„Hau bloß ab mit deinen Brötchen“ – ein Versuch, Obdachlosen zu helfen

Anbrüllen, böse gucken oder ganz ignorieren: So reagieren Berliner Obdachlose auf geschenkte Brötchen. Geld nehmen sie gerne, auf Essensspenden reagieren manche aggressiv. Ein Erlebnisbericht von Charlotte Kirchhof

IMAGO / Rolf Kremming

Zwanzig Brötchen, mit Butter beschmiert: belegt mit Gouda, Frischkäse, Frikadellen oder mit Tomaten und Mozzarella. Den ganzen Sonntag über lagen sie in der Bäckerei. Zu einem Verkaufspreis von zusammen rund 80 Euro. Doch die Bäckerin ist sie nicht losgeworden. Jetzt, kurz vor ihrem Feierabend, will sie mir diese schenken: „Die landen sonst alle im Müll“, sagt sie. So viel Hunger habe ich zwar nicht – aber eine Idee.

Ich möchte die Brötchen an Obdachlose verschenken. Hört sich gut an. Sollte kein Problem sein. So dachte ich: Die Tour startet gegen fünf Uhr, beladen mit 20 Brötchen, das Stück für etwa 4 Euro. Nach zweieinhalb Stunden ist die Bilanz ernüchternd. Acht Brötchen bin ich losgeworden – zwölf landen trotz aller Versuche im Müll. Einige Erfahrungen, die ich zwischendrin machen musste, waren verstörend.

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Obwohl ich mit einem Geschenkangebot kam, reagierten nicht alle nett. Im Gegenteil. Einer brüllt mich an: „Ne. Hau ab. Hau ab!“ Zu meinem Angebot komme ich gar nicht. Er sitzt unter einer S-Bahn-Brücke nahe der Station Friedrichstraße. Schon als ich auf ihn zukomme, schreit er mich an, seine Augen sind hasserfüllt. Ich weiche zurück. Nächster Versuch. Am Eingang zur S-Bahn-Station.

„Möchten Sie vielleicht ein Brötchen zum Abendessen haben?“ Einer greift zu, bedankt sich. Er sitzt neben dem Eingang zur S-Bahn-Station Friedrichstraße und liest einen Roman.

An der nächsten Ecke sitzen drei weitere Obdachlose auf einer Fensterbank. Sie sitzen dort, unterhalten sich laut und trinken Bier. Um sie herum liegen einige leere Bierdosen. Sie sehen mich zwischendrin an, merken aber nicht, dass ich ihnen Brötchen anbieten möchte. „Können wir Ihnen helfen? Suchen Sie etwas?“, höre ich jemanden aus einer anderen Richtung fragen. Ich drehe mich um. Gefragt hat einer der zwei Bahnangestellten, die dort gerade Pause machen. „Ich suche Obdachlose, denen ich ein Brötchen schenken könnte“, antworte ich. Sie scherzen erst, dass sie sonst ein Brötchen nähmen. Dann empfehlen sie mir eine andere Bahnstation: Alexanderplatz. Dort gebe es viele Obdachlose, sagen sie.

Also fahre ich mit der S-Bahn zum Alexanderplatz. Am Bahnsteig stehen auch gleich zwei Obdachlose. Mit krummen Rücken, dürren Armen und schmutzigen Fingern halten sie jeweils einen verschmierten Kaffeebecher in ihren Händen und halten ihn den aussteigenden Fahrgästen entgegen. Gefüllt sind die Becher nur mit wenigen, braunen Münzen. Ich frage: „Möchten Sie vielleicht ein Brötchen?“ Ohne mich anzusehen, schütteln die beiden genervt und stumm den Kopf. Gleichzeitig lassen sie die wenigen Münzen in ihren Kaffeebechern klimpern, während sie an mir vorbei gehen und sich den anderen Fahrgästen nähern.

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Ich verlasse das Bahngleis und stehe nun mitten auf dem Alexanderplatz. Einige Obdachlose stehen mit großen Plastiktüten in der Hand neben Mülleimern und spähen hinein. Der ein oder andere fischt eine Pfandflasche hinaus, andere zielen den nächsten Mülleimer an. So auch eine Frau mit ihrer Tochter. Schon während ich das Brötchenangebot formuliere, schüttelt die Frau ihren Kopf und geht schnellen Schrittes an mir vorbei. Die junge Frau, mutmaßlich die Tochter, blickt daneben stumm zu Boden und versucht, das Tempo ihrer Mutter mitzuhalten.

Unter einer Brücke sitzen drei Obdachlose auf dünnen Isomatten und Schlafsäcken: zwei Männer, eine Frau. Vor ihnen liegen leere Bierdosen. „Hallo, darf ich Ihnen vielleicht ein Brötchen anbieten?“ Die Frau ignoriert die Frage und starrt geradeaus an mir vorbei. Die beiden Männer zögern, schauen sich fragend an und fangen dann an zu lächeln. „Was für Brötchen hast du denn da?“ Ich öffne die Tüte, um ihnen die verschiedenen Brötchen zu zeigen. Daraufhin wird ihr Lächeln breiter und sie suchen sich jeweils ein Brötchen aus. Für ihre Freundin, die immer noch leer in die Gegend starrt, nehmen sie keins, obwohl ich es ihnen anbiete. „Das reicht schon“, sagen sie, ihre Freundin verständnisvoll ansehend. Diese nickt. „Hör nie auf, so schön zu lächeln“, rufen sie mir über die Straße hinterher, nachdem sie sich bedankt und ich mich verabschiedet habe.

Als nächstes begegne ich einem Obdachlosen, der vor einem Eingang des Bahnhofs sitzt. Er sitzt friedlich und freundlich schauend auf einem Stück Pappe. Vor ihm steht ein Kaffeebecher. Darin ein paar wenige, braune Münzen. Die meisten Passanten gehen stumm und ignorant an ihm vorbei, während er ihnen freundlich hinterherschaut. Ich gehe auf ihn zu und frage ihn, ob er hungrig sei. Seine Augen beginnen zu funkeln, als er die große Tüte mit Brötchen sieht. Er sucht sich eins mit Frikadelle aus. Mit seinen wenigen Deutschkenntnissen bedankt er sich, nickt fröhlich und schickt mich einen Bahnhofseingang weiter, weil dort sein Kumpel sitzt. Dieser grauhaarige, vollbärtige und etwas dickliche Mann schläft dort in seinem Rollstuhl. Seinen Sammelbecher hält er fest in seiner Hand. Vorsichtig spreche ich ihn an, doch er reagiert nicht. Also gehe ich zurück zu dem freundlichen Obdachlosen und bitte ihn, seinem Freund ein Brötchen zu geben, sobald dieser aufwacht. Das mache er gerne, antwortet er und nimmt ein weiteres Brötchen. Dieses legt er neben das seine auf die Pappunterlage.

Auch vor einem anderen Bahnhofseingang sitzt ein Obdachloser. Ich sehe nur seine blonden langen Haare, mit dem Kopf nach unten geknickt. Er reagiert nicht, als ich ihn vorsichtig anspreche, weil er schläft. In seinen Kaffeebecher, der vor seinem Schoß steht, passt kein Brötchen und so entscheide ich mich weiterzugehen, ohne ein Brötchen für ihn dazulassen.

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Die Suche geht weiter: Ein bisschen weiter entfernt, sehe ich einen Obdachlosen in mehrere Schlafsäcke eingehüllt. Wie ich da zu ihm gehe, nähert sich ihm auch ein anderer Mann, der scheinbar gerade von der Arbeit kommt. Dieser sucht in seinem Geldbeutel nach Münzen, während ich dem Obdachlosen die Brötchentüte hinhalte. Er setzt sich unsicher auf und sieht zwischen dem Mann und mir hin und her. Ohne etwas zu sagen, greift er in die Tüte und nimmt das oberste Brötchen. Dann wendet er den Blick von der Brötchentüte ab und sieht schüchtern zu dem Mann hoch. Ich verlasse die beiden und höre, wie sich der Obdachlose bei dem Mann für das Geld bedankt – bei mir hat er sich nicht bedankt.

Wie die Sonne untergeht, vergeht langsam auch die Freude an der Brötchenvergabe. Oder eher an der Suche nach Obdachlosen, die ein Brötchen annehmen. Ich begebe mich also auf den Heimweg. Dann begegnen mir zwei langhaarige, vollbärtige Obdachlose, die sich an eine Fassade lehnen. Sie unterhalten sich laut und lebendig, während sie Bierdosen in ihren Händen halten. Neben ihnen liegen mehrere leere Bierdosen auf einer Fensterbank. Ich frage sie, ob sie ein Brötchen haben möchten. Der eine Mann lehnt direkt ab, weil er keinen Hunger habe. Der andere kommt wortlos taumelnd näher, wirft einen Blick in die Brötchentüte und greift mit seinen schmutzigen Händen hinein. Seine Brötchenauswahl dauert mehrere Augenblicke, weil er mit seinem Gleichgewicht zu kämpfen hat. Schwer atmend öffnet er seinen Mund und entschuldigt sich dafür. Sein bitterer, saurer Mundgeruch und seine Bierfahne beißen sich indes in meine Nase. Ich halte den Atem an. Nachdem er endlich ein Brötchen ausgewählt hat, schaut er auf. Sein Gesicht ist nun unweit von meinem und er öffnet den Mund erneut, um sich zu bedanken. Ich trete einen Schritt zurück, um Luft zu holen. Dann taumelt er zurück zu seinem Platz an der Hauswand und winkt mir zufrieden grinsend hinterher.

Auf dem weiteren Nachhauseweg begegne ich keinen Obdachlosen mehr. So werfe ich dann leider doch mehr als die Hälfte der Brötchen in eine Mülltonne. Berliner Obdachlosen Essen zu schenken, kann ganz schön schwer sein.

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Kommentare ( 72 )

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Amygdala
1 Jahr her

Meine Großmutter (Jahrgang 1913, zwei Weltkriege mit Hungererlebnissen) hat in den 80er Jahren einem Obdachlosen in der Metzgerei, vor der er saß, ein dick mit Bratenfleisch belegtes Brötchen gekauft. Was er ihr sofort an den Kopf warf. Die Zeiten ändern sich wohl nicht.

Franz O
1 Jahr her

Man muss dem entgegen halten, dass nicht unbedingt nur Obdachlose Probleme haben von Fremden auf der Straße einfach so angebotenes Essen anzunehmen. Irgendwie sind wir da alle von Natur aus etwas misstrauisch. Schließlich ist die Annahme von geöffneter Nahrung von einem Fremden doch ein gewisses Wagnis. Wir kennen in der konkreten Situation die Motivationen des Gegenüber nicht.

Ralf Poehling
1 Jahr her

Wenn Sie, Frau Kirchhoff, keine Brötchen sondern kostenlos Bier oder Schnaps verteilt hätten, wären Sie ihr Angebot in nullkommanix losgeworden. Und das meine ich nicht sarkastisch. Nach meinen Beobachtungen sind die meisten Obdachlosen nicht etwa obdachlos, weil sie kein Geld hätten, sondern weil sie aufgrund von Alkohol- oder Drogensucht sowie psychischer Auffälligkeiten (Ursache und Wirkung liegen da meist eng aneinander) nicht nur nicht zur Ausübung eines Berufes fähig, sondern nicht einmal in der Lage sind, einen Antrag auf Hartz IV zu stellen oder einen Mietvertrag auszufüllen. Ich habe das während meiner Dienstzeit in den Jobcentern immer wieder beobachtet. In Deutschland… Mehr

Ernste Lage
1 Jahr her
Antworten an  Ralf Poehling

Absoluter Fehler, Drogen-und Alkoholsucht mit Obdachlosigkeit zu assoziieren. Bei einem Großteil der Obdachlosen ist es keine Sucht, die sie in die Obdachlosigkeit treibt sondern es sind die Drogen und der Alkohol, die ihnen das Leben ohne Wohnung erträglich macht. Dazu kommt ein Teil unangepaßter, nonkonformer Menschen, für die ein Leben in einem bürokratischen System unerträglich ist, und ein nicht geringer Teil dieser Menschen ist aus evolutionärer Sicht auch nicht dazu in der Lage, es allzu lange in unseren modernen Behausungskisten auszuhalten [einen Teil dieser Klientel habe ich im Laufe der Jahre kennen gelernt] – diese Menschen brauchen einfach den Himmel… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Ernste Lage
Ralf Poehling
1 Jahr her
Antworten an  Ernste Lage

Ihre Sicht kann ich nicht teilen. Weder von meiner Lebenseinstellung, noch aus meiner persönlichen Erfahrung im Sicherheitsbereich und der Pflege von geistig beeinträchtigten Patienten. Wenn jemand ein Problem mit der unnatürlichen Verstädterung hat, ich würde mich als halbes „Landei“ selbst dazu zählen wollen, dann ist die Lösung für dieses Problem sicherlich nicht der Drogenkonsum. Es gibt immer Ausweichmöglichkeiten in Richtung Land oder vielleicht sogar Ausland, wie es auch Möglichkeiten gibt, das Leben allgemein durch den Einfluss in Politik oder Interessengruppen derart zu ändern, dass es wieder lebenswerter wird. Durch den Konsum von Drogen ändert man an dem Lebensumfeld gar nichts,… Mehr

Andreas aus E.
1 Jahr her

Ziemlich trauriger Artikel. Also, ich gehe davon aus, daß es sich wirklich so zugetragen hat, denn das ist nicht nur in Berlin so, derlei erlebt man hier in „E.“ auch, also in Elmshorn. Obdachlosigkeit, das kann jeden treffen. Aber warum kein Brötchen annehmen in solcher Situation? Ramadan bei denen wohl weniger, eher Vollendverzweifelung. Autorin Charlotte Kirchhof, der ich sehr für diesen Artikel danke, sollte das Experiment mit Palette Billigstbier wiederholen. Das wäre sie vermutlich schon an erster Angebotsstation los. Ich bin zum Glück nicht obdachlos, und noch zum Glücker nicht in Berlin wohnhaft, aber ich hätte ein Brötchen ganz sicher… Mehr

Aletheia
1 Jahr her

Sehr geehrte Frau Kirchhof, Ihr Ansinnen ist wirklich lobenswert und vorbildlich. Aber es gilt auch zu bedenken, dass sich unter den Obdachlosen sehr viele, psychisch äußerst kranke und vor allem auch suchtkranke Menschen befinden – ähnlich wie in der Sphäre des Politischen – die kaum noch zu normaler Kommunikation fähig sind. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass diese Zustände auch etwas mit den 68er Psychiatrie-Reformen zu tun haben. Denn seit diesen sind psychisch Kranke mehr auf sich alleine gestellt und einem größeren Stress ausgesetzt. Seitdem ist auch die Lebenserwartung von psychisch Kranken Menschen stark gesunken. Dies berichtete zumindest einmal ein… Mehr

BoomSlang
1 Jahr her

Aus guten Gründen gebe ich grundsätzlich nichts direkt oder indirekt an Obdachlose ab. Zum einen weil es zahllose Einrichtungen gibt die diese Menschen mit Essen, Trinken und warmer Kleidung versorgen und ich den Obdachlosen und mir ersparen möchte sie in Verlegenheit zu bringen z.B. ein Brötchen annehmen zu müssen. Außerdem ist jeder Obdachlose berechtigt Hartz4 bzw. Bürgergeld zu beantragen, dafür ist kein fester Wohnsitz notwendig. D.h. diese Leute verfügen theoretisch über genug Geld sich Essen, Zigaretten, Alkohol (Drogen) und Kleidung zu kaufen. Wer diesen Leuten Geld gibt sorgt nur für noch mehr Alkohol und Drogenexzesse. Natürlich haben diese Menschen teilweise… Mehr

Gabriele Kremmel
1 Jahr her

Ich glaube nicht, dass ich von jemand Fremdes in Berlin ein Brötchen annehmen und essen würde, der es mir ungefragt anbietet. Nicht mal ein eingeschweißtes.

ChristianeB
1 Jahr her

Mal ganz abgesehen vom eigentlichen Sinn dieses Artikels, muss es ja wirklich total „schön“ sein in Berlin. An jeder Ecke Obdachlose und Bettler. Und das im besten Deutschland aller Zeiten, in dem wir gut und gerne leben. Sicher kann man nicht jedem Obdachlosen helfen, weil er einfach nicht will, aber für Asylanten haben wir Platz und Geld ohne Ende.

Boudicca
1 Jahr her

Ich gebe öfter etwas Geld oder Kleidung oder einen heißen Kaffee, weil niemand vor Not gefeit ist.
Jeder sollte sich darüber im klaren sein, dass uns der Kelch der Verarmung von den Häuptlingen gereicht wurde und niemand den Endpunkt kennt, an dem ihre Gier nach Geld für die Klima- und Weltrettung gesättigt sein wird.

Montesquieu
1 Jahr her

In Deutschland ist niemand obdachlos, der nicht obdachlos sein will. Die große Mehrzahl der Obdachlosen ist suchtkrank, in der Regel nicht nur Alk sondern polytoxikoman. Die meisten waren schon mehrfach auf Kosten der Steuerzahler auf stationärem Entzug, bekamen Wohnungen auf Kosten der Steuerzahler, einen neuen Anzug auf Kosten der Steuerzahler und diverse berufsfördernde Maßnahmen auf Kosten der Steuerzahler. Süchtler schaffen Arbeitsplätze, z.B. finanzieren sie einem Sozialarbeiter indirekt (auf Kosten der Steuerzahler) die Berufsanstellung. Wer süchtelt, der hat keinen Hunger (en passant: in Deutschland muss auch niemand hungern, wenn er keine Brötchen geschenkt bekommt). Wer süchtelt, will nicht arbeiten, eine biedere… Mehr

Last edited 1 Jahr her by Montesquieu