankbarkeit noch einmal bezeugt, indem sie einen anderen aus Merkels Stall, den abgehalfterten Kanzleramtsminister Helge Braun, zum Präsidenten wählte. Die organisierte Wissenschaft benimmt sich wie ein Hofhund, der auf Kommando apportiert und cancelt, ja nach dem, was der Herr will. Damit das auch so bleibt, hat Frau Merkel die ehemals hochangesehene Gesellschaft der Naturforscher in Halle, die Leopoldina, zur Nationalen Akademie der Wissenschaften erhoben. Gestützt auf die grandiose Zahl von 1.700 Mitgliedern in aller Welt, hat sie die Aufgabe, die Regierung in heiklen Fragen zu beraten, im Zweifel also rauszuhauen. Was ihr mit ihren haarsträubenden Empfehlungen zur Corona-Politik auch fast gelungen wäre.

Die Regierung kümmert sich um alles, auch um die Forschung. Sie plant und lenkt und prüft, greift aus und ein; und ziemlich oft daneben. Südlich von Bonn, in Bad Godesberg, wo die Forschungsgemeinschaft und andere Wissenschaftsorganisationen bis heute ihren Sitz haben, hat sie ihr Denkmal aufgestellt, ein fünfzig Jahre altes Exemplar des Transrapid. Die Magnetschwebebahn ist in Deutschland entwickelt und gebaut, aber nie eingesetzt worden. Sie verkehrt nur in China, ist aber auch dort durch die bewährte Rad-Schiene-Technik ersetzt worden. Ein angestaubtes Museumsstück wirbt für den Wissenschaftsstandort Deutschland – was passt, weil diese Zukunft mittlerweile ziemlich weit zurückliegt.

Dr. Konrad Adam ist Journalist, Publizist und ehemaliger Politiker der AfD. Er war Feuilletonredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Chefkorrespondent und Kolumnist der Tageszeitung Die Welt in Berlin.


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Kommentare ( 11 )

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Raul Gutmann
10 Tage her

Auch jenen, die Heideggers Werk nur vom Hörensagen kennen, sollte seine Stellung als eines der größten Denker des 20. Jahrhundert bekannt sein.
Insofern wäre es wünschenswert, der promovierte Autor hätte sich aus Respekt gegenüber der wahren Wissenschaft, deren Füßen nationalstaatlich im Kaiserreich stehen, eines der vielfach vorhandenen anderweitigen Anekdoten bedient, um die hinlänglich bekannte Geringschätzung der Freiheit hierzuland zu veranschaulichen.

AJ
11 Tage her

Endlich räumt mal jemand auf, der Dreck hat ja völlig Überhand genommen.
Beim Aufräumen findet man natürlich immer die ein oder andere Leiche im Keller❗

Judith Panther
11 Tage her

… und so summt es unablässig in mir:

Ohne die Woken
Muß die Freiheit wohl grenzenlos sein.
Alles Gendern, alle Sorgen, sagt man,
bliebe ohne die Woken verborgen und dann
würde, was „woke“ groß und wichtig erscheint
plötzlich nichtig und piefig, spießig und miefig,
nichtswürdig, lächerlich, popelig, pupsig und klein.

Last edited 11 Tage her by Judith Panther
W aus der Diaspora
11 Tage her

Es ist gut möglich, dass Trump in den USA aufräumt, aber niemand sollte erwarten, dass er das auf der ganzen Welt macht. Das müssen in Europa schon die Europäer selber machen – in Deutschland halt die Deutschen. Da wäre es sicherlich sehr sinnvoll als allererstes alle Genderforschung zukünftig nicht mehr zu fördern und auch Vorlesungen etc. darüber zu unterlassen. Die Biologie sagt eindeutig, dass es nur zwei Geschlechter bei den Säugetieren und dem Menschen gibt. Ja, natürlich tun mir die 0,x Prozent leid, die mit einr Fehlbildung ihrer Genitalien auf die Welt kommen, mir tun auch die Menschen leid, die… Mehr

giesemann
11 Tage her

Wir Studiker um 1970 sind immer ins Labor geschritten, um der Wissenschaft zu dienen. Am Abend, nach vollbrachter Tat, gingen wir in die „Bierschwemme“, um dort über den Zustand der Welt zu sinnieren. Damals gab es gerade mal ca. drei Milliarden Erdenbürger – heute sind das mehr als acht. Echtzeit-Statistiken. Bevölkerungsuhr jeden Landes und Weltbevölkerungskonferenz: Neuer Anlauf für Frauenrechte – DW – 12.11.2019

FundamentalOpposition
11 Tage her

Ein guter Trick, mit Heidegger zu beginnen – verleiht der Sache den nötigen philosophischen Anstrich, selbst wenn die Route zur Freiheit über den Schwarzwald eher in die geistige Sackgasse führt. Was da als „Phänomenologie“ verkauft wird, ist oft nicht mehr als akademischer Schamanismus, der sich selbst nicht versteht. Und je weiter man sich vorwagt – Hegel, Nietzsche, Heidegger, Foucault, Derrida – desto absurder wird das Spektakel; ein pseudotiefes Lamento über Macht, Ordnung und die ewige Unfreiheit des Individuums. Das alles kulminiert im heutigen Universitätsbetrieb: ein intellektuelles Panoptikum, das sich im „Narrativ“ verirrt und sich selbst feiert, weil es keine echten… Mehr

Salvian
11 Tage her

Genau so ist es. Ein Beispiel: Als vor ein paar Jahren eine sogenannte „Debatte“ über die Praxis der Beschneidung von Jungen im Judentum geführt wurde, schossen plötzlich „Schmerzforscher“ wie Pilze aus dem Boden, von denen man weder vorher noch nachher je etwas gehört hat. Da es eine typisch deutsche Debatte war, bei der es nach Ansicht ihrer Wortführer immer nur eine moralisch zulässige Meinung gibt, in diesem Fall die Verurteilung der Beschneidung, kam den „Schmerzforschern“ die Aufgabe zu, der vorgefassten Meinung einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben.

MalNachgefragt
11 Tage her

Donald Trump will aufräumen, überall auf der Welt, auch an Schulen, Akademien und Universitäten. 

Indem er Milliarden an Forschungsgelder auch für MINT-Fächer und Medizin streicht und unliebsame Forscher aus dem Land treibt. Das kann auch ein Ansatz für Ordnung sein: Wer kaum mehr was hat, dem fällt aufräumen leicht.

Raul Gutmann
11 Tage her

Donald Trump will aufräumen, überall auf der Welt, auch an Schulen, Akademien und Universitäten.

Donald Trump verkörpert den „gesunden Menschenverstand“
Alle Bürgerlichen im Westen sollten mehrmals am Tag für ihn als Politiker beten.
„Die einzigen beiden Menschen auf der Welt, die uns heute Klarheit geben, sind Donald Trump und Gerhard Ludwig Müller“, Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. 

Raul Gutmann
11 Tage her

Wiederholt kann man festzustellen, der Glaube ist in Deutschland weit verbreitet, wenn auch natürlich nicht seiner christlichen Fasson, sondern in unvorteilhaften Degeneration: Die Religion der Gottlosen ist der Aberglaube.
Oder in den Worten Chestertons: »Wer nicht an Gott glaubt, glaubt nicht an nichts, sondern an allen möglichen Unsinn«
Die realpolitischen Folgen: Masseneinwanderung, Zerstörung der Energieversorgung, Corona, Klimawahnsinn („die Erde brennt“).
»Unsere Gesellschaft hält sich für wunder wie aufgeklärt, aber ihre kollektiven Hysterien unterscheiden sich kaum von den mittelalterlichen Veitstänzen.« Michael Klonovsky