Es trifft Russland hart, dass Ministerpräsident Dimitri Medwedew gestern öffentlich eingestand, dass sein Land faktisch bankrott ist. Analytiker überraschte das nicht – aber in seiner Offenheit ist es mehr als ungewöhnlich, wo Putin nur wenige Tage zuvor im Gespräch mit einer mangelhaft vorbereiteten BILD-Chefredaktion der staunenden Öffentlichkeit noch etwas von „300 Milliarden Dollar in Goldreserven“ erzählt, über die sein Land angeblich verfüge.
Einnahmeeinbruch beim Energieverkauf
Unter Berücksichtigung einer linearen Entwicklung auf Basis der Zahlen des ersten Halbjahres 2015 konnte Russland angesichts des sinkenden Ölpreises aus dem Verkauf von fossilen Energieträgerprodukten mit rund 210 Milliarden USD rechnen. Damit hätte Russland in seinem wichtigsten Exportgut einen Einbruch von über 35 Prozent hinnehmen müssen.
Eine leichte Steigerung um drei Prozent war beim Waffenverkauf zu erwarten, während die übrigen russischen Exportwaren ungefähr auf Vorjahresniveau verharrten. Insgesamt steht für 2015 eine Export-Einnahme in einer Höhe von knapp über 300 Milliarden USD ins Haus. Das entspräche auf Basis der für 2014 ausgewiesenen Zahlen einem Minus von fast 200 Mrd USD und damit einem Rückgang um 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Gleichzeitig aber sind die Importe nach Russland spürbar zurück gegangen. Der Maschinensektor – für die Erschließung und Förderung der fossilen Bodenschätze unverzichtbar – sank von 121 auf 75 Milliarden. Für Nahrungsmittel gab Russland nur noch 25 statt 53 Milliarden USD aus. Insgesamt werden die Importausgaben daher bei gut 130 Milliarden USD liegen. 2014 waren es noch 308 Milliarden.
Unter dem Strich kann Russland im Jahr 2015 einen Außenhandelsüberschuss in Höhe von 170 Mrd USD erwarten – was jedoch – siehe oben – maßgeblich dem Zusammenstreichen der Importe geschuldet ist. Das sind 20 Milliarden weniger als im Vorjahr – und reduziert die Deckungslücke des Haushalts von 380 auf 210 Milliarden USD. Die von Putin propagandistisch angekündigten und exekutierten „Gegensanktionen“ dienten insofern vorrangig dem Ziel, die Staatsausgaben zu senken, um das Defizit nicht ins Uferlose anwachsen zu lassen.
Die Kreditaufnahmen sind gescheitert
Putins Versuche, sich im Ausland Kredite zu verschaffen, sind als weitgehend gescheitert anzusehen. Die verhandelten Kreditfonds mit Sa’udi-Arabien (10 Mrd USD) und den Vereinigten Arabischen Emiraten (7 Mrd USD) liegen nach Russlands Syrien-Intervention auf Eis. Nach dem russischen Ausstieg aus der internationalen Gerichtsbarkeit wird es sich ohnehin jeder potentielle Kreditgeber mehr als zweimal überlegen, Russland mit Barmitteln unter die Arme zu greifen. Angesichts einer Auslandsverschuldung in Höhe von rund 600 Mrd USD und einem allein 2015 anstehenden Fremdwährungsabfluss in Höhe von geschätzten 100 Mrd USD erhält der Duma-Beschluss vom Dezember 2015 eine weitere Dimension mit ungeahnten Folgen.
Von den nach Ausklammerung der Goldreserven verbleibenden 130 Milliarden sind über zehn Milliarden beim Internationalen Währungsfonds gebunden und nicht verfügbar. 18 Milliarden hat Russland in die von ihm mitgegründete „New Development Bank“ mit Sitz in Shanghai eingebracht. So ist unter dem Strich davon auszugehen, dass Putin Anfang 2016 nicht einmal mehr realisierbare 100 Mrd USD bei seiner Staatsbank hat, mit denen er seine Abenteuer finanzieren kann.
Der Zusammenbruch
Plötzlich werden auch die noch 2015 verkündeten Zahlen zur bloßen Makulatur. Wir erinnern uns: Energieminister Nowak hatte im Sommer mitgeteilt, dass die Haushaltsdeckung auf einem Ölpreis von 50 USD je Barrel beruhe. Ein halbes Jahr später erklärt Finanzminister Anton Siluanow nun, dass zur Deckung ein Ölpreis von 82 USD je Barrel notwendig gewesen wäre. Bei der Ist-Förderung des Sommers 2015 von 10,71 Millionen Barrel am Tag tat sich demnach allein aus diesem Sektor eine Lücke in Höhe von 123 Milliarden USD in 2015 auf – womit wir ziemlich exakt bei jener Summe sind, die bereits als zu erwartende, aus den Rücklagen zu finanzierende Deckungslücke ohne den Ausfall weiterer Rücklagemöglichkeiten errechnet wurde. Siluanow bestätigte damit mit seinen Zahlen eindrucksvoll die bereits von der FoGEP ermittelten Zahlen.
So ist die von Medwedew jetzt verordnete Sparkur für die öffentlichen Haushalte in Höhe von pauschal zehn Prozent auf alles ohne „heilige Kühe“ wie die Gehälter der ohnehin schon von der Inflation gebeutelten Staatsbediensteten nur ein Tropfen auf den heißen Stein, denn sie werden angesicht des Binnenhaushalts ohne Exporteinnahmen in der 2015er Höhe von 190 Milliarden USD nicht einmal 19 Milliarden USD einsparen können. Unterstellen wir dennoch, dass es haushalttechnisch gelungen sein sollte, den Binnenhaushalt auf 170 Milliarden zu reduzieren, liegen die zu erwartenden Gesamtausgaben Russlands 2016 dennoch nicht unter 480 Milliarden.
Damit klafft 2016 eine Deckungslücke in einer Größenordnung von 310 Milliarden USD, die durch Exportüberschüsse zu erwirtschaften wäre. Nun aber liegt der Ölpreis nicht einmal mehr bei jenen 2015 noch erhofften 50 USD je Barrel – sondern bewegt sich deutlich unter der 40-Dollar-Marke. Wirtschaftsminister Alexej Uljukajew dämmert die Erkenntnis, dass Russland nicht zu retten sein wird. Er geht Anfang 2016 davon aus, dass der Ölpreis in diesem Jahr auf 15 bis 20 USD je Barrel sinken wird. Statt der noch 2015 zur Haushaltsdeckung notwendigen 316 Milliarden USD allein aus Ölverkauf stünden dann 2016 nur noch knapp 68 Milliarden zur Verfügung – ein Fehlbetrag allein aus dem Ölverkauf in Höhe von fast 250 Milliarden USD. Dieser Betrag aber wäre selbst dann nicht mehr zu decken, würde Russland seinen Import auf Null zurückfahren – und berücksichtigt nicht, dass die Einnahmen aus dem Erdgasverkauf ebenfalls deutlich zurückgehen werden.
Russland ist pleite
Um diese Zahlen in populäre Worte zu fassen: Russland ist bereits pleite. Jedes anständig geführte Unternehmen hätte spätestens im Januar 2016 seine Zahlungsunfähigkeit erklären müssen. Denn selbst, wenn es gelänge, die Goldreserven und die fest angelegten Reserven zu heutigen Tageskursen zu kapitalisieren, verbliebe immer noch ein Fehlbetrag in einer Höhe von deutlich über 150 Milliarden USD, die Russland außerstande ist zu decken. Sollte Putin nun auf die Idee kommen, seinen Goldschatz zu plündern, wird sich die Deckungslücke sogar noch vergrößern – denn der Wert des Goldes würde deutlich verlieren. Die Finanzierung beispielsweise der vollmundig angekündigten militärischen Neuentwicklungen bleibt angesichts dieses Defizits ein Wunsch aus Wolkenkuckucksheim – was nun auch das russische Militär nicht glücklich machen wird.
Da die hier aufgezeigten Zahlen nicht nur Putin, sondern auch seinen führenden Mitstreitern bekannt sind, stehen dem Kreml interessante Zeiten ins Haus. Die durch das einseitige Setzen auf die forcierte Ölförderung (und nicht, wie manche ohne Nachzudenken erzählen, durch die mittlerweile ebenfalls unrentable Schieferölförderung der USA zur Eigenbedarfsdeckung) selbstverschuldete Misere wirft Russland haushalterisch in diesem Jahr vom Status eines Schwellenlandes auf den eines Entwicklungslandes zurück. Putin hat es geschafft, sein noch vor drei Jahren reiches Land in den Abgrund zu führen.
Das seit Jahresbeginn zu beobachtende „Verschwinden“ zahlreicher Meldungen der vergangenen Jahre im russischen Propagandaorgan „Sputnik“ gewinnt unter diesem Aspekt eine eigene Dimension. Zu Sowjetzeiten diente das Vernichten von historischen Dokumenten immer dem Vernichten von Erinnerung. Offenbar hat der KGB zum Großreinemachen angesetzt. Wir dürfen gespannt sein, was danach als gewünschte Wirklichkeit übrig bleiben wird.
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