Thielemann ist neuer Chef der Staatsoper Berlin – trotz aller Widerstände

Kultursenator Joe Chialo (CDU) hätte bei „gleichwertiger Exzellenz“ eine Frau mit Migrationshintergrund bevorzugt. Insofern beruht es auf Glück, wenn es nun doch Christian Thielemann wurde. Überhaupt hätte vor kurzem noch kaum einer den Auf- und Wiedereinstieg in seiner alten Heimatstadt erwartet.

IMAGO / Funke Foto Services
Am 27. September 2023 wird während einer Pressekonferenz in der Berliner Staatsoper der neue Generalmusikdirektor Christian Thielemann vorgestellt. vl. Christian Thielemann, Intendantin Elisabeth Sobotka, Kultursenator Joe Chialo

Nun wird er es also doch. Es war lange gemunkelt worden, gerade nach seinem phänomenalen Neueinstieg in den Berliner Orchestergraben mit Wagners „Ring des Nibelungen“ im vergangenen Herbst (für Interessierte gibt es hier noch die Kritik des Verfassers zum Ereignis). Das Berliner Publikum badete den Stardirigenten und Sohn der Stadt Christian Thielemann förmlich im Applaus, als die „Walküre“ mit Feuerzauber und Wotans Abschied über die Bühne gegangen war. Kenner erkannten eine inoffizielle Inthronisation per Akklamation von Christian Thielemann als Nachfolger des eigentlich auf Lebenszeit gewählten Generalmusikdirektors Daniel Barenboim. Anfang des Jahres war der gebürtige Argentinier dann aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurückgetreten, das ihm vor über 30 Jahren übertragen worden war. Damit geht eine Ära an dem Haus zu Ende, die nicht immer ohne Skandal war, und eine neue Zeit beginnt.

Als Thielemann im Mai 2021 in Dresden von einer CDU-Staatsministerin für Kultur und Tourismus entlassen wurde, hätte kaum einer an so etwas geglaubt. Man möchte nicht zu sehr an die Dresdner Geschehnisse erinnern, aber es muss doch gesagt werden, dass die Staatsministerin Barbara Klepsch damals wild in die Ausrichtung und Programmatik der Dresdner Semperoper und Staatskapelle hineinregierte und verschiedene „Neuerungen“ forderte. „Eine Oper in zehn Jahren“, hieß es da, „wird eine andere als die Oper von heute sein: Sie wird teilweise neue Wege zwischen tradierten Opern- und Konzertaufführungen und zeitgemäßer Interpretation von Musiktheater und konzertanter Kunst gehen müssen.“

Das klang zum einen nach der üblichen Einheitskost, die deutsche „Kulturpolitiker“ den Bühnen und Orchestern im Land heute flächendeckend verschreiben: Ein wenig Tradition und ganz viel „Neues“, „Zeitgemäßes“, „Musiktheatrales“ sollen daneben „neue Publikumsschichten“ eröffnen, was alles andere als sicher ist. Dass das mit dem politisch und künstlerisch eher konservativ tickenden Thielemann nicht zu machen sei, war der Subtext dieser Beförderung aufs Abstellgleis, obwohl der Dirigent eindeutig zum musikalischen Rang Dresdens beigetragen hatte. In Dresden waren auch die Musiker der Staatskapelle an den Rand der Entscheidungspyramide befördert worden. Ein Votum der Orchestermusiker war nicht eingeholt worden, wie TE damals aus Staatskapellenkreisen erfuhr. Mitbestimmung ist in solchen traditionellen Klangkörpern sonst guter Brauch.

Chialo: Hätte eine Frau mit Migrationshintergrund bevorzugt

Was Dresden verlor, kann Berlin nun für sich verbuchen. Der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) gab in einer Pressekonferenz bekannt, dass Thielemann der Leiter der Berliner Staatsoper Unter den Linden wird. So weit alles in Ordnung. Mit Christian Thielemann gewinne man „nicht nur einen Dirigenten von Weltrang, sondern auch den logischen Nachfolger des großen Maestros und Ehrenbürger Berlins, Daniel Barenboim“. Chialo freut sich sehr, dem Vorschlag des Hauses folgen zu können: „Mit ihm sichern wir höchste musikalische Exzellenz für unsere Stadt.“

Und doch hatte Chialo vorher etwas ganz anderes verlauten lassen, an das er sich dann – glücklicherweise – doch nicht hielt. Der berichtende MDR – in der Angelegenheit „vulnerabel“ durch den Thielemann-Abschied aus Dresden 2021 – zitiert Chialo vor der definitiven Vergabe so: „Wenn ich eine gleichwertige Exzellenz bei zwei Kandidaten habe, würde ich immer eine Frau bevorzugen. Und wenn wir eine Frau mit Migrationshintergrund finden würden, dann wäre es natürlich noch toller.“

Das ging also noch einmal gut für den weißen Mann, der Thielemann nun einmal ist. Der MDR findet es so halb gut und nimmt auch auf ältere Berliner Querelen Bezug, als Thielemann schon einmal musikalischer Chef der Deutschen Oper gewesen war. Doch das ist nun wirklich ewig her, 2004 trat Thielemann in seiner Heimatstadt Berlin ab und wechselte zu den Münchner Philharmonikern: „Die Berufung zum Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper war nicht nur wegen dieser Vorgeschichte keine Selbstverständlichkeit.“ Auch Chialo will natürlich „Türen für eine moderne Zukunft aufmachen“. Doch nun steht laut MDR „dennoch ein etablierter Mann an der Spitze des Orchesters“. Wirklich? Etabliert ist Thielemann schon, aber teils eben auch als Feindbild des Establishments linker oder sonstwie wohlmeinender Observanz (siehe Sachsens CDU).

Man darf hoffen, dass es diesmal hält und vielleicht noch eine Verlängerung herausspringt. Dass die Dinge nun so dahin schippern ist mit dem durchaus experimentierfreudigen Thielemann wohl ausgeschlossen. Und dann sind da ja noch die Quoten-Mihigru-Damen, die Senator Chialo dem Generalmusikdirektor eventuell vor die Nase setzen wird, mit denen es dann eventuell zu Ärger kommen kann. Aber vielleicht gibt es ja auch noch einmal wieder schöne Aufführungen, bei denen sich ein Team sicher und einig ist, was es erreichen will und das auch dank einer solid-ingeniösen Konzeption schafft – ganz ohne Missklang. Man darf noch hoffen.

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Kommentare ( 29 )

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Kassandra
1 Jahr her

Wenn man bei wiki liest muss man zugeben, dass sich der Kultursenator eventuell in einer Sparte von Musik tatsächlich schon praktisch betätigte – was nicht heißen muss, dass er das Gesamtspektrum des kulturellen Bereichs tatsächlich als Experte beurteilen könnte.
Aber wer muss schon was von seinem Fach verstehen – als verantwortlicher Politiker in diesen Zeiten?
Wie er die „Gleichwertigkeit“ zweiter Künstler allerdings hätte feststellen wollen, bleibt im Ungewissen?

JuergenR
1 Jahr her

„Eine Oper in zehn Jahren wird eine andere als die Oper von heute sein“ (Barbara Klepsch). Mir gefallen die Inszenierungen schon seit längerem nicht mehr. Wenn Wagners Oper „Rienzi“ in einem KZ spielt oder ähnlicher Unsinn bei anderen Opern umgesetzt wird, heißt es bei mir „tschüß!“. Ich habe mich mit DVDs von alten MET-Inszenierungen unter James Levine eingedeckt. Alles sehr werkgetreu und kein neumodischer Sch… Und vor allem: Wenn ein Oberbürgermeister einen gefeierten Chefdirigenten einfach entlassen kann, weil dieser sich weigert, sich von Putin und Rußlands Einmarsch in die Ukraine zu distanzieren, aber gleichzeitig in dessen Stadt bis heute ein… Mehr

Metric
1 Jahr her

Hm, die Grünen finden, Thielemann passe nicht zu einer „weltoffenen Stadt“, und Chialo wollte eine Frau mit Migrationshintergrund? Die Auswahl wäre schwierig geworden … Trotzdem ein paar Vorschläge: Anna Netrebko ist zwar keine Dirigentin, aber hat immerhin Ahnung von Musik, das wäre doch lustig geworden! Ne? Dann vielleicht, als Favoriten der Grünen: Bei Ruangrupa sind doch auch Frauen, vielleicht kann eine davon ja trommeln? Auch nicht? Schwierig.

Thorben-Friedrich Dohms
1 Jahr her

„Wenn ich eine gleichwertige Exzellenz bei zwei Kandidaten habe, würde ich immer eine Frau bevorzugen.“

Ich bin mir sicher, dass er die Exzellenz verschiedener Dirigenten fachlich versiert und völlig unvoreingenommen beurteilen kann. Das hat er mit Claudia Roth gemein, die seit ihrem Besuch in Bayreuth eine international renommierte Wagner-Expertin ist.

Christa Born
1 Jahr her

Naja, er ist schwul. Also doch immerhin was! Konservativ und musikalisch grandios. Ein großer Gewinn für die Oper! Freue mich. Bin aber schon gespannt, wann das Mobbing losgeht und wie lange er bleibt.

eschenbach
1 Jahr her

Eine Frau, und am besten eine mit Migrationshintergrund! Schon klar. Aber wäre nicht eine Transfrau noch besser gewesen?
Gut, dass es der Thielemanns geworden ist. Um eine Zauberflöte ohne „Mohr“, dafür mit einer co2- neutral performenden Königin der Nacht werden die Berliner wohl ebenso lange betteln müssen wie für einen „Sinti:zze-und Rom:nja- Baron“.
Mal sehen, wie lange das gut geht….

Last edited 1 Jahr her by eschenbach
Mausi
1 Jahr her

Bei gleicher Qualifikation müsste eigentlich das Los entscheiden. Denn dass dann der Chef entscheidet, wer menschlich am besten ins Team passt, das geht ja gar nicht.
Zusätzlich braucht es nach Losentscheidungen noch Seminare, wie Mitarbeiter miteinander umgehen müssen, damit das Team dann weiterhin funktioniert. Am besten mit Kameraüberwachung. Wer danach aus dem Gleis springt, wird fristlos entlassen.

Last edited 1 Jahr her by Mausi
Nibelung
1 Jahr her

Das alles ist doch durch die Enkelgeneration ein völlig entstelltes Schauspiel, wenn man den Ort des Ursprungs betrachtet und wer sich das nicht antun will, holt seine alten Schallplatten aus dem Bücherschrank und schwelgt in alten Träumen von Rienzi, Lohengrin und Parsival, wie sie vom Erfinder angedacht wurden und in einer Größe vertont wurden, was einmalig ist und nicht wieder kommt, bis es dann neuzeitlich so entstellt ist, daß auch da kein Wiedererkennungswert zu verzeichnen ist und dem neuen Zeitgeist zum Opfer fällt.

Klaus Kabel
1 Jahr her

Ein schwarzer Mann mit rassistischen und sexistischen Vorurteilen? Ist das für die Hypermoralischen nicht ein Grund, mit Schaum vor dem Mund, dessen Rücktritt zu fordern?

BeVo
1 Jahr her

Man kann es auch (mit den Augen der Dunkelbraun-ehemals-„Grünen“) so sehen:
Frau mit Migrations-(=Wanderungs)hintergrund braucht nichts zu wissen, nichts zu können. Für die Beschäftigung in der beruflichen Position Thielemanns braucht es lediglich eine zu der beruflichen Postion passende Haut- und Haarfarbe und Haarfrisur. Aus dem Mund und von der Hand der Frau (was ist, bitteschön, aus Sicht der Dunkelbraun-ehemals-Grünen, eine Frau qua Definition?) darf dementsprechend nur noch wortreicher (Mind) und gestischer (Hand) Müll den Zuschauern (oder Zuschauernden?) kommen. 🙁