Asylkrise: Drei Stimmen zu vernachlässigten Blickwinkeln

1. Was lernen Schüler 2115 über die Jahre 2015 und folgende? - 2. Konsensbildung ist erste Bürger- und Politiker-Pflicht. - 3. Wann hören Einwohner und Zuwanderer die Wahrheit über Wohnen?

1. Kaum schmeichelhaft: Deutschland 2015 im Schulunterricht 2115

Dirk Schmidt, Kommunikationsberater, zeigt uns, wie Deutschland 2015 im Schulunterricht 2115 aussehen könnte.

Wen die Götter strafen wollen, so sagt ein chinesisches Sprichwort, den lassen sie in einer interessanten Zeit leben. Und interessant ist unsere Zeit ohne Zweifel. Begleitet vom Trommelwirbel  der Medien treiben uns die aktuellen Ereignisse vor sich her und es bleibt wenig Gelegenheit über den Horizont des Unmittelbaren hinauszublicken.

Nun also die Flüchtlinge. Gibt es etwas Interessanteres, als Zeuge einer Völkerwanderung zu sein? Mittendrin zu stecken? Alltäglich ist das jedenfalls nicht. Einige, die jetzt auf die Sechzig zugehen und auf ein noch nie dagewesenes halbes Jahrhundert Frieden und Wohlstand zurückblicken, werden sich vielleicht schon gefragt haben: „Wo bleibt denn die große Katastrophe in meinem Leben?“

Eltern und Großeltern wussten noch von zwei Weltkriegen zu erzählen, die ihr Leben mehr oder minder stark geprägt haben: Von Zeiten, in denen das Dasein nicht wie ein ruhiger Fluss vor sich hinplätscherte, sondern in denen das Unvorhersehbare jederzeit mit der Gewalt eines Sturmes das Leben und die persönlichen Wünsche und Ziele gehörig durcheinander rütteln konnte; von Zeiten, wo viele ihre Lektion in Bescheidenheit und Demut auf die harte Tour lernten.

Nun also die Zuwanderer. Viel ist bereits darüber geschrieben und verlautbart worden, vieles Dumme, Beängstigende, Euphorische, Kritische, Warnende oder schlicht Gedankenlose. Tatsache ist: Kein Mensch weiß derzeit, wohin diese Ströme von Asylbewerbern führen werden. Sie werden dieses Land verändern, gewiss, aber weder Kritiker noch Befürworter dieser ungeordneten Zuwanderung können derzeit die Risiken abschätzen oder sagen, ob es eine Veränderung zum Guten oder Schlechten sein wird. Würde Vernunft regieren, wäre allein dies schon ein hinreichender Grund, diese Flüchtlingswelle sofort zu stoppen. Aber Vernunft ist selten in diesen Tagen.

„Dschihad durch Einwanderung“ – ?

Und dann ist da noch der Islam, den nahezu 80 Prozent der Flüchtlinge im Gepäck tragen. Das Wissen um den Expansionsdrang dieser mittelalterlichen Religion, die anders als das heutige Christentum auch Autorität im Alltag beansprucht, macht Angst. Wir haben dem nichts entgegenzusetzen, da können wir noch so sehr mit dem Grundgesetz winken. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass wir es hier und heute mit einen „Dschihad durch Einwanderung“ zu tun haben und dass am Ende ein mehr oder minder muslimisches Europa stehen könnte.

Was wird in den Geschichtsbüchern im Jahr 2115 über unsere Zeit stehen? Werden die Schüler genauso wie wir angesichts des Unterrichts über die Nazizeit fassungslos mit dem Kopf schütteln und sich fragen: „Wie konnten die Deutschen damals bloß … hat das denn keiner kommen sehen?“ Wir wissen es nicht. Aber wir können sicher sein, dass die Menschen in 100 Jahren mit genauso viel Schmunzeln, Unverständnis und Mitleid auf unsere Zeit zurückblicken, wie wir das im Hinblick auf die Zeit vor 100 Jahren tun. Viele unserer Ideale, Ideologien, Visionen, ja sogar ein großer Teil der wissenschaftliche Erkenntnisse, auf die wir uns so viel einbilden, werden im Sog des Fortschritts verschwunden und durch Neues ersetzt worden sein.

Dennoch hat es etwas Beruhigendes, sich aus dem Klammergriff der Tagesaktualität zu befreien und sich einmal vorzustellen, was man in 100 Jahren über unsere Generation sagen oder schreiben wird. Vorausgesetzt natürlich, es gibt dann noch eine Geschichtsschreibung wie wir sie kennen und nicht nur ein schlichtes: “Und dann fegte der Prophet die europäischen Kuffar (Ungläubigen) mit einem gewaltigen Sturm hinfort.“

In der Unterstufe wird es im Jahr 2115 noch recht einfach zugehen. Zuerst wird ein Geschichtslehrer im Unterricht wohl eine unumstößliche Tatsache anführen: „Die Deutschen haben aufgehört sich zu reproduzieren. Mit einer Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau haben sie einen weltweiten Negativrekord aufgestellt.“ Der arme Schüler, der dann von dem Lehrer oder der Lehrerin mit den Worten „Peter (oder Mahmut), was glaubst du, woran lag das?“ aufgerufen wird, kann einem heute schon leidtun. Hoffentlich stielt sich der pfiffige Schüler mit den Worten „Die hatten keinen Bock mehr, ihre Zeit war abgelaufen“ unter dem Beifall der Klasse und dem mahnenden Blick des Lehrers aus der Affäre.

Ein Volk von Sinnen?

Welche Erklärung wird man in der Zukunft für das Ungeheuerliche, das in diesem Land vor sich ging, haben? Die dramatisch gesunkene Geburtenrate ist sogar heute kaum mehr als eine Fußnote wert. Darüber wird nicht diskutiert. Es ist halt so. Dieses Volk hat scheinbar kollektiv beschlossen aus der Welt zu verschwinden. Welch ein Wahnsinn! Gibt es in der Geschichte dieses Planeten etwas Vergleichbares? Dass eine Gruppe von Lebewesen, ein Stamm, bei guten Lebensbedingungen die Reproduktion einfach einstellt?

Vielleicht wird man in der Zukunft eher auf ein multikausales Erklärungsmodel setzen. Den Deutschen ging es zu gut, wird es dann heißen, die waren zu beschäftigt mit Geldverdienen und Konsum, hatten kein Interesse daran, langfristig Verantwortung zu übernehmen und haben es zugelassen, dass eine kleine Gruppe Genderbesoffener in einem kühnen Handstreich traditionelle Rollenmuster über Bord warf. Derart orientierungslos geworden, gaben sich die Deutschen hemmungslos den Verführungen der Moderne hin, dem scheinbar endlosen Strom von technologischen Gadgets, unbeschränktem Medienkonsum und den damals enorm günstigen Reisen – Materialismus pur. Vor allem aber waren  sie pausenlos damit beschäftigt, ihr persönliches Leben zu optimieren, mit Karriereratgebern, Fitness-Studios, Ernährungskonzepten, Schönheitsoperationen, Statussymbolen und nicht zuletzt mit einer besonders in Deutschland ausgeprägten Marotte: der Jagd nach Schnäppchen. Da blieb keine Zeit mehr, Kinder aufzuziehen. Ein Volk von Sinnen halt.

Es ist zu befürchten, dass wenig Schmeichelhaftes über uns in den Geschichtsbüchern der Zukunft zu finden sein wird. Und das wird vermutlich nicht nur für „Den Deutschen“, die Individuen also, gelten, sondern auch für die Gesellschaft als Ganzes.

Drei Autoren zu kaum diskutierten Flüchtlingsfragen
Flüchtlinge: Drei verschiedene Blicke

„Gab es eine deutsche Gesellschaft im Sinne einer Wertegemeinschaft?“ könnte ein gefürchtetes Thema für die Geschichtsklausuren in der Mittelstufe lauten. Wem da nur einfällt: „Nein, die Deutschen hatten genug damit zu tun, Fußball-, Export-, Bürokratie-, Geburtenrückgangs- und Asylweltmeister zu werden“, hat schlechte Karten. Obwohl: So verkehrt ist das nicht. Sieht man von einem kleinen Wertediskurs Ende der sechziger Jahre ab, hat sich die deutsche Gesellschaft nie die Frage aller Fragen gestellt: „In welcher Gesellschaft wollen wir eigentlich leben?“ Man hatte den Krieg verloren, es wurden eilig eine Gesellschaftsform und ein Grundgesetz gebastelt, und die Deutschen wurden –  ähnlich einer Modelbahnlokomotive – auf das ihnen zugedachte Gleis gesetzt.

Und dann wurde Gas gegeben, immer schneller, immer effizienter dampfte man auf diesem Gleis anderen Nationen davon. Warum sollte man etwas Druck aus dem Kessel nehmen und über so etwas Abstraktes wie Werte sprechen? Warum sich fragen, ob es andere Gleise gibt, wo man auf diesem so flott vorankommt? Der Deutsche liebt es handfest, berechenbar und mit nachweisbarem Nutzen. „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“, sagte einmal ein deutscher Bundeskanzler. „Wer über Werte sprechen will, gehört in die Irrenanstalt“, möchte man hinzufügen.

Keine Wertegemeinschaft

Nein, von einer Wertegemeinschaft kann man im Zusammenhang mit der deutschen Gesellschaft um die Jahrtausendwende wohl kaum sprechen. Zu fragmentiert war die Wertelandschaft, und vielleicht erklärt sich daraus auch die an Manie grenzende Besessenheit der Deutschen, wenigstens mit den Koordinaten „rechts“ und „links“ etwas Orientierung zu schaffen.

Ein Volk, das die Reproduktion weitgehend eingestellt hat, eine wertemäßig fragmentierte Gesellschaft auf Rekordjagd ohne noch über Sinn und Zweck nachzudenken, das wäre wahrscheinlich das nüchterne Urteil, das man über die Deutschen in der Zukunft fällen wird. Eine Kultur reif zur Übernahme. Nahezu blind für die Bedrohungen durch den Islam oder andere irrationale Vorstellungen. Vor einem deutschen Beamten hätte ein überzeugter Hassprediger stehen können, den Bürokraten würde nur interessieren, dass er das Formular exakt ausfüllt.

Die Schüler werden vom Thema „Die Deutschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts“, das sie durch alle Jahrgangsstufen verfolgt, bald genauso genervt sein, wie wir vom Unterricht über den Nationalsozialismus. Mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit, Abscheu und der jeder Generation eigenen Überheblichkeit werden sie auf uns Heutige herabblicken.

Vermutlich werden viele Schüler Leistungskurse in den naturwissenschaftlichen Fächern belegen, um dem Thema wenigstens in der Oberstufe und bei den Abiturklausuren zu entkommen. Schade, denn dort wird es anspruchsvoll zur Sache gehen, mit einer weitwinkeligen Perspektive, die wir uns heute kaum vorstellen können.

Ein berüchtigtes Thema für die Abiturklausur könnte lauten: „Wie tolerant darf eine säkulare Gesellschaft gegenüber Religionen sein? Bitte begründen Sie Ihren Standpunkt unter Berücksichtigung der Ereignisse in Deutschland in den Jahren um 2015 und legen Sie einen evolutionären, menschheitsgeschichtlichen Maßstab zugrunde.“

Erleichtert werden die Schüler sein, die sich vorher im Internet die entsprechenden Tutorials angesehen und in den Curricula die Lernziele studiert haben. Sie wissen, dass es darauf ankommt, klar zwischen dem individuellen, transzendenten Teil der Religion (jeder darf glauben, was er will) und dem sozial-normativen Element zu unterscheiden. Ersteres darf und sollte eine freie Gesellschaft tolerieren, Letzteres muss sie bekämpfen. Mit dieser Unterscheidung wären die Schüler der Zukunft schon mal erheblich weiter als viele Politiker und Publizisten heute. Dennoch wird das höchstens für ein „ausreichend“ in der Klausur reichen.

Wer eine bessere Benotung anstrebt, muss in der Zeit weiter zurückgehen und zeigen, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit dem Ende des „viktorianischen Zeitalters“ die normative Kraft des Sozialen durch Status, Haltung und Befolgen erstarrter Handlungsmuster abgelöst wurde durch eine dynamische, auf Vernunft und Wissenschaft basierende Epoche, der die Menschheit ihre größten Fortschritte zu verdanken hat. Er wird zeigen, dass jeglicher Rückschritt in statische Muster, seien es religiös begründete oder weitgehend säkulare, wie etwa Nationalsozialismus oder Kommunismus, letztlich verhindert werden muss. Und genau aus diesem Grund darf eine fortschrittliche und freie Gesellschaft keinerlei Toleranz gegenüber dem sozial-normativen Element der Religion zeigen. Kurz: Religion muss Privatsache sein. Die Gesellschaft muss sich wehren.

Wer so argumentiert, dem dürfte eine gute Note sicher sein. Für eine „Eins“, so sagt das Curriculum für den Geschichtsunterricht im  Jahr 2115, muss der Schüler zeigen, warum im Deutschland um die Jahrtausendwende ein zunehmender Überdruss am Dynamisch-Rationalen um sich griff und zunehmend weitgehend irrationale, sozial-normative und statische Haltungen zunahmen. Warum beispielsweise Ökologie zu einer Ersatzreligion wurde, Political Correctness den gesellschaftlichen Diskurs verdrängte und ein selbstmörderischer Toleranzbegriff die Grundlagen der Gesellschaft unterminierte.

So könnte es sein, wenn man in der Zukunft auf unsere Zeit zurückblickt. Aber die Zukunft ist eben ungewiss. Vielleicht kommt ja auch alles ganz anders und für das Abi reicht das Aufsagen auswendig gelernter Suren aus dem Koran.

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