Seit 15 Jahren steht Angela Merkel an der Spitze der CDU, seit knapp zehn Jahren ist sie Bundeskanzlerin.
Damit regiert sie schon länger als die SPD-Kanzler Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. In den Umfragen rangiert die Union stabil über 40 Prozent und mehr als 15 Punkte vor der SPD. Das ist bundespolitisch eine stolze Bilanz.
Dass ausgerechnet das „Mädchen“ aus dem Osten die CDU wieder an die Regierung bringen werde, hatten ihr in der eigenen Partei kaum jemand zugetraut, ebenso unter den journalistischen Beobachtern. Der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder höhnte sogar, er habe so seine Zweifel, ob Merkel wenigstens die CDU in den Griff kriegen werde. Nun ja, fünf Jahre später hatte sie Schröder im Schwitzkasten.
Bei allen Unterschieden zwischen dem ewigen CDU-Vorsitzenden Helmut Kohl und seiner Nachfolgerin gibt es eine Gemeinsamkeit: Beide haben die Partei auf sich zugeschnitten. Kohl hatte die CDU zuerst modernisiert und später ihre eher konservative Ausrichtung betrieben. Das Parteivolk stand treu zu ihm – jedenfalls so lange, wie er Erfolg hatte.
Bei Merkel ist es ähnlich: Sie brachte die CDU zunächst auf einen marktwirtschaftlichen Kurs, den ihre Gegner dank ihrer ungenügenden Kenntnisse in Wirtschaftsgeschichte als neoliberal denunzierten. Aber kaum war sie Kanzlerin, erwies sie sich als Großmeisterin des politischen Pragmatismus‘. Im Zweifelsfall schaut sie eher auf die Zahlen der Meinungsforscher als ins Parteiprogramm. Lösungen, die in der Bevölkerung auf breite Zustimmung stoßen, sind ihr wichtiger als das ideologische Tafelsilber. Die Partei murrt bisweilen, steht aber zu ihr – weil sie Erfolg hat.
Als Merkel ihr Amt vor 15 Jahren auf dem Bundesparteitag in Essen antrat, wollte sie die CDU gesellschaftspolitisch auf Kurs halten. Ihr striktes Nein zur rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften mit der Ehe unterstrich dies. Schon als Frauenministerin hatte sie sich nicht für eine gesetzliche Frauenquote eingesetzt und dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz den Vorzug vor der Ausweitung der Krippenbetreuung gegeben. Fünf Jahre später in ihrer ersten Großen Koalition galt das alles nicht mehr.
In der Wirtschaftspolitik war es dagegen anders. Da wollte die neue CDU-Vorsitzende ihre Partei zurück zu den Wurzeln führen, zurück zu Ludwig Erhard. In Essen forderte sie beispielsweise: „Wir müssen die Arbeitsmärkte auch nach unten öffnen, indem wir einfache Arbeit bezahlbar machen, auch niedrig bezahlte Jobs anbieten und Anreize für die Arbeitnehmer schaffen, dass diese auch angenommen werden.“
Knapp drei Jahre später, auf dem Leipziger Reform-Parteitag, verordnete Merkel ihrer Partei dann das marktwirtschaftlichste Programm, das die CDU jemals hatte. Steuervereinfachung und Steuersenkung („Steuererklärung auf dem Bierdeckel“) waren ebenso Kernpunkte wie die Umstellung der staatlichen Krankenversicherung von einem Umverteilungs- auf ein Prämienmodell („Kopfpauschale“). Das Leistungsprinzip sollte ungeachtet der notwendigen Solidarität wieder Vorrang vor dem Gleichheitsprinzip erhalten. Ebenfalls in Essen gefordert und beschlossen: die Rente mit 67.
Selten hat eine Partei programmatisches Neuland so entschlossen betreten, wie die Merkel-CDU zwischen 2000 und 2003. Und noch nie hat eine Partei dieses Terrain wieder so sang- und klanglos geräumt wie die Merkel-CDU nach 2005. Die großen Arbeitsmarkt- und Sozialreformen, von denen das Land heute noch zehrt, wurden von der rot-grünen Koalition auf den Weg gebracht. Seitdem sind sie von zwei Großen Koalitionen unter Führung der CDU/CSU verwässert und teilweise konterkariert worden. Selbst in ihrer „Wunschkoalition“ mit der FDP haben sich Merkel und die CDU nicht mehr ihrer ordnungspolitischen Prinzipien erinnert.
Niedriglohnsektor für Flüchtlinge
Was die Öffnung der Arbeitsmärkte „nach unten“ angeht, hat die GroKo mit dem gesetzlichen Mindestlohn genau das Gegenteil getan: Die Märkte sind nach unten geschlossen worden. Dabei wäre der von Merkel vor 15 Jahre geforderte „Niedriglohnsektor“ heute angesichts der Flüchtlingsströme noch notwendiger. Die Regierung will die Asylbewerber schnell arbeiten lassen, was richtig ist. Aber wie viele Arbeitgeber werden solchen Migranten, die ohne Ausbildung und ohne Sprachkenntnisse sind, 8,50 Euro in der Stunde zahlen?
Unter Führung Angela Merkels wird Deutschland pragmatisch, nüchtern und durchaus erfolgreich regiert. Wo CDU draufsteht, ist nach 15 Jahren Merkel jedoch nicht mehr dasselbe drin wie zu Beginn ihrer Ära. Natürlich muss sich jede Partei an gesellschaftliche Veränderungen anpassen. Natürlich kann keine Partei in einer Koalition – ob groß oder klein – ihre Ziele eins zu eins umsetzen. Aber bei der CDU ist heute kaum noch auszumachen, nach welchem Kompass sie sich richtet – nicht zuletzt in der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Auch wenn die CDU laut Umfragen wirtschaftspolitisch unverändert als kompetenter eingeschätzt wird als die SPD: Wer in der CDU nach der einst für diese Partei charakteristischen Wirtschaftskompetenz Ausschau hält, braucht eine Lupe.
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