Zur Unfreiheit der Medien kommt in Putins Russland eine zunehmende Vereinnahmung der Sprache selbst, die durchaus schon an Orwells 1984 erinnert. Am deutlichsten wird das in der Verwendung des Begriffs "Faschismus".
Im Westen redet man viel über Russland und die Russen – und wenig mit ihnen. Vor Jahren lernte TE-Autor Max Roland den St. Petersburger Studenten Georgiy Ostrow in Deutschland kennen. Er berichtet für TE von seinem Leben in Putins Russland. Diesmal über den Missbrauch der Sprache im Dienste des Regimes.
„Krieg ist Frieden! Freiheit ist Sklaverei! Unwissenheit ist Stärke!“ Sich in eigener Beschreibung der heutigen Realität auf George Orwells dystopischen Roman 1984 zu beziehen, ist in Russland zum schlechten Benehmen geworden. Denn was der Autor als Schrecken eines totalitären Regimes bezeichnete, entspricht durchaus den Attributen von Putins Herrschaft. Zu diesen Attributen gehört „Neusprech“, eine Sprache, die durch Parteiideologie und parteibürokratische Wendungen verstümmelt wurde.
In der Print- und Digitalpresse ist alles etwas besser: Nominell gibt es unabhängige und oppositionelle Zeitungen. Sie sind jedoch gezwungen, jedes ihrer Produkte mit dem Zusatz „ausländischer Agent“ zu kennzeichnen, sonst werden sie gesperrt. Um Zugang zur unabhängigen Presse zu erhalten, müssen die Russen dementsprechend entweder Telegram benutzen oder eine VPN-Verbindung – was aufgrund von Sanktionen jetzt nicht mehr bezahlt werden kann. Die meisten der in den Provinzen lebenden russischen Bürger, die sich aus Zeitmangel nicht allzu sehr für Politik interessieren, weil sie ihren Lebensunterhalt verdienen müssen, verfügen nicht über solche Mittel, um Zugang zu freien Informationen zu erhalten. Ihre Welt wird beherrscht von staatlicher Propaganda, einem breiten Netz von Kreml-Kanälen, Radiosendern und Zeitungen, die die gleiche Politik und die gleichen Richtlinien verfolgen. Zu diesen Richtlinien gehört der bereits erwähnte „Neusprech“.
Putins Neusprech ist die Bezeichnung für die Wörter und Konzepte, die in den letzten Jahren in den Medien, in der Rhetorik von Beamten und Behörden weite Verbreitung gefunden haben. Offenbar erhalten die Leiter der Medien und der Pressedienste der Ressorts einmal pro Woche bei Planungstreffen mit dem ersten stellvertretenden Leiter der Präsidialverwaltung Anweisungen, in welcher Sprache sie über die Nachrichten berichten sollen. Möglicherweise entsteht dort das Neusprech des Putinismus, ja ein neues Vokabular. Hier sind einige Beispiele für diese politischen Euphemismen:
„Klaps“ – Explosion. Auch wenn eine Tonne Sprengstoff in die Luft geflogen ist, es ist immer noch Klaps. Erst mit steigender Opferzahl ändert sich die Terminologie.
„Rauch“ – Brand. In der Regel wird es durch unvorsichtige Entstehung mit Feuer oder durch Zufall erklärt, etwa durch eine „Zigarette“ auf dem gesunkenen Schiff „Moskwa“.
„Harte Landung“ – ein Flugzeugabsturz bei einer Kollision mit dem Boden; das Flugzeug stürzte ab und brannte.
„Provokation“ – alle aktiven Aktionen, die die Behörden oder die Polizei in ein schlechtes Licht rücken wollen (insbesondere, wenn diese Aktionen die Regierung selbst in ein schlechtes Licht rücken).
„Weltpraxis“ – ein selektiver Hinweis auf die Auslandserfahrung in einigen Ländern, der von den Behörden als Rechtfertigung für unpopuläre Maßnahmen und volksfeindliche Gesetze verwendet wird. Zum Beispiel: Kennzeichnung „ausländische Agenten“ in den USA oder das NetzDG in Deutschland.
„Importsubstituierende Industrialisierung“ – Staatliche Unterstützung nicht wettbewerbsfähiger russischer Produkte nach dem Embargo für europäische Waren.
„Russlands nationale Interessen“ – ein Simulacrum; abstrakte, zweifelhafte oder kostspielige Ziele, die durch die Geopolitik gerechtfertigt sind.
Und last but not least: „Spezialoperation” – ein Angriffskrieg. Für die Verwendung des Begriffs „Krieg“ in Russland kann man nach dem Gesetz gegen „Fake News“ für 15 Jahre ins Gefängnis gehen.
Das ist übrigens ein weiteres Zeichen des Faschismus: die Identifikation des Anführers mit dem Staat. Die Staatspropaganda bedient sich in Demokratiedebatten seit langem eines rhetorischen Mittels: „Wenn nicht Putin, wer dann?“, „Ohne Putin kein Russland!“. Ja, wer denn auch, wenn alle würdigen Menschen wegen erfundener Fälle im Gefängnis sitzen, getötet oder zur Emigration gezwungen werden?
Aber der dreisteste Ausdruck der Relativierung von Begriffen (, deren sich übrigens auch die Linken im Westen gerne schuldig machen) ist der berüchtigte „Faschismus“ selbst. Er war es bekanntlich, der als Vorwand diente, um einen Krieg mit der Ukraine zu beginnen: „Faschistische Kiewer Junta“, „ukrainische Nazis“, ist aus den Sprachrohren der Propaganda zu hören.
Aufgrund der Häufigkeit des Gebrauchs ist dieser Begriff so entwertet worden, dass heute niemand mehr genau weiß, was wirklicher Faschismus ist. Aber genau das wollte Putins Propaganda erreichen. Um es unmöglich zu machen, Parallelen zu seiner Regierungszeit zu ziehen. Wie Orwell in seinem Essay „Politics and the English Language” schrieb: „Wenn Sie nicht wissen, was Faschismus ist, wie können Sie ihn bekämpfen?” Wenn die Einheitsfront der staatlichen Medien einen Flugzeugabsturz eine „harte Landung“ und die in Sibirien wütenden Waldbrände „Rauch“ nennen kann, dann ist das in einem von oppositionellen Zeitungen geräumten Medienfeld wirklich eine „harte Landung“ und „Rauch“. Das ist die Macht der Sprache. Und wenn alles drumherum Faschismus ist, dann ist nichts Faschismus.
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Wie deutsche Politiker die deutsche Sprache manipulieren und uns mindestens im selben Maß mit Propaganda zu sch…., wie es die Russen tun.
Ein Gastkommentar.
Egal wie sich Deutschland verhält, der Ausgang wird derselbe sein. Wir werden im kommenden Jahr frieren oder am Tropf anderer Despoten hängen. Wir hätten es in der Hand gehabt, mal Stärke zu zeigen. Stattdessen regelt Putin die deutsche Gaswirtschaft ab und demonstriert seine Macht. Unsere derzeitige Regierung ist so schwach. Nur um an ihrer „Klima-Wende“ festzuhalten, drehen sie den Hahn nicht zu und gehen den Krieg mit, nur immer so weit, wie ihre Wähler es tolerieren. Da fehlt es einfach an Stärke und Willen. Putin macht eh, was er will. Unsere Regierung entscheidet nicht über den Ausgang, nur über unser… Mehr
„Aufgrund der Häufigkeit des Gebrauchs ist dieser Begriff so entwertet worden, dass heute niemand mehr genau weiß, was wirklicher Faschismus ist. Aber genau das wollte Putins Propaganda erreichen.“
Völlig korrekt. Aber ich kann mir nicht helfen, irgendwie hat er das auch wieder vom Westen abgekupfert. Aber wie so oft, den Russen mangelt es an Originalität.
Letztlich ist dieses Kreml- Sprachspiel recht primitiv. Von daher ist nicht auf Dauer medienwirksam. Man kann damit nur einige alte Leute auf dem Lande einlullen, mehr nicht. Es wirkt leider in Kriegszeiten, wo man sich positionieren muss und in der Regel hinter die eigene Macht stellt, aber auf Dauer und in zivlen Zeiten ist soetwas nicht wirksam.
Zu dieser Art von Artikeln fällt mir angesichts der eklatanten notorischen Missstände in Deutschland und EU spontan folgendes Jesuswort (Mt 7,3-5) ein:
„Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge, und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?
Oder wie darfst du sagen zu deinem Bruder: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen, und siehe, ein Balken ist in deinem Auge? Du Heuchler, zieh am ersten den Balken aus deinem Auge; darnach siehe zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!“
Sie haben absolut Recht! Aber leider, erkennt man in vielen Punkten, eine in Deutschland aufkeimende DDR 2.0. Wir sind zwar bei weitem noch nicht so rigoros wie Putins Schergen, aber unsere Linksgrünen sind auf einen guten Weg. Einen sehr guten Weg.
Kaum ein Land verunstaltet seine Sprache mehr mit „Neusprech“ und Gender-Gegacker als unser Land, Deutschland. Fangen wir an, vor der eigenen Haustür und im eigenen Haus zu kehren. Das täte uns gut. Und vielleicht bekämen wir ja dadurch wieder eine neue Hoffnung auf eine Zukunft für unser Kinder und Enkel im eigenen Land.
Bevor „wir“ wieder mit dem moralisierenden Zeigefinger auf andere Länder zeigen, sollten wir zuerst vor der eigenen Haustüre kehren. Die Sprachpolizei wütet doch gerade in Deutschland seit geraumer Zeit besonders stark. Das hat Herr Ostrow, den der Autor bereits „vor Jahren“ als Student in Deutschland kennengelernt hat, damals wohl nicht mitbekommen. Sicherlich ist es auch einfacher Manipulation in der Muttersprache zu erkennen als in einer Fremdsprache. Dass Sprache als politisches Instrument missbraucht wird und den Herrschenden dazu dient, ihre Agenda der Bevölkerung „schmackhaft“ zu machen und die Menschen zu erziehen, erlebt man hier tagtäglich, insbesondere, wenn man MSM konsumiert.
Zitat: „Putins Neusprech ist die Bezeichnung für die Wörter und Konzepte, die in den letzten Jahren in den Medien, in der Rhetorik von Beamten und Behörden weite Verbreitung gefunden haben. > Nun ja, nicht viel anders geht es doch auch hier in Dummland zu. Denn so kann ich mich z.Bsp. noch daran erinnern, als hier in den TE-Anfangszeiten auch oft ein Auto namens Müller-Vogg geschrieben hatte. Und dieser Müller-Vogg hatte nach Beginn der „Fachkräfte“-Flutung darüber geschrieben(2016?), dass in Berlin wo die Presse-Treffen stattfinden, dass dort von der Regierung für die Presseleute ein nettes Heftlein ausgelegt wurde, in dem freundlichst darauf… Mehr
Komisch kommt mir alles recht bekannt vor! Auch ich darf hier im besten Deutschland aller Zeiten meine Meinung nicht mehr ganz frei sagen!
Hier im besten Deutschland aller Zeiten wird die Opposition vom staatlich kontrollierten Verfassungsschutz beobachtet!
Wo ist hier der große Unterschied zu Russland? Wir leben bereits in einer Parteiendiktatur!
Ich denke der Unterschied ist der, dass noch kein Rollkommando vor der Tür steht, Sie in der Regel ihren Job behalten wenn Sie mal Ihre Meinung sagen (außer Sie sind Journalist) und Sie sich noch relativ frei informieren können. Das aber alle nur mit Vorbehalt…..denn dem kann auch ganz schnell ein Riegel vorgeschoben werden. Ich gehe jetzt schon dazu über, meine Meinung stark zurück zu halten…dann hat man nachher nicht so viel Mühe die Klappe zu halten, wenn Horch und Guck um die Ecke steht. Übrigens zum Thema….wir haben doch auch solche Begriffs-Neu-Kreationen…die Framing Handbücher er ÖR sind doch voll… Mehr