Manfred Ritter ist "Veteran" der Asyldiskussion. Er war vor 25 Jahren als Landesanwalt in Ansbach an den Asylprozessen vor dem Verwaltungsgericht beteiligt und hat in vielen Zeitungen (FAZ, Die Welt, Rheinischer Merkur) Gastkommentare zum Asylthema veröffentlicht. 1990 erschien sein Buch "Sturm auf Europa", in dem er bereits vor einer Entwicklung, wie sie jetzt eingetreten ist, gewarnt hat. Hier macht er einen juristisch begründeten Lösungsvorschlag.
Viele Bürger, die die Bilder mit den Flüchtlingen sehen, die zu Tausenden über die österreichische Grenze nach Bayern strömen, stellen sich die Frage, ob uns die Politik oder die deutsche Rechtslage zur Aufnahme dieser Menschen zwingt.
Um diese Frage richtig zu beantworten, müssen wir uns allerdings erst einmal – in Gedanken – zum Hamburger Hafen begeben. Dort müssen wir uns ein sehr großes Containerschiff vorstellen, das gerade eingelaufen ist und am Kai anlegt. Es werden jedoch keine Waren ausgeladen. Stattdessen strömen Tausende von Flüchtlingen an Land, die mit dem notdürftig für Passagiere umgebauten Schiff direkt aus Nigeria gekommen sind. Die herbeigerufene Polizei wird mit dem „Zauberwort“ Asyl empfangen und lässt daraufhin alle von Bord gehen.
Dürfen rechtlich alle kommen?
Wäre dieses Verfahren legal? Gibt unser Asylrecht also – theoretisch – mehreren Milliarden Menschen das Recht, auf diese Weise ungehindert nach Deutschland einzureisen, wo wir ihren Aufenthalt zumindest bis zum Ende ihres Asylverfahrens finanzieren müssen? Die Antwort wird viele schockieren, denn sie lautet: ja.
Dies gilt zumindest dann, wenn die Flüchtlinge direkt über den Seeweg aus ihrem Heimatland nach Deutschland einreisen. Das Asylgrundrecht wurde zwar im Jahr 1993 dahingehend geändert, dass ein Asylbewerber bei einer Einreise über einen sicheren Drittstaat – wie Österreich – an der Grenze zurückgewiesen werden kann – was derzeit allerdings nicht geschieht. Diese Möglichkeit entfällt jedoch, wenn der Bewerber in seinem Heimatland ein Schiff besteigt, das ihn direkt in einen deutschen Hafen bringt, weil er dabei keinen anderen Staat vorher betritt. Unser Parlament kann daher ohne Grundgesetzänderung zumindest die „offenen Tore“ über den Seeweg nicht schließen.
Die derzeitige Migrations-Welle, die nicht von allein enden wird, zwingt zu der Erkenntnis, dass Obergrenzen bei der Einreise unvermeidbar sind, wenn wir chaotische Zustände in Deutschland und in der EU vermeiden wollen. Nur so kann auch die Reisefreiheit innerhalb der EU erhalten bleiben. Deshalb muss die EU Ihre Außengrenzen durch eine einheitliche Regelung der Einreisebedingungen schützen. Hierbei geht es nicht nur um die Grenzen an Land, sondern auch um die an den internationalen Gewässern, also der Nord- und Ostsee und dem Mittelmeer. Nachdem die „Schlepper-Industrie“ inzwischen auf vollen Touren läuft, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sie auch den Seeweg über die Nord- und Ostsee mit großen Schiffen benutzen wird.
Leider verhindert das deutsche Asylgrundrecht, das es in dieser Form in keinem anderen Land der Welt gibt, einheitliche europäische Abwehrmaßnahmen. Die Väter des Grundgesetzes haben – unter dem Eindruck der politischen Verfolgungen durch das Dritte Reich – ein Zeichen setzen wollen und deshalb ein individuelles einklagbares Asylrecht im Rang eines Grundrechts installiert. Damit wird dem Gesetzgeber eine Einschränkung dieses Rechts mit einfacher Mehrheit untersagt. Selbst die Einführung eines sogenannten Gesetzesvorbehalts beim Asyl-Grundrecht würde gravierende Einschränkungen dieses Rechts durch Einreise-Obergrenzen nicht zulassen, da es der Artikel 19 Abs. 2 des Grundgesetzes verbietet, Grundrechte in ihrem Wesensgehalt anzutasten.
Können wir an dieser Rechtslage nichts ändern? Haben die Väter des Grundgesetzes unbeabsichtigt ein „Selbstzerstörungsprogramm“ in unsere Verfassung eingebaut, das unseren Wohlstand, unsere Demokratie und am Ende sogar Europa zerstören kann? Sind wir also tatsächlich alternativlos einer Masseneinwanderung ausgeliefert?
Nein – denn wir können das tun, was bereits vor 25 Jahren von Bayern, Baden-Württemberg und von juristischen Experten im Hinblick auf die vorstehend geschilderte Gefahr gefordert worden ist. Wir müssen nur das Asylrecht vom hohen Sockel eines individuellen einklagbaren Grundrechts herunterholen und im Grundgesetz in der Form einer sogenannten institutionellen Garantie verankern.
Eine Anpassung an internationales Recht tut not
Da es unser mit einfacher Parlaments-Mehrheit nicht einschränkbares Asylrecht – aus gutem Grund – in keinem anderen Land der Welt gibt, wäre jetzt eine Anpassung an die international übliche Rechtslage zwingend geboten. Nur so kann verhindert werden, dass der deutsche Sonderweg, das Sonder-Asylrecht unser Land wieder einmal in die Katastrophe führt.
Diese dringend nötige verfassungsrechtliche Lösung ist in unserer politischen Diskussion nur in Vergessenheit geraten. Denn die Asylgrundrechtsänderung von 1993 hat die Lage für mehr als zwei Jahrzehnte beruhigt. Jetzt sind diese Schutzdämme jedoch gebrochen und wir müssen schnellstens die nötige Grundrechts-Änderung durchführen.
Dazu müsste das Asylrecht mit folgender Formulierung im Grundgesetz verankert werden:
„Die Bundesrepublik Deutschland gewährt politisch Verfolgten Asyl. Art und Voraussetzung der Asylgewährung werden durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes geregelt.“
Hierbei geht es um nicht weniger als um die Wiedererlangung unserer Souveränität über die „Einwanderung via Asylrecht“. Zugleich geht es auch um die Souveränität der EU über die gemeinsamen Außengrenzen.
Wer die EU retten will, muss deshalb für eine einheitliche europäische Gesetzgebung sorgen, die jede Art Einwanderung regelt – sei es über Asyl, Genfer Flüchtlingskonvention oder eine „normale“ Einwanderung. Nur so lässt sich Europa als Wohlstandsinsel in einer Welt erhalten, in der – wegen der Bevölkerungsexplosion in vielen Entwicklungsländern – die Armut und damit der Einwanderungsdruck ständig wächst. Natürlich müsste auch die Abschiebung abgelehnter Bewerber überall in der EU nach den gleichen Regeln und mit dem gleichen Nachdruck erfolgen.
Die EU-Mitgliedsländer müssten sich bei dieser Gesetzgebung an klassischen Einwanderungsländern – wie den USA – orientieren, die auch Obergrenzen für die Zuwanderung haben. Die USA haben deshalb viele Milliarden Dollar in die Grenzbefestigungen gegenüber Mexiko gesteckt, um die illegale Einwanderung aus dem Süden zu unterbinden. Denn sie würde das Heer der Arbeitslosen in den USA enorm vergrößern.
Wenn bestimmte deutsche Politiker und Medien eine solche Abschirmungspolitik, wie die der USA als ausländerfeindlich oder als inhuman bezeichnen, dann vertreten sie eine einseitige „selektive“ Humanität, die rücksichtslos gegenüber den Interessen der eigenen Bevölkerung ist. Zu unserer Bevölkerung gehören übrigens auch einige Millionen Gastarbeiter, die besonders unter der „Konkurrenz“ nicht qualifizierter Zuwanderer zu leiden hätten.
Es gibt auch begründete Zweifel, ob es den Politikern, die das Humanitäts-Argument besonders lautstark verwenden, wirklich um Humanität geht. In den meisten Fällen dürfte es nur eine Waffe zur Diskriminierung Andersdenkender sein.
Weder Moral-Monopol noch Integrations-Kompetenz
Zumindest haben sehr viele unserer Politiker ihren Anspruch auf ein Moral-Monopol verspielt, weil sie eine erschreckende Passivität zeigten, als die UNO in diesem Jahr die Unterstützungszahlungen für die Ernährung der Flüchtlinge im Libanon um zwei Drittel gekürzt und damit erheblich zu den derzeitigen Flüchtlingsströmen nach Europa beigetragen haben. Man hat jedenfalls bei uns keinen lautstarken Protest gegen diesen an Inhumanität kaum noch zu überbietenden Skandal gehört. Weder von Politikern, noch von den Kirchen und auch nicht von den Medien. Es ist auch eine Schande, dass sich weder die EU noch die deutsche Regierung veranlasst sah, den betroffenen Flüchtlingen finanziell zu Hilfe zu kommen.
Noch erschreckender ist aber die wirtschaftspolitische Inkompetenz, die aus den Aussagen vieler Politiker und Medien erkennbar wird. Ihre Vorstellungen von den Integrationsmöglichkeiten für die Flüchtlingsheere in den deutschen bzw. europäischen Arbeitsmarkt sind absolut unrealistisch. Bereits die Meinung, man könne Millionen Arbeitsplätze „aus dem Hut zaubern“, ist absurd. Es sei denn, man macht es wie die Griechen, die ihre Beamtenzahlen im Vergleich zu anderen Ländern verdreifacht haben oder wie die DDR, in der man nach Belieben unproduktive „Scheinarbeitsplätze“ geschaffen hat. Die Folgen dieser Politik sind bekannt.
Schlecht oder gar nicht qualifizierte Arbeitskräfte und Dauerarbeitslose gibt es in Deutschland und Europa bereits mehr als genug. Da im übervölkerten Europa der Wohlstand weitgehend auf dem Export hochwertiger Industrie-Produkte beruht, kann man im Zeitalter der Globalisierung der Wirtschaft nur mit hochqualifizierten Arbeitskräften den Wohlstand aufrechterhalten – auch wenn viele Sozialisten dies nicht glauben wollen.
Deshalb kann man mit den hochsensiblen Strukturen eines modernen Industriestaates eine Masseneinwanderung von Flüchtlingen auch viel weniger bewältigen, als mit den wesentlich unempfindlicheren Strukturen eines Entwicklungslandes.
Die Vernunft gebietet daher eine weltweite Arbeitsteilung in der Flüchtlingspolitik.
Dabei übernehmen die reichen – aber auch höchst zerbrechlichen – Industriestaaten weitgehend die Finanzierung der Flüchtlinge, während ihre Aufnahme primär in den Nachbarländern der Flüchtlinge organisiert wird. Wenn man hierbei finanziell großzügig vorgeht, werden sich auch genügend aufnahmebereite Nachbarländer finden. So könnte man eine Regionalisierung der Flüchtlingsströme erreichen, die eine spätere Rückkehr in die nahe gelegenen Heimatländer (nach dem Ende der Krisensituation) erheblich erleichtern würde. Dies wäre die vernünftigste Lösung, die einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen der Flüchtlinge und denen der Bevölkerung in den Industrie-Regionen herstellt. So entstünden auch Aufnahmegebiete, in die Zuwanderer aus diesen Regionen von Europa aus abgeschoben werden könnten. Dazu müsste auch der Grundsatz international verankert werden, dass Flüchtlinge jeder Art keinen Anspruch haben, in ein bestimmtes „Wunsch-Land“ einzuwandern.
Auch bei noch so viel humanitärem Eifer sollte jeder einsehen, dass man auf diese Weise wesentlich mehr Menschen helfen kann, weil die Unterbringung in den Nachbarländern der (meist aus Entwicklungsländern stammenden) Flüchtlinge nur einen Bruchteil der Kosten verursacht, wie die in den wesentlich „teureren“ Industriestaaten. Wenn man also mit dieser Regelung zehn bis zwanzigmal so viel Flüchtlingen helfen kann, wäre eine Unterbringung „erster Klasse“ eines kleinen privilegierten Teils der Betroffenen sogar unmoralisch und unsozial, weil dadurch für die anderen Flüchtlinge wesentlich weniger Geld zur Verfügung stünde.
Außerdem kann man nur so die Funktionsfähigkeit und die finanzielle Leistungsfähigkeit der Industriestaaten erhalten. Hierbei sollte man auch berücksichtigen, dass der Wohlstand der Industriestaaten bei einer weltweiten Rezession sehr schnell zu Ende gehen kann. Sie würden dann umso schneller verarmen, je mehr Menschen unmittelbar im Lande versorgt werden müssen. Es würde auch viel länger dauern, bis sie wieder auf die Beine kämen. Ein solches Ergebnis liegt weder im Interesse der Flüchtlinge, noch in dem der Industriestaaten.
Wenn unsere Parteien nicht in der Lage sind, für eine solche von der Vernunft gebotene Lösung die nötige zwei Drittel Mehrheit im Bundestag und Bundesrat zusammenzubringen, drohen uns bald „Weimarer“ Verhältnisse. Die Wähler laufen den großen Volksparteien davon. Die Parteienlandschaft zersplittert und am Ende wählt die Bevölkerung in ihrer „Alternativlosigkeit“ mehrheitlich rechts- und linksradikale Parteien.
Wollen unsere demokratischen Parteien dies aus parteipolitischem Egoismus wirklich riskieren?
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