Bernie Sanders: Ein Sozialdemokrat in Washington?

Bernie Sanders ist genau der Mann, der der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands fehlt. Kämpferisch. Schlagfertig. Selbstbewusst. Ein ganz klein wenig Willy Brandt, ein Hauch Helmut Schmidt, ja, auch zwei, drei Scheiben Herbert Wehner.

Tränen hätten sie in den Augen, die verbliebenen echten Sozialdemokraten, wäre Bernie Sanders ihr Mann, an Stelle der mediokren Typen Gabriel, Fahimi, Stegner und Maas, denen Intellekt wie Stallgeruch so komplett fehlen.

Aber Bernie ist nicht ihr Mann. Sanders ist einer der Präsidentschaftskandidaten der Demokraten in den USA. Noch vor einem halben Jahr hieß es „Bernie Who?“, stand er auf keiner Liste der wichtigen Köpfe des Landes. Hillary Clinton schien gesetzt. Auch Amerika würde seinen ersten weiblichen Chef, seine „Mörkel“, bekommen.

Nachdem der Obama-Flair verblasste wie einst die Hautfarbe von Michael Jackson, schienen die Demokraten ausgelaugt, fast hoffnungs- und hilflos angesichts der katastrophalen Lage der USA, vor allem im wirtschaftlichen Bereich. Eine Handvoll Kandidaten stieg zwar in den Ring, aber keiner wollte so wirklich und unbedingt Präsident werden wie Hillary Clinton. Sie rüttelt nun zum zweiten Mal an der Tür des Weißen Hauses. Sie will dahin zurück, wo sie einst FLOTUS (First Lady) war. Diesmal als POTUS. Zig Millionen Dollar Wahlkampfspenden waren schnell zusammengeschnorrt bei Wall Street und Hollywood. Mainstream Media trompetete das Lied vom „Noch besseren Amerika made by Hillary“.

Ein kleiner Mann aus Vermont gegen das Establishment

Ganz „Liberal America“ schien besetzt. Das ganze liberale Amerika? Nein, ein kleiner Mann aus Vermont leistete urplötzlich Widerstand. Erst seit Juli überhaupt Mitglied der Democratic Party, schob sich ein 74jähriger Oldtimer in den Umfragen nach vorne, den niemand richtig auf der Uhr zu haben schien.

Ladies and Gentlemen, Amerikas erster bekennender Sozialist im Senat, der Abgeordnete Bernie Sanders, will Präsident der USA werden. Ein bekennender Sozi! Das ist in den USA so etwas wie der Antichrist bei den Klerikalen oder Schweinefleisch bei Muslimen. No Go! Geht gar nicht!

Sanders will die Wall Street besteuern, dass die Schwarte kracht, sie dazu unter Aufsicht stellen wie einen Ganoven auf Bewährung. Er fordert so etwas wie die AOK für die USA, er fordert eine Art BaFÖG, er will und sagt das vor laufenden Kameras, „eine Revolution!“

Das ganze politische System ist für Bernie korrupt und krank: Eine Handvoll Milliardäre steuert das Land und seine Abgeordneten und ruinieren Mittelklasse und Unterschicht.
Wütend macht ihn, dass nach der „Finanzkrise“ von 2008 der Staat die Wall Street mit Hunderten Milliarden stützen musste, aber keiner der Zocker zur Rechenschaft gezogen wurde, während Marihuana-Raucher in manchen Bundesländern immer noch im Gefängnis landen.

Sanders, Jahrgang 41, stammt aus Brooklyn, studierte ein Jahr Psychologie, machte aber dann doch lieber einen Bachelor in Politikwissenschaften. In seiner Jugend war er Mitglied der „Jungen Sozialistischen Partei Amerikas“ und Aktivist mehrerer linker Organisationen. 1968 zog er nach Vermont und jobbte als Zimmermann, Dokumentarfilmer und Autor.

Als Kandidat einer Splitterpartei trat er immer wieder erfolglos bei diversen Wahlen an, bis er in den 80ern sein erstes öffentliches Amt als Bürgermeister von Burlington errang. Es folgten Repräsentantenhaus und Senat, jeweils als Parteiloser. Bernie Sanders wäre Amerikas erster jüdischer Präsident – wenn er es denn schaffen würde.

Noch im Dezember führte Clinton das Demokraten-Feld klar an mit 59% zu 26% (weitere Kandidaten sind nicht mehr erwähnenswert), im Januar verlor Clinton 7% und Sanders gewann 11%. Eine solche Verschiebung ist extrem ungewöhnlich in so kurzer Zeit, so die Washington Post. In New Hampshire sieht CNN Sanders mit 66% zu 33% deutlich vorne. Zudem gaben 58% in einer bundesweiten Umfrage an, Sanders habe „die persönlichen Eigenschaften und Qualitäten, die ein Präsident haben müsse“ – von Clinton waren diesbezüglich nur 33% überzeugt.

Vor allem ein Großteil von Amerikas Jugend ist laut Umfragen vom wütenden Opa begeistert. Wenn die Kids an den Wahltagen die Spielkonsolen beiseite legen, sich registrieren lassen und wählen gehen, hätte der Außenseiter echte Chancen.

Chancen, die er in Wahrheit sowieso nur hat, weil Hillary Clinton das fehlt, was Boris Becker einst Krisma nannte: Charisma.

Bernie hat, was Hillary fehlt: Charisma

Schwer zu beschreiben, nicht zu erlernen, verzeiht dieses Gottesgeschenk dem Empfänger nahezu jede Schwäche: Dummheit, Hyper-Geilheit oder Dreistigkeit. Hillarys Gatte Bill gehörte ebenso zu diesen Glücklichen wie Ronald Reagan, Barack Obama, ja, auch George W. Bush.

Deshalb bleibt Bernie Sanders im Rennen – und beschädigt Hillary schwer. Es ist fast ein Stereotyp bei den Debatten der Kandidaten, dass er „Senator Clinton“ zunächst grundsätzlich Recht gibt, um sie dann in zahllosen Details zurecht zu weisen. Wem Argumente gegen die ambitionierte Frau gefehlt haben mögen, Sanders trägt sie pointiert vor.

Vielleicht haben Sie ja den Film „Independence Day“ von Roland Emmerich gesehen. Eine der wichtigen Nebenfiguren ist der ständig mosernde Vater des Helden, der den US-Präsidenten anpflaumt, er solle endlich die Wahrheit über Area 51 und Roswell sagen. Der Präsident antwortet, dass seien ja wohl nur Märchen, bis der Geheimdienstchef einwirft: „This is not entirely true, Mr. President.“ Der Lacher in den US-Kinos. Sanders könnte locker diesen alten Mann voller Wut und Weisheiten spielen.

Auch kleine Nebensächlichkeiten lassen Bernie Sanders sympathisch erscheinen, etwa sein Tonfall. Wie der Schwabe Probleme „meischtert“, spricht Bernie von „Inschtitutions“ oder nennt es einen „Schcandal“, dass Hillary Redegagen in Höhe von 600 000 Dollar an der Wall Street kassiert. Sanders’ recht ordentliches Wahlkampfbudget wird zu 99% von Kleinspendern (bis 250$) gespeist.

Erstaunlich, dass der zornige alte Mann inzwischen – übrigens wie Donald Trump – zig Tausende in seine Wahlkampf-Veranstaltungen lockt, die deshalb in großen Stadien stattfinden müssen. Hillarys größte Show in New York lockte gerade mal 5.000 Interessierte.

Einen kleinen Trost für die, die nun den Untergang Amerikas, wie wir es kennen, befürchten, bietet die Analyse der „World Socialist Website“, herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale.

Bernie Sanders ist überhaupt kein wahrer Sozialist, schreiben die wahren Sozialisten! Er sei Nationalist, gegen Handelsabkommen (vor allem mit China) zum Schutz amerikanischer Arbeiter. Aus dem gleichen Grund sei er gegen Zuwanderung. Er unterstütze die amerikanische Aufrüstung und, das Schlimmste für die Komintern – wenn er auch gegen die Wall Street schimpfe – so stelle er doch das Privateigentum nicht in Frage!

Für die deutschen Sozis ist ein solch zorniger Opa längst überfällig!

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