Deutschlands Klimapolitik und Putins Krieg

Seit dem Ukraine-Krieg ist auch die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Gas ein Thema. Im Hintergrund bleibt allerdings die Frage, wie weit das aggressive Vorgehen Putins von der jahrelangen, linksgrünen Energiepolitik der Bundesregierung begünstigt worden ist. Von Giuseppe Gracia

IMAGO / SNA

In Deutschland ist die moralische Entrüstung über den Ukraine-Krieg so groß wie überall im Westen. Und groß ist auch die Abhängigkeit Deutschlands von russischem Öl und Gas. Die Industrie braucht Energie, die Bewohner sollen nicht frieren. Also zahlen die Deutschen jeden Tag Millionen an Russland und sorgen dafür, dass der Rubel weiter fließt, während in der Ukraine das Blut fließt.

Warum ist Deutschland Russland so ausgeliefert?

Wenn deutsche Politiker und Opinion Leaders die internationalen Sanktionen unterstützen und sich an der medienwirksamen Verurteilung Putins beteiligen, dann tun sie das, ohne auf die Millionenzahlungen an Putin zu verzichten. Eine Zwangslage, die zu denken gibt. Wie kann man von Russland unabhängiger werden, um das moralische Dilemma zu lösen? Antworten können nur so gut sein wie die Analyse des Problems. Ohne Diagnose keine passende Therapie. Was wäre jedoch in diesem Fall eine gute Diagnose? Warum sind Länder wie Frankreich oder Großbritannien den Russen nicht in gleicher Weise ausgeliefert wie Deutschland?

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Der Unterschied liegt vor allem in der Energie- und Verteidigungspolitik. Im Vergleich zu Deutschland haben weder das Vereinigte Königreich noch Frankreich die Industrie, die Grundversorgung oder das Militär aufs Spiel gesetzt für den Traum einer international befriedeten, emissionsfreien Zukunft. Stattdessen baut Frankreich neue Kernkraftwerke und achtet auf militärische Stärke. Die Briten sind Partner der USA, genau wie Italien. Nur Deutschland scheint das Land der Romantik und des Idealismus bleiben zu wollen.

Heute sind es grüne Romantiker und rote Idealisten, die im Bundestag den Ton angeben. Die Kernkraft wurde abgebaut, die fossile Energie verteufelt. Dies hat nicht nur in die Abhängigkeit von Russland geführt oder in die Schwächung der Deutschen Industrie, sondern auch in die militärische Impotenz. Allerdings nicht aufgrund einer traditionell linken oder grünen Politik, die früher einmal von der Sorge um die sozial Schwachen oder um die Natur getragen war.

Klimapolitik: Eine Politik nach dem Prinzip Utopia

Hier geht es um eine gänzlich von der Wirklichkeit abgekoppelte Politik. Man orientiert sich am Traumgebilde einer besseren, globalisierten Welt und hält den starken, kampfbereiten Nationalstaat für veraltet, ja für rechtsnational-reaktionär. Und man steckt seine Energie lieber in den Klimaschutz als in die nationale Versorgungssicherheit. Eine Politik nach dem Prinzip Utopia, im Dienst einer moralisch wie klimatisch gesäuberten Menschheit.

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Die Frage ist wichtig, ob Putin die Ukraine auch dann angegriffen hätte, wenn man im Kreml nicht zur Überzeugung gelangt wäre, dass der Westen keine Kampfbereitschaft hat, dass insbesondere Deutschland für Russland keinerlei Gefahr darstellt. Eine Frage, auf die kaum jemand eingeht. Im Gegenteil versuchen linke und grüne Politiker die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Abhängigkeit von Russland bedeute, dass man endlich ganz auf erneuerbare Energien umsteigen müsse. Ganz so, als sei es wirtschaftlich und wissenschaftlich möglich, die steigenden Energiebedürfnisse einer digitalen Industrienation mit Windrädern und Sonnendächern zu befriedigen. Und als würden Nationen wie Frankreich oder die USA deshalb neue Kernkraftwerke bauen, weil ihnen das Klima egal ist.

Man will nicht wahrhaben, dass eine emissionsfreie Technologie à la „Star Trek“ („Raumschiff Enterprise“) noch nicht erfunden wurde und wir im realen 21. Jahrhundert nach wie vor angewiesen sind auf die fossile Energie. Vor allem will man nicht einsehen, dass es gerade die grünen Utopien waren, die fatale Abhängigkeiten geschaffen und unabsichtlich russische Kriegspläne forciert haben. Utopistische Politiker können großen Schaden anrichten, ähnlich wie ein Schlafwandler, der während eines schönen Traums auf die Straße geht und, ohne es zu merken, tödliche Unfälle provoziert.

Utopisches Denken entspricht allgemeinem Trend in Westeuropa

Bedauerlicherweise entspricht das utopische Denken einem allgemeinen Trend in Westeuropa. Das zeigt sich bereits darin, dass der Westen als erfolgreichste Zivilisation der Geschichte systematisch schlecht geredet wird. Ob Fridays for Future, Gender-Feminismus, Antifa oder Black Lives Matter: Stets gilt der Westen als weiße Täterkultur, als historischer Brutkasten von Frauenverachtung, Homophobie und Faschismus. Dabei wird die Realität im Rest der Welt schlicht ausgeblendet. Wie steht es um Rassismus, Menschenrechte, Wohlstand oder die Selbstbestimmung der Frau in arabischen Ländern? Wie steht es um Machtpolitik und Klimasünden in China? Solche Fragen sind unerwünscht, denn es geht den Utopisten nicht um einen Realvergleich der Kulturen, sondern nur darum, den Ruf nach einem „Systemwechsel“ zu legitimieren.

Putins Angriff auf die Ukraine könnte ein Weckruf sein. Der Angriff könnte die Chance sein, die Traumtänzer des Antikapitalismus und der Klimarettung zurückzubinden und sich einem neuen Realismus zu öffnen, sodass geopolitische Realitäten und Machtverhältnisse wieder ernst genommen werden.

Eine Politik, die in der Lage ist, Verantwortung für eine Nation zu übernehmen, muss mit der potenziellen Größe und den potenziellen Abgründen der realen Menschheit rechnen, ohne dabei zynisch oder naiv zu werden. Natürlich braucht es Idealismus, doch immer mit Bodenhaftung. Und Bodenhaftung bedeutet in einer Demokratie, mit der Politik nicht den Himmel auf Erden zu versprechen, sondern statt Visionen besser dem lebensdienlichen Kompromiss zu folgen. Wie schon Helmut Schmidt sagte: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“


Giuseppe Gracia (54) ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neues Buch «Die Utopia Methode» (Fontis Verlag, 2022) beleuchtet die Gefahren utopischer Politik.

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Kommentare ( 35 )

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abel
2 Jahre her

Sehe ich auch so. Deutschland hat fertig. Beim Versuch Wertemäßig es jedem Recht zu machen, außer einem großen Teil der eigenen Bevölkerung ging wohl so alles in die Hose.

abel
2 Jahre her

Na hoffentlich merken die noch in Berlin rechtzeitig das ein Staat ohne Polizei hoffnungslos untergeht.

abel
2 Jahre her

Man muß aber auch erwähnen daß das Billiggas aus Russland unserer Wirtschaft erst zu großen Erfolgen verholfen hat. Da gab es schon eine Win-Win Situation.

abel
2 Jahre her

Die Welt-Klimaziele wurde in sage und schreibe 3-Monaten von Russland und der Ukraine weggebombt und der Wertewesten hat mit den Sanktionen noch das Sahnehäubchen draufgesetzt. Wer jetzt noch ernsthaft in Deutschland und dem Rest der Welt von irgendwelchen Klimazielen träumt (es war sowieso nur ein Traum )der sollte wirklich nach Bullerbü auswandern.

Paul Brusselmans
2 Jahre her

Seit über 20 Jahren zieht sich eine Spur der gesellschaftlichen Selbstvernichtung durch Deutschland, mit einem schleichenden Untergang von Energieerzeugung, Industrie, Bildung. 1945 gab es noch eine Industrie, Fachleute und den Aufbauwillen. Ingenieure statt Sozialarbeitern und Wokenessforschern. Das Land, vor allem das Sozialsystem, ein System der nationalen! Versicherung und Solidarität, jedem offen, der über zahllose Grenzen wandernd angeblich nach «Asyl» sucht, damit bereits die immer noch gültigen rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, oft unwillens und unfähig, sich zu assimilieren und beizutragen. Hier braucht es keine Bomben, an deren Stelle offene Grenzen und Selbstvernichtung treten. Beispielhaft das Urteil des Verfassungsgerichtes zum CO2. Flucht… Mehr

RMPetersen
2 Jahre her

„… und sorgen dafür, dass der Rubel weiter fließt, während in der Ukraine das Blut fließt.“

Was soll die Unterstellung, dass es vornehmlich die Einnahmen aus Deutschland aus den russischen Energieexperten sind, die den dortigen Staatshaushalt finanzieren?
Beispiel Erdöl: 2021 importierte Deutschland 19 mio. t, aber Niederlande 73 mio. t, und China mehr ls 70 mio t.
Russland nimmt für Öl- und Gas-Exporte jährlich mehr als 250 Mrd. USD ein, wegen der höheren Weltmarktpreise werden es 2022 mehr als 330 Mrd. sein.
Deutschlands Anteil an diesen Einnahmen liegt unter 20 Mrd. USD. Weshalb wird er moralische Zeigefinger auf uns gerichtet?

RMPetersen
2 Jahre her
Antworten an  RMPetersen

Sorry Schreibfehler: Niederlande > 37 mio t, nicht 73.

Alf
2 Jahre her

Es sind nicht nur grüne Romantiker und rote Idealisten, denen wir den Zustand des Landes zu verdanken haben. Auch die schwarzen und gelben Politdarsteller haben maßgeblich dazu beigetragen, Deutschland (nicht nur) ins energiepolitische Abseits zu führen. Sie haben alles mitgetragen, an keiner Stelle Einspruch erhoben. Im Nachhinein zu sagen, wir haben uns geirrt – ist nicht nur unbehelflich, sondern wenig glaubwürdig.

HRR
2 Jahre her

„Warum sind Länder wie Frankreich oder Großbritannien den Russen nicht in gleicher Weise ausgeliefert wie Deutschland?

Die Antwort darauf ergibt sich aus der nachstehenden Aussage des polnischen Premierministers Morawiecki, bezogen auf die Energiepolitik Polens.
„keine Wiederholung dieser dummen, kriminellen und schlechten Politik geben, die uns von Russland abhängig gemacht hat und die russische Volkswirtschaft finanzierte, damit Putin und Russland ihr Kriegsarsenal aufbauen und ihre Nachbarn angreifen konnten.“ (Quelle: DWN 02.04.2022)
Gerne hätte ich ein derartiges Eingeständnis auch von einem deutschen Politiker im Hinblick auf die deutsche Energiewende gehört.

Waldorf
2 Jahre her

Nicht umsonst wird Deutschland oft „LalaLand“ genannt… Utopia ist das Heimatland insb der „Grünen“, die als rein urbane Bewegung zwar mit Natur herzlich wenig zu tun haben, aber sich selbst wenigstens für allwissend und unfehlbar halten. Wenig überraschend, sind „die Grünen“ DIE Partei für LehrerInnen, akademische, soziale Helferberufe und höhere Tätigkeiten beim Staat oder seinen Auswüchsen in Wohlfahrt etc Dieses Milieu ist rglm Lichtjahre von Militär oder Wirtschaft entfernt sozialisiert, kümmert sich schlicht nicht um Sachzwänge, sondern folgt nur ihren Idealen. Das sind simple gesprochen: Der Staat ist eine einzige große Beglückungsmaschine, die jeden und alles zu versorgen hat, nicht… Mehr

Cubus
2 Jahre her

Wo soll das Gas denn sonst herkommen? Russland ist unser natürlicher Handelspartner. Es sind die Angelsachsen, die das seit mehr als 120 Jahren unterlaufen:

Lord Ismay; Genaralsekretär der Nato von 1952 bis 1957, hat es auf den Punkt gebracht: US in, Germany down, Russia out. Leider gilt diese Maxime bis heute, ebenso die geostrategischen Betrachtung eines Halford Mackinder, der, ebenso wie Brzezinski, die Ukraine als Schlüsselstaat sieht, das „Herzland“ zu beherrschen.

Quelle: Cubus