Tichys Einblick
Erfahrungsbericht

Demonstration in Kassel: Deutsche Medien berichten wie vom anderen Stern

Was die Medien über die Demonstration in Kassel am 20. März berichten, hat wenig mit dem zu tun, was man dort als Augenzeuge erlebte. Von Egmond Prill

Demonstration am 20. März in Kassel

Egmond Prill

Lange habe ich gezögert, den Begriff „Lügenpresse“ zu verwenden. Nicht zuletzt der Respekt vor Journalisten und Redakteuren, die ihr Handwerk beherrschen und entsprechend berichten: „Sagen, was ist.“ Kassel erlebte am 20. März bei Kaiserwetter eine weitgehend friedliche Demo gegen Merkel und die Corona-Politik mit endlosem „Lockdown“. Volksfeststimmung auf dem Messegelände „Schwanenwiese“. Die Innenstadt proppevoll mit Familien und vielen Jugendlichen! Solidaritätszeichen seitens der Polizei, die weitgehend gelassen und kooperativ war. Wiederholt wurde von der Bühne der Polizei gedankt!

Und dann sah ich um 18:45 Uhr RTL, und schließlich um 19 Uhr Petra Gerster im ZDF, die von „massiven Ausschreitungen“ und „sogenannten Querdenker************innen“ sprach und nur wenige Sekunden von der Demo (!) und einen Polizeizugriff zeigte – nicht ersichtlich, ob gegen Leute der Demo oder der Gegendemo.

Journalismus geht anders: Augenzeuge sein, das Ohr bei den Leuten haben und das als Nachricht melden. Fair und transparent auch Meinungen und Gegenmeinungen präsentieren, um Leser und Zuschauer in die Lage zu versetzen, sich eine eigene Meinung zu bilden. Auch der Journalist kann neben der Meldung seine Meinung in einem eigenen Kommentar äußern. Doch das alles ist Schnee von gestern.

Hier nur in Kürze: Kassel war ein Fest, geschätzt 35.000 bis 40.000 Leute aus ganz Deutschland und das bei Kaiserwetter. Fast allerorts herrschte fröhliche Frühlingsstimmung, auf dem Messegelände „Schwanenwiese“ und auch in der Innenstadt. Viele Leute auf Decken in der Sonne, die sogar ihren Müll aufräumten. Menschen mit „Peace“-Zeichen und Regenbogenfahnen, Israelflaggen und die deutschen Farben; Buddhisten, Christen, sogar antikapitalistische Linke friedlich mit knallroten Fahnen. Ein Fest der Menschen mit der Sehnsucht nach Freiheit und Leben. Gegen 14:30 Uhr trafen Leute aus Richtung Schwanenwiese über die Fuldabrücke kommend mit dem Demonstrationszug, der sich vom Friderizianum in Bewegung gesetzt hatte, am Altmarkt zusammen.

Mittendrin Polizeikräfte, vermutlich mit dem Ziel, die Kreuzung zu räumen, damit die Straßenbahnen rollen. Zwei Wasserwerfer standen auf der Kurt-Schumacher-Straße Richtung Altmarkt und spritzen kurz in die Menge. Kein massiver Einsatz. Vorsichtig formuliert: Ein Zeichen für die Demonstranten: Geht! Und vielleicht auch ein Bild für die Presse, damit es die Schlagzeile gibt: „Wasserwerfer stoppen gewaltbereite Querdenker!“ 

Ich hatte Tränen in den Augen – es kamen so viele Erinnerungen an 1989. Ich war Jugendpfarrer in Sachsen, erlebte Aue, Schwarzenberg und Leipzig. Wir hatten damals noch eine Wohnung in Ostberlin nahe Ostkreuz. Ich stand am 5. Oktober 1989 am Fenster, als spätabends gepanzerte Fahrzeuge und Mannschaftswagen in die Seitenstraßen zur Karl-Marx-Allee / Frankfurter Allee einfuhren. Ich war damals direkt dabei und gestern wieder – in Kassel.

Die offizielle Kirche war nicht zu sehen, stattdessen gab es eine erbärmliche Erklärung der Bischöfin von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann: „Freie Meinungsäußerung ist ein hohes Gut, für dessen Wahrung wir uns einsetzen. Aber ein Verhalten auf einer Demo, das Corona-Regeln nicht beachtet und mutwillig Ansteckungsrisiken in Kauf nimmt, ist kein sinnvoller Ausdruck der freien Meinungsäußerung, sondern höchst fahrlässig und verantwortungslos.“ Nein, verantwortungslos und gottlos ist es, sich vom Volk abzuwenden und kritiklos die Geige der Mächtigen zu spielen. In Deutschlands Diktaturen haben sich Geistliche oft um den Preis des Lebens gegen Staatswillkür und für die Freiheit eingesetzt.

Und sonst: In den deutschen Medien nur kurz bei n-tv: Am 20. März gab es Demonstrationen gegen die willkürliche Beschränkung der Freiheit und gegen die überzogene Coronapolitik: in Amsterdam, London, Malmö, Wien und anderswo. 

Was bleibt? Die Erinnerung an einen sonnigen Tag voller Lebensfreude und zugleich voller Ablehnung der gegenwärtigen Regierungsmaßnahmen. Die laute Forderung aus dem Volk: Schluss mit der völlig verfehlten Corona-Politik von Markus Söder und Kanzlerin Angela Merkel – und die Erkenntnis: „Wir wissen, sie lügen. Sie wissen, sie lügen. Sie wissen, dass wir wissen, sie lügen. Wir wissen, dass sie wissen, dass wir wissen, sie lügen. Und trotzdem lügen sie weiter.“ (Alexander Solschenizyn). Und für einen Theologen mit dem Blick in die Bibel die Einsicht:

So offenkundig ist die Herrschaft der Lüge wie es vorzeiten der Prophet Jesaja (5,20+21) schrieb: „Weh denen, die Böses gut und Gutes böse nennen, die aus Finsternis Licht und aus Licht Finsternis machen, die aus sauer süß und aus süß sauer machen! Weh denen, die weise sind in ihren eigenen Augen und halten sich selbst für klug!“ 


Egmond Prill ist Evangelischer Theologe und Publizist.

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