Seit drei Monaten gilt weitgehend der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde. Drei Monate sind auf dem Arbeitsmarkt eine sehr kurze Zeit, um die Auswirkungen bestimmter Eingriffe feststellen zu können. Dennoch sei hier eine Zwischenbilanz versucht.
1. Der Mindestlohn hat bisher keine regulären Arbeitsplätze vernichtet. So stellt die Bundesagentur für Arbeit in ihrem März-Bericht fest: „Belastende Auswirkungen der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung sind nicht zu erkennen.“
2. Nun fiel die Einführung des Mindestlohns in eine Phase robusten Wachstums. Es kann also durchaus möglich sein, dass Arbeitsplätze zu teuer wurden und wegfielen, während gleichzeitig – konjunkturbedingt – neue Jobs entstanden sind. Die Jubelchöre von SPD und Gewerkschaften kommen deshalb eindeutig zu früh.
3. Ohnehin klingt es seltsam, wenn Politiker es als Erfolg feiern, dass eine von ihnen beschlossene Regelung den bisherigen Status quo nicht verschlechtert hat. Das ist so, als verkünde der Gesundheitsminister nach einer landesweiten Impfaktion, die Zahl der Neuinfektionen steige dank seines Eingreifens nicht stärker an als vor der Aktion.
4. Wie immer gibt es Unterschiede nach Branchen und Regionen. Gerade im Dienstleistungsbereich (Hotellerie, Gastronomie, Taxi) hat der Mindestlohn zu Preiserhöhungen geführt, vor allem in den neuen Ländern. Ob und wie diese neuen Preise am Markt durchgesetzt werden können, muss sich erst noch zeigen.
5. Teilweise reagieren die Unternehmen auf den durch den Mindestlohn ausgelösten Kostendruck durch Einschränkung des Service. Ein Mittel sind zum Beispiel reduzierte Öffnungszeiten im Einzelhandel und in der Gastronomie. Das führt zu geringeren Arbeitszeiten der Mitarbeiter. Manche Zeitungsverlage haben die Zustellung in dünnbesiedelten Gegenden eingestellt und bisher 2000 Träger entlassen; weitere Entlassungen sind geplant.
6. Im Taxi-Gewerbe sind bereits im Januar 700 Stellen weggefallen. Unterhalb des Arbeitsmarkt-Radars gibt es zudem Zeichen für eine Umstrukturierung. Große Taxi-Betriebe verkaufen Konzessionen an entlassene Fahrer. Die werden so zu Selbständigen – ohne Mindestlohn.
7. Da die Mindestlohn-Vorschriften handwerklich schlecht gemacht sind, hat der Mindestlohn im ehrenamtlichen Bereich und im Amateursport bereits heftige Irritationen ausgelöst. Ob auf dem Verordnungswege alle Unebenheiten ausgebügelt werden konnten, muss sich noch erweisen. Ebenfalls ist noch offen, inwieweit die vom Arbeitsministerium verhängten bürokratischen Auflagen gerade Kleinunternehmen das Leben unnötig erschweren.
8. Eine Verlierer-Gruppe scheint bereits festzustehen: die Mini-Jobber. Nach Angaben der Minijob-Zentrale ist die Zahl dieser Beschäftigungsverhältnisse im Januar gegenüber Dezember um 255.000 zurückgegangen. Damit fiel der Rückgang fast drei Mal so hoch aus wie gegenüber dem üblichen saisonalen Minus (minus 90.000 im Januar 2014).
9. Ein Abbau von etwa 160.000 Minijobs bedeutet: 160.000 Rentner, Hausfrauen, Schüler und Studenten wird die Möglichkeit zum Nebenverdienst genommen. 450 Euro netto (!) im Monat mag aus der Sicht gut bezahlter Politiker nicht viel sein, für die Betroffenen ist es das schon. Wenn Minijobs durch den Mindestlohn ausradiert werden, hat das aus der Sicht der Mindestlohnbefürworter einen besonderen Charme: Rentner, mitverdienende Hausfrauen oder Studierende gehen nach Wegfall eines Minijobs nicht zur Arbeitsagentur. Das heißt: Der Abbau von Minijobs führt nicht automatisch zu höheren Arbeitslosenzahlen.
10. Der gesetzliche Mindestlohn erschwert mafiösen Arbeitgebern zweifellos das Geschäft der Ausbeutung von Arbeitnehmern. Aber der Einheits-Mindestlohn für Einheits-Arbeitnehmer würde nur dann keine Schäden anrichten und zu keinen Verwerfungen am Arbeitsmarkt führen, wenn die Nachfrage nach Arbeit völlig unabhängig vom Preis der Arbeit konstant wäre. Dann müssten freilich wichtige Kapitel der Nationalökonomie neu geschrieben werden.
Wie gesagt: Nach drei Monaten endgültige Urteile über die Auswirkungen des Mindestlohns zu fällen, wäre zu früh. Geradezu fahrlässig ist es aber, wenn Gewerkschafter bereits so tun, als ob die Anhebung des Mindestlohns zum 1. Januar 2016 faktisch schon beschlossene Sache wäre.
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